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3. Jüdische Auswanderung oder proarabische Parteinahme: Die schleichende Prioritätenverschiebung auf deutscher Seite

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Die Außenpolitik des Dritten Reiches war nach 1933 zunächst von Leitgedanken geprägt, die keinesfalls im arabischen Interesse lagen. Da war zum einen der Wunsch nach ungehinderter Aufrüstung. Dieser implizierte, jedem ernsthaften Konflikt mit Großbritannien aus dem Weg zu gehen und eher ein Bündnis mit der Großmacht zu suchen. Und da war zum zweiten die Absicht, möglichst viele deutsche Juden möglichst schnell ‚loszuwerden‘. Auch dies beinhaltete, daß ein beträchtlicher Teil dieser Vertriebenen Palästina als neue Heimat ansteuern, den Jischuw also verstärken werde. Diese ureigensten Interessen des NS-Regimes nahmen keine Rücksicht auf arabische Wünsche und verhinderten einen unmittelbaren Schulterschluß. Gleichwohl blieb dieses anfängliche Mißverhältnis keineswegs konstant; vielmehr ist eine schleichende Prioritätenverschiebung auf deutscher Seite festzustellen. Denn die ursprünglich verschmähte Liebe sollte sich spätestens 1941 in eine völlige Harmonie der Interessen verwandeln.

Das am 25. August 1933 vereinbarte Haavara-(Transfer-)Abkommen zwischen der Anglo-Palestine Bank und dem Reichswirtschaftsministerium war der Versuch zweier höchst ungleicher Partner, aus ihren jeweiligen Problemen wechselseitigen Nutzen zu ziehen. Das Dritte Reich sah sich damals vor einer weltweit anlaufenden Boykottkampagne mit möglichen ruinösen Folgen für die Außenhandelsbilanz. Die Juden Palästinas waren damit konfrontiert, daß die britischen Mandatsbehörden jährlich nur eine bestimmte Zahl von Einwanderern zuließ, die nach der wirtschaftlichen Aufnahmefähigkeit des Landes festgesetzt wurde; lediglich Juden, die ein Vermögen von mindestens 1000 Pfund Sterling mitbrachten, stand darüber hinaus der Zugang offen. Um dieses Vorzeigegeld – auch „Kapitalistenzertifikat“ genannt – aufzubringen, wurde folgendes System vereinbart: Die Auswanderer überschrieben ihr liquides Vermögen in Deutschland einer Treuhandstelle. Diese wiederum stellte ihnen die für dieses Zertifikat erforderlichen Devisen zur Verfügung. Den Vermögensrest verwendete man zur Finanzierung des Exports deutscher Waren nach Palästina. Nach der Ankunft im Land erhielten die Emigranten dann nach Abzug von Reichsfluchtsteuer sowie weiteren Veräußerungsverlusten eine Teilkompensation ihres Guthabens. Das Dritte Reich zog daraus den Vorteil, daß Juden zum Verlassen Deutschlands bewegt und deutsche Waren ins Ausland verkauft werden konnten. Die jüdische Seite konnte für sich festhalten, jüdisches Kapital gerettet zu haben, ohne daß die Deutschen dafür einen Gegenwert in Form von Devisen erhalten hatten. Auf der Basis dieses Abkommens verließen in der Folgezeit etwa 20 000 wohlhabende Juden – 37 Prozent aller deutschen Juden, die nach Palästina auswanderten – ihre bisherige Heimat mit einem Teil ihres Vermögens.1

