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Vorwort

Dass «Geld allein» den Menschen nicht glücklich macht, weiß schon der Volksmund zu berichten. Auch dass das verfügbare Einkommen eine große Rolle für das Glücksempfinden oder zumindest die Zufriedenheit der Menschen spielt, ist bekannt. Mangel an Geld zur Deckung der Grundbedürfnisse verursacht Stress und macht unglücklich. Nicht einfach zu erklären ist, dass die Menschen in modernen Gesellschaften trotz über Jahrzehnte stetig gestiegener Einkommen und besserer Sozialindikatoren (u. a. Lebenserwartung, Gesundheit, Ausbildung) im Großen und Ganzen skeptischer, misstrauischer und diffus pessimistischer sind denn je. Skeptisch sind sie insbesondere denen gegenüber, deren Aktivitäten maßgeblich zum Wirtschaftswachstum und den dadurch möglichen größeren individuellen Wahlmöglichkeiten beigetragen haben – Unternehmen und deren Führungspersonal.

Etwas lief falsch, was mit «Geld allein» nicht erklärbar ist, sondern mit den Begleitumständen, unter denen Wirtschaftswachstum und Einkommenserhöhung zustande kommen, sowie mit enttäuschten Erwartungen der Menschen über den Preis, der für «mehr Geld» anfiel. Der destruktive Umgang mit den natürlichen Ressourcen dieser Erde, die als unfair empfundene Verteilung geschaffenen Mehrwerts sowie der Umgang mit Menschen und ihren seelischen Bedürfnissen sind hier von Bedeutung. Was den menschlichen Preis der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte angeht, so sprechen die Zunahme an Depressionen und dem Burn-out-Syndrom eine deutliche Sprache.1

Die Zunahme an seelischen Krankheiten wäre allein schon Grund genug, sich Gedanken über den Status quo und Voraussetzungen für menschliches Glück zu machen. Die heute lebenden Menschen stehen jedoch, so sah das die internationale Gemeinschaft im September 2015, zusätzlich vor Herausforderungen, die weit über die Vernachlässigung individueller seelischer Bedürfnisse hinausgehen:

«Milliarden unserer Bürger leben nach wie vor in Armut, und ein Leben in Würde wird ihnen verwehrt. Die Ungleichheiten innerhalb der Länder und zwischen ihnen nehmen zu. Es bestehen enorme Unterschiede der Chancen, des Reichtums und der Macht. Geschlechterungleichheit stellt nach wie vor eine der größten Herausforderungen dar. Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, ist ein erhebliches Problem. Weltweite Gesundheitsgefahren, häufiger auftretende und an Intensität zunehmende Naturkatastrophen, eskalierende Konflikte, gewalttätiger Extremismus, Terrorismus und damit zusammenhängende humanitäre Krisen und die Vertreibung von Menschen drohen einen Großteil der in den letzten Jahrzehnten erzielten Entwicklungsfortschritte zunichte zu machen. Die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und die nachteiligen Auswirkungen der Umweltzerstörung, darunter Wüstenbildung, Dürre, Landverödung, Süßwasserknappheit und Verlust der Biodiversität, haben eine immer länger werdende Liste sich verschärfender Menschheitsprobleme zur Folge. Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, und seine nachteiligen Auswirkungen untergraben die Fähigkeit aller Länder, eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Der globale Temperaturanstieg, der Anstieg des Meeresspiegels, die Versauerung der Ozeane und andere Auswirkungen des Klimawandels haben schwerwiegende Folgen für die Küstengebiete und für tiefliegende Küstenstaaten, darunter viele der am wenigsten entwickelten Länder und kleinen Inseln. Das Überleben vieler Gesellschaften und der biologischen Unterstützungssysteme der Erde ist in Gefahr.»2

Um die schon heute bestehenden Probleme zu lösen und absehbaren Verschlechterungen bei überlebenswichtigen Umwelt- und Sozialindikatoren entgegen zu wirken, zeigten sich die Teilnehmer der Generalversammlung einstimmig «entschlossen, die kühnen und transformativen Schritte zu unternehmen, die dringend notwendig sind, um die Welt auf den Pfad der Nachhaltigkeit und der Widerstandsfähigkeit zu bringen und […] auf dieser gemeinsamen Reise, die wir heute antreten, niemanden zurückzulassen.» Weiterhin zeigte man sich «entschlossen»3,

