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Ab imo pectore. «Aus tiefster Brust.» Die Wendung begegnet mehrfach in epischer Sprache; vgl. zum Beispiel Catull, Gedichte 64, 198 (pectore ab imo); Lukrez, De rerum natura 3, 57 (pectore ab imo); Vergil, Aeneis 1, 371 (imo … a pectore); 1, 485 (pectore ab imo).

Ab love principium, Musae. «Von Jupiter her (nehmt) den Anfang, Musen». Vielleicht ist Musae auch als Genitiv zu verstehen: «Von Jupiter her (rührt) der Anfang (meiner) Muse.» Vergil, Bucolica 3, 60; vgl. den entsprechenden Versanfang Aeneis 7, 219: Ab Iove principium generis, «Von Jupiter her (rührt) der Anfang unseres Geschlechts». Der Vergilische Musenanruf nimmt den Eingangsvers der Aratischen «Phainomena» auf: Ἐκ Διὸς ἀρχώμεσϑα, «Von Zeus aus wollen wir beginnen», vgl. den gleichlautenden Musenanruf bei Theokrit, Idyllen 17, 1. Cicero, De legibus 2, 3, 7, zitiert den Aratvers in seiner eigenen Übersetzung: Ab Iove Musarum primordia, «Von Jupiter her (rühren) die Uranfänge der Musen»; Iulius Caesar Germanicus ist in seiner Übersetzung Vergil gefolgt: Ab Iove principium magno deduxit Aratus, «Von dem großen Jupiter hat Arat den Anfang hergeleitet». Vgl. weiterhin Cicero, De re publica 1, 36, 56 (Imitemur ergo Aratum, qui magnis de rebus dicere exordiens ab Iove incipiendum putat); Ovid, Metamorphosen 10, 148f. (Ab Iove, Musa parens, …/carmina nostra move!), und Festkalender 5, 111 (Ab Iove surgat opus); Calpurnius Siculus, Eklogen 4, 82 (Ab Iove principium, si quis canat aethera, sumat); Statius, Silvae 1, Einleitung (Sumendum enim erat ab Iove principium); Quintilian, Lehrbuch der Rhetorik 10, 1, 46 (ut Aratus ab Iove incipiendum putat). Die Aratstelle geht ihrerseits wohl auf Alkman, Fragment 29 Page, zurück: Ἐγὼν δ' ἀείσομαι ἐκ Διὸς ἀρχομένα, «Ich will singen, von Zeus aus anfangend».

Ab ovo. «Vom Ei (der Leda) an» (in dem Sinne: «vom ersten Anfang an», «von Adam und Eva an» etwas erzählen). Horaz, Ars poetica 147. Horaz illustriert die Kunst, ein episches Gedicht richtig anzufangen, am Beispiel Homers, der den Trojanischen Krieg nicht gemino … ab ovo, «vom Zwillings-Ei (der Leda) an», zu erzählen beginne, sondern den Hörer sogleich in medias res, «mitten in die Dinge hinein» (unten S. 86), mit sich fortreiße. Nach ihrer Vereinigung mit Zeus in der Gestalt eines Schwans hatte Leda, die Gattin des spartanischen Königs Tyndareos, in einem einzigen Ei – oder auch in zweien – neben den Dioskuren Kastor und Polydeukes als dritte die schöne Helena geboren; um ihretwillen war es in der Folge, nach vielerlei Verwicklungen, zum Trojanischen Krieg gekommen. Die Horazische Prägung wurde sprichwörtlich; vgl. Atilius Fortunatianus, Ars metrica, in: Keil, Grammatici Latini, Band VI, S. 278, Zeile 13f.: Altius et ab ovo mihi, quod aiunt, repetenda res est, «Ich muß tiefer zurückgreifen und die Sache vom Ei an, wie man sagt, darlegen». Vgl. das hier folgende ebenfalls ursprünglich Horazische Ab ovo/usque ad mala.