Der Araberaufstand ließ Zweifel am Nutzen des Vertrages entstehen. „Wir haben wenig getan, um die Sympathie, welche die Araber für das neue Deutschland hegen, zu stärken und zu erhalten und haben die Gefahr außer Acht gelassen, daß die Araber durch unsere Mithilfe an dem Aufbau des jüdischen Nationalheims und der jüdischen Wirtschaft zu unseren Gegnern werden können“, warnte Generalkonsul Doehle bereits im März 1937.2 Diese Sorge sollte sich zwar als unbegründet erweisen; sie demonstriert jedoch, daß die Araber inzwischen eine Rolle im deutschen Kalkül spielten. Als im Sommer dieses Jahres die ersten Nachrichten über den Teilungsplan der Peel-Kommission durchsickerten, schrillten in Berlin jedoch die Alarmglocken. Außenminister von Neurath stellte das Haavara-Abkommen zur Disposition und gab folgende Sprachregelung aus: „1) Bildung eines Judenstaates oder jüdisch geleiteten Staatsgebildes unter britischer Mandatshoheit liegt nicht im deutschen Interesse, da ein Palästina-Staat das Weltjudentum nicht absorbieren, sondern zusätzliche völkerrechtliche Machtbasis für internationales Judentum schaffen würde wie Vatikan-Staat für politischen Katholizismus oder Moskau für Komintern. 2) Es besteht daher ein deutsches Interesse an Stärkung des Arabertums als Gegengewicht gegen etwaigen solchen Machtzuwachs des Judentums.“3 Das bedeutete zwar noch keine materielle Unterstützung, wies aber in die künftige Richtung. Zugleich begann man sich verstärkt mit dem Nahen und Mittleren Osten zu beschäftigen.4

Während das Reichswirtschaftsministerium und das Nahostreferat des Auswärtigen Amtes am Haavara-Abkommen festhielten, setzte die NSDAP-Auslandsorganisation ihren längst begonnenen Kampf dagegen fort, da es – so das neue Argument – „die Errichtung eines jüdischen Nationalstaates mit Hilfe von deutschem Kapital erleichtert“.5 Das Referat Deutschland im Auswärtigen Amt teilte diesen Standpunkt und sprach sich für eine „Förderung des eigenen jüdischen Auswanderungsdranges […] durch eine Verschärfung der innenpolitischen Judengesetzgebung“ aus.6 Erst als Hitler persönlich Anfang 1938 entschied, „daß die Judenauswanderung aus Deutschland weiterhin mit allen Mitteln gefördert werden soll“ und auch Palästina Zielland bleibe,7 war der Streit beendet. Daß jedoch Grobba in Bagdad und Doehle in Jerusalem im Juni 1937 die Weisung erhielten, „das deutsche Interesse für die arabischen nationalen Bestrebungen deutlicher als bisher zu bekunden“, unterstreicht das wachsende Gewicht, das der ‚arabischen Sache‘ nunmehr aus der Sicht des Dritten Reiches zukam.8

Das Interesse des SD-Hauptamtes an Palästina war gleichfalls geprägt von der Perspektive als wichtiges Auswanderungsziel für deutsche Juden, dessen Bedeutung sich aus der restriktiven Immigrationspolitik der meisten Staaten Europas und Nordamerikas ableitete. Die vom SD anvisierte totale Vertreibung implizierte die Duldung der in Deutschland tätigen zionistischen Organisationen, welche im Gegensatz zu den assimilatorisch ausgerichteten jüdischen Gruppierungen ihre Arbeit weitestgehend ungehindert fortsetzen konnten.9 Denn die Kehrseite der durch die Nürnberger Gesetze forcierten Segregation bildete die „Förderung der zionistischen Abwanderung der Juden aus Deutschland mit allen Mitteln“.10 Selbst als 1937 angesichts des britischen Teilungsplanes innerhalb von Ministerien und NSDAP erbittert über das Haavara-Abkommen gestritten wurde, machte das SD-Judenreferat folgenden Vorschlag: „Auf die Reichsvertretung der Juden in Deutschland wird ein Druck dahingehend ausgeübt, daß sie die aus Deutschland auswandernden Juden verpflichten [sic], ausschließlich nach Palästina, nicht aber in irgendein anderes Land zu gehen. Eine solche Maßnahme liegt durchaus im deutschen Interesse und wird bereits durch Maßnahmen des Gestapa vorbereitet.“11

