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Dem verträumten, alten Eckhaus, in dem ich mit Karla wohnte, sah man die Hektik nicht an, die sie gelegentlich darin verbreitete. Es strahlte Ruhe aus. Doch mit der Ruhe war’s bald vorbei, weil Karla die Widergabe der Ereignisse um den Antrag von mir forderte.

Sie reagierte aufgebracht vor Mitgefühl mit den verarschten Frauen, als ich ihr den Ablauf wahrheitsgetreu vorgetragen hatte. Karla stotterte zerknirscht: „Wäre ich auf der Empore gewesen, hätte ich die Pappnasen zur Sau gemacht.“

Das überschäumende Temperament ging in Karla durch, wobei auch ihr der typische Frauenvorwurf entfuhr: „Die Männer haben nur Angst um ihre Macht, besonders diese machtgeilen Scheißkerle.“

So emotional war sie meistens. Andauernd bewegte sich Karla am Limit. Aber diesmal war der Ausbruch kurzlebig. Einem besonderen Abend stand nichts im Wege. Wir tranken randvolle Gläser Wein, den Roten aus der Toskana, schon blickte ich in verständnisvolle Augen. In Karlas wunderschönen Augäpfeln spiegelte sich unbändige Leidenschaft, ja blinde Vertrautheit wider. Sie nahm mich verführerisch in die Arme und strich mir zärtlich übers lange Haar.

„Ich liebe dich. Gegenüber anderen Männern bist du viel einfühlsamer“, flüsterte sie mir beschwipst ins Ohr. „Du bist ein Mann mit Verständnis für die Frauen.“

Ihre Bestätigung erwärmte meine Sinnesorgane. Aus ihrem betörenden Mund trafen mich ihre Worte mitten ins Herz. Daher gab’s keine Zurückhaltung, als wir zu weit vorgerückter Stunde aufstanden und uns aneinander rieben.

„Bewege dich nicht“, flüsterte ich.

Meine Stimme klang zärtlich, aber fest. Mit der rechten Hand drückte ich Karlas Hüften an mich, mit der anderen hob ich ihren langen Rock an. Den ließ ich in Hüfthöhe los und schob meine linke Hand liebkosend in ihr aufreizendes Höschen.

„Bleibe ruhig“, flüsterte ich und verfrachtete ihren Rock mit zitternden Fingern bis zu ihren Schultern hinauf, dann zog ich ihren knapp sitzenden Schlüpfer die Oberschenkel abwärts. Behutsam streifte ich das süße Teil über ihre Füße, dabei verwirrte ihr nacktes Fleisch meine Sinne.

„Dein Hintern ist phantastisch“, hauchte ich, vor Aufregung heiser klingend. Ich küsste und streichelte ihn. Meine Hand verbreitete eine wohlige Kühle auf ihrer warmen Haut. Ihre Knie bebten, als wir uns langsam auf mein Bett gleiten ließen, wobei sie auf dem Bauch lag und ich ihre prallen Hinterbacken knetete.

Ich schnurrte wie eine schmusebedürftige Katze: „Du bist schön. Weißt du das?“

Gefühlvoll drehte ich Karla zu mir um.

Danach erforschte ich ihre Bereitschaft, sich mit mir zu vereinigen. „Spürst du’s? Du bist nass und offen“, hatte ich im Genussrausch hervorgepresst.

Karla wand sich unter meinen tastenden Fingerkuppen. Geil und nach Liebe wimmernd, streckte sie mir ihren Prachtkörper entgegen.

„Ja, Georg, schön langsam, bitte hör auf, mir kommt’s gleich“, stöhnte sie.

„O ja, mache bitte weiter, nicht nachlassen, ja, steck ihn rein, jetzt schneller, o ja.“

Wir liebten uns hemmungsloser denn je. Und noch ausgelaugt vom Liebesorkan, lächelten wir uns ausgepowert an und staunten über unsere Erschöpfung. Doch bevor wir in einen tiefen Schlaf versanken, summte mir Karla einen letzten Liebesschwur zu.

„Mein Liebling. Ich liebe dich mehr als mich selbst“, hörte ich sie flüstern.


