Читать книгу Burn-In statt Burn-Out - Klaus D. Biedermann - Страница 9
ОглавлениеAlles bloß Chemie?
Nichts erreicht das Herz,
das nicht von Herzen kommt.
Quelle unbekannt
Forscher am Max-Planck-Institut suchten nach biochemischen Ursachen für psychische Erkrankungen. Sie entwickelten einen Bluttest, der zeigt, wie gut ein Mensch mit Stress umgehen kann und wie hoch das Erkrankungsrisiko des Einzelnen ist; dazu wird der Gehalt von Cortisol im Blut gemessen. Cortisol ist das bekannteste Stresshormon, dessen Produktion aber in unserem Gehirn durch ein anderes kleines Eiweißmolekül ausgelöst wird.
Dieses Corticotropin (CRH) erzeugt Angst, unterdrückt Schlaf und Appetit und fokussiert uns auf die Stresssituation. In einer solchen, so fanden die Wissenschaftler heraus, veranlasst das Gehirn die Nebennierenrinde, Cortisol zu bilden, das dann den gesamten Körper in Alarmbereitschaft versetzt. Herz, Gehirn und Lunge werden aktiviert, andere Systeme wie Verdauung oder Sexualtrieb werden reduziert. Bei Dauerstress kann es dann zu einer gefährlichen Überproduktion von Cortisol kommen, zudem wird das Gehirn geschädigt, was sich wiederum auf das Verhalten auswirkt.
Dass Stress eine wahrhaft haarige Angelegenheit ist, hat eine Dresdner Forschergruppe um den Biopsychologen Prof. Clemens Kirschbaum herausgefunden – die Forscher haben Stress im Haupthaar nachgewiesen. Dass dies bei Drogenmissbrauch funktioniert, wusste man bereits. Ich erinnere da nur an einen bekannten ehemaligen Bundesligatrainer. Seit dem Jahr 2004 waren die Dresdner nun auch dem Cortisol auf der Spur. Da die Kopfhaare im Durchschnitt um einen Zentimeter pro Monat wachsen, konnte man sogar den Zeitraum bestimmen, in dem der Stress bei der betroffenen Personen aufgetreten war – und zwar auf drei Monate genau. Hiermit hatte man eine objektive Beurteilung über das Auftreten von Stress.
Dass Stress besser als sein Ruf ist, konnten Forscher der Universität Bochum belegen. Probanden, die unter Stress gesetzt worden waren, konnten sich an Dinge, die während der Stresssituation auftraten, besser erinnern als entspannte Probanden. Für das Lernen hieße das, dass ein gesundes Maß an Stress sich positiv auf das Langzeitgedächtnis auswirke, also durchaus hilfreich sein könne. Beim Abfragen des Gelernten ist Stress hingegen hinderlich. So empfiehlt es sich, Prüfungssituationen so entspannt wie möglich zu gestalten; hierbei kommt es vor allem auf die Atmosphäre des Raumes und das Auftreten der Prüfer an.
In Anbetracht dessen, dass unser Geist stärker als Materie ist, stellt sich die Frage, wer das Corticotropin produziert. In der Bibel steht bei Johannes: »Am Anfang war das Wort … und das Wort ward Fleisch.« Das heißt ja nichts anderes, als dass der Geist Materie formt – denn dem Wort muss ja ein Gedanke vorausgegangen sein. Kein Auto würde auf unseren Straßen fahren, kein Flugzeug würde fliegen und wir würden auch nicht telefonieren, hätte es keine Menschen gegeben, die genügend Vorstellungskraft hatten, sich das alles auszudenken. Besaßen Sie als Kind eine Kiste voller Legosteine? Dann haben Sie gelernt, dass Gedanken zu Bauplänen und diese zu Materie werden können.
Werner Heisenberg erkannte bereits als Zwanzigjähriger, dass wir die Wirklichkeit vollkommen anders sehen müssen. Nicht mehr materiell, sondern viel offener. Jesus sagte: »Ihr seid alle schlafende Götter.« Könnte dieser Satz nicht als Aufforderung gelten, zu erwachen und sich all seiner Möglichkeiten bewusst zu werden? Ebenso prophezeite er: »Ihr werdet Gleiches tun wie ich und Größeres.« Vielleicht hätte er einen ungefähren Zeitrahmen dafür angeben sollen. Dieses geistige Erbe wartet inzwischen nämlich seit mehr als 2000 Jahren darauf, dass wir uns auf die Reise machen, um zu entdecken, wer wir wirklich sind und welches Potenzial in uns schlummert.
