Читать книгу Trips & Träume - Klaus Fischer - Страница 6

Оглавление

zwei Sweet Smoke

Es war heiß und trocken an jenem Samstag im Juni 1971. Die Sonne brannte erbarmungslos. Das Kaff lag wie ausgestorben da.

Die Geschäfte in der einzigen Einkaufsstraße hatten bereits geschlossen, die Bürgersteige waren gekehrt und hochgeklappt.

Mark und ich standen vor dem Eckfritz, der schlimmsten Spießerkneipe der Stadt. »Ich will das Spiel sehen«, sagte Mark.

Ich schaute ihn zweifelnd an. »Da drin?«

Er ließ nicht locker. »Es ist der einzige Laden, der eine Glotze hat. Jetzt sogar in Farbe.«

Fußball war nicht unbedingt eine Herzensangelegenheit von mir. Aber ein Pokalfinale war etwas Besonderes, da stimmte ich Mark insgeheim zu. Bayern München gegen den 1. FC Köln. Live aus dem Neckarstadion in Stuttgart.

In meinem Dachzimmer abhängen, ein bisschen Amon Düül II oder Kraftwerk hören, das hätte mir mehr Spaß gemacht. Doch dafür konnte ich Mark nicht begeistern. Für ihn war Fußball die angemessene Beschäftigung, um die Zeit bis zu dem Ereignis totzuschlagen, auf das wir seit Wochen hinfieberten und das heute Abend endlich anstand.

Er war fest entschlossen. »Ich geh da jetzt rein.«

»Wir werden gelyncht und anschließend noch geteert und gefedert«, warnte ich.

Mark schüttelte den Kopf. »Du übertreibst wie immer.«

Das Eckfritz war beliebt wegen seiner regionalen Küche und den volksnahen Preisen. Der Besitzer hieß, wie sollte es anders sein, Fritz und hatte sie alle um sich geschart, die Gartenzaunnazis und reaktionären Parolenschwinger. Bei ihm tranken sie ihr Bier, spielten Skat und verputzten »Russisch Ei«, Kartoffelsalat mit hart gekochten Eiern und Mayonnaise, ein in unserer Gegend beliebtes Schnellgericht.

Fritz war Anfang sechzig und trotz der Trommel, die er vor sich hertrug, noch gut in Form. Es hieß, er kraule jeden Morgen seine fünfzig Bahnen. Er stand einer freien Wählerliste vor, die er gegründet hatte und die es bei der nächsten Kommunalwahl in den Stadtrat schaffen wollte, um dann die Einsetzung einer Bürgerwehr durchzudrücken. Angeblich sei die Polizei notorisch unterbesetzt und könne deshalb nicht energisch genug gegen Verbrecher und ähnliches Gesindel vorgehen. So hatte er sich zumindest in einem Interview mit dem Lokalblatt geäußert.

Auf die Frage, wen er mit »Gesindel« meine, hatte er geantwortet: »All die, die die FDGO, die freiheitlich-demokratische Grundordnung, gefährden.« Mir schwante, an wen er dabei dachte, nämlich all jene, die nicht in seinen beschränkten Kleinstadthorizont passten: Langhaarige, Kiffer und Freaks, die ins Lager oder nach drüben gehörten.

»Komm endlich«, drängelte Mark.

Ich folgte ihm, wenn auch widerwillig.

Ich hätte auf mein Bauchgefühl hören sollen.

Als wir eintraten, empfing uns ein Geräuschpegel wie im Stadion. Der Fernseher dröhnte. Der Laden war proppenvoll, alle verfügbaren Stühle besetzt. Selbst im Gang zwischen Theke und Schankraum standen die Leute. Die Luft stank nach Männerschweiß, Zigaretten und Bier.

Niemand nahm Notiz von uns.

Die Glotze hing hoch über den Köpfen an der Decke in einem extra dafür konstruierten Gestell. Der 1. FC führte mit 1:0. Jetzt zeigten sie Franz Beckenbauer in Nahaufnahme. Der zog ab, und der Ball kullerte ins Netz.

»1:1! Die Bayern holen auf. Zu sehr haben die Kölner das Spiel schleifen lassen«, kommentierte der Sprecher, dessen Stimme sich fast überschlug.

Jubel im Neckarstadion. Entsetzen im Eckfritz.

Einige riefen wild durcheinander und fluchten. Andere waren von den Sitzen aufgesprungen. Am Tresen fiel ein Barhocker zu Boden. In der Stammtischecke, an der sie dicht gedrängt saßen, klirrte es verdächtig.

Ich sah mich um. Männer von vierzig an aufwärts, auch etliche Rentner, die fast immer hier hockten, als ob sie kein Zuhause mehr hätten. Eine ältere Bedienung wuselte mit einem Handbesen zwischen den Tischen, räumte Scherben weg und nahm nebenbei Bestellungen auf.

An der Theke, direkt vor uns, stand ein Trupp mürrisch dreinblickender Kerle im Blaumann.

»Vier Bier, aber dalli«, bellte der größte von ihnen. Kurzes Hemd, muskulöse, dichtbehaarte Unterarme. Seine Kumpels konnten sich kaum noch gerade halten. Das waren wohl die städtischen Arbeiter, die am Morgen vor der Tür den Bürgersteig aufgerissen, ein Loch gebuddelt und Rohre verlegt hatten. An einem Samstag zu arbeiten, war ärgerlich genug, nun geriet auch noch ihr geliebter 1. FC in Bedrängnis. Das musste runtergespült werden.

Der Blaumann mit den Muckis drehte sich in unsere Richtung und rief, dass es die gesamte Kneipe hören konnte: »Was wollen denn diese Gammler hier?« Marks Stirn legte sich in Falten. Blaumann registrierte es genau.

»Ja, dich und deinen Freund habe ich gemeint. Arbeitsscheues Pack«, sagte er, setzte das Bier an die Lippen und grinste fies.

Das Grummeln in meinem Bauch wurde stärker. Mark schaute mich an. Ich deutete mit dem Kopf zur Tür.

Besser, wir hauen sofort ab, dachte ich. Obwohl wir keine fünf Minuten in dem Laden waren und noch nicht einmal etwas zu trinken bestellt hatten.

Okay, der Kerl war besoffen, das war offensichtlich. Da wäre eigentlich Nachsicht angebracht, aber Mark konnte seine Klappe nicht halten.

»Nach der Revolution wird man Typen wie dich als Wachsfigur zur Schau stellen. Und zwar als Negativbeispiel. Schulklassen werden vorbeikommen und sagen: Guckt mal, so sahen früher Reaktionäre aus.«

Blaumann wich die Farbe aus dem Gesicht. Sein Mund verzog sich, die Zunge fuhr nervös in der Unterlippe hin und her. Er stellte sein Bier auf dem Tresen ab und baute sich bedrohlich vor uns auf.

Seine Kumpels, auf einmal wieder hellwach, lugten ihm über die Schulter, gespannt, was passieren würde.

»Mit Fremdwörtern angeben und dem Steuerzahler auf der Tasche liegen, das ist alles, was ihr könnt. Ans Fließband mit euch Haschbrüdern. Da treiben sie euch die Flausen schon aus«, keifte er.

Mark war nicht beeindruckt. »Du bist wirklich ein hervorragendes Exemplar deiner Spezies«, sagte er.

Der Muskelmann lief rot an wie das HB-Männchen. Gleich würde er an die Decke gehen. In seinen Oberarmen zuckte es gefährlich. Er holte aus.

Eine Hand schoss aus dem Nichts hervor und hielt ihn fest. »In meinem Lokal wird sich nicht geprügelt«, sagte Mr. Eckfritz.