Flugturbulenzen sind eine Bagatelle gegen das, was sich nach der Nacht ereignet hatte. Der Blick in die Zeitung gehörte in die Kategorie, Horror vom Feinsten, ähnlich einem perfekt inszenierten Gruselkabinett. Absurd, anmaßend, beleidigend, all das kam mir wie eine harmlose Beschreibung vor.

Und die Ungeheuerlichkeit traf mich mit der Wucht des Vorschlaghammers, als ich am Frühstückstisch die Lokalseite aufschlug.

Was war das…?

Die Überschrift über ein Ereignis nach der gestrigen Ratssitzung sprang mir ins Auge.

WUT UND EMPÖRUNG NACH DER ATTACKE, so lautete die Überschrift.

„Was hat das zu bedeuten?“ Das war meine Reaktion, denn ich war baff.

„Diverse Wahlplakate der SPD sollen wir Grüne beschmiert haben“, erläuterte ich das Gelesene. „Glaubst du das? In einer Presseerklärung wirft uns der SPD-Sprecher Grießmann faschistische Methoden vor und ich, Georg Blume, wäre gar kriminell.“

„Das glaubt er doch selbst nicht.“

„Hör zu, Karla. Er fordert mich auf, dass ich mich für die Vorfälle im Rat entschuldigen müsse. Außerdem wäre es angebracht, mich von der Plakataktion zu distanzieren. Was soll der Scheiß?“

Mir war der Appetit gründlich vergangen, deshalb hatte ich wie ein Papagei gekreischt: „Was nimmt sich das Ekelpaket raus? Nein, mein Freund, das wird nichts. Ich reagiere auf deine Frechheit. Eine Klarstellung muss raus, und das möglichst schnell.“

Mit dem Wortlaut erklärte ich Karla die gebotene Dringlichkeit, denn nach dem ersten Schlückchen Kaffee stand ich auf, dann besprach ich am Telefon die notwendigen Schritte mit der grünen Fraktion, dabei formulierte ich in einer Gegendarstellung, dass ich Bauer zwar mit der Krücke bedroht hätte, ihn jedoch keinesfalls berührt habe. Allein auf meine Drohgebärden täten die ungerechtfertigten Anschuldigungen beruhen.

Diesen Wortlaut hatte mir die Fraktion abgesegnet, dann hatte ich die Erklärung an den Chefredakteur der Lokalpresse weitergegeben.

„Korrigieren sie ihren Fehler in der Berichterstattung“, hatte ich ihn aufgefordert und das Gespräch beendet. Danach hatte ich erleichtert durchgeschnauft: „Okay, das ist erledigt.“

Prompt erregte mich der unsinnige Angriff des Abgeordneten. „Grießmann ist ein Arschloch“, beschrieb ich den Wichtigtuer. „Als Kinder hatten wir im Sandkasten gespielt, schon da kehrte er den Arztsohn fast abartig heraus. Diesen Minderwertigkeitskomplex konnte er nicht übertünchen. Daher wunderte es mich umso mehr, wie schnell er in seiner Partei ans Ruder kam? In ihr steht sein Name für Fleiß und Beharrlichkeit. Dennoch ist er ein Egoist, weshalb man ihm besser aus dem Weg geht.“

„Jetzt reicht es mir“, antwortete Karla und rollte mit den Augen, worauf ich ergänzte: „Schon gut. Ich langweile dich.“

„Ja, das tust du. Ich will nichts mehr über den Kerl hören.“

„Na gut. Ich mache es kurz“, vervollständigte ich meine Erklärung, „denn es stellt sich die berechtigte Frage, woher sich der Wichtigtuer das Recht nimmt, uns Grüne in die faschistoide Ecke zu schieben? Das ist plumpes Wahlkampfgetöse und passt zu ihm. Er hält es für einen genialen Schachzug.“

Das war ausführlich genug. Ich dachte insgeheim: Die Runde hat Grießmann verloren. Zwar nicht durch einen k.o. Sieg, aber den durfte ich auch nicht erwarten, schon gar nicht in der ersten Runde.

Kaum war mein Kopf freigepustet, da fing mich mein Fluchtinstinkt an zu peinigen, obwohl der dicke Batzen Haushaltsrede anstand. Die gehörte in ein Textgewand gekleidet. Nach der Rede würde ich den Stress in die Schublade packen, erst dann war das Werk für das Jahr 1986 vollbracht.