Auch als Anfang 1939 das von Eichmann in Wien entwickelte Konzept der forcierten Vertreibung durch die Gründung der „Reichszentrale für die jüdische Auswanderung“ auf das Altreich ausgedehnt wurde, blieb Palästina als Zielland deutscher Juden im Blick. In ihrer ersten Arbeitsbesprechung am 11. Februar 1939 gab Heydrich sogar die illegale Auswanderung dorthin frei: „Er führte aus, daß an sich zwar grundsätzlich gegen jede illegale Auswanderung Stellung genommen werden müßte. Bei Palästina lägen die Dinge jedoch so, daß dorthin bereits z. Zt. aus vielen anderen europäischen Ländern, die selbst nur Durchgangsländer wären, illegale Transporte gingen und unter diesen Umständen auch von Deutschland, allerdings ohne jede amtliche Beteiligung, diese Gelegenheit wahrgenommen werden könnte.“12 Diese Linie wurde von Gestapo und SD auch während der ersten beiden Kriegsjahre weiterverfolgt.13

In Palästina selbst war für das SD-Judenreferat Dr. Franz Reichert, der Vertreter des Deutschen Nachrichtenbüros in Jerusalem, tätig.14 Er lieferte Berichte über die allgemeine Lage im Land nach Berlin und stand spätestens seit 1937 auch in nachrichtendienstlicher Verbindung zum Mufti von Jerusalem.15 Als Ende September des Jahres Herbert Hagen und Adolf Eichmann vom Judenreferat zu einer Nahostreise aufbrachen, um die Lage vor Ort zu inspizieren, sollte dieser ihnen den Kontakt zu el-Husseini herstellen. „Dr. Reichert wird ein Zusammentreffen mit dem Emir Abdulah [sic] und dem Mufti von Jerusalem sowie mit anderen arabischen Politikern verschaffen“, meldete Eichmann im Vorfeld.16 Die geplante Aussprache fand jedoch nicht statt, da die beiden SD-Emissäre wegen der am 15. Oktober erneut ausgebrochenen Unruhen in Palästina kein Visum erhielten. Eichmann und Hagen konnten jedoch berichten, daß der „gewöhnliche Araber […] schon beim Hören des Namens Hitler aufhorcht und sich in Freudenausbrüchen ergeht“. Außerdem konnten sie voller Sympathie mitteilen, „daß alle arabisch-regierten Länder über Syrien Gelder nach Palästina fließen lassen und auch Waffen hinüberschmuggeln, um den Sieg der dortigen Araber über Juden und Engländer zu ermöglichen“.17 Auch im SD-Judenreferat nahm also die proarabische Parteinahme zu.

Die außenpolitische Option Hitlers, der zufolge der Wunsch nach Verständigung oder gar einem Bündnis mit Großbritannien einen roten Faden bis Ende der 1930er Jahre bildete, hemmte zunächst ebenfalls deutsches Engagement in Palästina. Demnach fiel dem Empire eine Schlüsselrolle zu, da es für Hitler den Platz eines natürlichen Partners einnahm, während Frankreich als ewiger Todfeind und Italien als gegebener Bundesgenosse galten.18 Das Dritte Reich zeigte sich bereit, die Rolle des United Kingdom als führende maritime Macht zu respektieren und verkündete sogar eine Revision der den Interessen Großbritanniens diametral entgegengesetzten wilhelminischen Weltpolitik. Höhepunkt dieser von 1933 bis 1937 währenden Phase des Strebens nach einer Allianz mit dem Königreich war das deutsch-britische Flottenabkommen vom 18. Juni 1935. Im Gegenzug erwartete das Dritte Reich allerdings stets die Anerkennung einer deutschen Vormachtrolle auf dem Kontinent. Dabei blieb es auch während der sukzessiven Annäherung zwischen Deutschland und Italien.19