Ab ovo/usque ad mala. «Vom Ei bis zu den Äpfeln» (in dem Sinne: «Von der Vorspeise bis zum Dessert», vom Anfang der Mahlzeit bis zu ihrem Ende). Horaz, Satiren 1, 3, 6f. Vgl. das voraufgehende ebenfalls ursprünglich Horazische Ab ovo.

Ab urbe condita (a. u. c.) «Seit Gründung der Stadt.» Die gelehrte römische Jahreszählung ging aus von dem Epochenjahr der Gründung der Stadt: 753 v. Chr. nach der «Varronischen» Zählung, die seit ihrer Einführung durch Marcus Terentius Varro im 1. Jahrhundert v. Chr. gebräuchlich geblieben ist, 752 v. Chr. nach der älteren «Kapitolinischen» Zählung der Fasti Capitolini. Livius gab seinem klassischen Geschichtswerk, das in 142 «Büchern» die römische Geschichte von der Gründung der Stadt bis zur Zeit des Augustus darstellte, den Titel «Ab urbe condita». Im alltäglichen Sprachgebrauch und selbst in der historischen Literatur wurden die Jahre allerdings nicht mit einer Jahreszahl «seit Gründung der Stadt», sondern jeweils einfach mit den Namen der Konsuln bezeichnet.

Abusus non tollit usum. «Der Mißbrauch (eines Rechtes) hebt den Gebrauch (dieses Rechtes) nicht auf.» Der Ursprung des Wortes ist nicht nachgewiesen.

Abusus optimi pessimus. «Der Mißbrauch des Besten ist der schlimmste.» Der Ursprung des Wortes ist nicht nachgewiesen. Das Muster des Gedankens findet sich bereits bei Aristoteles, Politik 1, 2. 1253 a 31ff.: «Wie der Mensch, zu seiner Vollendung gebracht, das höchste von allen Lebewesen ist, so ist er zugleich, geschieden von Gesetz und Recht, das niederste von allen.»

Ad Kalendas Graecas. «An den griechischen Kalenden» (in dem Sinne: «Am St.-Nimmerleins-Tag»). Sueton, Augustus 87, 1. Sueton führt an der Stelle einige in den eigenhändigen Briefen des Augustus öfter begegnende Redensarten an. Um auszudrücken, daß manche Schuldner niemals mehr zahlen würden, habe Augustus wiederholt gesagt: ad Kalendas Graecas soluturos, «daß sie an den griechischen Kalenden zahlen würden». Die Kalendae, der Monatserste im römischen Kalender, waren der übliche Zahlungstermin; daher hießen sie bei den Schuldnern auch celeres Kalendae, die «rasenden Kalenden». Im griechischen Kalender figurierten solche römischen «Kalenden» natürlich nicht.

Ad maiorem Dei gloriam (vicit pietas). «Zum größeren Ruhme Gottes (siegte die Frömmigkeit).» Papst Gregor I., der Große (590–604), Dialoge 1, 2 (in: Migne, Patrologia Latina, Band 77, Spalte 160 C). Die Formel Ad maiorem Dei gloriam erscheint später mehrfach in den Beschlüssen des Tridentinischen Konzils (1545–1563); durch Ignatius von Loyola wurde sie zum Wahlspruch des im Jahre 1534 gegründeten Jesuitenordens.

Ad usum Delphini. «Für den Gebrauch des Dauphin», «Für die Hände des Dauphin». Die heute nur noch ironisch gebrauchte Wendung bezeichnet gekürzte oder bearbeitete Textausgaben, vornehmlich Schulausgaben, in denen sittlich oder sonstwie anstößige Stellen gestrichen oder geändert sind. Die Bezeichnung geht auf die Klassikerausgaben zurück, die Jacques Bénigne Bossuet (1627–1704) und Pierre Daniel Huet (1630–1721) im Auftrag Ludwigs XIV. für den französischen Thronfolger, den nach dem Fürstentum Dauphiné so benannten «Dauphin», besorgt haben.

