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1. Kapitel

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Das Wohnmobil brummte stetig und monoton auf der flachen, schnurgeraden norddeutschen Autobahn dahin, fraß die Kilometer einen nach dem anderen in sich hinein und spuckte sie wie ein endloses, grauschwarzes Band hinten wieder aus.

Stina beugte sich ein wenig vor, so daß ihr langes hennafarbenes Haar fast das ganze Gesicht verdeckte, und wühlte in ihrem großen Beutel, den sie auf den Schoß hochgezogen hatte.

„Paß auf, daß du nicht kopfüber reinfällst!“ warnte Bengt grinsend.

„Worein?“ fragte Stina, ohne aufzublicken.

„In die Tasche. Dann verschwindest du ganz und gar! Und ich muß einen Suchtrupp nach dir aussenden, der mindestens 14 Tage braucht, bevor er dich zwischen Lippenstiften, Eyeliner und dem ganzen anderen Kram gefunden hat. Wonach suchst du denn?“

„Ach, nach gar nichts“, sagte Stina.

„Gar nichts? Das findest du in dem Durcheinander bestimmt.“

„Ha! Hier ist es!“ rief Stina und hielt triumphierend ein Päckchen Kaugummi hoch. „Willst du auch einen?“

„Nein, aber vielen Dank.“

Stina wickelte ein Kaugummipäckchen aus und stopfte es sich in den Mund. Fast gleichzeitig sah sie aus dem Augenwinkel die Ecke eines Hinweisschildes:

Letzte Ausfahrt vor der Bundesgrenze.

„Jetzt sind wir gleich an der Grenze“, bemerkte sie.

Bengt nickte. Einen Augenblick lang fuhren sie, ohne daß ein Wort fiel.

„Wo du sowieso schon deine Tasche raus hast“, sagte Bengt, „dann könntest du eigentlich gleich mal das braune Päckchen hinter meinem Sitz da reinlegen, ja?“

Stina drehte sich halb auf ihrem Sitz um. „Das paßt da nicht rein.“

„Nicht das große“, erklärte Bengt, „das kleine. Das müßte doch gehen.“

Mit etwas Mühe bekam Stina das Päckchen zu fassen und steckte es in ihre Tasche. Sie zögerte kurz, schaute es nachdenklich an, holte dann ihr Portemonnaie und ihre Sonnenbrille heraus, stopfte das Päckchen noch ein wenig tiefer und legte Portemonnaie, Sonnenbrille und ihr Taschentuch obendrauf.

Sie schaute Bengt fragend an, aber der hatte die Augen nur auf die Fahrbahn gerichtet.

„Warum?“ fragte sie.

„Um dumme Fragen zu vermeiden.“

„An der Grenze?“

„Ja, wo denn sonst? Und das gilt auch für dich.“

„Was ist denn im Päckchen?“

Bengt schielte zu ihr hinüber. „Heroin!“

Stina zog eine Grimasse und machte das Wichserzeichen. Sie wußte, wenn Bengt ihr nicht erzählen wollte, was in dem Päckchen war, dann konnte sie das Fragen gleich aufgeben. Ihm gegenüber jedenfalls.

Sie rutschte etwas auf ihrem Sitz hin und her und lehnte sich an den Türrahmen, damit sie ihn heimlich beobachten konnte, während sie so tat, als schaue sie aus dem Fenster.

Aus Bengt wurde man nie richtig klug. Er war ihr Stiefvater, eigentlich ihr Exstiefvater, und er war der Mensch, den sie am allerliebsten auf der ganzen Welt hatte, jetzt, seit ihre Oma tot war. Seit acht Jahren wohnte sie schon mit ihm zusammen, aber immer noch hatte er etwas Geheimnisvolles an sich. Er ließ die Menschen nie ganz an sich herankommen. Nicht einmal sie. Und obwohl sie sicher diejenige war, die ihn am allerbesten kannte, kannte sie ihn dennoch nicht so genau. Oder es gab in Wirklichkeit gar keine Geheimnisse. Vielleicht war das das ganze Geheimnis, wenn man es genau betrachtete.

Sie passierten die deutsche Grenzstation und reihten sich an der dänischen Grenze in die Schlange ein.

