Читать книгу Die Fantasien des Seminaristen Peter Hang - Klaus Steinvorth - Страница 5
Kurt erzählt zum ersten Mal
ОглавлениеSie nahmen in seinem Arbeitszimmer Platz, weil es der größte Raum in seiner Wohnung war. Kurt hob sein Glas Rotwein und begann:
Als ein kalter Windstoß durch das Fenster fuhr und Peter aufwachte, war er so erleichtert, dass er über seinen Traum lachte. So etwas Verrücktes brauchte er nun wirklich nicht ernst zu nehmen!
Nur juckte es so unerträglich zwischen seinen Beinen, dass er mit der Hand danach griff. Es fühlte sich merkwürdig verschrumpelt an. Das musste er sehen! Seine Neugier war stärker als seine moralischen Bedenken. Es sah völlig fremd aus!
Nun hatte er sich sein altes Ding nie genau angeschaut, er musste also mit Überraschungen rechnen. Aber was sich hier seinen Augen bot, war definitiv nicht seins: Dazu war es zu klein und unbeweglich. Es gab nur eine Erklärung: Es war das kümmerlich Ding des verdammten Doppelpeters!
Er sank erschlagen zurück. Was war jetzt schon wieder los? Kaum dass er glaubte, einem Alptraum entkommen zu sein, öffnete sich ein neuer. Da wusste er, was er geahnt hatte: Der Satan stand dahinter, der Fürst der falschen Illusionen.
Es läutete zur Morgenmesse und er eilte in die Sakristei, wo er Martin und Christian traf, die auf den Regens warteten, den Vorsteher des Priesterseminars. Seine Freunde sahen aus wie immer. Ihnen schien der Eckkneipenbesuch nichts angetan zu haben. Aber warum starrten sie ihn so vorwurfsvoll an? Aus ihren Brillengläsern glotzten übergroße Augen auf seinen Schritt!
Das konnte doch nicht an dem fremden Ding liegen! Aber es fühlte sich feucht an, und als er einen Blick nach unten warf, sah er einen dunklen Fleck. Oh Gott, es musste in jeder Hinsicht defekt sein. Kein Wunder, dass der Doppelpeter es abgestoßen hatte! Aber warum bekam er den Ausstoß?!
Er zog an der Hose, um den Fleck zu verbergen, als ihn der angewiderte Blick des Regens traf, der eingetreten war. Er hüstelte, wie er es immer tat, wenn ihm etwas peinlich war, und ging in den Altarraum. Martin und Christian folgten und er zögerte nicht, hinterherzulaufen.
Er hatte das Gefühl, überdeutlich zu sehen. Auf einer Kirchenbank saßen Arm in Arm zwei Gestalten und winkten ihm zu: Gisela und ihr Schönling! Warum ließen sie ihn nicht in Ruhe? Warum mussten sie ihn noch im Gotteshaus quälen?
Sie waren aufgestanden und ruderten mit den Armen und riefen, damit er kam.
Der Regens und seine beiden Messdiener sahen nichts und hörten nichts. Sie beteten das Introitus, mal lauter, mal leiser. Sie hoben nicht einmal die Augen!
Er aber stürzte die Altarstufen hinunter, stolperte auf das Kirchenschiff, das schrecklich zu schaukeln begann, als hätte sich ein gewaltiger Sturm erhoben, verlor das Gleichgewicht und konnte sich gerade noch an der Kirchenbank festhalten, auf die er rutschte.
Gisela reichte ihm die Hand und zog ihn zu sich und sagte, sie wollte ihm, bevor sie gingen, für sein generöses Geschenk danken. Dadurch machte er alles wieder gut, was sie vorher noch als kränkende Zurückweisung empfunden hätte.
Es war seine linke Hand, die sie drückte, und dabei streckte sich sein Ringfinger wohlig, ja geradezu lustvoll aus. Es war wie… Nein, unmöglich! Dennoch stöhnte er unwillkürlich.