Die Angriffe auf meine Person schaukelten sich auf den Gipfel der Gemeinheit hoch. Die Gerüchteküche um die Auseinandersetzung im Rat kochte.

Das ahnte ich selbstverständlich nicht, als ich mich auf den Weg zum Bäcker machte, um frische Brötchen einzukaufen.

Und wieder zurück im Treppenhaus, lag die abonnierte Tageszeitung parat. Die hob ich auf, doch schon beim Blick auf die Vorderseite erstarrte ich.

„Zum Teufel mit der Sensationspresse“, protestierte mein Gerechtigkeitssinn.

Ich stürmte ungeschickt die Stufen hinauf, wegen der Krücken, und in Karlas Reich eingetreten, schimpfte ich kolossal: „Du kannst den Unfug lesen, den der Schmierfink Reuter geschrieben hat. Für den ist es amtlich, dass ich zugeschlagen habe. Und schau, ein Foto von mir auf der Titelseite.“

Danach gönnte ich mir eine Beruhigungsphase, dann rasselte ich den Text unter der Abbildung runter: „Das Bild zeigt Georg Blume, den Fraktionschef der Grünen im Rat“, las ich Karla vor.

Schließlich ergänzte ich: „Blume ist gegen den CDU Ratsherren Günther Bauer handgreiflich geworden. Der Leidtragende war außerdem Manager des Fußballclubs Alemannia Aachen.“

Und weitere Textzeilen verdaut, schimpfte ich auf den Verfasser: „Reuter hat nicht alle Tassen im Schrank. Wie sonst kann er mich verurteilen und an den Pranger stellen?“

Wutentbrannt stapfte ich mit Karla die wenigen Stufen in meine Mansarde hinauf. Wir wohnten in übereinanderliegenden Wohnungen. Dort goss ich uns Kaffee ein. Den hatte ich bereits vor dem Gang zum Bäcker aufgesetzt.

Beim Kaffeetrinken las ich den Zeitungsbericht auf der Kommunalseite zum Tathergang vor: Nach Auskunft zuverlässiger Quellen hat Herr Blume den Streit angezettelt, stand darin. Er hat seinen Standpunkt mit seiner Krücke schlagkräftig untermauert. Damit schadet er der Debatte um die Frauengleichstellung.

Um Gotteswillen!“

Karla klang, als würde sie gleich hyperventilieren. „Der Schreiberling hat vor, dich fertig zu machen, anders kann ich den Artikel nicht deuten“, meckerte sie, denn sie verstand die Welt nicht mehr.

Dann ergänzte sie ihren Angriff auf die Presse: „Unter keinen Umständen darfst du den Mist unwidersprochen hinnehmen.“

Ich hörte auf Karla, denn ich rief, in der von der Zeitungsnotiz herauf beschworenen Untergangsstimmung, bei Chefredakteur Reuter in seiner Lokalredaktion an. Und der meldete sich teilnahmslos: „Ja, hier Reuter. Was gibt’s, Herr Blume?“

„Das wissen Sie genauso gut wie ich“, fluchte ich wie ein Scheunendrescher durch die Leitung. „Spucken Sie aus, warum Sie sich an den Spekulationen gegen mich beteiligen. Ich hatte ihre Neutralität erwartet, doch dank ihrer Mithilfe arten die Verleumdungen zur Hetzkampagne gegen mich aus.“

Erst nachdem ich mich entladen hatte, wurde meine Tonlage vertretbarer. „Außerdem ist nichts von Ihrem Geschmiere wahr“, setzte ich meine Angriffe fort. „Es ist das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt wurde, denn die Auseinandersetzung war harmlos. Noch dazu haben Sie das grimmigste Foto von mir aufgestöbert. Auf dem ähnele ich einem Meuchelmörder.“

„Na, na, Herr Blume“, räusperte sich Reuter, um sich danach jovial zu geben: „Wenn’s so harmlos war, dann verstehe Ihre Aufregung nicht. Sie haben nichts zu befürchten, war’s so, wie Sie behaupten.“

„Behaupten? Pah, das klingt geradezu abfällig aus Ihrem Mund“, motzte ich. Dann brüllte ich in die Sprechmuschel: „Es war so, Herr Reuter! Ach was, Sie können mich mal.“