Er klopfte Blaumann beruhigend auf die Schulter. »Nicht provozieren lassen. Trink noch ein Bier, das geht aufs Haus.«

Dann wandte er sich uns zu. »Verschwindet. Ihr habt hier nichts verloren.«

Mark bewegte sich nicht vom Fleck. »Das ist ein freies Land. Wir können Fußball gucken, wo wir wollen.«

Fritz ignorierte den Spruch und musterte mich. »Bist du nicht der Sohn von dieser SPD-Tante?«

Ich nahm meinen ganzen Mumm zusammen. »Das, was Sie im Lokalblatt von sich gegeben haben, war echt krank.«

Mit einem Ruck fuhr der Arm von Eckfritz hoch. Ob es eine Geste in Richtung Ausgang war, um uns die Tür zu weisen, oder ob er wirklich zuschlagen wollte, das war nicht eindeutig auszumachen. Sein Ellenbogen aber sauste wenige Millimeter an Marks Nase vorbei.

Der wich erschrocken zurück. »Hey, aufpassen, Dicker.«

Plötzlich war Blaumann wieder da. Mit der einen Hand packte er Mark an den Haaren, mit der anderen öffnete er die Tür. Fritz fing an, mich zu schubsen. Ich stolperte durch die offene Tür. Schließlich ließ Blaumann Mark los, und ehe wir uns versahen, standen wir wieder auf der Straße.

Ungläubig schauten wir uns an.

»Was für eine Aktion, Scheiße aber auch«, sagte ich.

»Das kotzt mich schon lange an. Ich will nicht so enden wie die Spießer da drin, die sich am Wochenende volllaufen lassen und ansonsten funktionieren wie Maschinen«, antwortete Mark.

»Du bist ja fast ein Philosoph«, frotzelte ich.

Er ging nicht darauf ein. »Ich fühle mich, wie soll ich sagen, irgendwie beschmutzt. Ich gehe jetzt nach Hause und nehme eine Dusche.«

»Die Zukunft ist die Heimat der Jugend«, erklärte ich.

»Was redest du da?« »Das ist von Jean-Paul Sartre.«

Mark war schon im Weggehen. »Drauf geschissen, Alter. In diesem Kaff gibt es keine Zukunft. Nicht für mich.«

*

Drei Stunden später saßen Mark und ich im Bus der Linie 5.

Der Vorfall im Eckfritz war vergessen. Und dass Bayern München in der Verlängerung mit 2:1 gewonnen hatte, interessierte uns auch nicht mehr. In uns brannte ein ganz anderes Feuer – Musik war das Einzige, was wirklich zählte. Darin waren Mark und ich uns einig. Die Buslinie 5 sollte uns zu Guru Guru bringen.

Das erste Konzert unseres Lebens.

Ich hatte meine besten Klamotten rausgeholt – dunkelblaue Jeans, weißes T-Shirt, braune Cordjacke. Mit einem Tropfen Patschuli hinterm Ohr fühlte ich mich großartig.

Mark hatte seine braunen, schulterlangen Haare zum Pferdeschwanz gebunden; die verwaschene Flickenjeans, ein helles, kurzärmeliges Hemd, Biker-Boots und der grüne US-Parka machten sein Outfit perfekt.

Guru Guru spielten in der Oberliga der Undergroundszene. Hinten, ihre zweite Scheibe, war vor wenigen Tagen erschienen. Das Cover zeigte einen nackten Hintern, auf den der Bandname gemalt war.

Dass Krauts auch rocken konnten, schien sich in der Welt endlich herumzusprechen. New Musical Express und Melody Maker, die es am Bahnhof und meist nur mit einer Woche Verspätung zu kaufen gab, hatten kürzlich einen mehrere Seiten umfassenden Bericht über Can, Kraftwerk und Amon Düül II gebracht. Alles Bands, die längst zu meinen Favoriten gehörten.

Die englische Musikpresse nannte es das »Krautrock«-Phänomen.

Neben Popol Vuh, Ash Ra Tempel, Tangerine Dream und Embryo gab es noch Xhol Caravan, Missus Beastly und Out of Focus. Junge Musiker, die einen völlig abgefahrenen Sound spielten, irgendwo zwischen Kiff und freier Improvisation, mit einem Schuss Dilettantismus und Naivität. Auch Floh de Cologne, Eulenspygel und Ihre Kinder mochte ich. Ihr Rock mit engagierten deutschen Texten ging unter die Haut. Auf meiner »Ganz okay«-Liste standen noch Nine Days Wonder und Gila. Im Beat-Club hatte ich den Jazzer Wolfgang Dauner mit seiner Band Et Cetera gesehen und für gut befunden. Selbst Volker Kriegels Spectrum-Platte gefiel mir.

Der Bus spuckte uns einen Häuserblock entfernt von dem Ereignis aus. Eine dreißigminütige Fahrt durch graue Vorstadtstraßen, die in der abendlichen Sonne noch trister wirkten.

Wir diskutierten, was wohl das beste Guru-Guru-Stück sei. Von ihrer ersten Scheibe mochte Mark »Stone In«, weil es nach Jimi Hendrix klang.

Ich gab dem »LSD-Marsch« den Vorzug, einem zwölfminütigen Psychedelic-Rockstück, das dich auf Trip schicken konnte.

In der Einfahrt zu einem dunklen Hinterhof brachten wir uns in Stimmung.

»Alter, nur noch ein Zug«, bettelte Mark.

»Vergiss es, da ist nichts mehr drin«, antwortete ich.

»Dir ist klar, Satti, dass ich den totalen Flattermann hab, ich brauch unbedingt den vollen Törn.«

Marks Finger der rechten Hand bildeten einen Kegel, in dessen Spitze der Joint steckte, mit der linken Pranke dichtete er alle Luftlöcher ab, dann setzte er den Mund an den Hohlraum zwischen Daumen und Zeigefinger und saugte mit aller Kraft.

Schwarzer Afghane. Die Mörderdröhnung.

Mein Kopf fühlte sich an wie auf Kissen gebettet, in den Kniekehlen hatten sich Ameisen eingenistet, das Blut in meinen Adern wurde dick und träge.

Marks Augen hatten sich zu Schlitzen verengt.

»Mann, Alter, bin ich stoned«, sagte er.

*

So viele Freaks auf einem Haufen hatte ich noch nie gesehen.

Das Wilhelm-Leuschner-Haus, ein schmuckloser, dreistöckiger Kasten im Fünfziger-Jahre-Nachkriegsstil, gehörte der Gewerkschaft. Ein Typ mit DGB-Sticker am Revers und Brian-Jones-Frisur knöpfte am Eingang jedem von uns einen Fünfer ab. Stempel (eine Faust, die eine Rose hielt) auf die Hand, und drin waren wir. Für den Inhalt meiner Jutetasche, in der sich das Dope befand, interessierte sich niemand. Im Großen Saal, der dem langen Arm der Arbeiterbewegung tagsüber als Versammlungsraum diente, tummelten sich gut fünfhundert Langhaarige.

Was für ein Anblick!

In Grüppchen saßen sie auf dem Boden, einige hatten Batikdecken ausgebreitet. Wer keinen Platz zum Hinhocken gefunden hatte, drückte sich den Rücken an der Wand krumm. Auf der Längsseite zur Straße hin gab es eine Fensterfront. Sie bestand aus dickem, milchigem Glas und war geschlossen, was dazu führte, dass mir die stickige Luft den Schweiß aus den Poren trieb.

Außerdem roch es nach süßem Gras. Halleluja!

Der Grund für Marks Flattermann stand am Büchertisch und schlürfte mit einem Strohhalm eine Cola. Karen war nicht allein. Neben ihr strich Andi seinen Schnurrbart glatt und redete hemmungslos auf sie ein. Bei jedem zweiten Satz klemmte er sich die fettigen Haare hinters Ohr.