(Grammatici certant, et) adhuc sub iudice lis est. «(Die Philologen tragen ihre Kämpfe aus, und) noch ist der Streit nicht entschieden.» Horaz, Ars poetica 78; dort geht es um die Frage, wer das elegische Versmaß, das «Distichon», den «Zweizeiler» aus einem Hexameter und einem Pentameter, als erster eingeführt habe.

Advocatus diaboli. «Anwalt des Teufels.» Im Prozeß einer Selig- oder einer Heiligsprechung steht dem Postulator, dem «Forderer» der Kanonisation, ein Promotor fidei, ein «Förderer des Glaubens», gegenüber. Der erste, volkstümlich auch als Advocatus Dei, «Anwalt Gottes», bezeichnet, vertritt die Sache der Selig- oder Heiligsprechung; der zweite, volkstümlich auch als Advocatus diaboli, «Anwalt des Teufels», bezeichnet, hat die Aufgabe, alle der Kanonisation etwa entgegenstehenden Umstände zu untersuchen und geltend zu machen.

Aequam memento rebus in arduis/servare mentem, (non secus in bonis/ab insolenti temperatam/laetitia, moriture Delli). «Einen gleichmütigen Sinn gedenke allzeit zu bewahren in schweren Zeiten, (nicht anders in guten einen von überschwänglicher Freude gemäßigten, sterblicher Dellius)» (die Anrede in dem Sinne: «… da du ja in jedem Falle einmal sterben wirst»). Horaz, Oden 2, 3, 1ff. Aus der Schlußstrophe der Ode stammt das gleich falls «geflügelte» Omnes eodem cogimur, unten S. 117.

Agnosco veteris vestigia flammae. «Ich erkenne die Spuren der alten Flamme.» Vergil, Aeneis 4, 23. Dido, die Königin des neugegründeten Karthago, bekennt gegenüber ihrer Schwester Anna ihre neue Liebe zu dem im Seesturm vor Karthago schiffbrüchig gewordenen Trojaner Aeneas. Die «alte Flamme» hatte ihrem ersten, in ihrer phönizischen Heimat ermordeten Gatten Sychaeus gegolten.

Alea iacta est. «Der Würfel ist geworfen» (ursprünglich in dem Sinne: «Das Wagnis ist eingegangen», nicht: «Die Entscheidung ist gefallen»). Sueton, Caesar 32 (Iacta alea est). Als Caesar am 10./11. Januar 49 v. Chr. den Grenzfluß Rubico nördlich von Ariminum (heute Rimini), überschritt und damit unwiderruflich den Bürgerkrieg gegen Pompeius eröffnete, rief er, ein verbreitetes griechisches Sprichwort aus Menanders Komödie «Arrhephoros» zitierend, in griechischer Sprache (so bezeugt bei Plutarch, Pompeius 60, 4): Ἀνερρίϕϑω κύβος, «Aufgeworfen sei der Würfel!» (Plutarch, Caesar 32, 8; Pompeius 60, 4). Das Sprichwort bezeichnet den Augenblick des Wagnisses, da der Würfel aus der Hand «aufgeworfen», aber noch nicht zu Boden gefallen ist; die geläufige Übersetzung «Der Würfel ist gefallen» wird weder dem griechischen noch dem lateinischen Wortlaut gerecht. Der Menandervers (bei Athenaios, Deipnosophisten 13, 8. 559 E; Fragment 59, 4 Körte) lautet vollständig: Dedogm°non tÚ prçgmÉ: Δεδογμένον τὸ πρᾶγμ' · ἀνερρίϕϑω κύβος, «Beschlossen ist die Sache; aufgeworfen sei der Würfel!» Caesar erwähnt die Episode in seinem «Bürgerkrieg» nicht. Die dem griechischen Wortlaut nicht vollkommen entsprechende lateinische Fassung Iacta alea est, «… ist geworfen», findet sich zuerst bei Sueton; zur Angleichung der lateinischen Übersetzung an das griechische Original hat Erasmus für die Stelle die Lesung Iacta alea esto, «… sei geworfen», vorgeschlagen. Vgl. die Anspielung bei Petron, Satiricon 122, Vers 174: Iudice Fortuna cadat alea, «Fortuna sei Richterin, wenn der Würfel fällt». Einen anderen Bogen von der Glücksgöttin zum Würfelglück hat Erasmus, Lob der Torheit 61, geschlagen: Amat Fortuna parum cordatos, amat audaciores et quibus illud placet: Πᾶς ἐρρίϕϑω κύβος, «Fortuna liebt die weniger Vernünftigen, liebt die Wagemutigeren und denen dieses Wort gefällt: Jeder Würfel sei geworfen!»

