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Abigail - Meine Flucht

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Natürlich war mir die intensive Musterung von Liam nicht entgangen. So wie er mich angeschaut hatte, hatte es absolut nichts mit seinem Job zu tun. Mich dagegen hatte es alle Beherrschung gekostet, ruhig und distanziert zu bleiben, denn dieser Mann war bisher der Einzige, der mich aus dem Takt brachte. Ich mochte vielleicht noch Jungfrau sein, aber nicht nur einmal hatte ich mir vorgestellt, dass es seine wären, wenn meine Finger zwischen meine Beine glitten.

Mein Arm lag auf dem meines Vaters und ich ließ unauffällig meinen Blick herumwandern. Ich merkte mir die Wachen, wie viele und wo sie standen, lächelte und begrüßte die Gastgeber und ließ mich von meinem Vater in den großen Saal bringen.

Wir würden zwei Stunden hierbleiben und dann ging es wieder nach Hause. Ich hatte somit ein enges Zeitfenster, weil in der ersten Stunde die Reden geschwungen und den Reichen das Geld aus der Tasche gezogen wurde. Da ich aber nicht sofort danach verschwinden konnte, würde ich nicht viel Vorsprung haben.

Nach den nervigen Reden und einem mittlerweile festgefrorenem Lächeln in meinem Gesicht mischte ich mich unter die Gäste. Ich sah meinen Vater, wie er mit der Gastgeberin flirtete und dass die Bodyguards ihn und die Umgebung keine Sekunde aus den Augen ließen. Meine Schwester steuerte zum Buffet, welches in einem anderen Raum aufgebaut war und Liam musste ihr notgedrungen folgen. Er ließ den Blick über die Menge schweifen, wahrscheinlich suchte er mich, daher tat ich so, als ob ich die hässliche Skulptur vor mir interessiert anschaute. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie er kurz anhielt und mich musterte, dann aber sofort meiner Schwester hinterher eilte.

Jetzt! Ich drehte mich nach links und steuerte den nächsten Raum an, der nach hinten eine Tür zum Garten hatte. Geschickt schlängelte ich mich durch die Menschen, nickte und lächelte und schob mich dann kurze Zeit später durch die Tür und verschmolz mit der Dunkelheit.

Sofort schlüpfte ich aus den beknackten Schuhen und huschte den von mir eingeprägten Weg entlang. In dem kleinen Pavillon zerlegte ich mein Handy, riss mir den unteren Teil meines Kleides ab. Endlich hatte ich genug Bewegungsfreiheit, um den letzten Sprint über den Rasen, immer an der Hecke entlang zu nehmen. Ich schlüpfte durch das Loch und richtete mich auf.

Ich hatte den ersten Schritt Richtung geparkten Auto gemacht, als ich von hinten gepackt wurde und sich eine Hand über meinen Mund legte. Instinktiv reagierte ich, setzte meinen Ellenbogen und meinen Kopf nach hinten ein, um danach den Angreifer fest mein Knie in die Eier zu rammen. Stöhnend sackte er zusammen, nur damit der Nächste auf mich losgehen konnte.

Doch ich war nicht so hilflos, wie die Männer sicher vermuteten. Keiner wusste, dass ich still und heimlich nicht nur meine Flucht bis ins Kleinste geplant hatte – gut, die Männer waren nicht eingeplant gewesen – aber vorher hatte ich mich auch im Waffengebrauch und Selbstverteidigung geübt.

Der Angreifer bekam direkt meine Handkante unter die Nase gerammt und mit einem unschönen Geräusch brach ich ihm diese. Er fluchte und bevor er noch alle Wachen alarmieren konnte, schlug ich ihm vor den Kehlkopf, um ihn mit einem zusätzlichen Schlag im Nacken zu Boden zu befördern.

Jetzt entfuhr mir ein Fluch, als noch ein dritter Angreifer auftauchte und ich entschied mich, da er ein Stücken entfernt war, zur Flucht. Blitzschnell rannte ich auf den geparkten Wagen zu, riss die Tür auf und drehte den Zündschlüssel, als die Beifahrertür aufgerissen wurde und Liam auf den Sitz rutschte. Verdammt, ich hatte keine Zeit nachzudenken, denn im Rückspiegel sah ich den Typen eine Waffe ziehen und gab Gas. Schotter flog nach hinten weg und der Kerl musste sein Gesicht mit dem Armen schützen.

Der Wagen schoss nach vorn und ohne Licht preschte ich den Weg, den ich mir tausendfach auf der Google-Karte angeschaut hatte, entlang.

»Fuck, langsamer, Abigail, du bringst uns noch um«, brüllte Liam, als ich um die Kurve schoss, die er nicht gesehen hatte, ich aber wusste, dass sie dort war.

Ich antwortete nicht, sondern konzentrierte mich auf den Weg und nach einer weiteren Kurve war ich endlich auf der Straße, zu der ich wollte und schaltete das Licht an. Ich beschleunigte weiter, denn ich sah von hinten Lichter kommen.

»Halt an«, knurrte Liam neben mir und das erste Mal warf ich einen Blick zu ihm und sah die Pistole, die er auf mich gerichtet hielt.

»Sicher nicht. Wenn du bitte einmal nach hinten schauen würdest, wüsstest du, dass es gesünder ist, mich fahren zu lassen.«

Er schaute nach hinten, fluchte und steckte die Waffe weg. »Dann zeig mal, was du drauf hast«, spottete er und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ich grinste in mich hinein, denn anscheinend dachte er immer noch, dass es bisher Glück oder Zufall gewesen war, wie weit ich mit meiner Flucht gekommen war.

»Festhalten«, flötete ich, schaltete einen Gang runter und ließ das Lachgas einspritzen. Etliche Stunden hatte ich mit dem Fahrtraining verbracht und ich konnte mir das Lächeln nicht mehr verkneifen, als Liam »Fuck, die ist irre«, murmelte und nach dem Haltegriff fasste.

Auch die Strecke kannte ich im Schlaf und die Scheinwerfer hinter uns wurden immer kleiner, bis sie nicht mehr zu sehen waren.

Ich zog die Handbremse an, um danach direkt wieder Gas zu geben, und bog nach links in den Weg ein. Sofort schaltete ich das Licht aus und raste ungebremst weiter in die Dunkelheit.

Gesprengte Fesseln

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