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Ariane

Ariadne: Das war doch die schöne Königstochter, die dem jungen Theseus, als der den Minotauros tötete, mit ihrem Faden aus dem Labyrinth half ... Aber erinnern wir uns ab ovo, und das heißt hier: vom Stier des Poseidon an. Der kretische König Minos hatte den Meeresgott gebeten, ihm zur Bestätigung seiner Herrschaft einen Stier heraufzusenden, und der hatte ihm den Wunsch erfüllt. Als Minos sein Gelübde, den Stier sogleich wieder zu opfern, bricht und das Prachtexemplar seiner königlichen Herde zuführt, gibt der betrogene Gott der Königin Pasiphaë eine rasende Liebe zu dem Götterbullen ein. Der war nun freilich von Horn bis Huf auf Kühe eingestellt; erst mit Hilfe des kunstfertigen Dädalus und einer unwiderstehlich verführerischen Kuhattrappe kommt Pasiphaë zur Befriedigung ihrer sodomitischen Gelüste. Sie gebiert darauf den halb stier-, halb menschengestaltigen Minotaurus, den „Minos-Stier“.

Wohin mit einem Prinzen dieser Art? Noch einmal wird der erfinderische Dädalus bemüht; er entwirft das raffiniert verwinkelte, mit seinen tausend Gängen und Kammern hoffnungslos verwirrliche Labyrinth, die peinliche Ausgeburt so prinzengemäß wie ausbruchsicher unterzubringen. Den eben unterworfenen Athenern erlegt König Minos den makabren Tribut auf, dem stierköpfigen hybriden Monstrum Jahr für Jahr sieben Knaben und sieben Mädchen zum Opfer zu bringen. Einmal und noch einmal verschwinden die vierzehn zu dem Opfer Ausgelosten auf Nimmerwiedersehen hinter den Mauern des Labyrinths. Im dritten Jahr entschließt sich der attische Königssohn Theseus, die unglücklichen Landeskinder nach Kreta zu begleiten, mit ihnen den Weg of no return ins Innere des Labyrinths zu wagen und dem stierköpfigen Menschenfresser ein für allemal den Garaus zu machen.

Hier nehmen wir den Ariadnefaden wieder auf. Die kretische Prinzessin verliebt sich in den attischen Prinzen und gibt ihm, weniger um seinen Zweikampf mit Minotaurus als um sein Wieder-Herausfinden besorgt, ein frauliches Wollknäuel mit. Liebe macht erfinderisch, möchte man meinen, aber der Mythos will es anders und schreibt auch diesen rettenden Einfall dem ingeniösen Dädalus zu. Wie auch immer: Theseus wickelt ab, siegt und wickelt auf; und als er nach dem Zweikampf wieder aus dem Labyrinth herausgelangt und in Ariadnes Arme zurückgekehrt ist, scheinen Happy End und Prinzenhochzeit auf das Feinste eingefädelt. Doch die Nachgeschichte ist so traurig wie die Vorgeschichte grausig: Auf der Rückfahrt nach Athen lässt Theseus die schöne, junge Ariadne schnöde auf der Insel Naxos sitzen, ohne Abschied und ohne Faden, und die Sitzengelassene hat buchstäblich das Nachsehen, bis zuerst der Weingott Dionysos alias Bacchus, später Richard Strauss und zu guter Letzt die Europäische Raumfahrtagentur sich ihrer annehmen.

Mittlerweile gibt es hunderterlei „Leitfäden“ durch hunderterlei Labyrinthe. Die findet man im Kaufhaus freilich nicht bei den Kurzwaren; auch sonst sucht man Texte ja nicht in der Textilabteilung. Aber welcher Leitfaden leitet uns von der alten Ariadne auf Kreta und Naxos zu der neuen „Ariane“-Rakete auf dem Startplatz von Kourou? Ich war einmal im Schweizer Fernsehen in der gleichen Magazin-Sendung wie einer der leitenden Raketentechniker der ESA, und der verbürgte mir völlig ernst die folgende Erklärung: Zuerst sei mit dem europäischen Raumfahrtprogramm Vieles schiefgelaufen; doch dann habe ein neuer Projektleiter nochmals ganz neu angefangen und die Sache vom Kopf auf die Füße gestellt. Mit Blick auf diesen Neubeginn habe die Europäische Raumfahrtagentur die kretische Prinzessin Ariadne, französisch Ariane, zur Namenspatin der neu entwickelten Rakete erkoren: „Die hat damals“, sagte er, „aber das wissen Sie ja viel besser als ich – die hat damals ihren hoffnungslos verknoteten Faden doch auch einfach mitten durchgehauen!“

Ja, der Gordische Knoten: aber das war doch die Geschichte mit dem sprichwörtlich unauflöslichen Knoten im phrygischen Gordion, und mit Alexander dem Großen, der das unentwirrbare Unding kurzerhand mit seinem Schwert in Stücke hieb ...

Die Sau im Porzellanladen

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