„Was hast du?“, fragte sie. In ihren Augen war Neugier und Spott.
„Nichts, nichts!“, murmelte er.
Sie warf einen Blick auf seinen angeschwollenen Finger. „Der Siegelring ist zu groß! Der klemmt ihn ja ein!“
„Zu groß?“, fragte er einfältig. Denn er sah ja selbst, wie sein Finger sich vergrößerte!
„Weil deine Mutter den Ring so groß wollte!“, sagte sie vorwurfsvoll. „Deine Mutter will ja alles eine Nummer zu groß für dich!“
„Nein, nein!“, rief er aus. Jetzt wurde ihm die Größe seines Fingers peinlich und er legte schnell seine rechte Hand darauf.
„Verbirg vor mir nicht, was offensichtlich ist!“, sagte sie immer noch streng. „Aber mach es deiner Mutter klar, die es offensichtlich nicht sehen will!“
Sie winkte ihrem Schönling zu, der ihn schnell umarmte und dabei seinen tausendfachen Dank beteuerte, und dann schlenderten sie seelenruhig aus der Kirche. Mit einem leisen Schlag fiel die breite Tür zu.
Der Regens und seine Messdiener zelebrierten die Morgenmesse, als ob sie nichts gesehen hätten. Dann hatte nur er die beiden Spukgestalten gesehen?! War er nur in seiner Fantasie zu den Kirchenbänken gelaufen? Denn er befand sich ja immer noch vor dem Altar und absolvierte seine vorgeschriebenen Gebete und Bewegungen.
Er musste verrückt sein! Auf jeden Fall hochgradig krank! Diese Erkenntnis schmetterte ihn nieder. Er versuchte sich am Altar festzuhalten, verfehlte ihn aber und setzte sich mit einem leisen Ächzen zu Boden.
Der Regens beugte sich über ihn, mit einem Mund, der so weit offen war, dass er ihm die Faust hätte hineinschieben können.
„Was ist Ihnen?“, fragte er freundlich. „Ein Schwächeanfall? Das kommt vor. Habt ihr gestern zu lange gezecht?“
Er wandte sich an Christian und Martin, die verlegen lachten. Vielleicht ein kleines zu viel, meinte Martin. Tat ihnen leid. Sollte nicht wieder vorkommen, versicherte Christian.
Das Gesicht des Regens glänzte rosig. „Ach, das ist das Vorrecht der Jugend. Besser jetzt über die Stränge schlagen als später im Leben!“
Er reichte ihm die Hand und führte ihn zu einem Stuhl.
„Setzen Sie sich und beten Sie mit, während wir die Messe zelebrieren. Das wird Sie beruhigen.“
Ihm fiel noch etwas ein. „Kommen Sie anschließend in mein Büro. Ich weiß, dass Sie eine Apologetik-Vorlesung haben, aber es wird nicht lange dauern und in persönlichen Gesprächen geht es ja fast immer um Apologetisches, nicht wahr?“
Er lächelte sanft.
Apologetik, die Erklärung des Glaubens, war allerdings eine wichtige Vorlesung, dachte Peter. Die sollte er auslassen. Um das, was ihm passiert war, zu erklären? Oh weh, wie konnte er das, wenn er nicht einmal wusste, was real und was irreal war? Aber versuchte der Glaube nicht gerade eine Brücke von dem Realen zum Irrealen zu schlagen?
Der Regens des Priesterseminars war um das persönliche Wohl seiner Zöglinge bemüht. Wenn er um ein Gespräch bat, hatte ihm etwas nicht gefallen und die Frage war, was.