Stina wickelte eine Haarsträhne um den Finger, steckte die Spitze der Strähne in den Mund und kaute nervös darauf herum.

Bengt gab ihr einen beruhigenden Klaps auf die Schulter.

„Easy, girl! Take it easy! Und paß auf, daß du keinen Kaugummi ins Haar kriegst!“

Stina schaute ihn resigniert an. Sie hatte immer Bauchschmerzen, wenn sie gemeinsam mit Bengt eine Grenze überqueren mußte. Das war das gleiche gewesen, als sie nach Deutschland eingereist waren.

Jetzt war das Auto vor ihnen durchs Nadelöhr geschlüpft, und sie waren dran. Bengt gab dem Beamten hinter der Fensterscheibe ihre Pässe. Einen Moment lang betrachtete der die Pässe, sah dann lange Bengt an, um ihm sodann ein Zeichen zu geben, zur Seite zu fahren.

Stina seufzte. Sie wußte, daß sie Probleme bekommen würden. So war es immer.

Sie warf Bengt einen wütenden Blick zu. „Das ist dieser blöde Schnurrbart. Du könntest ruhig versuchen, ein bißchen schwedischer auszusehen.“

„Isch nischt verschtehen, was du sagen!“ sagte Bengt in gebrochenem Schwedisch. „Isch nischt gut verschtehen swedische Schprach!“

„Das ist überhaupt nicht lustig!“ schimpfte Stina sauer. „Jedesmal passiert uns das! Die denken garantiert, du bist so ein Perser oder Türke mit falschem Paß!“

Bengt hatte das Wohnmobil an die Seite gefahren, wo bereits ein alter Schrotthaufen mit vier Passagieren stand. Alles Männer, alle schwarzhaarig und dunkelhäutig. Gastarbeiter, vermutete Stina. Sicher entweder Türken oder Jugoslawen. Sie schaute sie böse an. Die sind schuld, dachte sie und wußte nur zu gut, daß das vollkommen ungerecht war.

„Nun“, sagte Bengt, als er in den Rückspiegel guckte und einen Beamten entdeckte, der auf dem Weg zu ihnen war. „Nun steige ich mal lieber aus und entfalte all meinen schwedischen Charme.“

Stina blieb im Auto sitzen. Sie hatte das Gefühl, es dauerte eine Ewigkeit, aber in Wirklichkeit verging nicht einmal eine Minute, bevor Bengt wieder einstieg und die Pässe auf die Ablage vor ihnen warf.

„Alles glattgegangen – mal wieder“, sagte er, als der Beamte sie lächelnd weiterwinkte.

Stina warf ihm und Bengt einen bösen Blick zu.

„Das ist alles so verdammt verunsichernd. Und jedesmal. Weil du so dunkel bist, und dann ist da noch dieser idiotische Schnurrbart.“

„Das zeigt nur, daß man nicht vorsichtig genug damit sein kann, seine Familie auszuwählen.“

„Du gehörst nicht zu meiner Familie, zum Glück.“

„Ich habe ja auch an mich selbst gedacht. Zigeunerfamilie, weißt du!“

„Bilde dir nur nicht ein, daß du mit diesem Schnurrbart geboren wurdest. Du könntest ihn einfach abrasieren.“ „Spinnst du? Der gehört doch zu meinem Image. Ohne ihn hätte ich keine Ahnung, wer mir da morgens aus dem Spiegel entgegenblickt. – Obwohl das manchmal auch was für sich hätte“, fügte er nachdenklich hinzu.

„O ja. Glaubst du, wir kommen noch rechtzeitig zur Fähre?“

„Immer mit der Ruhe, mein Mädchen. Schaffen wir’s heute nicht, schaffen wir’s morgen.“

Stina lehnte sich zurück. Bengt war nicht gerade der Richtige, mit dem man über Ruhe reden konnte. Wenn es etwas auf der Welt gab, was er nicht konnte, dann war es, sich entspannen und Ruhe bewahren. Er tat nur immer so.

Sie schob eine Hand in ihren Beutel und fühlte das viereckige Päckchen.

Zum Teufel, was da wohl drin war?

Der rätselhafte Doppelgänger - Kinder-Krimi

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