Ich beendete das Gespräch und donnerte das Gerät auf die Konsole. Durch Reuters Ignoranz war ich zurecht verbiestert, weshalb ich mich Karla mit vor Zorn gerötetem Gesicht zuwandte: „Den Schmierfinken zu beschimpfen ist zwecklos. Er ist nicht besser als andere Presseheinis. Wenigstens wurde die Gegendarstellung in vollem Wortlaut abgedruckt.“

Da erst hatte mich mein, zwar mit einem Fragezeichen, aber dick umrandetes Machwerk versöhnlich gestimmt.

Während ich noch mehrere Sekunden am altertümlichen Schrank mit dem Telefonapparat lehnte, klingelte das abermals und eine vertraute Stimme begrüßte mich. Es war meine von mir getrennt lebende Frau.

„Hey, Georg“, sagte sie.

Und ich grüßte ebenfalls: „Hey, Andrea.“

Danach fragte sie mich, und das ängstlich: „Wie konnte das passieren? Weshalb stehst du wegen einer Schlägerei in der Zeitung? Mir wurde mulmig, als ich das mit dem Handgemenge gelesen hatte. Hast du tatsächlich zugeschlagen?“

„Ach was“, wiegelte ich ab. „Die Auseinandersetzung war harmlos und unnötig, aber wegen der Frauen nehme ich sie auf meine Kappe.“

„Muss das sein?“

„So ist es“, bekräftigte ich meinen Standpunkt. „Zudem nützt es nichts, wenn ich den Vorwurf abstreite. Gerade du solltest aus gemeinsamer Zeit wissen, wie gemein sich die Presse im Verdrehen von Tatsachen gebärdet.“

Mit dieser Erklärung vermittelte ich die Zuversicht, mit der ich sie bat: „Ich habe eine Bitte. Erzähle nichts den Kindern. Meine knifflige Situation erkläre ich ihnen besser selbst.“

Das war’s dann auch. Mehr hatten wir uns nicht zu sagen. Tendenziös für Getrenntlebende. Aber der Anruf war Balsam auf meine Wunden, hatte sie mich wenigstens in den schwärzesten Stunden meines Politikerlebens nicht ganz vergessen.

Dennoch stimmte mich der Anruf nachdenklich. Ich grübelte, erneut von Fluchtgedanken erfasst, dann eröffnete ich Karla einen erlösenden Vorschlag.

„Ich muss schleunigst raus aus dem Irrenhaus“, wurde ich deutlich. „Wir verduften und verbringen das Wochenende am Meer.“

„Am Meer?“

Karla zog erstaunt ihre Schultern hoch und machte große Augen.

„Ja, an Hollands Küste“, betonte ich unmissverständlich. „Aus den Augen, aus dem Sinn. Nur in den Dünen mit ihrer Abgeschiedenheit finden wir viel Ruhe und Abstand. Nach Arbeitsschluss düsen wir zur Halbinsel Walcheren hinauf.“

Nun strahlte Karla, ähnlich einem reich beschenkten Kind.

„Deine Idee ist phänomenal“, freute sie sich. „Aber du lässt die Grünen im Stich.“

„So mit Wut vollgestopft, wie ich jetzt bin, kann ich keine Hilfe sein“, wiegelte ich ab.

„Trotzdem werden sie sauer sein. Doch was soll’s. Wir fahren einfach.“

Karla hatte den Kurztrip zur abgemachten Sache erklärt, so hatte ich ihr beim Gehen zugerufen: „Wer weiß, was mich am Arbeitsplatz erwartet? Vielleicht stempeln mich sogar meine Kollegen zu einem heimtückischen Schläger ab?“

Das war Gott sei Dank nicht so, obwohl der spektakuläre Pressebericht für Zündstoff unter ihnen gesorgt hatte. Die Kollegen behandelten mich unvoreingenommen, dadurch wurde es ein ansprechender Arbeitstag.

Direkt nach Feierabend machte ich mich auf den Weg zu den Kindern. Damit erfuhren auch sie den wahren Sachverhalt der mir vorgeworfenen Tat, ehe sie durch falsche Quellen versaut werden konnten.