Ich konnte den Typen nicht ausstehen und fragte mich erneut, was Karen an ihm fand. Es hieß, Andi besitze einen Steinway, einen gebrauchten zwar, aber immerhin eines der besten Klaviere, die es für Geld zu kaufen gab. Auf dem spielte er Jazz, erzählte man sich. Er war der Einzige, von dem ich wusste, dass er sich in Harmonielehre auskannte. Noten lesen konnte er natürlich auch. Außerdem hatte er immer die aktuellsten Platten.

Seine Belesenheit und Eloquenz kotzten mich an. Zu jedem und allem wusste er stets etwas Superschlaues zu sagen. Für mich war er einfach nur ein intellektueller Angeber.

John Coltrane, der Saxophonist, und Theodor W. Adorno, der Philosoph, hatten es ihm besonders angetan. Obwohl die gar nicht zusammenpassten. Adorno hatte Jazz gehasst.

»Dieser Blödmann ist auch hier«, grummelte Mark.

»Du bist bloß eifersüchtig«, entgegnete ich. »Lass uns mal hallo sagen.«

Karen winkte, sie hatte uns bereits entdeckt. »Hey, Mark, hey, Satti, ich bin vielleicht aufgeregt. Das wird ein tolles Konzert«, sagte sie und lachte. Karen hatte ein besonderes Lachen, leicht und zwitschernd. Man hörte es überall heraus.

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste mich links und rechts auf die Wange. Sie sah umwerfend aus in den selbstgeschneiderten kirschroten Satinhosen mit dem weiten Schlag und der Bluse mit dem Paisley-Muster. Um den Hals hingen ihr drei riesige Perlenketten. Natürlich waren die nicht echt, aber an Karen sahen sie klasse aus. Um die Hüfte hatte sie sich ein Tuch aus schwarzer Seide gebunden. Ihre Füße steckten in chinesischen Stoffslippern. Die mit Henna gefärbten Haare waren sorgfältig hochgesteckt und wurden von einer Lederspange gehalten.

Das hatte irgendwie Stil. Ja, genau, den hatte es. Karen verband das Aussehen von Uschi Obermaier mit dem Klamottenfimmel von Janis Joplin. Sie war ein Hippie-Mädchen wie aus dem Bilderbuch.

Andi fingerte eine Packung filterlose Gauloises aus dem Inneren seines Jacketts. Dieses Teil, mit Lederflicken an den Ellbogen, war seine Standardjacke, dazu ein zerknittertes Karohemd, ausgebeulte Cordhosen und hohe Turnschuhe. So lief er immer herum, egal bei welcher Gelegenheit.

Ich warf erst einmal einen Blick auf den opulent bestückten Büchertisch.

In der Literaturecke gab es Grass, Böll und Borchert. Die Philosophie war vertreten mit Bloch, Horkheimer und Marcuse. In der Psychoabteilung lagen Wilhelm Reich und Ronald D. Laing aus. Die Systemkritik fehlte auch nicht, hier standen Lenin und Marx einträchtig neben Bakunin. Dann ein nicht zu übersehender Stapel des kleinen roten Buches mit den Sprüchen des großen chinesischen Vorsitzenden.

Wenn der Vorsitzende des örtlichen DGB-Verbandes Wind davon bekäme, dass hier die Mao-Bibel verkauft wurde, aber keine einzige Gewerkschaftsbroschüre auslag, würde er mit Sicherheit Stress machen. Lief der bärtige Bücherfreak vielleicht deshalb so nervös auf und ab?

Wahrscheinlicher war, dass er Schiss hatte, seine Ware, die zum Umsturz des Systems aufrief, könnte geklaut werden.

Aber was war denn das? Links neben dem Tisch hockte ein Freak im Schneidersitz auf dem Boden. Er sah aus wie ein Waldschrat mit seiner zotteligen Rotschopfmähne und dem wild wuchernden Bart, der ihm bis zur Brust ging. Vor ihm ausgebreitet auf einem Tuch die tollsten Kifferutensilien. Da lagen sie, die Chillums, Kawumms und Purpfeifchen, aus Holz und Sandstein und mit allerlei Verzierungen. Beste Handarbeit. Auch Räucherstäbchen in den verschiedensten Duftnoten hatte er im Angebot sowie kleine Flaschen mit Moschusöl und Rosenwasser. Und jene Hemden, wie er selbst eines trug, ohne Kragen, die am Hals mit einer Art Bindfaden zugezogen wurden. Das war der neueste Hippie-Schick. Wie Carlos Castanedas Buch Die Lehren des Don Juan, das er ebenfalls feilbot.

Auf dem Büchertisch leuchtete mir in großen roten Lettern vor knallgelbem Hintergrund das Wort ACID entgegen. Ich nahm das Buch mit dem psychedelisch anmutenden Umschlag in die Hand.

»Das ist eine Sammlung amerikanischer Undergroundliteratur«, sagte Andi. »Die ist zwar schon zwei Jahre alt, sollte man aber gelesen haben.«

Er deutete auf meine Jutetasche. »Aber wem sage ich das, du trägst bestimmt wieder eine halbe Bibliothek mit dir herum?«

Ich hatte Jean-Paul Sartre und Albert Camus dabei. Die französischen Existenzialisten fand ich hochinteressant. Wie immer hatte ich auch ein Fremdwörterlexikon und mein fast vollgeschriebenes Notizheft eingesteckt. Das Lexikon war eine wichtige Informationsquelle. Im Notizheft hielt ich meine Gedanken fest, wo immer sich die Gelegenheit ergab. Schreiben, das machte mir Spaß, das war mein Ding.

Andi war anscheinend in der richtigen Stimmung für eine kleine intellektuelle Auseinandersetzung. Bitte, kannst du haben, dachte ich.

»Jeder ist für sein Handeln selbst verantwortlich. Das bedeutet, dass der Mensch das ist, was er tut, was er aus sich macht«, sagte ich.

»Hört, hört, der Herr Bildungsbürger zitiert Sartre. Bravo, kann ich da nur sagen. Aber die Zeit der Existenzialisten ist längst vorbei«, knurrte Andi abfällig. Mit der einen Hand zwirbelte er am Schnurrbart, mit der anderen klemmte er sich die Haare hinters Ohr.

»Existenzialismus ist keine Mode, sondern eine Lebenseinstellung. Ein Existenzialist ist einer, der für den Augenblick lebt«, gab ich lapidar zurück.

Sartre. Der Philosoph der Straße, der Cafés, Clubs und Bars. Der hatte den Mumm, von der Revolution zu schreiben und den Nobelpreis abzulehnen. Adorno dagegen war akademisches Hirnschwitzen, theoretisches Wolkenkuckucksheim. Ihn zu lesen, verursachte mir regelrechte Pein.

»Was machst du eigentlich hier, Andi?«, fragte Mark, der sich nun zu uns gesellt hatte. »Was wir heute zu hören bekommen, ist doch unter deinem Niveau.«

»Falls du es noch nicht weißt: Der Trommler von Guru Guru war mal ein Jazzer, bevor er zum Rock konvertierte.« In Andis Antwort schwang eine Überheblichkeit mit, die jemand entwickelt, der glaubt, alles zu wissen.

Mani Neumeier, der Schlagzeuger von Guru Guru, hatte mit der Schweizer Pianistin Irène Schweizer vor einigen Jahren frei improvisierte Musik gespielt. Das war Schnee von gestern und mir längst bekannt.

Karen schien die schlechten Schwingungen zu spüren. Sie war nicht nur ein attraktives, sondern dazu noch ein ungemein einfühlsames und harmoniesüchtiges Mädchen.

»Mark, was machen denn deine eigenen Ambitionen als Schlagzeuger?«, fragte sie. Dass Mark davon träumte, Trommler zu werden, hatte ich ihr vor nicht allzu langer Zeit erzählt.

»Weißt du«, begann Mark, »ich ... ich hab zwar kein eigenes Drumset, noch nicht, aber ich übe jeden Tag.«

Pause, Luftholen.

