Читать книгу Aus dem puren Leben gegriffen Teil 2 - Klaus Fleischer - Страница 5
Selbsterkenntnisse
ОглавлениеWenn man den Überlieferungen glauben schenken kann, hieß der Problemerzeuger aller irdischen Probleme – schon wieder der liebe Gott. Von wegen lieber Gott!
Er soll zwar auch einmal einen eigenen Sohn gehabt haben, aber damals hat sich der Vater aller Dinge ja eher wie ein Kuckuck verhalten. Einem Joseph und einer Maria hat er das Ei in das familiäre Nest gelegt und sich somit ganz geschickt vor der Verantwortung gedrückt. Den Ärger eines Vaters hat er aus weiter Ferne in Beobachtung gehalten. Na, prima.
Bei seinen Schöpfungen hat der Herr aller Dinge auch an fast alles gedacht und so auch an die Männchen und Weibchen in allen Lebensformen. An den Eber und die Sau, an die Kuh und den Bullen, an den Hahn und die dazugehörige Henne und vor allen Dingen an den Mann und die unbedingt wichtige Frau.
Nun kommt aber ein entscheidender Konstruktionsfehler bei den Menschen und das vor allen Dingen beim Mann ganz gewaltig zum Tragen. Männer haben allgemein und bis auf wenige Ausnahmen unwahrscheinlich viele Muskeln und weniger Mutterbrüste, hingegen die Weiblichkeit vom letzteren nie genug mit sich herumschleppen kann, aber meist nur im Beckenbereich stark gebaut ist.
Soweit zur Anatomie der beiden Geschlechter und das nur ganz kurz und recht bündig.
Aber etwas viel makabres gibt es unbedingt noch zukennen und da liegt der eigentliche, oben erwähnte Konstruktionsfehler der göttlichen Schöpfung Mensch.
Obwohl die Manneskraft im körperlichen Bereich meist den Frauen weit überlegen ist, so unverständlich ist die Tatsache der weitverbreiteten psychischen Schwäche der Muskelpakete. Schon ein kleiner Tropfen Blut oder der Stich einer Mücke kann bei den meisten Männerexemplaren zu Kreislaufversagen oder Herzkammerflimmern führen. Vielleicht ist an dieser Misere auch wieder bloß irgend ein wichtiges Gen verantwortlich und eines Tages wird dieser Unhold dank wissenschaftlicher Tiefenforschung gefunden. Dann werden vielleicht endlich alle Männer den Mut finden, Strümpfe zu stricken, Geschirr zu spülen und auch einmal „nein“ sagen können.
Einige wenige männliche Beispiele soll es aber bereits heute schon geben, wo dieser Genfehler oder was auch immer es ist, nicht existiert und welche dadurch voller Weiblichkeit stecken und oben angeführte Tätigkeiten regelmäßig ausführen.
Ich von meiner Person gehöre aber leider immer noch zu den defekten Exemplaren der Männlichkeit und das immerhin schon, seit ich die allerersten Milliliter Sauerstoff in meine eigene Lunge gesogen habe. Nun kommt aber bei mir noch eine weitere Steigerungsstufe der Belastung der männlichen Psyche dazu – ich bin Vater.
Schon die ganze Geschichte unserer Menschheit bringt unzählige Beispiele ans Licht dieser Welt, wie wir Männer über Jahrhunderte haben psychisch leiden müssen.
Der starke Mann musste immer schon mutig sein, sich gegenseitig auf Massen von Schlachtfeldern den Schädel einschlagen oder sich mit langen Spießen und Speeren einander in die Körper stechen. Keine Frau hat je auch nur eine Sekunde an die „Männlichkeit“ ihres Mannes gezweifelt und Verständnis dafür gezeigt, wenn sich der starke Kämpfer aus purer Angst vor dem Blut und dem Stechen unter ihren Rock verstecken wollte.
Aber diese Angst ist tief, ganz tief in jedem Mann drin und sehr komplex. Nur die beständige Erziehung und die unbarmherzige Einstellung aller Mütter (Frauen) dieser Welt hat aus kleinen, wehleidigen Jungen nach außen scheinbar tapfere Söhne und Männer gemacht. Ich kann mich noch selbst genau erinnern, wenn es immer früher hieß: „Heul bloß nicht – du bist doch ein Junge!“
Warum durfte ich nicht heulen oder mich aus irgendeiner Angst dauerhaft verstecken?
Weil ich so ein blödes Gebammel zwischen meinen Beinen mit auf diese Welt gebracht habe?
Dafür kann doch ich nun wirklich nichts, Gottverdammich!
Ich musste als Junge Hosen tragen, wo beim dringenden kleinen Geschäft immer erst der blöde Hosenstall aufgeknöpft werden musste und dann oft die Zeit doch noch zu knapp wurde. Ein Rock wäre da allemal viel praktischer gewesen. Ich musste sich als Mann unter „Männern“ beweisen, als ich die erste Zigarette tief in meine Lunge sog und danach drei Tage wie ein Marsmännchen herum gelaufen bin. Ich habe es überlebt – gerade so!