In dem Augenblick begann der Knabenchor, der in die Kirche gekommen war, seinen Gesang, und seine Stimmen hoben und senkten sich und trennten und vereinten sich zum Lob der Jungfrau und Himmelskönigin: „Ave Regina caelorum/ ave Domina Angelorum/ Salve radix, salve porta/ ex qua mundo lux est orta.“
Wie hübsch die Knaben waren, wie anmutig ihr Gesang! So müssten die Engel ihr ewiges Loblied Gottes singen. Wie gern säße er zwischen ihnen und sänge mit ihnen, um sich an ihrer Unschuld zu erfreuen! Aber er würde sich nie an der Unschuld seiner eigenen Kinder erfreuen können. Er hatte auf sie zum höheren Lob Gottes verzichtet.
Der Verzicht war nicht einfach, aber er hatte ihn gewollt. Und er glaubte fest daran, ihn durchhalten zu können. Und wenn der Satan mit all seinen Machenschaften auch versuchte, ihn zu Fall zu bringen, so würde er sich davon nicht beirren lassen, sondern ihm zeigen, dass der Geist stärker war als das Fleisch!
Er atmete vor Erleichterung auf und als er ausgeatmet hatte, juckte der verdammte Ringfinger und streckte sich wohlig aus. Er schlug sofort seine rechte Hand darauf und sah erschrocken um sich und schaute in das rosige Gesicht des Regens, der ihm mit einem leichten Nicken zu folgen befahl.
Das Arbeitszimmer des Regens war ein Ort der Ruhe und Gelehrsamkeit. Vor ihm stand der ausladende Schreibtisch mit der Stehlampe auf der einen Seite und der Statue der Jungfrau auf der anderen. Sie hielt sofort seinen Blick gefangen, weil sie ihn mit großen Augen ernst und traurig ansah. Sie war eher ein junges Mädchen als die Mutter Gottes, was ihm immer gefiel. Alles an ihr strahlte kindliche Unschuld aus. Um so mehr schmerzte ihr trauriger Blick. Er wusste, dass er ihm galt. Konnte sie denn anders als traurig sein, wenn sie um sein Treiben in der Nacht wusste?
Der Regens stellte ihm ein Glas hin und füllte es mit seinem selbst ausgesuchten Messwein und sagte, es machte sich besser, seine persönliche Situation in einer heiteren und gelassenen Stimmung zu erörtern.
Diese Einleitung machte ihn alles andere als heiter und gelassen und auch sein erstes Schlückchen Wein konnte ihn nicht beruhigen. Er hatte das Gefühl, dass der Regens alles von ihm wusste und in seiner mangelhaften Keuschheit den Grund für sein auffallendes Verhalten sah. Der traurige Blick der Jungfrau, der er ewige Keuschheit gelobt hatte, bestätigte sein Gefühl. Er hatte sie verletzt und verraten. Kein Wunder, dass sie in Trauer war.
Der Regens lächelte. Jetzt nach seiner Eingewöhnungszeit wäre ein Beratungsgespräch fällig, reine Routine normalerweise, aber in seinem Fall leider nicht. Denn da gäbe es dringenden Handlungsbedarf. Er sah ihm direkt in die Augen. Es sei ihm zu Ohren gekommen, dass er Übernachtungsbesuch erlaubt habe.
Übernachtungsbesuch?, wiederholte er. Damit musste er Gisela und ihren Schönling meinen. Wieso wusste er davon? Er dachte, er habe geträumt, sagte er verlegen.
Es soll eine weibliche Stimme gehört worden sein, sagte der Regens ungerührt.
Das steigerte nur seine Verlegenheit. Er wusste nichts zu sagen.
Dann müsste man doch von einem Damenbesuch ausgehen, oder?, fragte der Regens und sah ihn gespannt an.
Er fühlte es heiß vom Magen bis zum Scheitel werden. Auch der Blick auf die heilige Jungfrau half nicht. Auf ihrem Antlitz erschien der Ausdruck schmerzlichen Unbehagens, dem ein unmerkliches Kopfschütteln folgte.
Wahrscheinlich musste er scheibchenweise gestehen, und die Frage war nur, um wie viele Scheibchen es ging.