»Ich übe auf Bongos.«

Auf Bongos!«, fuhr ihm Andi über den Mund. »Da lernst du nie was. Nicht das, was du als Schlagzeuger brauchst. Ohne eigenes Set kannst du es vergessen.« Karen blickte Andi vorwurfsvoll an. »Du benimmst dich unmöglich.«

Andi provozierte weiter. »Wenn du wirklich spielen kannst, Mark, dann zeig doch mal, was du draufhast. Oder bluffst du nur?«

»Wie du meinst«, sagte Mark, drehte sich um und marschierte los.

Ich blickte ihm nach, bis er von der Menge verschluckt wurde.

»Leute, entschuldigt mich, ich habe was zu erledigen«, sagte ich.

»Hey, Satti, Miles Davis, der Jazz-Trompeter, hat mal gesagt: Ich bin nicht, was ich tue, ich tue, was ich bin. Darüber solltest du mal nachdenken«, rief Andi. Aber ich ließ die beiden einfach stehen.

*

Ich stieg über ein in heftiges Petting verkeiltes Pärchen hinweg. Sie sah aus wie ein Prachtweib aus einem Robert-Crumb-Comic. Er, geil wie Fritz the Cat, hatte seine Schlabberzunge tief im Ohr der Lady. Seine Patschepfötchen rubbelten irgendwo in den unteren Regionen des Mädchens. Sie konnte das Gleichgewicht nicht halten und sank langsam nach hinten weg, mit geschlossenen Augen gab sie sich dem Rausch der Gefühle hin.

Von diesem Anblick irritiert, stolperte ich über ihre im indischen Mehndi-Stil bemalten Hände. Als ich aufschaute, tauchte ein dürrer Kerl auf. Er hatte einen langen, zerzausten Bart wie Moondog, der blinde New Yorker Straßenmusiker, der ziemlich abgedrehte Musik komponierte. Ich hatte mal was über diesen amerikanischen Outlaw gelesen, der kostümiert wie ein Wikinger über den Times Square lief. Dieser Moondog hier vollführte tanzend eine Art Beschwörungsritus. Mit den Händen malte er imaginäre Bilder in die Luft.

Eine ausgewachsene Kifferparanoia kam über mich. Mein Freund, der schwarze Afghane, verwandelte Moondog von einer Sekunde auf die andere in ein zehnarmiges Monster. Er sah auf einmal schrecklich ausgemergelt aus, die langen Haare baumelten ihm in dünnen fettigen Strähnen ins Gesicht, aus dem mich seine glühenden Augen wie rote Blitze ansprangen. Er kam immer näher. Wild klopfte mir das Herz in der Brust. Moondog würde über mich herfallen, mich mit einem Fluch belegen oder Vampirzähne in meinen Hals rammen – irgendetwas in dieser Art.

Jemand packte meine Schultern und zog mich weg.

»Ganz ruhig, Alter, sonst kommst du noch auf Horror.«

Die Stimme kam mir bekannt vor. Klar, vor mir stand Skip. Gleich darauf traten Paul und Gero in mein Blickfeld. Die Unzertrennlichen. Das Trio infernal. Die Kerle kamen nie allein, immer nur im Dreierpack.

Paul spielte ein bisschen Gitarre, Skip versuchte sich am Bass. Sie trafen sich bei Gero; in der guten Stube seiner Eltern stand eine Orgel, auf der er Sachen von Ekseption nachklimperte. Skip und Paul stöpselten ihre Instrumente in die Braun-Stereoanlage und brachten die Boxen fast zum Durchglühen. Die drei improvisierten ungeniert drauflos. Als Eins-a-Anfänger, die sie waren, kam nur Mist dabei heraus.

Vielleicht fehle ihnen nur jemand, der ihnen sagte, wo es langgeht. So eine Art musikalischer Direktor, einer, der sie richtig rannehme, war Marks Kommentar, als ich ihm davon berichtete.

Paul fuchtelte mit den Händen vor meinen Augen. »Komm wieder zu dir, Schweinepriester, du bist in Sicherheit.« Er liebte Kraftausdrücke.

»Ja, ja, ihr habt mich gerettet. Toll, prima«, sagte ich.

»Ein bisschen mehr Dankbarkeit hätte ich schon erwartet«, murrte Skip und kratzte sich den Fusselbart.

»Sorry, Leute, aber der Shit ist alle«, sagte ich und griff nach der Jutetasche.

»Lass gut sein, Mann, mein letztes Törn-Piece würde ich auch nicht rausrücken, verdammt nochmal«, maulte Paul.

»Wen oder was suchst du eigentlich?«, fragte Gero, als könne er meine Gedanken lesen. Gero, das Goldlöckchen mit der John-Lennon-Brille.

»Habt ihr Mark gesehen?«, fragte ich.

»Ja, verflucht«, sagte Paul, »der steht an der Bühne und glotzt das Schlagzeug an, als wäre es das achte Weltwunder. Falls du zu ihm willst, kannst du das abhaken. Nach vorn ist kein Durchkommen mehr.«

Das Schlagzeug war ein Ludwig. Doppelbassdrum ohne Resonanzfelle, eine richtig fette Snare, vier Hängetoms, zwei Standtoms und sechs golden glänzende Paiste-Becken.

Alle Trommeln waren mit einer Perlmuttbeschichtung versehen, was diesen Mercedes unter den Schlagzeugen strahlend weiß und unglaublich schön erscheinen ließ. Direkt hinter dem Sitz des Drummers stand ein Gong von der Größe eines Ufos.

Das war mit Abstand die tollste Schießbude, die ich je gesehen hatte. Seit ich Mark kannte, träumte er von so einem Teil. Wenn wir zusammen in meinem Dachzimmer abhingen, um auf dem Mister Hit seine Platten zu hören – Pink Floyd, Yes, Genesis und King Crimson –, jammerte er mir jedes Mal vor, ein Ludwig, das wäre es.

Höhepunkt dieser Sessions war Santanas »Soul Sacrifice« vom Woodstock-Album. Mark legte zu dem Stück ein Solo auf den Bongos hin, als ginge es um sein Leben. Wenn Carlos Santana gewusst hätte, was der Junge so draufhat – auf der Stelle hätte er ihn engagiert.

Gero holte mich in die Wirklichkeit zurück. »Echt abgefahren, das solltet ihr euch anschauen. Der Kerl hat Mut, das muss man ihm lassen.«

Paul starrte zur Bühne hinüber. »Das gibt es nicht.«

»Crazy, absolut crazy.« Skips Mund war vor Erstaunen weit offen.

Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können.

Mark blickte nach links und rechts, so, als wollte er eine Straße überqueren. Weit und breit kein Roadie in Sicht. Lässig machte er zwei Schritte nach vorn, niemand hinderte ihn daran. Und hoppla, schon stand er mit beiden Beinen auf den Brettern des Rock ’n’ Roll.

Ganz langsam zog er den Parka aus. Wie selbstverständlich nahm er hinter dem Ludwig Platz und zauberte einen Satz Trommelstöcke hervor. Bislang hatte niemand von dem Notiz genommen, was auf der Bühne passierte. Doch kaum war der erste Schlag erklungen, richteten sich tausend Augen auf Mark. Er machte ein paar Rolls auf den Toms, um sich warm zu spielen.

Dann geschah das Unglaubliche. Er donnerte los, und ich erkannte sofort, was es war: das Solo aus »Silly Sally« von Sweet Smoke.

Wahnsinn, wie gut er es konnte. Ich hatte ihm das Stück vielleicht zwei- oder dreimal vorgespielt, bei einer dieser Sessions auf meinem Dachzimmer. Er konnte sich etwas anhören und anschließend jeden Wirbel, jeden Beckenschlag auswendig. Einfach so. Mark war hochbegabt, ein echtes Naturtalent.

Mittlerweile hatte auch der Letzte im Saal kapiert, dass das nicht der Schlagzeuger von Guru Guru war, der da trommelte, aber dass da einer saß, der wie ein Großer spielte.

