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Die Schönheit der Melancholie Eine Liebeserklärung an den Mann mit dem schläfrigen Blick Robert Mitchum

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»Ich habe ein Schild an meiner Tür: Vertreter, Schauspieler und Agenten unerwünscht. Ich gehe nicht auf Parties, weil mir das Hinkommen oder Weggehen zu anstrengend ist.« Robert Mitchum

Der romantische Verlierer

»In diesem Frühjahr fühlte ich mich zum ersten Mal müde. Daran merkte ich, daß ich alt wurde. Vielleicht lag es an dem miesen Wetter, das wir in Los Angeles hatten, oder an den lausigen Fällen, die ich zu bearbeiten hatte. Meistens jagte ich getürmten Ehemännern hinterher und anschließend hinter ihren Frauen, weil sie nicht zahlen wollten. Vielleicht war ich doch deswegen müde, weil ich wirklich alt wurde. Das einzige, was mir Spaß machte, war Joe DiMaggio zuzusehen, wenn er für die New York Yankees Baseball spielte«, sagt die Stimme Philip Marlowes aus dem Off in der Eröffnungsszene von »Farewell My Lovely«. Robert Mitchum blickt müde aus dem Fenster einer Absteige auf eine Straße in Los Angeles, eine Zigarette qualmt in seinem Mundwinkel, Neonlicht flackert, während sein altes, schlecht rasiertes Gesicht auftaucht und lapidar von der Katastrophe eines Lebens Zeugnis ablegt.

Bevor es den Film überhaupt gab, hat Eric Burdon die trostlose und verzweifelte Atmosphäre dieser Szene in »Hotel Hell« eingefangen, einem intensiven Song mit einer traurigen spanischen Trompete, der von der Einsamkeit eines Mannes handelt, »far away from home«, ein ganz wesentliches mythisches Element in der populären Kriminalliteratur, die Metapher für ein verpfuschtes Leben, weil man aus guten Gründen nie etwas von Familie und Eigenheim hören wollte, aber manchmal eben etwas schwach und sentimental wird. »Alles, was ich anfasse, wird zu Scheiße. Ich habe einen Hut, einen Mantel und eine Kanone. Das ist alles. Ich brauche dringend eine Lebensversicherung und ein Häuschen auf dem Land«, sagt Mitchum später zu Lt. Nulty, aber er weiß, daß dieser Zug für ihn längst abgefahren ist.

Mitchum strahlt eine unendliche Melancholie aus, von der ich sofort ergriffen war, als ich den Film zum ersten Mal sah, denn die Desillusionierung und die Vergeblichkeit, die sich in Mitchums Gesicht widerspiegeln, sind Zustände, von denen ich glaubte, niemand könne sie besser verstehen als ich. Und ich schätze, es gab eine Menge Leute, die das ebenso sahen, jedenfalls Mitte/Ende der Siebziger (der Film kam 1975 in die Kinos), als bereits absehbar war, daß der Aufbruch einer rebellischen Jugend in eine neue Zeit immer mehr unter die Räder des Imperiums geriet, weil diese Jugend sehr deutlich spürte, daß sie keine Chance hatte, nicht mal wenn sie sie nutzte, jedenfalls galt das für diejenigen, die keine Lust hatten, sich auf den langen Marsch durch die Institutionen zu begeben. Das Gefühl, einem repressiven gesellschaftlichen Monolith gegenüberzustehen, der sich keinen Millimeter bewegte und der keine Konzessionen machte, gegen den man dennoch möglichst heroisch bestehen wollte, war der Grund, weshalb die film noirs von Melville oder eben auch »Farewell My Lovely« gerne geguckt wurden, und sie wurden nicht geguckt von Leuten, die Vergnügen dabei fanden, auf den RAF-Fahndungsfotos die Gesichter der Gesuchten durchzustreichen, wenn sie verhaftet oder erschossen worden waren. In diesen Filmen entdeckte man instinktiv eine innere Verwandtschaft zu den Protagonisten, zu den Gaunern, Profis, Private Eyes, zu den Losern, die aus unterschiedlichen Gründen gegen alles waren, was das System repräsentierte, und die aus innerer Überzeugung taten, was getan werden mußte, auch wenn sie dabei Kopf und Kragen riskierten. Wir hatten keine Ahnung, was das wirklich bedeutete, aber es war völlig klar, das waren die coolen Jungs, mit denen man sich identifizieren konnte.