• Armut und Hunger in allen ihren Formen und Dimensionen ein Ende zu setzen und sicherzustellen, dass alle Menschen ihr Potenzial in Würde und Gleichheit und in einer gesunden Umwelt voll entfalten können;

• den Planeten vor Schädigung zu schützen, unter anderem durch nachhaltigen Konsum und nachhaltige Produktion, die nachhaltige Bewirtschaftung seiner natürlichen Ressourcen und durch umgehende Maßnahmen gegen den Klimawandel, damit die Erde die Bedürfnisse der heutigen und der kommenden Generationen decken kann;

• dafür zu sorgen, dass alle Menschen ein von Wohlstand geprägtes und erfülltes Leben genießen können und dass sich der wirtschaftliche, soziale und technische Fortschritt in Harmonie mit der Natur vollzieht;

• friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften zu fördern, die frei von Furcht und Gewalt sind. Ohne Frieden kann es keine nachhaltige Entwicklung geben und ohne nachhaltige Entwicklung keinen Frieden;

• die für die Umsetzung dieser Agenda benötigten Mittel durch eine mit neuem Leben erfüllte Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung zu mobilisieren, die auf einem Geist verstärkter globaler Solidarität gründet, insbesondere auf die Bedürfnisse der Ärmsten und Schwächsten ausgerichtet ist und an der sich alle Länder, alle Interessenträger und alle Menschen beteiligen.

Die Teilnehmer der UNO Generalversammlung erklärten einstimmig, dass die Erreichung dieser ambitionierten Ziele mit einem «Weiter so» nicht vereinbar sei und es eines neuen Ansatzes bedürfe (Artikel 13). Zur Bewältigung von Problemen der vorliegenden Dimension und Komplexität müssen alle gesellschaftlichen Akteure ihren Beitrag leisten – auch die Unternehmen mit ihren hohen Organisations-, Kreativitäts- und Innovationspotentialen.

Großer internationaler Konsens besteht auch darüber, dass «business as usual» verheerend wäre – oder, um es wie Albert Einstein zu sagen, man kann Probleme nicht mit denselben Denkweisen lösen, durch die sie entstanden sind. Im vorliegenden Zusammenhang geht es insbesondere um die Denkstrukturen derjenigen, die Führungsverantwortung in Unternehmen inne haben, denn diese filtern aus der unendlichen Anzahl möglicher Handlungsweisen diejenigen heraus, die sie für legitim halten. Das bedeutet nicht, dass nicht auch eine veränderte Geisteshaltung politischer, zivilgesellschaftlicher und anderer Verantwortungsträger notwendig ist. Die Führungsverantwortlichen von Unternehmen stehen hier jedoch im Vordergrund, weil sie anerkannt hohe Organisations-, Kreativitäts- und Innovationspotentiale haben, deren Realisierung größte Bedeutung für eine nachhaltige, menschenfreundliche Entwicklung hat.

Wenn es um neue Denkstrukturen der Menschen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft geht, lohnt sich oft auch ein Rückgriff auf bereits bestehendes, aber in der Öffentlichkeit etwas in Vergessenheit geratenes Gedankengut: beispielsweise das des großen deutsch-amerikanischen Philosophen und Psychoanalytikers Erich Fromm. Erich Fromm kommt das große Verdienst zu, wirtschaftliches Geschehen und die Menschen, deren Entscheidungen und Unterlassungen dieses gestalten, aus einer völlig anderen Perspektive zu betrachten, als dies die Curricula etablierter Business Schools tun: aus Sicht der Psychoanalyse und im Blick auf die Persönlichkeitsstruktur. Das mag Betriebswirtschaftler und puristische Ökonomen irritieren oder gar belustigen. Wer jedoch beim Diskurs über die normative Richtigkeit geschäftlichen Handelns den Faktor Mensch außen vor lässt, macht das, was Jakob Burckhardt «simplification terrible» nannte.

Wir sind alle Kinder unserer Zeit, geprägt von unserer spezifischen Werte-Sozialisation, den historischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen wir heranwuchsen und leben sowie den Erfahrungen, die wir machten. Wissen und intellektuelle Substanz aus einer anderen Zeit muss daher im Lichte ihres Entstehungskontextes verstanden und auf seine Aussagekraft für die gegenwärtige Lebenswelt geprüft werden.