Alter ego. «Ein zweites Ich.» Die Bezeichnung eines Freundes als eines «zweiten Ich» (wie umgekehrt die Bezeichnung des Ich als eines «ersten Freundes») geht auf griechische Gedanken zurück; vgl. zum Beispiel Aristoteles, Nikomachische Ethik 9, 4. 1166 a 31f.: Ἔστι γάρ ὁ ϕίλος ἄλλος αὐτός, «Denn der Freund ist ein zweites Selbst», wiederaufgenommen 9, 9. 1169 b 6f.; auf die Kinder übertragen 8, 14. 1161 b 28f. Cicero, Laelius oder De amicitia 21, 80, hat diese Aristotelische Definition der Freundschaft ins Lateinische übertragen: Verus amicus … est enim is, qui est tamquam alter idem, «Denn ein wahrer Freund … ist der, der gleichsam ein zweites Selbst ist». Das heute eher gebräuchliche Alter ego erscheint zuerst bei Cicero, Briefe an Freunde 7, 5, 1, auf den Adressaten Caesar gemünzt: Vide, quam mihi persuaserim te me esse alterum, «Sieh, wie sehr ich überzeugt bin, daß du mein zweites Ich bist!»

Alterius non sit, qui suus esse potest. «Einem anderen gehöre nicht, wer sich selbst gehören kann.» Aus dem «Äsop» des sogenannten Anonymus Neveleti 21 b, 22, einer im 12. Jahrhundert entstandenen, im Mittelalter weit verbreiteten Fabelsammlung; vgl. Werner, Sprichwörter, A 70. Der Aufruf zur Selbstbestimmung geht zurück auf Cicero, De re publica 3, 25, 37, bei Nonius, De compendiosa doctrina, Seite 109, Zeile 2 Mercier: Est enim genus iniustae servitutis, cum ii sunt alterius, qui sui possunt esse, «Es gibt nämlich eine Art ungerechtfertigter Sklavenschaft, wenn solche Menschen einem anderen gehören, die sich selbst gehören könnten». Im frühen 16. Jahrhundert hat Theophrast von Hohenheim alias Paracelsus die Sentenz zu seinem Wahlspruch erhoben; im frühen 17. Jahrhundert findet sie sich in der Emblemata-Sammlung von Jacob Cats (1627), vgl. HenkelSchöne, Emblemata, Spalte 266f. Vgl. das Horazische Leitwort Nullius addictus iurare in verba magistri, unten S. 89.

Amantes amentes. «Liebende, Rasende.» Titel einer im Jahre 1609 erschienenen, in deutscher Sprache geschriebenen Komödie des lateinisch und deutsch schreibenden Magdeburger Dichters Gabriel Rollenhagen, nach Plautus, Mercator 82: amens amansque, «rasend und liebend», und Terenz, Andria 218, wo die aneinander anklingenden Worte einander entgegengesetzt sind: Nam inceptio est amentium, haud amantium, «Denn ein Beginnen Rasender ist es, nicht Liebender». Weiteres bei Otto, Sprichwörter, Nr. 79.