»Farewell My Lovely« war nicht der erste Film, in dem ich Mitchum sah, aber der erste, in dem mir klar wurde, daß ich seinen Namen nie wieder vergessen würde, denn er war die perfekte Verkörperung von Philip Marlowe, besser als ihn sich sogar Raymond Chandler hätte vorstellen können, der sich Cary Grant in der Hauptrolle gewünscht hatte. Aber Grant hätte vielleicht den schnoddrigen Witz Marlowes gut rübergebracht, nicht aber die desillusionierte Müdigkeit, die der für die Rolle eigentlich schon 25 Jahre zu alte Mitchum nicht einmal los wurde, wenn er lachte. Und selbst als er den vertrackten Fall gelöst hatte, ist das kein Anlaß zu triumphalen Gefühlen. Müde winkt er ab und überläßt es Nulty, die Lorbeeren einzuheimsen. Sein Motiv, die Sache zu Ende zu bringen, ist auch nicht der Erfolg, sondern die Rache für einen Toten, weil er weiß, daß er dem Kind des Ermordeten nie wieder würde in die Augen sehen können, wenn er den Mörder laufen ließe. (Ein klassisches Motiv, aber da Marlowe sowohl gegen eine korrupte Polizei als auch gegen verschiedene Gangsterbanden und Politiker, die die Stadt verwalten, zu kämpfen hat, hat er als lonesome hero jedes moralische Recht auf seiner Seite.)

An Mitchum reichte nicht einmal Humphrey Bogart heran, der bis dahin als der beste Marlowe-Darsteller galt. Dessen Rolle war zu eindimensional angelegt. Bogart war noch zu sehr der tough guy aus den Pulp-Heften, und man sah ihm deutlich das schwarz-weiße Weltbild Hollywoods in den vierziger Jahren an, in dem diese Filme entstanden. Bogart war ein Getriebener, der die Ordnung der Welt wieder herstellen wollte, ihm fehlte völlig die Dimension der Verzweiflung und die im Whiskeynebel einer verrauchten Bar aufsteigende Melancholie. Bei Mitchums schläfrigen Augen wußte man, daß sie alles schon einmal gesehen hatten, eher sogar zweimal. Aber er war deshalb noch lange nicht abgestumpft. Wenn er sich jedoch gegen das Verbrechen stemmte, dann schon lange nicht mehr, um die Welt zu verbessern, sondern um vor sich selber zu bestehen.

Mitchum spielte nicht anders als in anderen Filmen, aber hier hatte er vielleicht zum ersten Mal seine Rolle gefunden, hier war er zum ersten Mal identisch mit ihr. Er mußte Marlowe nicht spielen. Er war Marlowe. Es war die Rolle, die ihm wie ein Maßanzug paßte. Wo Bogart schauspielerisch alle Hebel in Bewegung setzte, reichte die Bühnenpräsenz Mitchums, um die Rolle auszufüllen. »Mitchum war ein Außenseiter, der die Pose des Rebellen einnahm« (Michael Althen), d.h. er brauchte diese Haltung nicht spielen, es war sowieso seine Haltung, die er Zeit seines Lebens eingenommen hat.

