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Prolog

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Es geschah auf dem dritten Planeten eines mittelgroßen Sternes am Rande der Milchstraße. Vor vielen tausend Jahren sträubte sich dort ein sonderbares Wesen die Dinge als selbstverständlich hinzunehmen und begann sich Fragen zu stellen. Woher kommt es, dass auf die Nacht immer wieder der Tag folgt? Hat die Welt Grenzen? Was ist das Kleinste vom Kleinen und das Größte vom Größten? Warum muss man sterben? Und: Kann man dies nicht verhindern?

Der erste, der von diesen Rätseln heimgesucht wurde, hatte es nicht leicht. Seine Artgenossen drängten ihn die seltsamen Gedanken ruhen zu lassen und ihnen bei der Jagd zur Hand zu gehen. Nichts Gutes würde von solch neuen Ideen kommen. Doch jener erste – nennen wir ihn Rätselfreund – ließ sich nicht aufhalten. Niemand kann die Zukunft aufhalten.

In seinem kurzen Leben gelang es Rätselfreund einige Fragen zu beantworten. Der Preis dafür war Einsamkeit, doch die nahm er in Kauf, kannte er doch weit süßere Früchte als jene der Geselligkeit. Es war weniger das Nachdenken, das ihn auf die Lösung mancher Rätsel brachte. Vielmehr war es das Hinsehen. Rätselfreund wollte wissen, ob die Welt wirklich nur, wie seine Artgenossen behaupteten, bis zu den fernen Bergen am Horizont reichte. Also ging er hin und sah nach. Er bestieg die felsigen Höhen, erreichte einen Gipfel und blickte plötzlich über ein weites grünes Land, dessen Grenzen nicht erkennbar waren.

In vielen langen Nächten betrachtete Rätselfreund die Sterne. Er fragte sich, was wohl das weiße Band sei, welches hinter den Sternen zu liegen scheint und quer über den Himmel verläuft. Diese Frage konnte er nicht beantworten. Wohl aber erkannte er, dass es unter den Sternen einige gab, die sich nicht mit den anderen bewegten sondern auf sonderbaren Wegen wandelten. Rätselfreund stellte schließlich fest, dass jene Wandelsterne sich in eben jener Bahn aufhalten, die auch von Sonne und Mond durchlaufen wird. Obwohl er es noch nicht verstand, hatte Rätselfreund damit als erster die Ebene seines Sonnensystems im Sternenmeer erkannt.

Auch das Feuer beschäftigte ihn, war es doch das kostbarste Gut seiner Welt. Man findet es in Stürmen, wenn der Himmel seine Speere auf die Erde wirft. Holz hält es am Leben. Rätselfreund war vom Feuer fasziniert. Er nährte es mit allen Dingen, welche die Natur ihm darbot und versuchte herauszufinden, welche Stoffe brennbar sind und welche nicht. Eines Tages, als er über einer großen Flamme die Funken fliegen sah, da dämmerte ihm plötzlich eine wundersame Erkenntnis. Schon einmal hatte er solche Funken gesehen. Nicht im Feuer sondern an Steinen. Bald hatte Rätselfreund entdeckt, wie man mit Feuersteinen tun kann, wozu sonst nur Blitze in der Lage sind. Er konnte Feuer machen. Es war dies seine größte Entdeckung. Allen Mahnungen seiner Artgenossen zum Trotz, entstand somit aus seinen sonderbaren Gedanken doch noch etwas Gutes, etwas Nützliches, etwas, das das Leben, wie man es kannte, zu verändern vermochte.

Rätselfreund eilte um seinen Brüdern und Schwestern vom Geheimnis des Feuers zu erzählen, doch leider brach er sich auf dem Weg den Knöchel und verhungerte kläglich. Die Tiere verzehrten seinen Körper. Sämtliche Erkenntnisse, die er im Laufe seines Lebens gewonnen hatte, gingen mit Rätselfreunds Tod verloren. Er hatte es nicht vermocht seine Gedanken weiterzugeben. Nichts davon blieb.