Amicus certus in re incerta cernitur. «Ein sicherer Freund wird in einer unsicheren Sache erkannt.» Ennius bei Cicero, Laelius oder De amicitia 17, 64 (Fragmente der Scenica 210 Vahlen). Der Vers des Ennius ist vielleicht die lateinische Version von Euripides, Hekabe 1226f.: Ἐν τοῖς κακοῖς γὰρ ἁγαϑοί σαϕέστατοι/ϕίλοι, «Denn im Unglück sind die guten Freunde am deutlichsten zu erkennen». Ähnliche Worte finden sich bei Plautus, Epidicus 113: Is est amicus, qui in re dubia re iuvat, ubi re est opus, «Das ist ein Freund, der in zweifelhafter Lage mit einer Tat beisteht, wo es einer Tat bedarf», bei Publilius Syrus, Sentenzen A 41: Amicum an nomen habeas, aperit calamitas, «Ob du einen Freund oder nur das Wort hast, das offenbart eine Notlage» (in dem Sinne: «… oder nur einen, der so bezeichnet wird …»), und bei Petron, Satiricon 61, 9: In angustiis amici apparent, «In der Bedrängnis zeigen sich die (wahren) Freunde».

Amicus Plato, sed magis amica veritas. «Unser Freund ist Platon, aber mehr noch unser Freund die Wahrheit.» Die lateinische Version eines in der Antike dem Sokrates-«Schüler» Platon zugeschriebenen, in späterer Zeit auf den Platonschüler Aristoteles übertragenen Gedankens, aus einer anonymen spätantiken Aristotelesbiographie, der sogenannten Vita vulgata (in: Ingemar Düring, Aristotle in the ancient biographical tradition, 1957, S. 132), § 9: Φίλος μέν Σωκράτης, ἀλλὰ μᾶλλον ϕιλτάτη ἡ ἀλήϑεια, «Unser Freund ist Sokrates, aber mehr noch (und) unser bester Freund die Wahrheit». Der Aristotelesbiograph rechtfertigt die Aristotelische Kritik an der Platonischen Lehre; er zitiert anschließend noch den sinnverwandten Ausspruch aus Platons «Phaidon», 91 C, wo Sokrates, zu Simmias und Kebes gewendet, sagt: «Nehmt nicht so sehr Rücksicht auf Sokrates, sondern vielmehr auf die Wahrheit.» Entsprechend erklärt Sokrates in Platons «Staat», 10. 595 C, mit Bezug auf die Homerische Dichtung: «Aber höher jedenfalls als die Wahrheit darf ein (noch so nah vertrauter und hoch verehrter) Mensch nicht geschätzt werden.» Aristoteles hat sich auch selbst zu dieser Platonischen Maxime bekannt; vgl. Nikomachische Ethik 1, 4. 1096 a 14ff., wo er die Kritik an den «Freunden, die die Ideen eingeführt haben», folgendermaßen einführt: «Dennoch scheint es vielleicht besser, ja notwendig zu sein, zur Wahrung der Wahrheit auch das nah Vertraute umzustürzen, zumal wir ja Philosophen sind. Beides (gemeint ist: Platons Ideenlehre und die Wahrheit) ist uns lieb; jedoch die Ehrfurcht fordert, der Wahrheit den Vorzug zu geben (ἀμϕοῖν γὰρ ὄντοιν ϕίλοιν ὅσιον προτιμᾶν τὴν ἀλήϑειαν)».

Amor fati. «Liebe zum Schicksal.» Aus Nietzsche, Ecce homo (1908), Warum ich so klug bin, § 10, am Ende des Kapitels: «Meine Formel für die Größe am Menschen ist amor fati; daß man nichts anders haben will, vorwärts nicht, rückwärts nicht, in alle Ewigkeit nicht. Das Notwendige nicht bloß ertragen, noch weniger verhehlen – aller Idealismus ist Verlogenheit vor dem Notwendigen –, sondern es lieben …»

Anathema sit! «Verflucht sei er!» Paulus, Brief an die Galater 1, 8f. (anathema sit) und 1. Brief an die Korinther 16, 22 (sit anathema) Vulgata (im griechischen Original: ἀνάϑεμα ἔστω beziehungsweise ἤτω ἀνάϑεμα). Vgl. Paulus, Brief an die Römer 9, 3 und 1. Brief an die Korinther 12, 3. Das Wort anathema bezeichnet eigentlich etwas «Aufgestelltes», in dem einen Sinne etwas dem Gott Geweihtes, ein im heiligen Bezirk «aufgestelltes» Weihgeschenk, in dem anderen Sinne etwas dem Gott Ausgeliefertes. Im Anschluß an die angeführten Stellen ist dieses Paulinische Anathema sit! zur festen Formel für die Exkommunikation aus der katholischen Kirche geworden.