Skip, Paul und Gero, die Unzertrennlichen, fingen an, im Rhythmus zu klatschen. Plötzlich stiegen die vorderen Reihen im Publikum mit ein.

Das »Silly Sally«-Solo war anspruchsvoll. Jubel brach aus, als Mark die vertrackten Trommelfiguren in die Felle donnerte.

Plötzlich tauchte auf der Bühne ein zweiter Typ auf. Er hatte einen Mongolenbart und Haare bis zum Arsch. Dieser Dschingis Khan trug eine Latzhose, seine Füße waren nackt, und ein T-Shirt hatte er auch nicht an.

Das musste Mani Neumeier sein, oder? Ja, es war dieser verrückte Freak, berüchtigt für seine exzentrischen Bühnenshows, einer der besten Schlagzeuger im Krautrock, die Trommelmaschine von Guru Guru.

Doch statt Mark von der Schießbude zu verjagen, stieg er ein in einen Tanz, als gelte es, in diesem verrauchten Saal, in dem jetzt alle, wirklich alle, auf dem Rhythmustrip waren, einen gewaltigen Regen herbeizuzaubern, der die stickige Luft hinwegfegte.

Neumeier tanzte um das Drumset herum und hatte plötzlich einen Paukenschlegel in der Hand. Damit drosch er auf den Gong ein.

Das war besser als jedes Dope!

Mark steuerte auf den Höhepunkt zu. Er spielte jetzt so schnell, dass die Stöcke regelrecht übers Schlagzeug flogen. Es war eine Freude, nein, es war absolut gigantisch, ihm zuzusehen. Alles kam locker aus dem Handgelenk und mit unglaublicher Präzision. Mit einem gewaltigen Roll landete er auf dem Crashbecken. Und fiel vom Hocker.

Er hatte sich total verausgabt, alles gegeben. Neumeier packte ihn am Hemd und zog ihn wieder hoch. Mark strahlte übers ganze Gesicht und schüttelte Mani die Hand.

»Leute, das war spitze. Ganz große Klasse! Ein Riesenapplaus für den jungen Mann hier«, rief Neumeier ins Mikrophon. Gejohle und Begeisterungspfiffe. Die Freaks skandierten »Zu-ga-be, Zu-ga-be«.

Mitten in diesem Getöse brüllte Don mir ins Ohr.

»Ich muss mit dir reden!«

Don hatte die Gabe, sich immer dann zu materialisieren, wenn keiner damit rechnete. Er war Schulsprecher gewesen. Ständig suchte er nach irgendetwas, mit dem er sich in den Mittelpunkt stellen konnte. Bislang ohne nennenswerten Erfolg. Na ja, mal abgesehen von Das Auge, einer Schülerzeitung, deren Herausgeber er war und für die ich mal geschrieben hatte, über die Existenzialisten, versteht sich.

»Was zum Teufel willst du?«, fragte ich.

»Ich hab da eine Idee. Von der würd ich dir gern mal erzählen. Aber nicht hier, irgendwann die Tage im Hot Rats. Okay?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Von mir aus.«

Er tat geheimnisvoll. »Merkst du nicht, was hier vor sich geht? Da ist etwas ganz Großes im Gange. Größer als alles, was du bisher erlebt hast.«

Von was quatschte der? Aber er war schon wieder weg.

Das Trio infernal hatte sich um Mark versammelt.

»Ich mache eine Band auf. Seid ihr dabei?«, fragte er.

Skip, Gero und Paul starrten ihn an. Dann nickten sie.

*

Als ich ins Hot Rats kam, waren sie alle schon da.

Ich quetschte mich zu ihnen auf die Sitzbank neben dem Podest für den Discjockey.

»Wir nennen uns Dreamlight.« Mark erwartete meinen Kommentar.

Ich schaute in die Runde. »Was ist das denn für ein Name?«

Skip kicherte. »Klingt doch gar nicht schlecht. Da kann man sich alles Mögliche drunter vorstellen. Musik zum Träumen, aber trotzdem aufregend und strahlend wie das Licht.«

Paul fläzte sich lässig auf der Bank. »Wie wir uns nennen, ist mir schnuppe. Namen sind Schall und Rauch, die kann man ändern. Hauptsache, wir machen endlich Musik.«

Gero, Goldlöckchen und Schlauberger, kratzte sich am Kopf. »Eine schöne Band sind wir. Wir haben keinen Proberaum, keine Anlage, wir haben nichts. Mark hat noch nicht mal ein Schlagzeug. Einen Sänger haben wir auch nicht.«

»Guru Guru haben keinen Sänger, Popol Vuh haben keinen Sänger. Tangerine Dream haben auch keinen«, sagte ich. Noch mehr Bands fielen mir auf die Schnelle nicht ein.

In diesem Moment tauchte Kief auf. Ihm gehörte das Rats. Er zauberte einen Lappen hervor und wischte über den Tisch. »Was wollt ihr trinken, Jungs? Bei mir wird nämlich was verzehrt. Wenn ihr einen Aufenthaltsraum sucht, dann geht zur Bushaltestelle.«

Mit diesem Spruch hatte er sich, als er den Laden vor einem Jahr übernommen hatte, sofort Respekt verschafft. Er war schon über vierzig. Kantiges Gesicht, dünne Lippen und ein starrer Blick. Man erzählte sich, er sei mal Zuhälter gewesen.

Er redete weiter, ohne unsere Bestellung abzuwarten. »Mark, ich hab von deiner kleinen Trommeleinlage gehört. Respekt, die soll sensationell gewesen sein. Schade, dass ich das verpasst hab. Du sollst Mani Neumeier die Show gestohlen haben, alle Achtung.«

»Ganz so wild war es nicht«, antwortete Mark und strahlte wieder wie bei seinem großen Auftritt im Wilhelm-Leuschner-Haus.

Guru Guru hatten zwei Stunden gerockt. Der Gitarrist, Ax Genrich, ließ die Saiten jaulen, arbeitete mit Wah-Wah-Pedal und Feedback. Uli Trepte, der Bassist, sauste mit den Fingern furios über den Hals seines Instruments. Und Mani Neumeier, ja der, der war halt ein Profi, da kam auch Mark noch nicht ran. Neumeier hatte ein Solo abgeliefert, das Ginger Baker und Keith Moon zur Ehre gereicht hätte. Guru Guru mussten drei Zugaben geben.

»Und du, Satti, was spielst du?« Kief verstaute grinsend den Lappen in der Gesäßtasche seiner Jeans.

»Ich werde den Jungs journalistisch zur Seite stehen«, sagte ich.

»Das klingt so, als hättet ihr das alles richtig durchdacht. Also, ihr angehenden Rockstars, habt ihr schon einen Proberaum?«

Mark rieb sich die Nase. »Nein, das ist ja das Problem.«

Kief machte eine gönnerhafte Geste. »Wenn ihr wollt, könnt ihr den Keller unterm Rats haben, der steht leer. Alles dicke Mauern. Da stört ihr niemanden. Aber herrichten, das müsst ihr schon selber machen, und ein bisschen Kohle für Unkosten wie Strom und so müsstet ihr auch abdrücken. Versteht sich doch, oder?«

»Alter Gauner, hast du heute deinen sozialen Tag?«, fragte ich.

»Nein, aber Andi hat mir erzählt, dass Marks Schlagzeugeinlage richtig gut war. Und wenn man schon mal so ein Talent unter seinen Gästen hat, sollte man das fördern. Aber wie gesagt, umsonst ist der Tod. Und noch nicht einmal der. Denkt darüber nach. Und jetzt bring ich euch ein Bier.«

So so, Andi war also von Marks Getrommel beeindruckt, darüber musste ich Genaueres in Erfahrung bringen.

*

Das Hot Rats war das Sammelbecken für Freaks, Flippies und Musikverrückte. Von denen gab es in unserem Kaff reichlich.