Unser Denken, unsere Art zu fühlen und unser Körper interagieren und beeinflussen sich stets gegenseitig. Wenn Sie an etwas Unangenehmes denken, wird dies unmittelbar im Körper messbar sein. Angenommen, Sie träumen im Schlaf, dass Sie auf dem Dach eines Hochhauses stehen und jeden Moment hinunterfallen werden. Dieses Traumbild wird bei Ihnen augenblicklich körperliche Reaktionen wie Umherwälzen, Schweißausbruch, erhöhten Blutdruck und schnelleres Atmen auslösen. Kurz darauf mag das Traumbild zu einer sehr romantischen Szene wechseln, was wiederum völlig andere körperliche Effekte hervorrufen wird. Ähnliches gilt für den umgekehrten Fall, etwa einer körperlichen Verletzung durch einen Unfall. Sofort wird dies Einfluss auf Ihr Denken, Fühlen und Handeln nehmen.
Eines steht bei allen Betrachtungen über Burn-out fest: Über die Hintergründe wird zu wenig geforscht. Die zugrunde liegende Schwierigkeit ist mir durchaus bewusst – da die Ursachen nämlich so individuell sind, lassen sie sich mit den üblichen wissenschaftlichen Methoden nicht messen. Jeder Betroffene muss sich also die Mühe machen, selbst nachzuforschen. Was bei der Lösung auf keinen Fall weiterhilft, sind Schuldzuweisungen wie: Der Arbeitgeber, der Vorgesetzte oder das Projekt ist schuld.
Im Leben geht es unter anderem darum, zu lernen. Wir häufen dabei eine große Menge von Wissen an. Zu der Meinung zu gelangen, man wisse genug und habe ausgelernt, wäre jedoch ein fataler Fehler. Viele Menschen sind sich da aber bereits nach Beendigung des Studiums oder ihrer Lehre sicher. Gefestigtes Wissen wird dann schnell zu einer Art Landkarte der Realität; auf dieser Basis werden anschließend Entscheidungen getroffen. Alles, was dort nicht hineinpasst, wird ignoriert oder abgewehrt. Die einfachste Form, die Landkarte anderer abzuwehren, ist, sich darüber lustig zu machen, zu behaupten, das Ganze sei Spinnerei oder ›schlaue‹ Gegenargumente zu liefern. Es kann sogar vorkommen, dass eine andere Landkarte unser Zutrauen in unser Weltbild massiv stört. Dann versuchen wir, das Ganze herunterzuspielen, und beruhigen uns wie Kinder, denen man sagt, dass es die böse Hexe in Wirklichkeit gar nicht gibt. Obwohl wir wissen, dass das nicht stimmt, können wir zunächst einmal ruhig schlafen und unser Weltbild ist wieder in Ordnung. In tiefer Meditation kann man allerdings erkennen, dass das bisherige Weltbild und das Leben, das man nach diesem geführt hat, so nicht stimmen und dass es ganz anders sein könnte. Manchmal entdeckt man sogar, dass man einer gigantischen Fälschung aufgesessen ist.
Lässt man neues Wissen zu, kann Nützliches geschehen und gestaltet werden. Wissen und Lernen vertragen sich allerdings nicht immer gut, da man Gelerntem gegenüber in der Regel loyal ist. Die Wiederverwendung alten Wissens verhindert oft Veränderungsprozesse. Ich weiß schon, wie es geht, warum soll ich das ändern, das ist sowieso nicht möglich ist die Haltung, die von Wissen leicht erzeugt wird.
»Gerade wenn man glaubt, etwas zu wissen«, ruft Robin Williams als Lehrer seinen Schülern zu, »muss man es aus einer anderen Perspektive betrachten, selbst wenn es einem albern vorkommt oder unnötig erscheint. Man muss es versuchen. Sie müssen Ihre eigene Perspektive finden und je länger Sie damit warten, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Sie sie finden.« (aus dem Film Club der toten Dichter)
Wer lernen will, muss neugierig sein wie ein Kind, um zu erfahren, was er noch nicht weiß. Insofern geht es immer auch hier um eine Balance zwischen Wissen und Nichtwissen. Ein Zeichen dafür, ob Sie ausgelernt haben: Da Sie leben, dürfen Sie noch dazulernen. Sich selbst immer besser kennenzulernen, ist nicht nur die beste Behandlungsmethode bei Burn-out, sondern auch die sinnvollste Prophylaxe.
Der Schritt verrät, ob einer schon auf seiner Bahn schreitet.
Wer aber seinem Ziel nahe kommt, der tanzt.
Friedrich W. Nietzsche