Ancilla theologiae: siehe Philosophia ancilla theologiae, unten S. 127.

Anima naturaliter christiana. «Die natürlicherweise christliche Seele (des Menschen).» Nach Tertullian, Apologeticum 17, 6: O testimonium animae naturaliter christianae!«O welches Zeugnis für die natürlicherweise christliche Seele!» Als solche Zeugnisse für die christliche Natur der menschlichen Seele zitiert Tertullian alltägliche, geläufige Worte wie «der gute und große Gott», «was Gott geben möge», «Gott sieht es», die in aller Menschen Munde seien, und fügt hinzu, bei diesen Worten blicke der Mensch nicht zum Kapitol, sondern zum Himmel empor. Tertullians Schrift «De testimonio animae» führt den Gedanken weiter aus.

Animula vagula blandula … «Seelchen, du schweifendes, schmeichelndes …» Historia Augusta, Hadrian 25, 9; der Anfangsvers eines durch seine unübersetzbaren Verkleinerungsformen (vgl. Vers 3f.: in loca/pallidula rigida nudula) reizvollen Hadrianischen Gedichts, das der Kaiser in Erwartung seines Todes an seine scheidende Seele gerichtet hat (in: Morel, Fragmenta Poetarum Latinorum, Hadrian, Fragment 3).

Annuit coeptis: siehe E pluribus unum, unten S. 63.

Ante portas: siehe Hannibal ante portas, unten S. 80.

Aquila non captat muscas. «Ein Adler fängt keine Fliegen» (in dem Sinne der Rechtsregel Minima non curat praetor, «Um Kleinigkeiten kümmert sich der Prätor nicht», unten S. 97). Die Quelle der Sentenz, die den Adler als den König der Vögel anspricht, ist nicht nachgewiesen.

Arma virumque cano, (Troiae qui primus ab oris …) «Die Waffen und den Mann besinge ich, (der als erster von den Küsten Trojas …)» Vergil, Aeneis 1, 1. Zitate der Anfangsworte der «Aeneis» arma virum(que) finden sich bei Ovid, Tristien 2, 534; Persius, Satiren 1, 96; Martial, Epigramme 8, 55, 19; 14, 185, 2. In der «Aeneis» selbst, 1, 119 und 9, 777, klingt der Eingangsvers in der anderen Verknüpfung arma virum, «Waffen der Männer», unüberhörbar an. Mehrfach erscheint der erste Vers der «Aeneis» auf den Wänden von Pompeji (in: Corpus Inscriptionum Latinarum, Band IV, Nr. 4832 und 8831), einmal auch frech parodiert: Fullones ululamque cano, non arma virumque, «Die Walker und ihr Käuzchen besinge ich, nicht die Waffen und den Mann» (Nr. 9131); in der Eule, dem Wappentier der Athene alias Minerva, verehrten die Walker ihre Schutzgöttin Minerva. Vgl. die Anfangsworte der Homerischen Odyssee Ἄνδρα μοι ἔννεπε …, «Den Mann nenne mir …», oben S. 11.

Ars longa: siehe Vita brevis, ars longa, unten S. 179.

Audacter calumniare, semper aliquid haeret. «Nur drauflos verleumden; etwas bleibt immer hängen.» Die Quelle des Wortes ist nicht nachgewiesen. Francis Bacon, De dignitate et augmentis scientiarum (1605/1623), 8, 2, 34, zitiert es als sprichwörtlich geläufig. Zum Gedanken vgl. Hesiod, Werke und Tage 763f.: «Ein Gerede vergeht niemals gänzlich, das einmal viele Leute geredet haben», und Plutarch, Quomodo adulator ab amico internoscatur 24. 65 D, wo die Verleumdung mit einem Biß verglichen wird: Selbst wenn die Wunde verheile, werde die Narbe doch bleiben.