Das gilt natürlich nicht nur für Erich Fromm, sondern für alle großen Denker der Menschheitsgeschichte – von Platon und Konfuzius bis zu den heute relevanten Intellektuellen. Und in einem so umfassenden Werk wie dem Erich Fromms steht vieles, das in einer verkürzten Behandlung aus dem Zusammenhang gerissen und missverstanden werden kann.

Um die Bedeutung der Erkenntnisse Erich Fromms für die moderne Gesellschaft würdigen zu können, muss man sich einerseits auf seine Begriffsdefinitionen, den gesellschaftspolitischen Kontext seines Denkens und den historischen Kontext einlassen, in dem sie entstanden sind. Andererseits muss man versuchen, das heraus zu destillieren, was an Substanz über die damaligen historischen und politischen Umstände hinaus für heutiges Handeln bedeutsam ist.

Eine solche Arbeit – das muss der Transparenz und Wahrhaftigkeit wegen klar gemacht werden – hat immer subjektiven Charakter. Die von mir bewusst gesuchte Nähe meines Buchtitels zu Erich Fromms wohl bekanntestem4 Werk «Die Kunst des Liebens» soll darauf hinweisen, dass meine Empfehlungen vom Gedankengut Erich Fromms inspiriert sind. Sie sind jedoch geprägt von meinen persönlichen Werturteilen und meiner Lebenserfahrung.5 Ebenso wahr ist, dass die verkürzte Darstellung von Gedanken aus einem so komplexen Lebenswerk wie dem Erich Fromms immer ihren Preis hat – ob der hier bezahlte angemessen ist, mögen andere beurteilen.

Angeregt zu dieser Arbeit wurde ich von Karl Schlecht, dem Stifter und Vorstandsvorsitzenden der Karl Schlecht Stiftung,6 der sich in hohem Maße um das geistige Vermächtnis Erich Fromms verdient macht, indem er seit 2012 die mehr als vierzigjährige Arbeit des von Erich Fromm eingesetzten Nachlassverwalters und Psychoanalytikers Rainer Funk fördert – zuletzt durch die gemeinsame Gründung der Erich Fromm Stiftung und des Erich Fromm Instituts in Tübingen. So wird sichergestellt, dass die intellektuelle und ethisch fundierte Hinterlassenschaft Erich Fromms und die Anwendung seines Wissens für Führungspersönlichkeiten generationenübergreifend bewahrt, weiterentwickelt und verbreitet wird.

Klaus M. Leisinger

Basel, im Herbst 2017

1 Siehe Rebscher, H. (Hrsg.) (2016): 36. Dort heißt es: «Die gestiegene Bedeutung von psychischen Erkrankungen hat die DAK-Gesundheit bereits mit Sonderanalysen in den Gesundheitsreports 2002, 2005 und 2013 berücksichtigt. Im Jahr 2015 gingen 16,2 Prozent aller Fehltage auf das Konto von psychischen Erkrankungen. Diese Erkrankungsgruppe lag damit auf Platz 3 bei den Ursachen für Fehlzeiten.»

2 Vereinte Nationen (2015): Art. 15.

3 Vereinte Nationen (2015): Art. 15.

4 Neben dem 20 Jahre später erschienenen Haben oder Sein war Die Kunst des Liebens ein weltweiter Bestseller.

5 Menschen nehmen die Welt um sich herum durch einen subjektiven Filter wahr. Es wird hauptsächlich im zustimmenden Sinne zur Kenntnis genommen, was mit den persönlichen Werturteilen, den eigenen Ansichten über «Gott und die Welt» und als Folge von in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen vereinbar ist. Die gleichen Faktoren bestimmen auch die Struktur unserer Handlungsweisen. Ich bin auf meine Werturteile und axiomatischen Annahmen eingegangen in: Leisinger, K. M. (2009): 3–23. Für Erich Fromm hängen das Glück und die seelische Gesundheit eines Menschen von der Gültigkeit der gefällten Werturteile ab.

6 Siehe www.ksfn.de/die-stiftung.html.

Die Kunst der verantwortungsvollen Führung

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