Der Laden war immer voll. Außer montags, da war Ruhetag.

Der Dienstag gehörte den Alt-Hippies. Wir – die Korona – nannten sie so. Zu ihnen gehörten Jule, Hucky und Werner vom Hausboot. Sie waren fünf bis sechs jahre älter als wir und hatten schon gekifft und Trips eingeworfen, als Brian Jones und Janis Joplin noch lebten. Sie fuhren ab auf diesen Westcoast-Sound, auf Gruppen wie Quicksilver Messenger Service, Jefferson Airplane und Grateful Dead. Na ja, ein wenig britischer Rock von Stone the Crows, Family und Traffic durfte es auch sein.

Donnerstag und Freitag waren für die Progressiv-Rocker reserviert. Dann wurden Platten von Gentle Giant, Yes, Genesis, Colosseum, Renaissance, aber auch The Flock und If rauf und runter gespielt. Samstags gab es die obligatorische Rockdisco. Die Tanzfläche, auf der höchstens zwanzig Leute Platz hatten, quoll über. In erster Linie war sie von Jungs bevölkert, die auf Led Zeppelin und Deep Purple die Matte kreisen ließen. Besonders beliebt waren auch, obwohl schon über ein Jahr alt, »All Right Now« von Free und neuerdings »Locomotive Breath« von Jethro Tull.

Immer öfter setzte sich auch eine Runde mit Soul Music durch, Sachen von Curtis Mayfield, Stevie Wonder und James Brown. Das war die Stunde der Mädels. Karen tanzte am liebsten zu Edwin Starrs »War« und »Get Ready«, einem Stück der Temptations in der Version von Rare Earth. Und auf The Doors rockte sie ab. Obwohl das nicht gerade viel mit Soul zu tun hatte. Die Truppe um Jim Morrison war aber ihre absolute Lieblingsband.

Sonntags ging es gemächlicher zu. Kief stieg selbst hinters DJ-Pult und legte Blues auf. Er liebte Muddy Waters und John Lee Hooker, manchmal spielte er was von John Mayall und Alexis Korner. Diese Blues-Songs konnten mich, wenn ich sie allein zu Hause hörte, zum Heulen bringen.

Der Eingang zum Rats lag fast ebenerdig zur Straße. Zwei Stufen, und schon war man durch die Tür. Gleich rechts stand ein Flipper, an der Stirnseite thronte die Theke, flankiert von einer Reihe Barhocker, die fest im Boden verankert waren. An der Theke vorbei ging es zu den Toiletten.

Der Laden war nur spärlich ausgeleuchtet. Kleine Lampen über den Tischen verliehen dem Ganzen die Atmosphäre eines Speakeasy zur Zeit der amerikanischen Prohibition. Illegal und gefährlich. Wo man auch hinblickte, überall war Holz, das dringend einer neuen Lackierung bedurfte. Tische, Bänke und die Vertäfelung der Wand verwiesen deutlich auf ihre Vergangenheit als »Western-Saloon«. Vielleicht hatte das mal gut ausgesehen, als der Laden noch Treffpunkt hieß und die Kinks und Small Faces die Heroen waren. Doch der Glanz jener Jahre war verblasst.

Die Freaks machten sich keine Gedanken darüber, sie liebten es so.

Den Mittwoch hatte vor drei Monaten Andi übernommen. Kurz zuvor war er in die Einzimmerwohnung über dem Rats gezogen und brachte seine eigenen Platten mit. Andi stand auf Virtuosität. Ein Musiker musste sein Instrument beherrschen, besonders Saxophonisten hatten es ihm angetan, wenn sie ihr Horn ordentlich röhren ließen.

Sehr zum Missfallen der Alt-Hippies, die den schrägen Tönen eher skeptisch gegenüberstanden. Außerdem hatte der Mittwoch einst ihnen gehört. Doch Kief ließ Andi gewähren. Zumal seine Anhängerschar immer größer wurde und ordentlich Asbach-Cola wegschlürfte. Es waren Gymnasiasten; einige aus meiner alten Klasse, der Oberprima, gehörten auch dazu.

Zum Beispiel Dixie, der in seiner Makellosigkeit gut als Zwilling von Dorian Gray hätte durchgehen können. Stets trug er einen Angorapulli über den Schultern. Dann war da noch Odi, der die Zigarette zwischen Mittel- und Ringfinger rauchte und nach jedem Inhalieren ein »Aaah« von sich gab. Ständig waren die beiden in Andis Nähe, immer darum bemüht, nichts zu versäumen, wenn ihr Meister eine Eingebung hatte. Andi war für sie die Sonne, um die sie wie Planeten ihre Bahnen zogen.

Ich schob mich an Dixie und Odi vorbei, erklomm das Discjockeypodest und baute mich neben Andi auf. Aus den Boxen quakte ein Saxophon, wie Andi es liebte, unglaublich schrill und ekstatisch.

»Was ist das für ein Sound, den habe ich ja noch nie gehört?«, fragte ich.

Ohne aufzusehen, kramte er weiter in seiner Plattenkiste. »Ich dachte, du bist Existenzialist. Da solltest du dich aber besser mit Jazz auskennen.«

»Ich habe dir eine ganz normale Frage gestellt.«

Andi hielt ein Cover hoch. »Krieg dich wieder ein.«

Ich nahm die Platte und versuchte die verschnörkelten Buchstaben zu entziffern. Escalator Over the Hill stand da. Ein Doppelalbum.

»Kenn ich nicht«, sagte ich.

»Ist so was wie eine Jazz-Oper, eine Komposition für Big Band. Ein paar Rockleute machen auch mit, Jack Bruce von Cream und die Country-Sängerin Linda Ronstadt. Und Gato Barbieri.«

»Gato wer?«

»Das ist der, den du gerade hörst«, antwortete Andi. »Saxophon ist das Instrument, das der menschlichen Stimme am nächsten kommt. Und Barbieri lässt die Emotionen fließen, er holt alles aus dem Instrument raus. Hör mal.«

Eine pfeilschnelle Phrasierung quietschte aus den Boxen, das Instrument schrie, Barbieri schien die Puste nicht auszugehen. Die Läufe wurden wilder und verrückter, begleitet von einem mitreißenden Jazz-Beat. Gleich wird er abstürzen, dachte ich. Aber nichts da. Er hielt das Tempo, blies um sein Leben. Diesen Saxspieler musste ich mir merken.

»Da staunst du, was? Der Typ hat es drauf. Das ist Ekstase pur. Aber das alles ist nichts gegen John Coltrane«, sagte Andi.

Der schon wieder. John Coltrane war Gott. Für Andi.

A Love Supreme war Andis Hymne.

Eine dreiunddreißigminütige Suite in vier eigenständigen Teilen. McCoy Tyner, Piano, Jimmy Garrison, Kontrabass, Elvin Jones, Schlagzeug, und Coltrane am Saxophon. Aufgenommen im Dezember 1964. Coltrane, oder Trane, wie er genannt wurde, war am 17. Juli 1967, zwei Monate vor seinem einundvierzigsten Geburtstag, an Leberkrebs gestorben.

A Love Supreme lief dreimal am Abend. Auf der Platte ging es irgendwie um Glauben, auf dem Cover war ein Poem abgedruckt, in dem Coltrane den Herrn pries. Ich hatte es nicht so mit Religion und all dem, aber die Musik, die Coltrane auf A Love Supreme spielte, hatte was. Ja, sie war phantastisch.

Ich brauchte nicht zu fragen, Andi fing von selbst an. »Ich muss schon sagen, die Einlage von Mark bei Guru Guru, die hätte ich ihm nicht zugetraut. Er spielt zwar sehr rockig, aber trommeln kann er.«

»Er hat eine Band gegründet. Dreamlight.« Ich sagte es so beiläufig wie möglich. Ich wollte der Erste sein, von dem er es erfuhr.

