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3. Die Urgroßmutter des jungen Wolfes weiß Rat

»Ich kann gar nicht verstehen, dass ihr eurem eigenen Sohn so wenig zutraut«, empörte sich die Urgroßmutter des jungen Wolfes mit zittriger Stimme und man merkte ihr die Enttäuschung an. »Glaubt ihr wirklich, euer Sohn könnte nicht Leitwolf werden?«

Die Eltern des jungen Wolfes saßen in Urgroßmutters Wohnzimmer. Sie hatte Kaffee aufgesetzt und auf dem Tisch stand eine Flasche Kirschlikör. Diese hatte der Leitwolf als kleines Geschenk mitgebracht. Alle in der Familie wussten von Urgroßmutters Vorliebe für diesen selbstgemachten Likör. Auf dem Weg zu Urgroßmutter hatten sie kaum miteinander gesprochen. Nur einmal hatte der Wolf zu seiner Frau gesagt, dass er alles tun würde, damit sein Sohn genauso wie er und sein Vater und sein Großvater und alle vor ihm in der Familie Leitwolf werden könnte.

»Wisst ihr eigentlich, dass er der klügste Wolfsjunge weit und breit ist. Keiner der anderen Wölfe in seinem Alter kennt die Stimmen der Vögel im Wald so gut wie er«, und mit glänzenden Augen fügte Urgroßmutter hinzu: »Ich kenne niemanden, der aus dem Schlagen der Drossel, dem Hämmern des Spechtes oder dem Geschrei der Elster heraushören kann, ob für die Tiere im Wald Gefahr droht oder ob nur harmlose Wanderer des Weges kommen.«Und je mehr sie erzählte, desto größer wurde ihre Begeisterung. »Stellt euch nur vor, als wir in der letzten Vollmondnacht gemeinsam auf Spurensuche waren, hat euer Sohn auf Anhieb von achtzehn verschiedenen Fährten alle Tiere beim Namen nennen können, die diese Spuren zurückgelassen hatten.«

»Sicher, er ist bestimmt nicht dumm«, lenkte nun der Vater des jungen Wolfes vorsichtig ein. »Er hat schon so viele Bücher gelesen wie wohl keiner der Wölfe, die im Rat der Alten vertreten sind.«

»Aber warum spielt er nicht mit den anderen Wölfen aus seiner Klasse? Warum übt er nicht das Jagen mit ihnen? Oder warum rennt er nicht mit ihnen um die Wette?«, fragte die Frau des Leitwolfes und wischte sich ein paar Tränen aus den Augen, denn sie war im Augenblick sehr traurig und unglücklich.


Nach einer ganzen Weile der Stille setzte sich Urgroßmutter mit an den Tisch. Die Tassen waren inzwischen mit frischem Kaffee gefüllt. Natürlich spürte auch sie die Sorge der beiden um ihren Sohn. Behutsam legte sie ihre schon sehr grauen Läufe um deren Schultern und sagte mit einer warmen und liebevollen Stimme: »Gebt mir ein paar Tage Zeit, ich werde zu meiner alten Freundin gehen, die im Osten jenseits der großen Berge lebt. Von ihr, dieser überaus klugen und weisen Frau, habe ich euch schon früher berichtet. Mit ihr werde ich über euren Sohn sprechen. Sie wird sicher Rat wissen.«

Und dann erzählte Urgroßmutter weiter, dass ihre Freundin schon als kleines Wolfsmädchen von ihrer Mutter gelernt hätte, Heilkräuter zu sammeln und daraus Medizin zu kochen und Salben zu bereiten. Deswegen hätte man ihr schon in jungen Jahren den Namen „Holunderfee“ verliehen. Holunder war nämlich ihre Lieblingspflanze.

»Sie ist die Einzige in diesem Land, die die Heilkräfte aller Kräuter kennt. Sogar Bärenmütter, die ja nicht gerade die Wölfe zu ihren Freunden zählen, hatten sie schon um Medizin für ihre kranken Bärenbabys gebeten«, erzählte sie weiter und ihre Augen leuchteten dabei.

Auch berichtete Urgroßmutter, dass ihre Freundin Holunderfee schon vielen alten Leitwölfen aus fernen Ländern helfen konnte. Diese waren nämlich gekommen, weil sie nicht mehr so gut hören konnten, das Licht ihrer Augen trüber geworden war oder weil sie sich nicht mehr auf ihre Nase verlassen konnten.

»Aber Urgroßmutter, unser Sohn ist doch nicht krank, so dass ihm irgendeine Medizin helfen könnte«, wandte der Vater des jungen Wolfes energisch ein. »Du sagtest selbst einmal, er könne laufen wie ein Reh, Haken schlagen wie ein Hase und schleichen wie eine Katze.« Und nach einer kurzen Pause, wobei seine Stimme erheblich leiser und nachdenklicher wurde, fügte er hinzu: »Und doch, irgendetwas fehlt ihm, um einmal ein großer Leitwolf zu werden.«

Wolf war ratlos und seine sonst so hellen und wachen Augen schauten ganz traurig.

Da stand Urgroßmutter auf und sagte mit fester Stimme: »Ihr habt keinen Grund, traurig zu sein oder Trübsal zu blasen. Euer Sohn ist ein kluger und guter Junge. Er wird mit Sicherheit eines Tages ein großer und berühmter Leitwolf sein.« Dann ging sie zum großen Schrank, holte ihre Reisetasche hervor und sagte mit klarer Stimme: »Morgen früh breche ich zu Holunderfee auf und in etwa zehn Tagen werde ich zurück sein. Dann werde ich euch berichten, was wir beide überlegt haben und wie wir euch helfen können.«


Emma der Wolf

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