Читать книгу Mostkost - Klaus Ranzenberger - Страница 9

4

Оглавление

„Ich hab mir gedacht, das geht uns nix an?“

Diese Frage stellt der Albert dem Onkel Franz, während die beiden ihre Räder durch den Buchenwald schieben. Der hat ihm nämlich gerade berichtet, was er von der Nachbarin erfahren hat, und man war sich daraufhin einig, dass es nicht schaden könnte, noch einmal beim Birnbacher auf einen Most einzukehren.

„Ja, na eh, eigentlich. Aber interessant wär’s schon, was da los ist, bei den zwei Bauern.“

Der Onkel besteht nach wie vor darauf, nicht neugierig zu sein und – ganz im Gegenteil zum Albert – keine Lust auf irgendwelche Detektiv-Spielereien zu haben. Er will’s halt nur wissen. Zuvor, nach ihrer abendlichen Beobachtung, hatten die beiden Freunde noch darüber beratschlagt, ob man nicht den Hausleitner informieren müsste über das, was man gesehen hat. Sind aber dann zu dem Ergebnis gekommen, dass das, was man zu berichten hätte, noch deutlich zu dünn wäre, um damit zur Polizei zu laufen. Ein Streit zweier Eheleute, worum es ging, keine Ahnung, und die abendliche Auseinandersetzung des Nachbarbauern mit dem Kirov, Inhalt ebenfalls unbekannt. Gut, das Messer, aber seid ihr euch da schon sicher? Könnt es nicht was anderes gewesen sein. Ich mein, auf die Entfernung? Was, mit einem Fernglas? Was macht jetzt ihr auf d’Nacht im Wald mit einem …

Nachdem sie diese Fragen, die der Hausleitner ihnen wahrscheinlich so oder so ähnlich stellen würde, im Geist durchgespielt haben, ist klar: Zur Polizei, wenn überhaupt, dann erst, sobald es was Handfestes zu berichten gibt.

Der Spazierweg durch den Wald führt entlang an einem kleinen Bachlauf, vorbei an zwei Fischweihern und dem sogenannten „Hexenhäusl“. Ein abbruchreifes kleines Haus mit leeren Fensterhöhlen und grob mit Brettern zugenagelten Türen. Der hintere hölzerne Anbau der Ruine hängt merkwürdig schief am Mauerwerk dran und wird wahrscheinlich nach dem nächsten Sturm ganz in sich zusammenkrachen. Vor Jahrzehnten hat hier die alte Frau Gramberger gewohnt, eine Kriegswitwe. Schon damals hat das Haus von den Kindern des Ortes seinen Spitznamen bekommen und die Frau Gramberger war die Hexe. Man muss zugeben, sie hat wirklich so ausgeschaut. Eine schwarze Katze hat sie auch gehabt, und ständig war sie mit einem Reisigbesen rund ums Haus zugange. Und obwohl oder gerade weil die Kinder Angst vor ihr hatten, galt es im Dorf als Mutprobe, der alten Frau Streiche zu spielen. Dumme Streiche, wie etwa mit einem Stock über den Zaun gegen die Tür zu klopfen und dann wegzulaufen oder gar rohe Eier gegen die Hauswand zu werfen. Was auch immer, es galt schon als Heldentat, sich dem Hexenhäusl und seiner bösen Besitzerin überhaupt zu nähern. Dabei war die alte Frau in Wirklichkeit gar nicht böse. Aber mit der Zeit wurde sie es. Durch die Blödheiten der Kinder, den Tratsch der Erwachsenen und durch den ihr offiziell verliehenen Titel „alte Hexe“ wurde die Grambergerin immer unleidlicher und beschimpfte zum Schluss reflexartig jeden, der sich ihrem Haus auch nur näherte.