»Ich werde auch eine Band aufmachen. Fra Mauro wird sie heißen.«

»Fra Mauro, was soll denn das sein?«

»Das ist ein Krater auf dem Mond, benannt nach einem Kartographen aus dem Mittelalter. Fra Mauro war ein Mönch, als einer der Ersten fertigte er eine brauchbare Weltkarte an. Fra Mauro, ich finde, das passt, ich will unbekannte musikalische Landschaften entdecken.«

»Darf man wissen, wer deine Mitspieler sind?«

»Die kennst du nicht. Sind nicht von hier. Ich habe einen Saxophonisten gefunden, der spielen kann wie Gato Barbieri.«

Ich ließ mir nicht anmerken, dass ich beeindruckt war. »Dann haben wir jetzt zwei Bands in unserem Kaff.«

»Ich denke, da wird sich noch mehr tun«, sagte er.

»Wie kommst du darauf?«

»Ich habe hier und da was aufgeschnappt. Seit Marks Trommeleinlage gehen Gerüchte um. Du bist doch hier der Schreiber, der alles in seinem kleinen Notizheft festhält. Recherchier doch mal.«

Dreamlight und Fra Mauro.

Zwei Bandgründungen innerhalb weniger Tage. Das hatte es in unserem Kaff noch nie gegeben. Vor meinen Augen war etwas im Gange. Mit einem Mal musste ich an Dons Worte denken. Etwas ganz Großes, hatte er gesagt.

Auf dem Weg zur Toilette lief ich Falko und Bab in die Arme. Falko war ein Hüne mit langen blonden Haaren. Bab war kompakt und muskulös, seine Locken hatten sich zu einem beeindruckenden Afro formiert.

Automatisch zupfte ich an meinen Haaren. Die waren vor einer Woche auf dem Hemdkragen angekommen. Zwei Jahre hatte das gedauert. Ich kannte im Rats niemanden, der keine Matte hatte.

Babs Afro wackelte beim Reden. »Alter, wir machen eine Band auf.«

Falko schob sich eine Strähne aus dem Gesicht. »Was meinst du, Electric Junk, klingt doch gut, ist doch ein abgefahrener Name, oder?«

Electric Junk, das kam mir bekannt vor. Ja, so hieß doch ein Stück von Hinten, der neuen Guru-Guru-Scheibe, den Song hatten sie beim Auftritt im Wilhelm-Leuschner-Haus vorgestellt.

Himmel und Hölle, das war die dritte Bandgründung. Das konnte ja noch heiter werden.

»Und wer spielt was? Ihr seid doch nur zu zweit?«, fragte ich.

»Falko spielt Gitarre, ich übernehme den Bass. Und als Schlagzeuger hatten wir an Mark gedacht. Sein Solo war phänomenal«, sagte Bab.

Sieh an, sie waren auch dort gewesen und hatten ihn auf der Bühne erlebt.

»Da kommt ihr zu spät. Mark hat mit Skip, Gero und Paul gerade Dreamlight gegründet«, sagte ich.

Falko runzelte die Stirn. »Dreamlight, was ist das denn für ein Name? Egal. Alter, weißt du nicht jemanden, den wir fragen könnten?«

»Da kann ich euch nicht helfen. Bin ja selbst überrascht, dass jetzt anscheinend jeder in einer Band spielen will. Aber ich halte Augen und Ohren offen. Ich höre mich mal um, versprochen.«

Auf dem Klo pinkelte Rössel wie ein Gaul ins Becken. Ein nicht enden wollender Riesenstrahl. Ich stellte mich daneben und ließ es ebenfalls laufen.

Rössel war Bastler. Früher hatte er Radios gebaut, er war der Einzige, von dem ich wusste, dass er ein Teleskop besaß.

»Satti, hast du von Marks Auftritt gehört?«

»Klar, Mann, bin doch selbst dabei gewesen.«

»Stark, Alter, das finde ich richtig gut.«

»Was findest du gut?«

»Selbst Musik machen«, antwortete er.

»Ich dachte, du glotzt die Sterne an. Mehr nicht.«

»Ich habe mir eine Gitarre gebaut.«

»Rössel, sag mir, dass das nicht wahr ist. Du nicht auch noch.«

Ich beendete mein Geschäft und ging zum Waschbecken. Rössel kam mir hinterher.

»Ich weiß gar nicht, was du hast«, sagte er, »das Ding, das ich mir gebaut habe, funktioniert. Es ist sogar bundrein. Und jetzt gründe ich eine Band. Ich habe auch schon einen Namen.«

Er machte eine kleine Pause. »Storm.«

»Storm wie Sturm, oder was?«

»Genau, Alter. Unsere Musik wird alles hinwegfegen. Ein rockender Sturm. Wie Rory Gallagher.«

Rössel blickte siegessicher drein. Ich wusste, dass er den ehemaligen Gitarristen von Taste grandios fand.

»Rocken wie Gallagher«, wiederholte ich.

»Ja, genau. Du kennst doch noch Werner und Gerd, die machen mit. Gerd am Schlagzeug, Werner am Bass.« Und ob ich Werner und Gerd kannte. Von der Schule her, doch ich hatte sie länger nicht mehr gesehen.

Das war dann Band Nummer vier. Ich fasste noch einmal zusammen.

Dreamlight, Fra Mauro, Electric Junk und Storm.

Jetzt hatte ich keine Zweifel mehr. Eine Art Virus war ausgebrochen. Eindeutig grassierte ein Fieber. Das Musikfieber.

*

Enttäuscht versetzte Karen dem Flipper einen leichten Stoß. Tilt.

Das Gerät blinkte, die roten und gelben Birnen setzten eine Lightshow in Gang wie beim Auftritt von Heads Hands & Feet neulich im Beat-Club.

Sonny und Moses kicherten wie kleine Jungs, die sich über einen gelungenen Streich freuen. Karen zeigte ihnen die Zunge.

»Was geht ab, Mann?« Moses spreizte zwei Finger. Peace. Hatten die Hippies immer gemacht.

Karen trat zur Seite.

Sonny begann ein neues Spiel, schoss die silberne Kugel ab. Pling.

»Eigentlich wollte ich euch was erzählen. Aber ihr seid bekifft wie Weltmeister, stimmt doch?«, sagte ich.

»Wenn du deiner Alten nichts sagst«, brummte Sonny und haute auf einen der Flipperhebel.

Sein Kommentar war eine Anspielung darauf, dass meine Mutter vor ein paar Tagen in der Zeitung zitiert worden war. In dem Bericht wurde mal wieder behauptet, dass Haschisch der Einstieg in die Drogenabhängigkeit sei. Doch Karrieremama als gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Partei hatte dagegengehalten.

Huguette hatte dem Reporter gesagt, der Konsum von weichen Drogen sei zwar auf dem Vormarsch, doch statt mit Verboten sollte man mit Aufklärungskampagnen antworten. In den Niederlanden etwa gäbe es Überlegungen, Haschisch für den privaten Gebrauch freizugeben, staatlich kontrolliert, versteht sich, um ein Abrutschen der Kiffer in die Kriminalität zu verhindern. Meine Politikmama lehnte sich damit weit aus dem Fenster.

Manchmal konnte sie wirklich etwas Brauchbares von sich geben. Der Artikel aber hatte ihr ziemlichen Ärger eingebracht.

Sie hatte das Sitzungsprotokoll einer ihrer Versammlungen auf dem Küchentisch liegen lassen. Ich las es heimlich, und mir wurde klar, dass sie mit ihrer Meinung in der Partei allein dastand. Der Artikel könne Wählerstimmen kosten und damit Huguettes Einzug in den Landtag, für den sie sich aufstellen lassen wollte, zunichte machen, hatten die Genossen ihr vorgeworfen. Der Politverein, dem sie angehörte, hat ja schon immer Schiss gehabt, wirklich revolutionäre Sachen zu machen, dachte ich.