Als wild boy unterwegs

Für diese rebellische Haltung gab es jede Menge gute Gründe. Seinen Vater hat der am 6. August 1917 geborene Robert Mitchum nie kennengelernt. Als er 18 Monate alt war, wurde der von schottisch-irischen Einwanderern und Indianern abstammende James Mitchum, der als Bremser bei der Eisenbahngesellschaft arbeitete, in Charleston/South Carolina von zwei riesigen Puffern zerquetscht. Sein Stiefvater, den seine Mutter zehn Jahre nach dem Unfall heiratete, war ein ehemaliger Abenteurer, und Onkel Willi, sein Vaterersatz, war früher mal Profi-Catcher gewesen. Und dann kamen die Jahre der Depression. Bob war schon viel herumgekommen als er in New York City auf die Schule kam. »Immer wieder neue Umgebung, neue Jungs, gegenüber denen man sich als Neuankömmling behaupten mußte. Seine Methode war: Nicht mehr als nötig reden, allenfalls fluchen, ansonsten überraschend zuschlagen und keiner Keilerei aus dem Weg gehen.« (Michael Althen) Mitchum war damals schon der »Loner mit dem Tough-Guy-Gehabe«.

Mit 14 bereits heuerte er auf einem Bergungsschiff der Fall-River-Linie an und die folgenden Jahre durchquerte er mit dem Zug mehrmals den Kontinent, eine Landschaft der Verzweiflung und der Gewalt. Er war als Hobo unterwegs, der gerne als letzter großer Abenteurer und als Ritter der Straße gefeiert wurde. In Wirklichkeit war Mitchum Teil einer ziellosen Migration verarmter Jugendlicher, von denen schätzungsweise eine Viertel Million auf Achse war, die sogenannten »wild boys«, die immer auf der Hut vor den sogenannten »Shagmen« sein mußten, die im Auftrag der Eisenbahngesellschaft die Züge von Schwarzfahrern säuberten und dabei nicht zimperlich vorgingen. Nicht selten blieb ein armes Schwein tot auf den Schienen liegen. Der junge Mitchum lernte schnell, worauf es ankam, aber irgendwann verließ ihn das Glück und er wurde in Savannah/Georgia festgenommen. Man wollte ihm einen Raubüberfall anhängen, und als das nicht klappte, verurteilte man ihn wegen Landstreicherei zur Zwangsarbeit in einer »chain gang«, d.h. er wurde nachts und während des Transports am Fuß angekettet und zu Straßenausbesserungsarbeiten eingesetzt. Nach einer Woche gelang es ihm, in den nahe gelegenen Wald zu flüchten. »Damals hätte keiner auch nur 50 Cents ausgegeben, um dich zu fangen, wenn sie dich mit dem Gewehr verpaßt hatten. Sie zogen lediglich aus und fingen sich irgendeinen anderen ein, der deinen Platz in der chain gang einnahm.«

Als Bob zwischendrin mal wieder zu Hause auftauchte, lernte er Dorothy Spence kennen, die er später heiratete und mit der er sein ganzes Leben zusammen war. Eine Zeitlang schlug er sich als Preisboxer durch, aber als er an einen erfahrenen Gegner geriet, der ihn übel zurichtete, hörte er wieder auf.

Über seine Schwester Julie, die eine Schauspielerausbildung machte und als Sängerin arbeitete, ergaben sich die ersten Kontakte zur Bühne. Bei Victor’s, einem Laden auf dem Sunset Boulevard, hielt er Hof. »The clientele was a mixture of fallen stars, extras, party girls, stuntmen, starlets, hookers, hustlers, johns and dealers. It was said to be a place where anything could be had for a price.« (George Eells)

Mitchum schrieb auch: kleine Stücke und Stories, von denen eine sogar in einer literarischen Vierteljahreszeitschrift veröffentlicht wurde. Worauf andere möglicherweise in ihrer Biographie stolz hingewiesen hätten, kommentierte Mitchum gnadenlos abfällig: »Ein Stück Scheiße mit ein oder zwei guten Stellen. Ich dachte vermutlich, ich würde der Liebling der literarischen Frauenzirkel werden, und sie würden mir auf den Hintern klopfen und meine Texte mit tiefsinnigen Bedeutungen versehen, die sie nie hatten und von denen ich nichts wußte.« Vom Astrologen Carroll Righter wurde er als Fahrer und Hilfskraft auf einer kleinen Ostküstentournee angestellt. Er verscherbelte nach den Auftritten seines Chefs alten Damen ihre persönlichen Horoskope. Von Florida aus fuhr er nach Delaware, wo ihm Dorothy Spence vorschlug: »Ich glaube, du bist nicht in der Lage, weiterhin allein gelassen zu werden. Ich schlage vor, wir heiraten.« Und das taten sie dann auch. Er versuchte über die Runden zu kommen, indem er ein paar kleinere Engagements annahm, aber als das nicht ausreichte, arbeitete er an einer Stanzmaschine in der Lockheed-Flugzeugfabrik. Der Job bekam ihm nicht. Er litt an starken Schlaf- und Sehstörungen und mußte trotz dringender Geldsorgen hinschmeißen. Obwohl er nur Verachtung für die Schauspielerei übrig hatte, versuchte er sein Glück beim Film.

