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Alles wie immer. Mittwochvormittag, Stadtplatz. Der Onkel Franz geht auf den Wochenmarkt. Alte Gewohnheit. Nicht, dass dringende Einkäufe anstünden, aber als Pensionist geht man eben am Mittwochvormittag auf den Markt. Oder zum Doktor. Ist halt so. Zweiterer Anlass ist es allerdings nicht, der den Onkel heute auf den Stadtplatz führt. Von prophylaktischen Arztbesuchen hält er nämlich nicht viel. Wie er es auch nicht gänzlich einsieht, warum er mit seinem Moped, der Puch MV50, in regelmäßigen Abständen in die Werkstatt muss. Zur Inspektion, das sogenannte „Pickerl“ machen. Auch wenn nichts kaputt ist. Was soll auch kaputt sein, ist ja nicht viel dran an dem Werkel. Nur das Nötigste, das aber solide gebaut. Und mit der eigenen Gesundheit verhält es sich ähnlich. So sieht es zumindest der Onkel Franz. Dass er nämlich einen Arztbesuch erst dann in Erwägung zieht, wenn – Gott behüte – ernsthafte Beschwerden auftreten sollten. Kann man jetzt darüber diskutieren, muss man aber nicht.

Aber zurück zum Wochenmarkt. Der Onkel verstaut gerade ein Packerl mit Fleisch- und Wurstwaren – ein bisserl was hat ihm die Tante dann doch aufgetragen – in seiner ledernen Tasche, als er von der anderen Seite der Marktgasse jemanden seinen Namen rufen hört. Er muss zweimal hinschauen und sein Gedächtnis durchforsten, bis er den Rufer einordnen kann. Wie heißt der noch einmal? Maislinger oder so. Nein, Haslinger, genau. Wie auch immer, dieser Haslinger betreibt, wie es aussieht, auch einen Stand. Wohl aber zum ersten Mal, denn der Onkel Franz kann sich nicht erinnern, ihn in der Vergangenheit hier schon gesehen zu haben. Und Marktstand ist für das, was der Mann da aufgebaut hat, auch ein übertriebener Ausdruck. Haben die anderen Anbieter meist professionelle Verkaufswägen, so handelt es sich bei dem Gebilde, auf das der Onkel jetzt zugeht, um nicht viel mehr als einen ramponierten Stehtisch mit Sonnenschirm, an dessen Front ein abenteuerlich zusammengenageltes Ensemble aus hölzernen Obstkisten angebunden ist. Na, ein stärkerer Wind darf da nicht aufkommen, denkt sich der Onkel Franz, als er den Haslinger jetzt begrüßt.

Eine Begrüßung, die von seiner Seite nicht sonderlich herzlich ausfällt, er kennt den Kleinbauern ja kaum. Ein kleines Sacherl, kann sich der Onkel erinnern, hat der am Stadtrand, dort wo die Supermärkte die letzten Jahrzehnte aus dem Boden geschossen sind. Eingezwickt zwischen Baumarkt und Lebensmittel-Discounter haben sich dort noch zwei, drei kleine Ortsbauern gehalten. Ein bisserl Grün inmitten der Betonklötze und Asphaltflächen. Trotz der nur flüchtigen Bekanntschaft beginnt der Haslinger nun beinahe freundschaftlich auf den Onkel Franz einzureden.

„Musst schon entschuldigen, Franz, dass ich dich da über die Straße anruf, aber ich hab mir gedacht, so ein Feinspitz wie du, der darf auf gar keinen Fall bei meinem Standl vorbeigehn.“

Die Art, wie der ihm fast Fremde da mit ihm redet, ist dem Onkel eine Spur zu vertraulich, sowas mag er nicht. Aber naja, denkt er sich, der will halt was verkaufen. Damit liegt er richtig. Der Haslinger plappert munter weiter, dabei hält er ihm eine dunkelgrüne Glasflasche vor die Nase.

„Wo ich doch so ein Spitzen-Produkt für dich hab, schau her!“

Auf dem, wie es ausschaut, selbstgemachten Etikett steht „Innviertler Kürbiskernöl“, darunter ein wie von Kinderhand gezeichnetes, lachendes Kürbisgesicht.

„Aus eigenem Anbau, händisch höchstpersönlich kaltgepresst, allererste Qualität. Wieviel darf ich dir einpacken?“

„Ja, na, eh keines, eigentlich.“

„Was, nicht? Aha. Wieso?“

„Naja, weil ich nicht wüsst, wofür.“

„Aha drum, achso. Na, aber da kann ich dir helfen: Auf’n Rindfleischsalat, in die Suppe, auf die Sulz oder d’ Essigwurscht zum Beispiel.“

Der Onkel Franz ist entsetzt.