Doch andere kamen. Viele von Rätselfreunds Artgenossen, welche ihn nie gekannt hatten, stellten sich dieselben Fragen. Auch sie fanden Antworten. Vor ihrem Tod gaben sie ihre Erkenntnisse weiter. Oft gingen diese wieder verloren, andere veränderten sich mit den Jahren ihrer Überlieferung. Dann jedoch erfanden jene sonderbaren Wesen etwas Wunderbares, etwas, womit Gedanken die Zeit überdauern konnten – die Schrift. Erst durch die Schrift wurde es möglich, dass Gleichgesinnte oft viele Jahre später auf Gedanken aufbauen konnten, die lange zuvor zum ersten Mal formuliert wurden. Man musste nicht mehr immer wieder von vorne anfangen und lernte auf den Schultern der Vergangenheit zu stehen. Aus vereinzelten Funken war ein Feuer geworden. Man sah sich um, blickte in die Welt hinaus und fand Antworten. Und diese Antworten veränderten die Welt stärker, als man es je für möglich gehalten hätte.

Die Zeit schritt voran und erreichte das Heute. Viele Fragen sind inzwischen beantwortet. Einige der größten und ältesten Rätsel sind gelöst. Der Mensch – so nennt sich jenes sonderbare Wesen am dritten Planeten eines entlegenen Sternes am Rande der Milchstraße – konnte in nur wenigen Jahrtausenden durch die räumliche und zeitliche Zusammenarbeit vieler großer Geister Erstaunliches hervorbringen und sich umfangreiches Wissen aneignen. Er hat erkannt, dass er auf einem 12740 km dicken Gesteinsbrocken lebt, welcher einmal jährlich einen durch Kernfusion geheizten Gasball umkreist. Dieser Gasball – die Sonne – umkreist alle 250 Millionen Jahre die Milchstraße, eine einhundert tausend Lichtjahre dicke Scheibe aus hundert Milliarden Sternen, aus interstellarem Gas und gewaltigen Staubwolken. Dies ist nur eine Galaxie, wie es ihrer viele gibt – unvorstellbar viele. Der Mensch hat erkannt, dass das Universum in seiner Gesamtheit etwa vierzehn Milliarden Jahre alt ist und sich stetig weiter ausdehnt. Er weiß inzwischen, was das Kleinste vom Kleinen ist. Mit modernen Maschinen blickt er in die Welt von Atomen und Molekülen, von Protonen und Elektronen, von Leptonen und Quarks. Es gelang dem Menschen sogar das Leben zu verstehen. Er weiß um das dynamische, ständig konkurrierende Wechselspiel der Gene. Alles, was ein Mensch ist, die Struktur seines Körpers, liegt gespeichert in der Doppelhelix seiner DNA, die in jeder seiner Zellen steckt. Der Mensch kennt auch den Prozess der Evolution, die alles Leben und letztlich auch ihn selbst hervorgebracht hat, ganz ohne Götter und fremde Kräfte. Auch sein eigenes Denken hat er immer besser verstehen gelernt.

Der Mensch weiß viel. Doch alles weiß er nicht. Es gibt noch immer viele Rätsel, die bisher noch ungelöst sind, viele offene Fragen. Wird er sie je lösen können? Wenn ja, dann werden die Antworten sicherlich alles verändern, sowie alte Antworten bereits alles verändert haben.

Kann man den Tod besiegen? Ist der Mensch allein im All? Wird er je in der Lage sein zu anderen Sternen zu reisen? Kann eine künstliche Intelligenz in der Lage sein zu empfinden wie der Mensch? Rätselfreunde haben viel zu tun.

Der Mensch steht heute vor einer Vielzahl von Problemen und Fragen. Auch ob er weiterhin in der Lage sein wird Antworten zu finden, oder ob er zuvor zu Grunde geht, ist eine dieser Fragen. Mutig und ängstlich, fordernd und scheu blickt das sonderbare Wesen Mensch in eine ungewisse Zukunft. Niemand weiß, was sein wird, doch alle arbeiten daran. Hastig folgt man dem Pfad durch das Hügelland der Zukunft. Was wird den Wanderer hinter der nächsten Biegung erwarten? Der Mensch ist durch die Vergangenheit gezogen und hat das Heute erreicht. Nun blickt er in die Zukunft, in welcher alles endlich ist.

Utopien

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