Ewig her. Aber der Onkel Franz kann sich noch gut daran erinnern. Seit dem Tod der alten, kinderlosen Frau steht das Haus nun leer und verfällt. Ein-, zweimal im Jahr kommt jemand – so hört man – in einem Auto mit Salzburger Kennzeichen und nagelt dort und da, wo Jugendliche oder Obdachlose ein paar Bretter entfernt haben, die Eingänge notdürftig wieder zu. Oder befestigt das Betretenverboten-Schild wieder, wenn es heruntergerissen wurde. Irgendein entfernter Verwandter hat das Häusl wohl geerbt, dürfte aber kein allzu großes Interesse an dem Objekt haben. Und bei diesen halbherzigen Sicherungsmaßnahmen geht es wahrscheinlich darum, dem Gesetz in minimalster Form Genüge zu tun. Von wegen Gemeingefährdung oder so. Wie auch immer, im Sprachgebrauch der Ortsansässigen wird es noch immer das „Hexenhäusl“ genannt und immer noch geht irgendwie eine leicht unheimliche Aura von dem Gebäude aus.

Während der Onkel diesen Gedanken noch nachhängt, haben er und der Albert nun ihr Ziel erreicht. Vorbei an ihrem vorgestrigen Beobachtungsposten hinterm Haslingerbauern treffen sie bei der Mostschänke ein. Gäste sitzen keine im Garten vor dem Haus, auch der Wirt ist nicht zu sehen. Die beiden lehnen trotzdem ihre Räder an den dafür vorgesehenen Balken und setzen sich an denselben Tisch wie schon vor einigen Tagen.

„Ich glaub, da ist heut zu“, meint der Albert gerade, als der Birnbacher aus der Tür tritt.

„Richtig geraten“, sagt der drauf, „seit meine Frau weg ist. Kellnerin kriegst ja keine und allein ist das hier nicht zu machen.“

„Ist sie noch immer nicht aufgetaucht?“, erkundigt sich der Onkel Franz. „Das tut mir leid.“

Der sonst eher nicht so zugängliche Mostbauer setzt sich daraufhin zu den beiden und atmet schwer aus. Der Mann sieht nicht gut aus, hat dunkle Ringe unter den Augen und eine fahle Gesichtsfarbe. Auch seine Stimme klingt brüchig.

„Ich weiß wirklich nimmer, was ich machen soll. Der Betrieb steht und um die Karin mach ich mir auch große Sorgen. Kein Lebenszeichen, keine Nachricht, nix. Selbst, wenn sie mir davon ist, was viele glauben, irgendwas hätt s’ doch sicher hören lassen. Nein, nein, da ist was passiert.“

Unvermittelt steht er auf und geht ins Haus.

„Der war jetzt aber gesprächig“, meint der Onkel. „Ich mein, dafür, dass wir uns nicht wirklich gut kennen. Und Stammgäste sind wir ja jetzt auch nicht grade.“

„Da hast’ recht“, stimmt ihm der Albert zu, „und dann geht er einfach, komisch.“

Während sie noch darüber nachdenken, wieder zu gehen, kommt der Wirt zurück. Auf einem Tablett bringt er drei Krügerl Most und ein Holzbrettl mit Brot, Speck und Käse an den Tisch. Setzt sich wieder dazu und sagt, während er sein Glas hebt, nur: „Geht aufs Haus, Prost.“

Der Most ist gut, und der Onkel Franz sagt das auch. Worauf der Birnbacher über seine Philosophie in Bezug auf Qualität und Sorgfalt bei der Herstellung zu referieren beginnt. Die umliegenden Supermärkte, aber vor allem das Fast-Food-Lokal beschimpft er im Anschluss leidenschaftlich. Umzingelt wäre man von diesen Ketten und der einzige Bauer, der außer ihm selbst hier noch die Stellung hält, der Haslinger, der sei ein Vollidiot, wie er im Buche steht.

„Hört sich nicht grad nach guter Nachbarschaft an“, versucht der Albert den Wirt zum Weiterreden zu bringen, „hast’ Probleme mit ihm?“