Ein Nichtschauspieler in Hollywood

Das war 1943, und in diesem Jahr spielte er bereits in 19 Western, Kriegsfilmen und Serien mit. Er mußte einfach nur durch das Bild gehen und ab und zu mal ein paar Sätze sagen. Und er sah verdammt gut aus. Vielleicht blieb er aus diesem Grund nicht unbemerkt, jedenfalls nicht für MGM, Universal und 20th Century-Fox, für die er arbeitete. Mitchum witzelte: »Ich war nun ein Charakterdarsteller, und ich spielte fast alles – chinesische Wäschereibesitzer, Zwerge, irische Waschweiber, Schwuchteln. Ich spielte sogar einmal einen Journalisten.« Das »sogar einmal« ist sehr lustig, und Mitchum fügte hinzu: »Ich weiß nicht, wie’s war, ich hab den Film nie gesehen.« Und dabei blieb er nach eigenen Aussagen bis zum Schluß.

»RKO machte mit mir zehn Jahre lang den gleichen Film. Sie waren sich so ähnlich, daß ich in sechs von ihnen denselben Anzug und denselben Burberry-Trenchcoat trug. Sie machten aus mir eine männliche Jane Russell. Ich war ihr Belegschaftsheld; also wollten sie von mir, daß ich in den Filmen ein paar Kleidungsstücke ablege. Ich war dagegen und legte ein bißchen Gewicht zu, so daß ich wie ein bulgarischer Ringer aussah, wenn ich mein Hemd auszog. Ich beschwerte mich, und sie gaben unverhohlen zu, daß sie eine bestimmte Menge Schrott zu verkaufen hätten und ich ihr Mann dafür sei.« Und tatsächlich ragen nur wenige Filme aus der Flut von B-Movies heraus, die der Rede wert sind. Das lag nicht an Mitchum, da Mitchum in jedem Film einfach er selbst war, und ansonsten die Sätze sprach, die im Script standen. Und wenn er sich prügeln mußte, dann prügelte er sich eben. Überhaupt gab es für Mitchum nur zwei »acting styles«: Einen mit Pferd und einen ohne. Er hatte absolut nicht den Ehrgeiz, dem Regisseur Vorschläge zu machen, wie man etwas verbessern könnte.

Nur einmal wurde er für den Oscar vorgeschlagen, aber da er aus seiner Verachtung gegenüber dem Filmgeschäft nie einen Hehl machte und erst gar nicht zur Preisverleihung erschienen war, wurde nichts aus der Prämierung von »The Story Of G.I. Joe«, den Roosevelt angeblich für den größten Kriegsfilm aller Zeiten hielt. Auf die Rolle des Lt. Walker in der Verfilmung von Ernie Pyles »G.I. Joe« waren Gary Cooper und alle möglichen Stars scharf, weil der Bestseller eben keine Heldenschmonzette war, sondern auch die schmutzigen Seiten des Krieges zeigte. Der »emotionale und metaphysische Höhepunkt« des Films bestand, wie in der Village Voice 1973 zu lesen war, darin, daß Mitchum als Leiche auf einem Esel den Berg heruntertransportiert wird und dabei eine »erhabene Ruhe« ausstrahlt und diese »vollkommene Ruhe im Tod Ergebnis seines ausdrucksstarken Stoizismus im Leben ist.« Etwas profaner drückte es Mitchum selber aus: »Ich hatte Glück. Keiner hätte versagt in so einer Rolle. Den Berg auf einen Esel geschnallt runterkommen und die Kamera genau auf meine Fresse gerichtet – das mußte ankommen. Aber das heißt nicht, daß ich irgendwie gespielt hätte.« Warum auch? Katharine Hepburn, mit der Mitchum 1946 in »Undercurrent« zusammen drehte, sagte: »Sie wissen, daß Sie nicht schauspielern können, und wenn Sie nicht so gut aussähen, wären Sie niemals in den Film gekommen.« Dennoch hatte sie einen guten Rat für ihn auf Lager: »Don’t let them fuck you, Mr. Mitchum, darling.«