Audax omnia perpeti/gens humana ruit per vetitum nefas. «Tollkühn, alles (alle noch so schweren Strafen) zu durchleiden, stürzt das Menschengeschlecht dahin durch den verbotenen Frevel.» Horaz, Oden 1, 3, 25f. In einer schaudernden Vergegenwärtigung hybrider Grenzüberschreitungen gegenüber der göttlichen Weltordnung führt Horaz vier mythische Exempel an, die den vier Elementen Wasser, Feuer, Luft und Erde entsprechen: die erste Schiffahrt der Argonauten, den Feuerdiebstahl des Prometheus, den Vogelflug des Dädalus und seines Sohnes Ikarus und den Abstieg des Hercules in die Unterwelt. In der Schlußstrophe gipfelt die Ode in dem gleichfalls «geflügelten» Nil mortalibus ardui est, «Nichts ist den Sterblichen unersteiglich» (unten S. 105), und in der Vision eines himmelstürmerischen Frevels: Caelum ipsum petimus stultitia …, «Den Himmel selbst erstürmen wir in unserer Torheit …»

Audiatur et altera pars. «Auch die andere Partei soll gehört werden.» Die geläufige Fassung der vielzitierten Regel scheint nicht auf die Antike zurückzugehen. Am nächsten kommen ihr in der römischen Literatur Seneca, Medea 199f.: Qui statuit aliquid parte inaudita altera,/aequum licet statuerit, haud aequus fuit, «Wer einen Entscheid gefällt hat, ohne die andere Partei zu hören, mag er auch einen gerechten Entscheid gefällt haben, ist nicht gerecht gewesen», und Augustin, De duabus animabus 14, 22: Audi partem alteram!, «Höre (auch) die andere Partei!» Vgl. auch Corpus iuris civilis, Digesten 48, 17, 1: … neque enim inaudita causa quemquam damnari aequitatis ratio patitur, «… denn daß irgend jemand, ohne daß sein Rechtsgrund gehört worden wäre, verurteilt wird, läßt das Prinzip von Recht und Billigkeit nicht zu». Die Regel ist auch für das griechische Recht bezeugt; in dem bei Demosthenes, Kranzrede (18) 2 und 6, und Isokrates, Antidosisrede (15) 21, zitierten attischen Richtereid heißt es: Ἀκροάσομαι τοῦ τε κατηγόρου καὶ τοῦ ὀπολογουμένου ὁμοίως ἀμϕοῖν, «Ich will den Kläger und den Beklagten beide in gleicher Weise anhören». Vgl. auch das griechische Sprichwort Μηδέ δίκην δικάσῃς, πρὶν ἀμϕοῖν μῦϑον ἀκούσῃς, «Urteile nicht, ehe du beide Seiten gehört hast!» (in: Leutsch-Schneidewin, Paroemiographi Graeci, Band II, S. 759).

Aura popularis. Die «Volksgunst» (eigentlich: der «Volkswind», der – unbeständige – Rückenwind, mit dem das Volk seine Günstlinge in den sicheren Hafen eines Staatsamtes befördert). Zuerst bei Cicero, Rede über das Gutachten der Opferschauer 20, 43 (Sulpicium … longius quam voluit popularis aura provexit); dann bei Horaz, Oden 3, 2, 20 (arbitrio popularis aurae); bei Vergil, Aeneis 6, 816 (nimium gaudens popularibus auris); bei Livius, Ab urbe condita 3, 33, 7 (omnis aurae popularis captator) und öfter.