Dann aber kam die Prüfung aller Prüfungen für einen Mann – die erste Frau in meinem Leben.
Stark, selbstbewusst und auch noch verdammt sexy war sie und ich konnte dank ihr in Erfahrung bringen, dass ich überhaupt gar kein richtiger Mann war. Meiner ersten weiblichen Begegnung war das schon nach knapp 8 Sekunden klar geworden und ich nur zu früh gekommen.
Kinder kriegen – was ist das schon, wenn man als Mann erst einmal dauerhaft und beständig Kinder zeugen können muss oder zumindestens so tun muss, als zeuge man welche. Welche Frau wird jemals die abgrundtiefen Ängste jedes Mannes verstehen, welche ihm vor jeden Beischlaf fast den Verstand rauben, lange genug und überhaupt stark genug für sie sein zu können.
So weit – so gut nur ein ganz klein wenig aus dem Bereich der Ängste eines Mannes, ein Mann sein zu müssen. Es gibt da noch unzählige andere Beispiele, welche diese Thematik weiter beleuchten könnten.
Aber was einem Mann und so zwangsweise auch mich am stärksten unter die Haut und in die Seele fährt, ist ein Vater zu sein. Die Steigerung dieser Situation ist dann nur noch – Vater von einem Sohn zu sein.
In dieser Konstellation entstehen Situationen, welche wirklich nur hochgezüchtete Männer überleben oder ohne weitere Dauerschäden überstehen können.
Das magische Wort heißt „Autorität“ und das kann schon mal an die Belastungsgrenze der sogenannten „Autoritätsperson“ gehen.
Das ganze Mysterium fängt ganz klein an, da Anfangs der Sohn auch noch ganz klein vorhanden ist. Das fängt dann damit an, dass der ungewollt oder gewollt gewordene Vater mit 30 oder mehr Jahren auf seinem Buckel als Vorbild für den störrischen Nichtallesesser-Sohn Speisen wie Spinat, Möhren usw. freudig in sich hineinstopfen muss, obwohl diese Gerichte schon seit seiner eigenen Volljährigkeit Gott sei dank komplett von der Speisekarte des Mannes gestrichen waren.
Das ist aber nur die harmloseste Angelegenheit, in der sich die besagte „Autorität“ und Vorbildwirkung der „großen Jungen“ zeigen muss.
Es kann aber noch bedeutend schlimmer kommen.
Es folgt dann irgendwann ganz sicher der erste stundenlange Ausflug bei –30 Grad Celsius und einem Schlitten mit dem „Sohni“ darauf. Bis zur völligen Erschöpfung geht es dann immer wieder den Rodelberg, mit dem Schlitten und dem fast schon 15-2o kg schweren Nachwuchs darauf, hinauf und dann mit ihm freudestrahlend wieder in rasender, fast tödlicher Fahrt den steilen Berg hinunter. Die an der tropfenden Nase des „starken“ Vaters immer wieder hängenden Eiszapfen werden mit einem Lächeln auf den blau gefrorenen Lippen kurzerhand mit seiner geschundenen Schlittenzughand abgeschlagen = Vorbildwirkung.
Die nächste Steigerung der auf Grund der Vaterschaft auferlegten Belastungstests ist dann der Besuch des städtischen Freibades im darauf folgenden Hochsommer.
Wassertemperatur im Planschbecken von 18-20 Grad Celsius und Vati „muss“ mit dem Sohn fast bis zu den Knien in der Kälte stehend hinein und auch noch Himmel hoch jauchzen. Wenn dann die Lippen des Erzeugers auf Grund des etwas untertemperierten Badewassers nach zwei Stunden Fußbad alles Blut verloren haben, dann heißt es durchhalten. Der kleine Kerl hat zwar auch schon die gleiche Lippenfarbe, aber er will absolut noch nicht aus dem feuchten Element. Also eine Sommergrippe unter die strapazierfähige Vaterhaut gezogen und es wird schon wieder werden.
Aber dann eines schönen Tages kommt er an die Grenzen seiner Möglichkeiten und er dankt irgend einem Gott, wenn der „Sohni“ endlich seine Volljährigkeit erreicht hat und der Papa noch am Leben ist.
Ich spreche hier immer noch aus diversen eigenen Erfahrungen und kann mehrere Eide auf was auch immer leisten.
Der „Sohni“ wird Sohn und etwas älter und natürlich wird es zwangsweise auch der gestresste Vater.
Kein Vater dieser Welt kann mit Bestimmtheit vorhersagen, was er sich im Laufe der Vater-Sohn-Beziehung auf Grund der niemals versinken dürfenden Autorität alles antun muss.
So erging es letztendlich auch mir.
Ich hatte mittlerweile die Schallmauer der 50 Lebensjahre sicher überstanden und auf Grund verworrener Lebenssituationen meinen 14-jährigen Sohn an meiner starken Vaterseite.
Es kam dann, wie es bestimmt nicht nur bei mir kommt und es war nicht zu verhindern (nicht was Sie gerade denken!).