„Stellt euch vor, euer Vater soll ein Schläger sein“, beklagte ich mich bei ihnen und betrieb Aufklärung über die zum Sachlage.

Und eben diese endete mit dem Stoßseufzer: „Ist das nicht absurd?“

Vorher hatte ich Julian und Anna den Schund aus der Zeitung vorgelesen, dabei hatten sie vor Unverständnis ihre Köpfe geschüttelt.

Daher verwunderte es mich wenig, dass mich mein Sohn beruhigte: „Ach, Alter“, stöhnte er, als er mich drückte. „Die Story ist doch erstunken und erlogen.“

Na und erst die kecke Anna. Die setzte prompt die Wohltat obendrauf: „Warum solltest du Jemanden schlagen? Uns hast du nie geschlagen.“

So gut, so schön. Ich pfiff in schweren Stößen die Luft aus der Lunge, denn nun konnte ich mein Anliegen nicht mehr zurückhalten.

„Aber nun zu was anderem“, begann ich meine Änderung im Wochenendfahrplan, bei der ich mich wie ein Vaterlandsverräter fühlte.

„Das gemeinsame Wochenende fällt leider flach

Und mit folgendem Wortlaut versuchte ich von meinen Schuldgefühlen abzulenken: „Die Hetze der Presse macht mich fix und fertig, daher verschwinde ich mit Karla an Hollands Küste. Bitte nicht böse sein.“

„Por, ne, Alter“, stöhnte Julian abermals. „Was wird aus der Geschichte vom kleinen Ritter?“

Ja, das war traurig, weshalb ich sein Stöhnen nachahmte:

„Ach, Julian. Auch ich hatte mich tierisch drauf gefreut. Am Meer denke ich mir eine spannende Episode aus, das verspreche ich dir.“

Als Julian und Anna die Kröte runtergeschluckt hatten, fand sich auch Andrea mit der neuen Wochenendregelung ab.

Trotz allem fiel es mir schwer, meine Tränen zu unterdrücken, was Anna beobachtet hatte, die mich tröstete: „Bitte nicht weinen, Papa. Den Mist bekommst du wieder hin.“


Meine wunderbaren Kater trugen die von den Kindern aus einer spaßigen Laune heraus gewählten Namen Tyron und Tyson. Gleich nach Feierabend, und weil Rosa verreist war, brachte ich sie zu Andrea und meinem Nachwuchs.

Tyson, ein kräftiger, schwarzweißer Kater, lebte seit der Trennung bei mir. Und Tyron hatte ich vor wenigen Monaten aufgenommen, wegen Tysons Trieb zur Geselligkeit. Ihn schmückte ein dem Tiger ähnelndes Fell, mit dem er pfiffig aussah. Dazu bewegte er sich wie ein kleiner Tollpatsch.

Der Abschied von den Kindern schmerzte. Mein Gefühlschaos glich einer Achterbahn. Dem Anstieg folgte jedes Mal das mit Karacho hinunterrauschen. In einsamen Stunden befürchtete ich, ein Leben ohne Julian und Anna würde mich umbringen. Ich litt an Höllenqualen allein bei der Vorstellung, sie könnten sich eines Tages von mir abwenden.

Doch die Aussicht auf eine Rückkehr zur Familie sank täglich, denn meine Annäherung an Karla war angewachsen. Und zu allem Unglück hatte Andrea ein Verhältnis zu einer Flasche von einem Mann begonnen.

„Mein Gott, ich verstehe dich nicht. Der Typ ist eine Zumutung“, warf ich ihr in einem Anfall an Größenwahn vor.

Andrea aber wies die Vorwürfe zurück: „Du kennst ihn doch gar nicht, außerdem ist das meine Sache. Was geht’s dich an?“

Mit der Herabwürdigung des Freundes hatte ich frisch verheilte Wunden aufgebrochen, so war Andreas Ablehnung mir gegenüber verständlich, obwohl sie meine Misere verschlimmerte. War der Traum von der gemeinsamen Zukunft ausgeträumt?

Es sah ganz so aus.