Mitchum war immer dann am besten, wenn er den desillusionierten Verlierer spielte, der sich in den Fängen des Schicksals verheddert hat und einer femme fatale verfallen ist, wie in »Out Of The Past«, wenn er lässig am Tresen lehnt, während die Hand ein Glas Bourbon festhält, oder wenn er wie in »Thunder Road« als Whiskeyschmuggler ein Spiel spielt, das er nicht gewinnen, aber dennoch nicht aufgeben kann, weil Abenteuer und Gefahr, das freie, ungebundene Leben auf den nächtlichen Straßen locken. Die leichte Amüsiertheit in seinem Gesichtsausdruck und die latente Gewalt, die er ausstrahlte, machten ihn zum perfekten Darsteller in dem Ende der Vierziger immer beliebter werdenden film noir, weil er mit seinen sparsamen Gesten und seinem müden Blick im Schattenspiel zwischen Zynismus und Ambiguität genau den Außenseiter ohne Wurzeln spielen konnte, der immer eines Verbrechens verdächtigt wurde oder der zumindest ein dunkles Geheimnis in seiner Vergangenheit mit sich herumschleppte.

Gerade solche Filme hatten einen großen Einfluß auf die in den fünfziger Jahren heranwachsende Jugend, wie z.B. Hunter S. Thompson, dem nicht nur gefiel, daß Mitchum sich von niemandem herumschubsen ließ, sondern auch die lässige Art und Weise, in der das geschah. Auch wenn man diesen Filmen immer die Patina der Zeit ansehen wird, Mitchum war einer der großen Poser des amerikanischen Films und er erlangte damit eine ungeheure Popularität. Denn er war eben nicht nur einer, der den Rebellen mimte, sondern der auch in der Öffentlichkeit als ein solcher wahrgenommen wurde. Ob er aber wirklich jemand war, der sich nichts gefallen ließ und renitent war, oder der mit seinem plötzlichen Ruhm und dem plötzlichen Rummel um seine Person nicht mehr fertig wurde, wer konnte das schon so genau wissen? Gut kam es in jedem Fall, als er auf die Frage eines Reporters, was er denn den ganzen Tag so tue, lässig antwortete: »Nichts. Ich liege wie immer neben meinem Swimmingpool und tue nichts.« Es ist nicht gerade das, was die brave amerikanische Ehefrau mit den Dauerwellen von ihrem Filmstar hören wollte.

Talk dirty, play poker, get drunk

Statt das gesellschaftliche Leben mit seinen Kollegen in Hollywood zu pflegen, gab er sich lieber die Kante mit den Jungs, die er beim Militär kennengelernt oder in irgendeiner Bar aufgelesen hatte. Über einen Mangel an neuen Freunden mußte er jedenfalls nicht klagen. In diesem eher zweifelhaften Milieu wurde er als erster Hollywood-Star mit qualmenden Joints erwischt zusammen mit der Tänzerin Vicki Evans, der Schauspielerin Lila Leeds und seinem Freund Robin »Danny« Ford. Die Umstände seiner Verhaftung waren eher dubios. Beispielsweise wußten die Zeitungen, daß an diesem Abend ein Hollywood-Star mit Marihuana verhaftet werden würde, noch bevor Mitchum das Haus von Lila Leeds überhaupt betreten hatte, in dem er dann verhaftet wurde.