Wünsche nach deutschen Waffenlieferungen für den Araberaufstand in Palästina wurden deshalb anfangs kühl abgelehnt. „Ich erklärte ihm, daß wir mit England in guten Beziehungen zu leben wünschten und daher trotz aller Sympathien für die Araber einen gegen England gerichteten Aufstand nicht unterstützen könnten“, beschied Grobba im Dezember 1936 Fauzi el-Kawukschi, den Abgesandten des Mufti. „Er erwiderte, daß der Aufstand ja letzten Endes nicht gegen die Engländer gerichtet sei, mit denen die Araber immer befreundet gewesen seien, sondern gegen die Juden in Palästina, unter denen sich viele Kommunisten befänden.“ Doch auch diese Argumentation verfing nicht. „Ich entgegnete ihm, daß die Kämpfe doch gegen die Engländer geführt werden sollten, und daß wir da nicht mittun könnten“, bekam er vom deutschen Botschafter in Bagdad zu hören.20 Auf die Offerte des Mufti im Sommer 1937 reagierte man in Berlin gleichfalls reserviert. Vom „Entschluß, das Arabertum mit Geld und Waffen zu unterstützen“, so Legationsrat Schumburg aus dem Referat Deutschland des Auswärtigen Amtes, sei „mit Rücksicht auf die Entwicklung des deutsch-englischen Verhältnisses […] abzusehen“.21 Und Vizekonsul Dittmann in Jerusalem ließ el-Husseini ungerührt mitteilen, daß der Besuch seines Vertrauensmannes „in Berlin verfrüht erscheint“.22

Allerdings muß spätestens 1938 ein radikaler Wandel dieser Haltung erfolgt sein. Denn eine auf den 18. Juni 1939 datierte „Vortragsnotiz f. Admiral C.“ – also für Wilhelm Canaris, den Chef des Amtes Ausland/Abwehr – formulierte unzweideutig: „Der Groß-Mufti hat mir durch seinen Verbindungsmann zu uns seinen aufrichtigen Dank für die ihm bisher geleistete Unterstützung aussprechen lassen. Nur durch die ihm von uns gewährten Geldmittel war es ihm möglich, den Aufstand in Palästina durchzuführen.“ Der Autor – aus dem ungezeichneten Text geht hervor, daß es sich um Oberst Hans Piekenbrock, den Leiter der für militärische Auslandsspionage zuständigen Amtsgruppe I der Abwehr, gehandelt haben muß – befand, die Rebellion sei im Niedergang begriffen und eine weitere Unterstützung des Mufti „deshalb unangebracht“. Er schlußfolgerte aber: „Es muß jedoch gewährleistet werden, daß der Aufstand im Bedarfsfall jederzeit wieder in Gang gebracht werden kann. Ich beabsichtige deshalb, die Verbindung zum Groß-Mufti weiter zu halten.“ Und er teilte mit, daß „für die Opfer des Aufstandes Mittel zur Verfügung gestellt“ würden.23 Zu diesem Zeitpunkt war also die dem Oberkommando der Wehrmacht direkt unterstehende Abwehr längst auf arabischer Seite in Palästina engagiert und positionierte sich terroristisch in einem potentiellen Feindland des kommenden Weltkriegs.

Wann dieser Wandel von der Nichtintervention zur aktiven Einmischung stattfand, läßt sich nicht exakt datieren, sondern lediglich plausibilisiert ableiten. Die deutschen Quellen bleiben hierüber unklar, und auch der Mufti sprach diesbezüglich in Rätseln: „Ich war wohl der erste, der die direkten Beziehungen zu Deutschland gesucht hat, und die Zusammenarbeit mit Deutschland schon lange Jahre vor dem Kriege zustande brachte.“24 Sicher ist, daß deutsche Waffen im arabischen Aufstand in Palästina eingesetzt wurden,25 doch bleibt dabei unklar, ob es sich um solche aus dem Ersten Weltkrieg oder welche modernen Datums handelte. Die Briten stellten nur relativ wenig Kriegsgerät aus Deutschland sicher,26 was aber gleichfalls kaum einen Rückschluß auf Zeitpunkt und Umfang der Lieferungen erlaubt. Sicher ist aber auch, daß Canaris 1938 zusammen mit Major Helmuth Groscurth, dem damaligen Leiter von Abwehr II, den Mufti in Bagdad kennenlernte und ihm seitdem freundschaftlich verbunden blieb.27 Der Admiral – in traditioneller Marinefeindschaft seit dem Ersten Weltkrieg negativ auf England fixiert – wird darin eine Chance zur Auswetzung alter Scharten gesehen haben. Den Kontakt dürfte sein alter Intimus und V-Mann Grobba – ohnehin ein vehementer Fürsprecher einer proarabischen Parteinahme – zustande gebracht haben.28