Aurea mediocritas. «Goldenes Mittelmaß.» Nach Horaz, Oden 2, 10, 5f.: Auream quisquis mediocritatem/diligit …, «Wer das goldene Mittelmaß wertschätzt», ist gleicherweise sicher auf der einen Seite vor erniedrigender Armut, auf der anderen vor neiderregendem Reichtum. Vgl. das Ovidische Medio tutissimus ibis, unten S. 94. Ein Zitat der paradoxen Horazischen Wortverbindung bei Ausonius, Gratiarum actio ad Gratianum imperatorem pro consulatu 6, 28: … temperata et, quae vocatur, aurea … mediocritas, «… ein maßvolles und, wie es genannt wird, goldenes Mittelmaß». Die hohe Wertung des «Mittleren» (μέσον, μεσότης) als des «Angemessenen» (μέτριον) zwischen einem darüber hinausschießenden Zuviel und einem dahinter zurückbleibenden Zuwenig geht zurück auf Aristoteles, besonders Nikomachische Ethik 2, 5. 1106 a 14ff. und Politik 4, 11. 1295 a 35ff. Vgl. den knappen, dem Kleobulos von Lindos zugeschriebenen Spruch Μέτρον ἄριστον, oben S. 21.

(Quid non mortalia pectora cogis,)/auri sacra fames! «(Wozu nicht treibst du die sterblichen Herzen,) verfluchter Hunger nach Gold!» Vergil, Aeneis 3, 56f. Macrobius, Saturnalien 5, 16, 7, nennt das Zitat unter den Worten, die «sprichwörtlich in aller Munde» seien (vice proverbiorum in omnium ore funguntur).Weiteres bei Otto, Sprichwörter, Nr. 221. Die einleitende rhetorische Frage erscheint nochmals in dem gleichfalls «geflügelten» Vergilzitat Improbe Amor, quid non mortalia pectora cogis!, unten S. 84.

Aut Caesar aut nihil. «Entweder ein Caesar oder nichts» (in dem Sinne: Entweder der Erste oder nichts»). Die kompromißlose Alternative, die der machtbewußte Renaissance-«Principe» Cesare Borgia – Nomen est omen – zu seinem Wahlspruch gewählt – oder wahrscheinlich neu geprägt – und mit dem Bild Gaius Julius Caesars verbunden hat, dürfte zurückgehen auf eine entsprechende Alternative, mit der Kaiser Caligula seine extravagante Verschwendungssucht zu entschuldigen pflegte. Sueton, Caligula 37, 1, zitiert den Kaiser mit dem «häufig wiederholten» Ausspruch: aut frugi hominem esse oportere aut Caesarem, «entweder müsse einer ein haushälterischer Mensc h sein oder ein Caesar». Der Kaiser Gaius Julius Caesar Germanicus mit dem Spitznamen Caligula, «Stiefelchen», bezieht sich hier auf seinen Beinamen «Caesar», der von dem vergöttlichten Gaius Julius Caesar und seinem Urgroßvater, dem Imperator Caesar mit dem Ehrentitel «Augustus», auf ihn gekommen war und in der Folge zum «Kaiser»-Titel wurde.

Aut prodesse volunt aut delectare poetae/(aut simul et iucunda et idonea dicere vitae). «Entweder Nutzen bringen oder Freude bereiten wollen die Dichter (oder zugleich sowohl Vergnügliches als auch fürs Leben Brauchbares sagen).» Horaz, Ars poetica 333f. Horaz fordert eine Verbindung von beidem; vgl. Vers 343f.: Omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci/lectorem delectando pariterque monendo, «Jeden Punkt (jede Stimme) hat der davongetragen, der das Nützliche dem Angenehmen beigemischt hat, indem er den Leser erfreut und zugleich ermahnt», unten S. 117. Entsprechend hatte Cicero, De optimo genere oratorum 1, 3, dem Redner drei Ziele vorgegeben: Optimus est orator, qui dicendo animos audientium et docet et delectat et permovet, «Der beste Redner ist, der mit seinem Sprechen die Zuhörer zugleich unterrichtet und erfreut und überzeugt.» Das Unterrichten sei ein debitum, eine «Schuldigkeit», das Erfreuen ein honorarium, eine «Ehrengabe», das Überzeugen ein necessarium, eine «Notwendigkeit».

Ave, imperator, morituri te salutant: siehe … morituri te salutant, unten S. 98.

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