Huguette wusste noch nicht, dass ich in meinem Dachzimmer manchmal einen durchzog. Wie denn auch – erstens konnte ich Räucherstäbchen vorschieben, und zweitens war sie, ständig in irgendetwas eingespannt, kaum zu Hause.

»Ich habe gelesen, in Marokko werden die Leute hundert Jahre und älter, nur weil sie in Ruhe ihre Pfeifchen rauchen«, sagte Sonny.

Pling, Freispiel. Die Zahlen auf dem Flipper ratterten nur so. Er hatte schon 180 000 Punkte geholt.

»In Dänemark wird es bald einen Ort geben, an dem du einen Joint rauchen kannst, ohne dass die Polizei kommt«, sagte Karen.

»Red kein Blech«, entgegnete ich.

»In Kopenhagen gibt es ein seit Jahren leerstehendes Kasernengelände, mitten in der Stadt und direkt am Wasser gelegen. Ein paar Freaks wollen es besetzen und zum Stadtstaat erklären. Die wollen in einer Kommune leben. Die Idee ist, alles selbst in Schuss zu halten, die Gebäude zu renovieren und nach eigenen Gesetzen zu leben. Christiania soll das Ganze heißen«, sagte sie.

Karen mit ihren Hippie-Ideen, dachte ich. Ein Freistaat für Freaks. Wie sollte das gehen?

»Nach eigenen Gesetzen? Das lassen die Spießer niemals zu. Woher weißt du das alles? So was steht doch nicht in der Zeitung«, erkundigte ich mich.

»Ich kenne zwei Mädels, die da mitmachen wollen«, antwortete sie.

»Das ist ja wie bei der Kommune I in Berlin«, mischte sich Moses ein.

»Nur dass die in Berlin nichts renovieren, sondern ausschließlich ans Ficken denken«, sagte Sonny. Er hatte die Kugel zwar versenkt, aber insgesamt immerhin 220 000 Punkte gemacht. Sein Spiel war vorbei.

Moses übernahm am Flipper. »Wir machen auch ‚ne Art Kommune auf.«

Ich glaubte, mich verhört zu haben. »Wie bitte, ihr macht was?«

»Wir haben eine Wohnung gemietet. Die richten wir uns gerade her. Endlich ein Raum, der uns gehört. Wo wir machen können, was wir wollen. Wo uns niemand etwas vorschreibt. Christiania im Kleinen. Wir haben uns auch schon einen Decknamen ausgedacht«, erklärte Moses.

»Nur wer die Parole kennt, gehört dazu. Wir nennen es Das Müsli. Ein konspirativer Treff, von dem nur Eingeweihte wissen«, sagte Sonny.

Ich lächelte. »Die Weltrevolution planen? Verarschen kann ich mich selbst. Ich glaube, ihr wollt doch nur einen Platz haben, wo ihr kiffen und Mädels flachlegen könnt.«

Aber wer hatte ihnen die Bude besorgt?

»Du brauchst ja nicht zu kommen. Wir werden bald Einweihung feiern. Meckerer wollen wir eh nicht dabeihaben.« Moses war mit einem Mal schlecht drauf. Wegen meiner Bemerkung bestimmt nicht. Er hatte zu heftig am Apparat gerüttelt. Mit großem Tamtam stand der Flipper erneut auf Tilt.

Karen schien ganz interessiert: »Was wolltest du eigentlich vorhin erzählen?« Ich legte los, berichtete davon, dass Mark eine Band gegründet hatte, dass Andi dabei war, ebenfalls eine Gruppe zusammenzustellen, und dass in der Stadt das Musikfieber ausgebrochen sei. Ich erzählte von Falko und Bab und von Rössel. Vier Bands schon, und dass da bestimmt noch mehr kommen würde.

»Darüber musst du einen Artikel schreiben.« Ich drehte mich um. Don stand hinter mir. Unter seinem rechten Arm klemmte ein Packen Flugblätter. In der freien Hand hielt er eine Zeitung.

Er hielt das Blatt hoch. »Ich habe eine Anzeige geschaltet.« Die Annonce war eine Viertelseite groß und nicht zu übersehen. In großen Lettern stand da zu lesen:

Bands gesucht für ein großes Musikfestival! Gruppen und Einzelinterpreten, meldet Euch! Das ist Eure Chance! Gegen die Langeweile! Damit endlich etwas passiert in unserer Stadt! Zeigt, dass Ihr was könnt! Der Gewinner erhält einen attraktiven Preis! Anmeldung: D-Management oder im Hot Rats. Am Ende war noch eine Telefonnummer angegeben.

Ich platzte vor Neugier. »Diese Anzeige hat doch ein Schweinegeld gekostet. Und was soll das, D-Management?«

Don reckte stolz die Brust. »Ich habe mir Kohle von meinen Alten geliehen. Die Bank hat noch was draufgelegt, um meine Geschäftsidee zu unterstützen.«

»Was redest du da?« Karen meldete Zweifel an. Berechtigt, wie ich fand, Don hatte noch nie etwas hinbekommen.

Dons Brust schwoll ein weiteres Stück an. »Ich habe eine Firma gegründet. D-Management, das bin ich. Ich werde Bands managen und Konzerte veranstalten, die Kultur fördern, so was in der Richtung.«

»Du und eine Firma gründen?«, fragte ich ungläubig und fuchtelte mit den Armen. Das hätte ich bleiben lassen sollen.

Was dann passierte, hatte ich nicht beabsichtigt.

Beim Herumfuchteln knallte meine Hand gegen Dons Arm. Das Bündel mit den Flyern segelte durch das Rats, und mitten im Flug öffnete sich die Verpackung. Es regnete DIN-A4-Blätter wie Herbstlaub. Der Rest rutschte quer über die Tanzfläche und verteilte sich vor dem Discjockeypodest.

Mit einem Mal war es mucksmäuschenstill. Keine Musik mehr, selbst der Flipper blieb stumm.

Scheiße, dachte ich und starrte Don mit offenem Mund an.

Ihn schien unser Zusammenstoß nicht weiter zu beeindrucken.

»Das ist alles ganz einfach«, sagte er. »Du gehst zur Stadtverwaltung und meldest ein Gewerbe an. Das kostet nicht viel. Dann bekommst du einen Wisch Papier. Und schon darfst du eine Firma betreiben.«

»Zum Impresario gehört mehr als nur eine nette Idee. Du musst dich mit Geschäftemachen auskennen. Meinst du, du hast das drauf?«, fragte ich.

Das war dick aufgetragen, aber es schien mir der einzige Weg, ihn wieder zurück auf die Erde zu holen.

Don war nicht mehr zu stoppen. »Ich will Bands ein Forum bieten. Und wenn dabei Geld rumkommt, dann ist das legitim, ich habe ja schließlich investiert. So funktioniert die Marktwirtschaft. Angebot und Nachfrage.«

Er lächelte siegessicher, als sei er schon ganz der Businessmann.

Ich starrte ihn ungläubig an. »Du konntest doch gar nicht wissen, was hier abgeht, dass sich vier Bands hier und heute im Rats gegründet haben?«

»Das macht einen guten Geschäftsmann aus, dass er weiß, was der Markt verlangt. Vier Bands, das ist doch ein guter Anfang für einen Impresario«, antwortete er selbstbewusst. »Als Mark bei Guru Guru auftrumpfte, da hatte ich einfach so ein Gefühl, dass sich daraus etwas entwickeln wird.«

Ich wusste nichts mehr zu sagen.

Don schaute mich triumphierend an. »Hör auf, so blöd zu glotzen, hilf mir lieber, den Scheiß aufzusammeln.«

Ein Rascheln erfüllte das Rats. Mark und Andi waren die Ersten, die sich ein Flugblatt vom Boden fischten.

Trips & Träume

Подняться наверх