Den einzigen genauen Hinweis auf den Zeitpunkt liefert das Tagebuch von Groscurth: „Gespräch mit Gesandten Grobba aus Bagdad. Arabische Bewegung soll sofort aktiviert werden“, heißt es dort unter dem 29. August 1938.29 Interpretiert man das als Anweisung aus Berlin und nicht als Wunsch aus dem Irak, dann würde dies bedeuten, daß die Entscheidung zu finanzieller Unterstützung und wohl auch zu Waffenlieferungen während der krisenhaften Zuspitzung des deutsch-britischen Verhältnisses nach dem Anschluß Österreichs getroffen worden sein muß. Wie die berühmte Hoßbach-Niederschrift über Hitlers Ausführungen am 5. November 1937 festhält,30 hatte dieser damals beschlossen, sein Expansionsprogramm – „Eroberung neuen Lebensraumes im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung“ – nunmehr ohne England anzustreben, da ein Bündnis mit dem Königreich unter seinen Bedingungen nicht realisierbar sei. Zwar wollte Hitler seine Absichten möglichst nicht im Konflikt mit Britannien in die Tat umsetzen, doch glaubte er seinen bisherigen Erfahrungen entnehmen zu können, daß sich die Regierung in der Downing Street letztlich nicht zu aktivem Widerstand gegen den Aggressor entschließen werde. Das britische Verhalten in der Abessinienkrise 1935/36, beim Rheinlandeinmarsch 1936, im Spanischen Bürgerkrieg seit 1936 und bald darauf auch bei der Annexion Österreichs 1938 schien ihm darin recht zu geben. Die bisherige Zielsetzung ‚Freundschaft und Partnerschaft mit England‘ wurde nunmehr durch die Losung ‚Möglichst keine Gegnerschaft‘ abgelöst.31 Als Hitler seit Frühjahr 1938 Kurs auf die Zerschlagung der Tschechoslowakei nahm und er wiederum auf britische Opposition gegen seine Hegemonialpläne stieß, nutzte er den Araberaufstand in Palästina, um mögliche Einmischungsversuche in sein anstehendes Projekt zu unterbinden.

In einer Geheimkonferenz mit der militärischen Führung am 14. Juli 1938, an der unter anderem Göring, Keitel, Goebbels und Himmler teilnahmen, erklärte er, den Zeitpunkt zum Losschlagen gegen Prag so wählen zu wollen, daß Großbritannien dann stark in Palästina beschäftigt sei und deshalb kein Interesse daran habe, auch noch in Mitteleuropa in Konflikte verwickelt zu werden.32 Der anwesende Keitel dürfte diesen Gedanken als Weisung verstanden haben, die er dem unmittelbar untergebenen Canaris weitergab. Dieser wiederum beauftragte damit den dafür zuständigen Amtsgruppenleiter II, Groscurth. Seitdem kamen Waffenlieferungen der Abwehr auf dem Seeweg in den Libanon und wurden von dort mit Hilfe arabischer Fischerboote an die Küste Palästinas transportiert, um den Konflikt dort anzuheizen.33 1939, als der militärische Zusammenstoß mit Großbritannien immer wahrscheinlicher wurde, verschwanden wohl die letzten Bedenken, und als der Weltkrieg erst einmal Realität war, gab es erst recht keine mehr. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit und der Reichweite, wann er auch auf Palästina ausgreifen werde. Im August 1939, als Hauptmann Wilhelm Kohlhaas zur Abwehr II in Berlin einberufen wurde, stand das Thema längst auf der Agenda: „Die vielen Phantastereien, die auf Israel und Jerusalem zielten, konnte man durch den Hinweis auf die damalige Unerreichbarkeit des Orients für einen Lufteinsatz abdrehen“, erinnerte er sich später.34