Der Birnbacher wirft ihm einen scharfen Blick zu, scheint nachzudenken, wie er auf diese direkte Frage reagieren soll. Der Onkel befürchtet schon, dass der Vorstoß vom Albert zu plump war und nun gar nichts mehr aus dem anderen herauszubekommen wäre. Wahrscheinlich schmeißt er uns jetzt gleich raus, denkt er sich gerade, als der Birnbacher doch wieder zu reden beginnt. Von seiner Frau erzählt er und wie sie zusammengekommen sind. Der Haslinger hat es ihm nie verziehen, dass er ihm die Karin ausgespannt hat, das könne er natürlich verstehen. Aber irgendwann, habe er sich gedacht, müsse auch wieder einmal eine Ruh sein. Aber von wegen. Der Nachbar habe ihnen ihr Glück nicht gegönnt und sie mit seinen Blödheiten sekkiert, wo er nur konnte. Sei es, dass er absichtlich seinen Mist genau dann an der Grundgrenze ausgebracht hat, wenn der Wind gerade in Richtung des Gastgartens stand und somit die Gäste ausgeblieben sind, oder dass er dubiose Wegerechte erfand und geltend machen wollte, die die Zufahrt zur Mostschänke verhindert hätten. Selbst vor Urkundenfälschung habe er dabei nicht zurückgeschreckt.

Dem Onkel Franz liegt nun schon länger eine Frage auf der Zunge. Nämlich die, ob an der Vermutung der Resi, dass die Birnbacherin wieder bei ihrem ersten Mann sein könnte, etwas dran ist. Er schluckt sie aber hinunter, diese Frage. Erstens, weil er keine Idee hat, wie er sie halbwegs diplomatisch formulieren soll, und zweitens, weil er selbst nicht mehr so recht daran glaubt. Denn die Frau hätte sich dann ja tagelang in unmittelbarer Nachbarschaft versteckt. Unwahrscheinlich. Sollte sie wirklich wieder mit dem Haslinger beisammen sein wollen, müsste sie sich ohnehin früher oder später zeigen. Währen dieser Überlegungen fällt der Blick des Onkels auf den Albert. Und weil er seinen Spezi gut kennt und dessen Mimik befürchten lässt, dass dieser nun seinerseits gerade drauf und dran ist, dem Wirt eben jene oder eine ähnliche Frage zu stellen, greift er ein. Und nimmt einen Gedanken auf, der ihm kurz zuvor gekommen ist.

„Eine Kellnerin wüsst’ ich schon“, sagt er zum Birnbacher, „zumindest für die nächste Woche. Die Resi vom Egger. Der hat nämlich ab übermorgen Betriebsurlaub. Wenn dir das helfen tät, red ich mit ihr.“

Die Mine des anderen hellt sich etwas auf.

„Und ob mir das helfen würd. Bis in einer Woche find ich vielleicht Ersatz. Oder die Karin ist dann wieder …“ Er spricht den Satz nicht zu Ende und starrt wieder düster ins Leere.


„Ich, beim Birnbacher, dem alten Grantler? Das kannst vergessen.“

Die Resi schüttelt energisch den Kopf. „Außerdem hab ich mir auch einmal einen Urlaub verdient, oder nicht?“

„Geh, Resi“, versucht der Onkel Franz die Kellnerin von seiner Idee zu überzeugen, „jetzt sag schon ja. Schließlich hast du uns ja den Floh ins Ohr gesetzt.“

Die Resi stellt das Tablett mit den zwei Biergläsern ab und stemmt die Hände in die Hüften.

„Einen Floh, ich? Welchen Floh?“

„Naja, dass da was nicht stimmt bei den zwei Bauern. Und mit dem Verschwinden der Wirtin. Der Albert und ich, wir können ja schlecht jeden Tag hingehen. Würd wahrscheinlich auch nix bringen. Aber wenn du jetzt dort ein paar Tage aushilfst, da könnt es schon sein, dass du was mitkriegst. Sozusagen in geheimer Mission.“

„Ja, genau“, wirft der Albert als Freund amerikanischer Krimi-Serien ein, „under cover quasi.“

„Ja, sonst noch was.“ Die Kellnerin ist nicht begeistert. „Under cover-Resi, ich glaub, ihr spinnts ein bisserl!“

Der Onkel greift zu einer List. „Bist’ gar nicht neugierig?“

„Ich? Neugierig?“ Die Resi tut entrüstet. „Keine Spur. War ich noch nie. Aber hast recht, Franz, wissen möcht ich’s schon, was da los ist.“

Mostkost

Подняться наверх