Es sah zunächst alles so aus, als ob Mitchum ruiniert war. Er selber war davon überzeugt. Auf die Frage des Richters nach seinem Beruf gab er an: »Ehemaliger Schauspieler.« Er mußte sich während des Verhörs sogar ausziehen und wurde einem Psychiater vorgeführt, der ihn so schlaue Dinge fragte wie: Gehen Sie auf Parties? Und was tun Sie dort? Was wohl? »Talk dirty, play poker, get drunk.« Die Presse berichtete ausführlich über den Fall, und Mitchum fütterte sie mit Statements wie diesem: »Es war schon schlimmer. Als ich einmal von einem Zug geworfen wurde, hatte es zehn Grad unter Null. Ich fror, bis ich Zeitungen in meine Sachen steckte, um mich warm zu halten. Dann zündete irgendein Irrer meine Hosen an ... Wenn du mal von der Hüfte ab nackt unter einer Straßenlaterne in Idaho gestanden und nach einer Wäscheleine Ausschau gehalten hast, wo du steif gefrorene Hosen stehlen kannst, um sie am örtlichen Bahnhof aufzutauen – von dem Moment an ist alles, was kommt, besser.« Das kam gut an bei Jungs wie Hunter S. Thompson, die solche abenteuerlichen Geschichten begierig aufsogen.

Mitchum wurde nicht fallen gelassen. Für die Studio-Bosse stand zuviel auf dem Spiel. Insgesamt fünf Millionen steckten in Filmen, für die Mitchum engagiert oder eingeplant war, ein Haufen Geld, der »der Loyalität zu ihrem Star natürlich sehr förderlich« war, wie Michael Althen es sehr schön auf den Punkt bringt. Also heuerte David Selznick mit Jerry Giesler den besten Anwalt an, den er kriegen konnte, und zahlte 1000 Dollar Kaution. Die Strategie der Verteidigung bestand darin, Mitchum als kranken Mann darzustellen, der »in schlechte Gesellschaft geraten ist«, wie Ehefrau Dorothy der Presse mitteilte, als sie medienwirksam zu ihrem Mann zurückkehrte, der gerade jetzt ihrer Hilfe bedürfe. Ein Psychiater diagnostizierte »übersteigerte Liebenswürdigkeit, bei der das Versagen, jedem zu gefallen, einen Boden für Selbstvorwürfe schaffe«.

Und damit lag er gar nicht mal so daneben, denn Mitchum vertraute vielen Leuten, wie z.B. seinem »besten Freund« Paul Behrmann, der ihn mit 8000 Dollar übers Ohr haute. Mitchum hatte einfach Angst, arrogant zu wirken, gerade jetzt, wo er bekannt wurde, und deshalb fiel es ihm schwer, Leute abzuweisen oder zwischen Freunden und Abzockern zu unterscheiden.

Prozeß und Urteil zogen sich hin, aber es stellte sich heraus, daß die Rauschgift-Affäre ihm nicht geschadet, sondern ihn noch populärer gemacht hatte. »Rachel And The Stranger« kam zu dieser Zeit in die Kinos und wurde ein Hit, und wenn Mitchum auf der Leinwand erschien, ließen sich die Besucher von Begeisterungsstürmen hinreißen. Mitchum hätte auch wegen einer Moralklausel aus seinen Verträgen fliegen können, aber der Filmgesellschaft entging der Popularitätsschub nicht, weshalb Mitchum noch vor seiner Verurteilung die Hauptrolle in Don Siegels »The Big Steal« bekam. Auch sein Aufenthalt im Knast – immerhin mußte er 60 Tage absitzen von dem Jahr, zu dem er verknackt wurde – bekam ihm sowohl in der Öffentlichkeit als auch persönlich. »Ich litt unter chronischer Schlaflosigkeit wie die meisten Leute im Hollywood-Karussell, bevor ich hierher kam. Jetzt schlafe ich wie ein Baby.«