Die schleichende Prioritätenverschiebung kam nunmehr auch in deutscher Rundfunkpropaganda in den Nahen und Mittleren Osten zum Ausdruck. Die Italiener hatten bereits im März 1934 in Vorbereitung auf den Krieg in Abessinien damit begonnen, von Radio Bari aus arabische Programme auszustrahlen, während sich das Dritte Reich aus Rücksicht auf die britischen Interessen damit noch zurückhielt.35 Obwohl es 1935 lediglich 10 000 Radiogebührenzahler in Palästina gab, war das öffentliche Abspielen von Nachrichten und Musik in arabischen Kaffeehäusern äußerst populär.36 Radio Bari stand dort bald schon hoch im Kurs; 1937 schätzte die britische Mandatsverwaltung, daß 60 Prozent aller Besitzer von Rundfunkgeräten in Palästina dessen Sendungen regelmäßig hörten, und stellte besorgt fest: „There is little doubt that the Bari broadcast enjoys wide publicity.“37 Außer Zweifel steht dabei, daß der Sender diese Beliebtheit dem rüden antibritischen Tonfall verdankte, zu dem er seit Beginn des Araberaufstandes übergegangen war.38

Im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges zog das Dritte Reich am 25. April 1939 nach. An diesem Tag ging in Zeesen südlich von Berlin der damals leistungsstärkste Kurzwellensender der Welt mit seinem arabischen Programm erstmals auf Sendung.39 Es bestand aus Musik, Lesungen aus dem Koran, Nachrichten und „Talks“ zum Tagesgeschehen, portraitierte Deutschland als mächtigen Gegner der Feinde Arabiens und zog über Juden, Briten und Franzosen her.40 Für Araber, die mit Zionisten auch nur verhandeln wollten, hatte man lediglich Spott übrig. So wurde Emir Abdallah von Transjordanien regelmäßig als „Rabbi Abdallah“ verhöhnt.41 Franz Schattenfroh war auf seiner Palästinareise kurz vor Kriegsbeginn von der Wirkung der Sendungen derart beeindruckt, daß er die Hoffnung aussprach, daß die dortigen Araber „inzwischen nicht zuletzt auch durch die deutsche Rundfunkpropaganda, die die Araber mit großer Aufmerksamkeit und vielem Beifall in sich aufnehmen, doch einiges dazugelernt haben“.42

Die Literatur der deutschen Palästinareisenden reflektierte gleichfalls die Prioritätenverschiebung hin zur vehementen proarabischen Parteinahme. „Die Ereignisse des Jahres 1939 beweisen eindeutig, daß das Weltjudentum in Palästina zu einer Entscheidung drängt, daß es bereit ist, sich mit blutigem Terror und mit der Waffe in der Hand das zu holen, was es durch zwanzigjährige Verhandlungen bisher nicht erreicht hat“, resümierte Heinrich Hest im selben Jahr und schlußfolgerte daraus: „Die englische Kolonialpolitik ist dadurch im Nahen Osten zum Handlanger des Weltjudentums herabgesunken.“43 Gleichzeitig attestierte er den Arabern, daß sie „das natürlichste Recht der Menschen, das Selbstverteidigungsrecht, für sich in Anspruch“ nähmen.44 Er kannte auch den künftigen Gewinner dieses Konflikts: „Je rücksichtsloser das Judentum […] die physische Existenz dieser Araber zu vernichten suchte, um so stärker wurden die Lebenskraft und der Widerstandswille des Arabertums.“45

Hermann Erich Seifert prognostizierte in seinem im Februar 1940 abgeschlossenen Buch: „Je mehr das Weltjudentum in Palästina droht, je mehr die beiden Demokratien [Großbritannien und Frankreich] die Maske ihrer brutalen Gewaltherrschaft fallen lassen, um so deutlicher wird, in welch starkem Maße das Arabertum zum entscheidenden Freiheitskampf bereit ist. Der Beweis für die Kraft zum Kämpfen ist in den einzelnen Ländern längst erbracht worden. Heute wartet die arabische Welt den günstigsten Augenblick ab, dann aber wird vom ganzen britischen Empire der Nahe Osten zuerst hochfliegen.“46 Hier war keinerlei Rücksichtnahme auf das United Kingdom mehr zu vernehmen. Großbritannien wurde als Lakai des Judentums eingestuft, der Aufstand der arabischen Welt gegen Briten und Juden vorausgesagt. Auch Kurt Fischer-Weth, der Biograph des Mufti, wußte, daß die arabische Welt „seines Winkes gewärtig ist, um im gegebenen Augenblick den Kampf wiederaufzunehmen, der einem lebendigen und revolutionären Volk durch die Geschichte vorgeschrieben wird“.47 Er sagte voraus, daß im Falle eines Krieges „die Araber Palästinas Gewehr bei Fuß stehen, bis die Gelegenheit kommt, auf die sie warten“.48 Die Prognosen waren eindeutig.