„Auf mei Essigwurscht? Ja, nie und nimmer! Ich bin doch kein Steirer!“

„Da muss man jetzt kein Steirer sein, drum steht ja auch ,Innviertler Kürbiskernöl‘ droben. Und am besten fragst du deine Frau, die kennt sich aus beim Kochen und die wird mein Produkt schon zu schätzen wissen.“ Der Haslinger klingt jetzt fast ein bisserl beleidigt. „Schau, da hast eine Probe, die gibst ihr. Wirst schon sehen, das schmeckt dir schon.“

Mit diesen Worten drückt er dem Onkel ein Flascherl in die Hand, ähnlich denen, wie man sie von den kleinen Magenbittern an der Supermarktkassa kennt. Und tatsächlich ist es auch so eines, unter dem selbstgemachten schaut noch ein wenig das originale Jägermeister-Etikett hervor. Der Onkel steckt es mit einem gebrummelten „Dank’schön“ in seine Tasche und wendet sich zum Gehen. Dabei schüttelt er noch immer konsternierend den Kopf.

„Kürbiskernöl. Auf d’ Essigwurscht. Ja geht’s noch!?“

Aber das hört der Haslinger schon nicht mehr, er hat längst gemerkt, dass hier kein Geschäft zu machen ist und sich seinem nächsten Opfer, einer jungen Mutter mit Kinderwagen, zugewandt.

Nachdem der Onkel Franz noch ein wenig die Marktstände inspiziert, den einen oder anderen Bekannten gegrüßt und beim Bäcker seines Vertrauens noch einen Laib Bauernbrot erworben hat, begibt er sich wie abgemacht – es geht auf elf Uhr zu – zum Gastgarten des Bürgerbräu. Auch wie immer. Jour fixe mit seinem alten Spezi, dem Albert. Mit dem hat er sich vor seiner Pensionierung eine Werkbank geteilt und nun, im Ruhestand trifft man sich nach wie vor regelmäßig. Am Dienstags-Stammtisch beim Egger-Wirt ebenso wie am Mittwochvormittag auf ein Marktbier.

Der Onkel lässt sich auf dem Stuhl nieder, den ihm der Albert mit seinem Plastiksackerl reserviert hat und begrüßt seinen Freund.

„Aha, hast’ auch ein bisserl was eingekauft, ha?“ fragt er ihn und deutet auf das Sackerl, das der Albert nun wieder neben sich auf den Boden gestellt hat.

„Jaja, Apotheke. War ja heut schon beim Doktor und der hat mir allerhand verschrieben.“

„Beim Doktor, aha. Bist krank? Sag schon, red. Ist es was Schlimmes?“, will der Onkel Franz leicht besorgt wissen.

„Aber geh, nein, eh nix. Mehr so allgemein, verstehst?“

„Allgemein, aha. Und da brauchst’ ein ganzes Sackerl voll Tabletten, oder was?“

Das ist jetzt ein Stichwort für den Albert. Er nimmt eine Medikamentenpackung nach der anderen heraus und legt sie aufeinander vor sich auf den Tisch. So entsteht ein ansehnlicher Turm, der beinahe sein Bierglas überragt. Dazu kommentiert er. „Schau her, das ist gegen den leichten Bluthochdruck, den der Doktor bei mir g’messen hat. Die sind gegen’s Cholesterin, das da ist leicht blutverdünnend, kann auch nicht schaden, meint er, und dann noch Calcium, Magnesium, Kapseln vom Knoblauch und vom Arzneikürbis, für d’ Prostata, verstehst? Sodala, und da haben wir noch einen Magenschoner.“

Jetzt ist der Onkel ernsthaft in Sorge um den Freund. Der verschweigt mir was, denkt er, bei so viel Tabletten muss was Ernsthaftes vorliegen. Und das sagt er ihm auch. Dass er rausrücken soll mit der Wahrheit, wie heißt sie, die Krankheit, wie schlimm ist es wirklich?

„Aber geh, alles in Ordnung, wirklich“, beruhigt ihn der Albert.

„Das sind alles ganz übliche Wirkstoffe, die man halt in unserem Alter so braucht. Hast du ja sicher auch, oder?“

„Ja, genau, soweit kommt’s noch.“

„Wieso? Verschreibt dir der Doktor was anderes?“

„Da müsst ich erst einmal zu einem Doktor gehen. ’S letzte Mal war ich, glaub ich, vor gut fünfzehn Jahr, wie ich mir den großen Zeh gebrochen hab. Weißt eh, da wo ich beim Zwetschkenbrocken von der Leiter g’fallen bin.“

„Was? Seither nimmer? Franzl, das ist unverantwortlich!“

„Ach so, unverantwortlich“, der Onkel nimmt einen Schluck Bier, „wem gegenüber?“

Damit ist das Thema für ihn erledigt, weshalb er auch sagt: „So, Albert, du packst jetzt deine Zuckerl wieder weg, dann stoßen wir mal an und reden über was G’scheites. Zum Beispiel darüber.“

Und weil ihm grad nichts Besseres einfällt, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, holt er das kleine Probeflascherl vom Haslinger aus seiner Tasche und stellt es auf den Tisch.

„Sag einmal, Franzl, spinnst jetzt? Du kannst dir doch da im Gastgarten deinen Schnaps nicht selber mitbringen. Hast’ Geldprobleme?“ Besorgt schaut der Albert seinen Spezi an.