Aber dann drehte sich das Karussell wieder, und nach dieser Affäre hatte er nicht allzuviel Argumente, die Filmgesellschaft zu brüskieren und ein »staubiges altes Manuskript« abzulehnen. Außerdem hatte er einen Haufen Schulden abzubezahlen. Das minderte nicht seine Geringschätzung für das Gewerbe, und die machte er auf seine unnachahmliche Weise deutlich: »Ich habe denselben Film hundertmal wieder und wieder gemacht. Ich habe nicht einmal mehr die Drehbücher angeschaut, weil ich wußte, daß selbst wenn sie von Baudelaire oder Balzac geschrieben worden wären, auf Seite 20 ein paar Gorillas herausgesprungen kämen und anfangen würden, mich zu vermöbeln. Für gewöhnlich mache ich einen Film, der Von den Gorillas totgeschlagen heißt. Sie fangen an mit einer Totalen, wie ich herumstehe, und dann wird hinter mir ein Gorilla sichtbar und schlägt mir auf den Kopf. Zack, und ich breche zusammen. Bumm, bumm. Ich falle weiter und stehe immer wieder auf. Dann schneiden sie auf ein kleines Mädchen, das durch ein Margeritenfeld springt und schließlich zu einem Haus kommt, wo eine Stimme sagt: ›Wer ist da?‹ Da die Schreiber das auch noch nicht herausgekriegt haben, schneiden sie wieder auf mich. Bumm, bumm, der Gorilla haut mich immer noch nieder, und ich stehe immer wieder auf. Schließlich bricht der Gorilla erschöpft über mir zusammen. Dann kommt das Mädchen rein und sagt: ›Er ist hier irgendwo, ich weiß es.‹ Schließlich schält sie den Gorilla ab, und da liegt unser Held – ich. Sie zerrt mich auf meine Füße, legt ihr Arme um mich, schaut geradewegs in die Kamera und sagt: ›Es ist mir egal, was Sie denken – ich mag ihn.‹ Also weiß man, daß er ein Teufelskerl sein muß.«

Farewell my Lovely

Einer der vielleicht dutzend Filme, die bleiben werden und die ein bißchen mehr zu bieten hatten als die Gorillas, die ihn niederschlugen, war zweifellos »Farewell My Lovely«. Der Regisseur Dick Richards war keine Berühmtheit. Er hatte vorher als Photograph für Look und Life gearbeitet und zwei Filme gemacht, aber es war die Zeit vieler junger und aufstrebender Filmemacher. Dick Richards war der am wenigsten interessante. Ähnlich wie bei »Casablanca« deutete nichts darauf hin, daß »Farewell My Lovely« wenn nicht Filmgeschichte machen so doch immerhin sehr erfolgreich sein würde. Und er wurde es, weil Richards keine Experimente machte, sondern den klassischen Regeln des Filmgenres folgte und ganz nach dem Muster von Roman Polanskis »Chinatown« mit Jack Nicholson in der Hauptrolle drehte, und dieser ein Jahr zuvor entstandene Film war nicht umsonst so gut wie in allen Kategorien für den Oscar nominiert worden und hatte fürs Drehbuch auch einen bekommen.

Eine kluge Entscheidung war es, das Stück in Los Angeles Ende der Dreißiger spielen zu lassen, also an dem Ort und zu der Zeit, in denen auch der Roman Chandlers spielt. Als wegen des Erfolgs mit »The Big Sleep« eine weitere Chandler-Geschichte verfilmt wurde, verlegte der Regisseur Michael Winner das Ganze ins zeitgenössische London, weil, wie er glaubte, Chandler in seinem Stil einfach sehr britisch sei, womit er Recht hatte. Aber nach London paßte Robert Mitchum ungefähr so hin wie eine »Tarantel auf einem Käsekuchen«, das hätte vermutlich Raymond Chandler sich gedacht, wenn er noch gelebt hätte, und auch James Stewart sagte, er könne General Sternwood nicht spielen, weil die Rolle für einen Engländer geschrieben sei.