Der Urlaub von mir und die Ferien des pubertierenden jungen Mannes fielen in den gleichen Zeitraum. Freizeitpark war vom Sohn angesagt und was war da naheliegender, als sich mal die z.Zt. höchste Achterbahn Europas näher anzuschauen.
Ich betone – anzusehen!
O.K. – Sohn ins Auto geladen, Freund vom Sohn dazu und die liebste Lebensgefährtin auch noch gut verstaut. Frohen Mutes und im Morgengrauen in Richtung „Hollyday-Park“. Hollyday heißt, wenn ich richtig informiert bin – glücklicher Tag oder so ähnlich.
Wir trafen im Viererpack fast als eine der ersten glücklichen Tagesgestalter am Haupteingang der Volksbelustigung ein. Schon von Weitem konnten wir das imposante Bauwerk der Achterbahn erspähen.
„Da fahren wir unbedingt Mal mit!“ ,hörte ich es hinter mir noch im Auto aus zwei tapferen Knabenkehlen. Mir lief es sofort eiskalt den Rücken hinunter – Autorität!
Viele Möglichkeiten hatte ich leider nicht. Nicht mitzufahren bedeutete auf Lebenszeit gezeichnet zu sein und mitzufahren vielleicht den ersten Herzinfarkt. Nun mit 52 Lenzen hat man im allgemeinen schon reichlich gelebt und andere sind schon viel früher von dieser Erde verschwunden. Also mein Gesicht wahren und dem Tod „mutig“ ins Angesicht sehen.
Ich weiß nicht, ob schon sehr viele meiner Leser 62 Meter hoch irgendwo an einer Kante gestanden und dann in die tödliche Tiefe geschaut haben – ich jedenfalls bis zu diesem Tag noch nicht.
Die Tore des Freudenparkes öffneten sich pünktlich und ich erkundigte mich im Namen der beiden jungen Männer mit einer leichten Blässe im Gesicht nach dem kürzesten Weg zu dieser Todesfahrt. Auf Grund meiner stattlichen Allgemeinbildung war mir voll bewusst, auf was ich mich da einlassen würde, was man von den beiden jungen Draufgängern ganz bestimmt nicht behaupten konnte.
Aber es gab wirklich kaum eine Alternative und binnen weniger, fast schon gerannter Schritte standen wir alle vier vor dem Monster von einer Achterbahn. Beim Blick zur Spitze dieses Eisenriesen habe ich mir fast noch das Genick verbogen und hätte somit eine Change gehabt, davon Abstand nehmen zu können. Aber eben nur f a s t.
Jetzt hieß es instinktiv nur noch, nicht mehr nachdenken, sondern schnellstens die Sache hinter sich bringen. Die allererste Achterbahnfahrt des Tages gehörte uns drei „Männern“, denn was meine allerbeste Lebensgefährtin war, so konnte diese zwar Kinder gebären, aber nicht mit der Achterbahn fahren. Mein Verhängnis war wahrscheinlich auch noch, dass wir die erste Fahrt an diesem Tag waren und somit bisher noch keine andere live vor uns beobachten konnten. Ich also hinter den beiden Supermännern Platz genommen, von einem Sicherheitsbügel auf alle Zeit fest eingeklemmt und dann unaufhaltsam in Richtung blauem Himmel gerollt.
Höhe hat mir eigentlich bisher noch nie etwas bedeutendes ausgemacht – zumindestens nicht daheim auf einer Malerleiter.
Aber wenn es immer höher geht und rechts und links keine Mauer mehr ist, sondern es in tödliche Tiefe geht – dann ist das sicher etwas ganz anderes. Fast oben angekommen, hatte sich meine unten zurückgebliebene allerbeste Lebensgefährtin auf Hosentaschengröße verkleinert und ich sah in weiter Ferne gerade noch ihr freundliches Winken.
Dann folgte das Grauen in Person.
62 Meter hoch und dann ging es schlagartig 82 Grad (nicht Celsius, sondern im Winkel von) fast senkrecht nach unten. Ein zu diesem Zeitpunkt an mir angeschlossenes EKG-Gerät hätte höchstwahrscheinlich komplett seinen Geist aufgegeben. Die erlebte Situation ist nur noch mit dem Blick in den weit geöffneten Rachen eines sehr hungrigen Löwen zu vergleichen. Nach ca. 2-3 Minuten war der Höllenritt nach weiteren Extremen endlich vorbei und alle drei Männer wieder am Boden der Tatsache angekommen. Wie auch immer ich äußerlich ausgesehen habe, die beiden jungen Einzelkämpfer waren auch noch einige Zeit danach recht sprachlos zu hören.
Ich kann jedem Vater eines Sohnes oder auch einer Tochter nur raten, diese Achterbahn wenigstens einmal zu fahren. Die dadurch errungene Achtung des Nachwuchses jeglichen Alters vor dem Herkules von einem Vater kann gleich mal einige Jahre bestand haben.
Bloß ich weiß eines mit Bestimmtheit von mir persönlich sagen zu können – noch einmal tue ich mir diese Tortour ganz bestimmt nicht an und wenn sich mein Junior für alle Zeit von mir lossagen wird.