„Aber geh, Schmarrn! Geldprobleme. Und außerdem weißt du ganz genau, dass ich keinen Alkohol trink.“

Der Onkel Franz spielt hier auf die Tatsache an, dass er kaum bis nie Schnaps und Ähnliches zu sich nimmt. Weil er, wie er selber sagt, es nicht so hat mit dem Alkohol. Der bei ihm per eigener Definition erst jenseits der fünfzehn Volumens-Prozent beginnt. Somit fallen Bier mit seinen meist unter fünf, Most mit nicht vielmehr als acht und Wein, der auch selten über vierzehn Prozent Alkoholgehalt aufweist, nicht in die Gruppe der alkoholischen Getränke. So sieht es zumindest der Onkel. Diese Zusammenhänge erläutert er oft und gern am Stammtisch und er tut es auch jetzt wieder.

Als der Albert ihn dabei unterbricht – er kennt die Geschichte – und fragt, warum er dann bitte jetzt einen Jägermeister ausgepackt hat, merkt der Onkel Franz, dass er das Flascherl verkehrt herum hingestellt hat, sodass sein Freund das Etikett nicht sehen kann, das der Haslinger draufgepappt hat. Er dreht es um und der Albert studiert die Aufschrift.

„Ach so. Kürbiskernöl. Innviertler, aha. Vom Haslinger Alois? Da schau her, hat wieder eine neue Spintisiererei.“

Der Onkel erzählt daraufhin, wie er zu dem Flascherl gekommen ist und fragt seinerseits den Albert, wie er denn den letzten Satz gemeint habe. Von wegen neuer Spintisiererei. Und erhält ergiebig Auskunft. Der Albert kennt den Haslinger anscheinend etwas näher als er selbst. Überhaupt ist sein Freund immer bestens informiert über das, was die lieben Mitmenschen im Ort so treiben. Eine angeborene Neugier und ein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis zeichnen ihn schon von jeher aus. Wobei der Albert diese Eigenschaften immer seiner Frau zuschreibt und behauptet, nur wiederzugeben, was er von ihr hört. Reine Schutzbehauptung, da ist sich der Onkel Franz sicher. Trotzdem hört er aufmerksam zu, ein wenig neugierig ist er selbst in Wirklichkeit ja auch.

„Also, von Anfang an. Die kleine Landwirtschaft von dem Haslinger, halbwegs heruntergekommen mittlerweile. War nicht immer so. Sind zwar nur ein paar Hektar, aber dem Lois seine Eltern haben damals mit ihren hundert Schweindln ganz ordentlich gewirtschaftet. Dem Alois war das immer zu viel Arbeit. Und zu viel Dreck. Saustall ausmisten und so. Drum hat er auch, nachdem der alte Haslinger gestorben und die Mutter ins Heim gekommen ist, gleich alle Viecher verkauft und den Hof umgestellt. Und zwar alle ein, zwei Jahre auf was anderes. Ich weiß gar nicht mehr, in welcher Reihenfolge, aber da war auf jeden Fall die Idee von einer Straußenfarm dabei, legalen Hanfanbau hat er auch probiert, Biogas, Photovoltaik und was weiß ich nicht noch alles. Alles erfolglos. Die Ersparnisse von seinen Eltern waren da bald einmal dahin und dann hat er auch noch gemeint, er steigt in den Aktienmarkt ein, kann ja nicht so schwer sein. War’s aber dann doch, weil das ist angeblich auch total danebengegangen. Und jetzt also Kürbiskernöl. Na viel Vergnügen.“

Der Albert hat fast ohne Punkt und Beistrich durchgeredet und dabei ganz auf sein Bier und die Zeit vergessen. Nach einem Blick auf die Kirchturmuhr – die zeigt dreiviertel Zwölf – wird er nämlich leicht hektisch, ruft die Kellnerin zum Zahlen und trinkt sein Glas in einem Zug leer. „Auweh, jetzt wird’s eng. Weil heut gibt’s Palatschinken, da versteht meine Frau keinen Spaß!“

„Geh, stell dich nicht so an“, lacht ihn der Onkel Franz aus, „wird dir schon nicht den Kopf abreißen wegen fünf Minuten Verspätung, oder?“

„Hast du eine Ahnung. Gegessen wird um Punkt Zwölf, eiserne Regel.“

„Na, dann schau, dass d’ weiterkommst. Ich trink noch gemütlich mein Bier aus und das deine zahl ich mit. Nicht, dass wir noch eine Ehekrise riskieren.“

„Ja, spott’ du nur. Aber danke und servus, bis bald.“ Mit diesen Worten schwingt sich der Albert auf sein Radl und entschwindet.

Der Onkel Franz winkt ihm noch lachend nach, bis er außer Sichtweite ist. Worauf die nur gespielte Gemütlichkeit augenblicklich von ihm abfällt. Auch er leert jetzt schnell sein Glas und winkt der Kellnerin. Wenn er auch derartige Amerikanismen nicht benutzt, der Onkel hat geblufft. In Wirklichkeit verhält es sich nämlich so, dass seine Frau ähnlich unangenehm werden kann, wenn er nicht pünktlich zum Mittagessen daheim ist.

Mostkost

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