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1. Die Heimat des jungen Wolfes

Vor langer, langer Zeit lebte in unserem Land ein Rudel Wölfe. Zählte man alle Wölfe dieses Rudels, waren es ungefähr 28. Doch manchmal waren es mehr und manchmal auch weniger. Das lag meistens daran, dass die Jüngeren unter ihnen von heute auf morgen aufbrachen und erst nach drei oder vier Tagen zurückkehrten. Einige blieben sogar für mehrere Wochen weg. Und wenn sie zurückkamen, erzählten sie von den Bauernhöfen, von den Dörfern der Menschen oder den neuen Straßen, die sie entdeckt hatten. Aber manchmal wollten sie auch nur Abenteuer erleben. So kam es, dass nach und nach jeder im Rudel die nähere und weitere Umgebung sehr gut kannte. Hatte einer der Wölfe mal etwas Neues entdeckt, so wurde es gleich dem Rat der Alten mitgeteilt. Der wiederum sorgte dafür, dass es auch in der Wolfsschule den Wolfskindern erzählt wurde. So hatten sie über die vielen Jahre herausgefunden, dass ihr Wolfsgebiet im Norden von einem großen Meer begrenzt war, im Osten, wo die Sonne jeden Morgen aufgeht, sich ein großes Gebirge mit tiefen, dunklen Wäldern erstreckte und im Westen man einen breiten und tiefen Fluss durchschwimmen musste, wenn man zu einem anderen Wolfsrudel gelangen wollte. Nicht so gerne sprachen die Wölfe über die Begrenzung ihres Rudelgebietes im Süden. Gefährlich sei es dort, wie die alten Wölfe immer warnten, sie rieten den Jüngeren, zumindest beim ersten Mal nur in Begleitung eines älteren und kundigen Wolfes sich dorthin aufzumachen. Dort hatten nämlich die Menschen in den vergangenen Jahren eine mehrspurige Eisenbahnstrecke gebaut und ziemlich nah daran auch noch eine Autobahn. Beides sollte helfen, die Menschen noch schneller von Köln nach Berlin oder von Berlin nach Köln zu bringen. So gut dies für die Menschen war, so schlecht war es für die Wölfe.

Unter den Wölfen im ganzen Land war es üblich, dass jedes Wolfsrudel einen Rat der Alten besaß. In der Regel setzte sich dieser Rat aus mindestens fünf, manchmal auch aus sieben Wölfen zusammen, je nachdem, wie groß das Rudel war. Viele wichtige Entscheidungen für das Leben der Wölfe wurden von ihm getroffen. Die wichtigste Aufgabe des Rates war jedoch, den Leitwolf für das gesamte Rudel zu wählen. Nur kluge und tapfere Wölfe konnten in diesen Rat gewählt werden, und es war eine große Ehre für jede Wolfsfamilie, wenn eines ihrer Familienmitglieder im Rat der Alten vertreten war.

Aber da waren nicht nur Wolfsmänner, die zur Wahl standen. Es gab auch manche Wolfsfrauen, die gewählt wurden. Was die Wolfsmänner an großem Mut und Tapferkeit mitbrachten, wurde von den Wolfsfrauen durch Liebenswürdigkeit und Großzügigkeit ausgeglichen und ergänzt. Und es ist kein Geheimnis, dass manchmal die Frauen unter den Wölfen auch die Klügeren waren.

Das größte Ansehen jedoch besaß die Familie, aus deren Mitte der Leitwolf kam. Er, der Leitwolf, war „der Wolf“. So wurde er immer genannt und es versteht sich von ganz allein, wenn dieser einer der klügsten und tapfersten Wölfe des ganzen Rudels war. Er besaß das Vertrauen aller im Rudel. So wie man in alten Märchen früher erzählte, der König kommt, so hieß es bei den Wölfen: Der Wolf kommt. Alle anderen des Rudels gehorchten ihm gern und in Treue. Sie waren stolz, wenn sie an der Seite eines großen und klugen Leitwolfes dienen, auf die Jagd gehen oder vielleicht sogar das eigene Rudel gegen böse Angreifer verteidigen durften. Und die ganz alten und greisen Wölfe und die anderen, die krank und schwach waren, konnten sich immer darauf verlassen, dass der Leitwolf sie beschützen und sogar sein Leben für sie geben würde.

So war es auch bei den Wölfen in unserer Geschichte. Über viele, viele Jahre und über viele Wolfsgenerationen hinweg kam der Leitwolf immer nur aus einer und derselben Familie. Inzwischen hatte diese Familie auch über die Landesgrenzen hinweg bei allen Wolfsrudeln den Ruf, eine der klügsten Wolfsfamilien zu sein. Nie hatte sich ein Mitglied des Rates der Alten darüber beklagt, dass diese Familie vielleicht bevorzugt behandelt worden wäre. Nein, ganz im Gegenteil, immer wurden die Leitwölfe einstimmig gewählt.


Das Wolfsrudel lebte in Frieden, zu fressen war meist ausreichend vorhanden und den Bauern, die in der Nähe ihre Höfe hatten und ihre Felder bestellten, konnte man meistens aus dem Wege gehen. Wenn mal hier oder da einem Bauern ein Huhn oder eine Gans fehlte, fiel das nicht weiter auf die Wölfe zurück - es konnte ja auch ein Fuchs gewesen sein. Und wenn ein Schaf auf der Weide gerissen wurde, dann vermuteten die Bauern eher, dass wieder mal ein hungriger Bär aus den nahen Bergen gekommen war. Allerdings, wenn mal mehrere Schafe oder sogar Ziegen und Rinder angegriffen worden waren, dann konnte es auch für die Wölfe sehr gefährlich werden. Dann nahmen nämlich die Bauern ihre Gewehre und versuchten, die Wölfe zu vertreiben oder sogar zu töten.

Emma der Wolf

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