Eine weitere kluge Entscheidung war es, den Drehbuchautor David Zelag Goodman zu engagieren. Der fühlte sich jedenfalls nicht berufen, Chandler neu zu interpretieren oder, wie es Edward Dmytryk 1944 in »Murder My Sweet« getan hatte, ein Script zu nehmen, das die Geschichte noch verwirrender machte als die Vorlage. Goodman bediente sich ausgiebig beim Original, sowohl was die Dialoge als auch den Erzähler aus dem Off betraf. Außerdem gelang es Goodman, Stringenz und Logik in die Geschichte zu kriegen, denn wie Chandler einmal selber schrieb: »Die Handlung ächzt und knarzt wie ein kaputter Fensterladen im Oktoberwind.« Der Roman ist episodisch, verschlungen, kompliziert und widersprüchlich, eine Figur nach der anderen taucht auf und verabschiedet sich wieder, aber im Gegensatz zu Chandlers Kollegen, die ihre blassen Figuren durch ein perfekt konstruiertes Handlungsgerüst hindurchjagen, sind es gerade der Witz, der elegante Stil und der leichte, beschwingte Ton, die seine Bücher vom üblichen Krimikram wohltuend abheben.

Goodman bewahrte den Chandlerschen Stil und besserte die Handlung vorsichtig aus. Indem er sie straffte, einige überflüssige Figuren über Bord warf, andere Charaktere hinzu erfand und sich auf den Kern der Geschichte konzentrierte, wurden auch die Protagonisten glaubwürdig und tapsten nicht unbeholfen durch die Straßen von Los Angeles, ständig mit der Frage beschäftigt, was tue ich eigentlich hier. Beispielsweise erfindet Goodman den Zeitungsmann, der zwar etwas schlicht, aber als einziger nicht korrupt ist, eine Mischung aus Freund und Faktotum ist er Marlowes Mann für besondere Aufgaben, dem er vorbehaltlos vertrauen kann. Auch der lungenkranke Trompeter und sein farbiger Sohn sind neu und treiben die Geschichte voran. Die beste Idee war es jedoch, Moose Malloy mehr in Szene zu setzen. Bei Chandler ist der Riese zunächst nicht mehr als ein unangenehmer Geck und Sprücheklopfer, der erst am Schluß zum tragischen Helden wird, zum romantischen Verlierer. Bei Goodman bekommt Moose Malloy, der ungefähr so groß ist wie die Freiheitsstatue und von Jack O’Halloran mit der breitgeklopften Visage eines ehemaligen Boxers gespielt wird, eine tragende Rolle, er emanzipiert sich von den Chandlerschen Vorgaben, vom auffällig kostümierten Volltrottel, bei dem man sowieso nicht gewußt hätte, wie er so lange unentdeckt bleiben konnte.

Marlowe entdeckt sofort sein Faible für den tapsigen Riesen, die innere Verwandtschaft zu einem Mann, der seinem Glück hinterherrennt, es aber nie erreichen wird, dem wie Marlowe alles zu Scheiße gerät, was er anfaßt, und der aus Ungeschick schon mal jemanden umbringt. Moose Malloy sucht seine große Liebe, und dafür geht er auch über Leichen. Und als er ihre Stimme am Telefon hört, schnurrt er plötzlich zahm wie eine Katze hingebungsvoll und mit einem seligen Lächeln »Hallo Babe«. Ein wunderbares Melodrama also. Und als alles vorbei ist ertönt aus dem Off noch einmal die müde Stimme Marlowes und widmet dem Riesen mit dem geringen Verstand und dem großen Herzen ein Epitaph, das jeden, der eine sentimentale Ader hat, zum Schmelzen bringt. »Moose hätte ihr nie etwas antun können. Es machte ihm nichts aus, daß sie ihm sieben Jahre nicht geschrieben hatte. Es machte ihm nichts aus, daß sie ihn wegen der Belohnung an die Polizei verraten hatte. Dieser große Lulatsch liebte sie. Und wenn er noch leben würde, hätte es ihm nichts ausgemacht, daß sie ihm drei Kugeln in den Bauch gejagt hatte.«

Dann geht der große müde Mann einsam in die Nacht hinaus. Sein Gesicht ist noch grauer und faltiger geworden, aber er hat vor sich selbst bestanden. Er ist nicht stolz darauf. Er lebt. Das ist alles. Großes Kino eben.

The Crazy Never Die

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