Umso mehr klammerte ich mich an meine Kinder. Tränenüberströmt sagte ich melodramatisch zu ihnen, als ich sie zum Abschied drückte: „Lieber Julian, liebe Anna. Was immer auch passiert, ich bin für euch da, darauf gebe ich euch mein Ehrenwort.“

Ich wischte mir die Tränen weg und schloss die Haustür hinter mir, dann kehrte ich wieder in meine Mansarde zurück.

In meiner Bleibe war eine Stunde seit dem Besuch bei den Kindern vergangen, da machte mich die Warterei auf Karla ungeduldig. Ich rieb mich unruhig an meinem Ledersofa und wartete.

Ich wartete und wartete, dabei grunzte ich gereizt: „Ach Gott. Wo bleibst du bloß?“

Das späte Erscheinen Karlas war allerdings normal. Es lag an ihrem zeitraubenden Job als schlechtbezahlte Sozialarbeiterin. Doch als Wartender schiss ich in meiner Hektik auf ihre geistig behinderte Kinderschar. Ihre vereinnahmende Tätigkeit, die keine regelmäßige Arbeitszeit zuließ, konnte mich mal. Ansonsten war Karlas unstete Lebensführung kein Problem für mich, denn auch ich pflegte ein chaotisches Privatleben zu führen.

Doch weil es unser Abreisetag war, war ich durch ihr zu langes Wegbleiben ungehalten und zeterte: „Beeile dich, Karla. Nimm dir wenigstens heute die nötige Zeit für mich.“

Es wurde fünf Uhr, danach schlug die Kirchturmuhr sechs Mal. Die Zeit schlich zähflüssig dahin. Ich blickte zum wiederholten Male auf die Wanduhr. Danach hörte ich, dass die Kirchturmuhr sieben Uhr ankündigte und von Karla keine Spur. Mein Puls raste. Ich geriet in Rage und fluchte: „Verdammter Mist! Mit wem und wo treibst du dich herum?“

Erst kurz nach sieben stapfte Karla die Treppe zu mir in meine Mansarde hinauf, wo ich sie abfing, durch das Warten total aufgedreht.

„Na endlich“, raunzte ich sie an. „Mach hin, lass uns losfahren,“.

Karla stemmte beide Arme in die Hüften und glotzte ratlos, dabei fixierte sie mich mit ihren Pupillen. „Herr je, mein Schatz“, spottete sie. „Warum sofort? Ich darf doch wenigstens zur Tür herein.“

Daraufhin warf sie ihren bezaubernden Wuschelkopf in den Nacken, doch ich bedrängte sie noch energischer, nur die Abreise im Kopf. Meine Hartnäckigkeit hatte mir meine Mutter mit der Muttermilch eingeflößt.

„Das Wesentliche ist gepackt“, bestimmte ich wie ein Feldwebel. „Wir brechen auf.“

Aber Karla schüttelte mich mit gerunzelter Stirn ab, als sie mir antwortete: „Aha, daher weht der Wind. Du hast eine Panikattacke. Oder hat deine Eile andere Gründe?“

Immerhin hatte ich Karla wachgerüttelt. Ihre träge Einstellung löste sich in Luft auf, je mehr sie über meinen Vorschlag nachgedacht hatte.

„Überlege ich’s mir recht, warum eigentlich nicht“, sagte sie in einem versöhnlichen Tonfall. „In drei Stunden wären wir in Domburg. Weit ist es ja nicht.“

Trotz allem ließ sie bange Minuten verstreichen, bis ihr Einverständnis wie aus einem prall gefüllten Wasserschlauch aus ihr herausplatzte: „Jawohl, eurer Ehren, ich bin einverstanden. Gib mir zehn Minuten, in denen mache ich mich frisch.“

Karla umarmte mich feurig, dabei vergaß ich fast den Grund der Flucht. Dann stimmte sie auf dem Weg zur Dusche markerschütternde Laute an. „Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht“, trällerte sie die rockigen Elemente der Edelschnulze vor sich hin.

In dem Moment fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren, dass unsere Verbindung nicht auf Rosen gebettet war, aber sie war ausbaufähig, zumindest aus dem hohlen Bauch heraus beurteilt.

Nach zehn Minuten saßen wir im Campingbus, dann brausten wir mit den auf dem Dach festgezurrten Rädern in Richtung Holland davon.

DU BIEST BRINGST MICH UM

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