„Schneller als der gutmütige Deutsche hat der Araber die Gefahr, die ihm vom Juden droht, erkannt, und fest entschlossen tritt er ihr mit aller Kraft und Leidenschaft entgegen. Er bekämpft den Juden, wo und wie er kann, und besonders hier in Haifa steht der Kampf nie still“, beschrieb Karl Kossak-Raytenau, der 1938 als Sonderberichterstatter des NS-Blattes „Der Angriff“ Palästina bereiste, die Situation in der Hafenstadt und glorifizierte die dortigen Muslime geradezu als Vorbilder in Sachen gewalttätiger Antisemitismus: „Alle Augenblicke knallt es am Karmel und besonders gerne beschießen die Araber die Autobusse, die von Haifa auf den Karmel fahren und fast nur von Juden benützt werden.“49 Er wußte auch um die Vorbildfunktion des Dritten Reiches: „Wir Araber“, ließ er einen Führer der Aufständischen sagen, „verfolgen den Aufstieg Deutschlands mit großem Interesse und heißen Herzen, denn Deutschland befand sich vor einigen Jahren, ehe Adolf Hitler die Macht übernahm, in einer ähnlichen Lage wie wir Araber in Palästina.“50 Und er vergaß nicht, die Feindbilder zu parallelisieren: „Die Juden wollen uns vernichten. Sie sind, wie überall, auch hier Parasiten, und der Engländer unterstützt sie“, fuhr der Aufständische fort und ließ seine Rede mit islamistischer Führersehnsucht ausklingen: „Der Araber wurde wach! Lange schlief er, lange hat Allah seine Hand von ihm genommen, weil viele von uns Allah vergaßen! Er aber hat uns in seiner Güte und Barmherzigkeit erweckt und er, der den Weg weiß, wird auch uns den Führer senden, der uns in die Freiheit führt! Preis und Lob dem Barmherzigsten aller Barmherzigen! Es gibt keinen Gott außer Gott und Mohammed ist sein Prophet!“51

Am deutlichsten wird die geschilderte Akzentverschiebung bei Leopold Itz Edler von Mildenstein, da dieser Palästina gleich zweimal besuchte und darüber eine Reportage und zwei Bücher mit deutlich differierenden Sichtweisen publizierte.52 Im Sommer 1934 bereiste er das Land zum ersten Mal als Journalist für Goebbels’ „Angriff“ und veröffentlichte dort anschließend eine zwölfteilige Artikelfolge unter dem Titel „Ein Nazi fährt nach Palästina“.53 Die Serie bildete auch die Grundlage seines 1938 erschienenen Buches „Rings um das brennende Land am Jordan“. Trotz aller antisemitischen Sichtweisen und dem Willen, Europa von den Juden zu ‚befreien‘, sah er das zionistische Projekt im wesentlichen positiv, interpretierte die jüdische Siedlungsarbeit als eine aus der Wiederverwurzelung im Boden resultierende ‚Gesundung‘ und betrachtete Palästina als Zielland für die Auswanderung gerade auch deutscher Juden. Er warnte aber auch: „Palästina hat sich im Laufe der letzten Jahre zu einem politischen Vulkan entwickelt, von dem man nur eins sicher weiß; daß der nächste Ausbruch immer genau so sicher kommen wird, wie der vorhergegangene, die einzige Frage ist das Wann.“54 Mildensteins Artikelfolge fand einen prominenten Leser: Reinhard Heydrich. Dieser beauftragte den Autor, im SD-Hauptamt das Judenreferat zu leiten. Mildenstein war dort von März 1935 bis Juli 1936 führend tätig und strebte eine „Lösung der Judenfrage“ durch Auswanderung an, die durch bewußt herbeigeführte Dissimilation forciert werden sollte.55 Die Behauptung, daß „der Untersturmführer ebensowenig Antisemit [war] wie sein unbeholfener Adlatus Adolf Eichmann“,56 wird man deswegen nicht unbedingt teilen müssen.

Im Frühsommer 1939 unternahm Mildenstein, mittlerweile in der Auslandspresseabteilung des Reichspropagandaministeriums aktiv, eine zweite Reise nach Palästina und verarbeitete sie in seinem 1941 veröffentlichten Buch „Naher Osten – Vom Straßenrand erlebt“. Dort positionierte er sich vorbehaltlos auf der Seite der Araber und erwartete deren Sieg im Kampf gegen Juden und Briten. Die derzeitige Ruhe sei nur trügerisch, so Mildenstein, „Engländer, Juden und Araber, alle drei wissen das und meiden einander. Kein Araber wird ohne Zwang den jüdischen Stadtteil betreten, kein Jude oder Engländer die arabische Altstadt. Man haßt und boykottiert sich stillschweigend, die geballte Faust in der Tasche – und wartet auf den Tag der Auseinandersetzung.“57 Absichtsvoll endet der Palästinateil des Buches mit einem Gespräch des Autors mit einem arabischen Ingenieur im Deutschen Restaurant von Jaffa: „Wir wissen heute, daß wir erst zwei Dinge erreichen müssen, ehe wir von neuem losschlagen: Wir müssen der tatkräftigen Hilfe der anderen arabischen Staaten diesmal sicher sein, und wir müssen die Verräter und die käuflichen Subjekte in unseren eigenen Reihen vorher vernichtet haben“, ließ Mildenstein ihn dort sagen und mit der Prophezeiung schließen: „Der Anstoß wird von außen kommen müssen, aber er wird uns bereit finden, das Werk hier zu vollenden.“58 Welcher Leser wird 1941, als das Buch erschien, da nicht an Hitlers Wehrmacht gedacht haben, als Rommels Afrikakorps bereits in der Cyrenaika stand? Und manch einer wird damals auch in dem zu vollendenden Werk sofort die Judenvernichtung erkannt haben.

Zwar förderte man die illegale jüdische Auswanderung aus dem deutschen Machtbereich nach Palästina noch bis ins Jahr 1941 hinein, doch die Prioritäten verschoben sich um so deutlicher, je näher der Weltkrieg rückte. Die Rücksichtnahme auf Großbritannien schwand zusehends, gleichzeitig wuchs die Parteinahme für die Araber gewissermaßen täglich. Das Dritte Reich sah in den Juden Palästinas erbitterte Feinde im kommenden Waffengang, während man die arabische Welt immer mehr als Aktivposten einschätzte. Man unterstützte sie daher mit Waffen, lieferte propagandistische Munition, teilte ihre Perspektiven auf das internationale Geschehen und goutierte das Prestige, das Deutschland und sein Hitler in diesem Teil der Welt genossen. Schließlich sah man im Mufti von Jerusalem zunehmend den zentralen Partner im Nahen und Mittleren Osten, dessen Leben und Wirken man in geradezu hagiographischen Schriften verherrlichte.59 Angesichts dieser eindeutigen Verschiebung der deutschen Parameter in allen Beziehungssektoren geht es keineswegs an, zu behaupten: „Die Sache der Araber in Palästina, die höchstens in den Jahren 1938 und 1939 für kurze Zeit als ein geeignetes Mittel angesehen wurde, die Vorgänge in Europa zu beeinflussen, war nicht Teil der Interessen des nationalsozialistischen Deutschland.“60 Und es ist noch abwegiger, wenn derselbe Autor – tendenziell im Widerspruch zu sich selbst – einige Seiten weiter zu konstatieren glaubt: „Das Hitler-Regime schenkte in den Jahren 1938 und 1939 dem arabischen Faktor weiterhin keine Beachtung.“61 Das genaue Gegenteil war der Fall. Umgekehrt fehlen alle Belege für eine behauptete „wachsende Feindschaft gegen Deutschland in der arabischen Welt auf Grund der Rolle, die Deutschland bei der illegalen jüdischen Einwanderung nach Palästina spielte“.62 Vielmehr war es ein Prozeß stetig zunehmender Übereinstimmung, eine gemeinsame Frontstellung, die im Kriegsfall zum Schulterschluß werden sollte.

Halbmond und Hakenkreuz

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