Es sei ja leider so, begann er vorsichtig, dass der Geist schwach sei und das Fleisch willig. Nein, natürlich umgekehrt!, stieß er aus und schlug sich auf die Stirn. Der Geist sei natürlich willig und das Fleisch schwach!
Oh je, das war ein schwacher Anfang!
Zu seinem Erstaunen kam nicht der erwartete Tadel des Regens, sondern ein verzeihendes Lächeln. Wer wäre als junger Mensch schon gegen Versuchungen gefeit? Da könne man nur auf Gottes Gnade hoffen, sagte er sanft und zog einen Brief hervor, den er in der Luft wedelte, als wollte er seine Stirn kühlen. Ob er eine gewisse Gisela Reimann kannte?
Peter nickte und schluckte und wusste nicht weiter. Er wusste nicht einmal, in welcher Wirklichkeit er sich befand. Er fürchtete aber, verrückt zu werden.
Nun, diese seine frühere Freundin habe ihm offensichtlich noch einen Abschiedsbesuch abstatten müssen, wie aus diesem Brief hervorgehe. Der Regens wedelte ihn diesmal vor Peters Nase. In ihm schreibe sie in unmissverständlicher Eindeutigkeit, dass sie alle Ansprüche auf ihn aufgebe und ihm alles Gute für sein hohes und nicht leichtes Amt wünsche. Es läge jetzt an ihm, fügte der Regens hinzu, ob er in derselben klaren Eindeutigkeit sich von seiner früheren Freundin lossage.
„Ja, ja, natürlich!“, stotterte Peter, überrascht von dieser Wendung, die ihn erfreuen sollte, aber dennoch ins Herz stach. „Abschiedsbesuch! Ja, ja, natürlich!“, wiederholte er ein wenig einfältig.
Dann sollte er aber auch in toto seine Haltung ändern, sagte der Regens in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Ihm sei aufgefallen, wie er mit gebeugtem Kopf und hängenden Schultern herumlaufe.
„Wirklich?“, protestierte Peter schwach. Denn ihm war bis jetzt immer vorgeworfen worden, dass er steif wie ein Besenstiel durch die Gegend spazierte.
„Ja, wirklich!“, bekräftigte der Regens. Er erwarte aber von seinen Kandidaten, dass sie sich mit Freude und Lust auf ihr Amt vorbereiteten.
Mit Lust, dachte Peter und fühlte das Regen und Strecken des verdammten Ringfingers. Warum musste er sich ausgerechnet jetzt rühren? Warum musste er sich überhaupt rühren? Das musste etwas mit dem kümmerlichen Ding des Schönlings zu tun haben. Das musste eine ganz fiese Form von Rache sein! Er hätte dem Schönling seinen defekten Ausstoß vor die Füße werfen müssen!
Aber jetzt dehnte sich sein Finger so schmerzlich-süß und begierig aus, dass er unwillkürlich stöhnte.
Das gefiel der heiligen Jungfrau überhaupt nicht. Sie bestrafte ihn mit einem entrüsteten und enttäuschten Blick, ihr feines Gesicht lief rot an, ihr zarter Busen hob und senkte sich. Auch der Regens starrte ihn erschrocken an und beugte sich weit über den Schreibtisch zu ihm. „Was ist Ihnen?“
„Nichts, nichts!“, murmelte Peter.
„Doch, doch!“, widersprach der Regens. „Sie haben mir schon vorher am Altar nicht gefallen. Das muss mehr als ein Schwächeanfall sein!“
Er stand auf und legte ihm seine Hand auf die Stirn. Sie fühlte sich angenehm kühl an und roch betörend gut, würzig und subtil. Peter streckte ihm sofort seinen mächtig pulsierenden Ringfinger entgegen, der auch an der wunderbaren Hand teilhaben wollte, und stocherte so lange herum, bis die Hand des Regens ihn endlich umschloss.
„Der ist aber heiß! Haben Sie einen Stich bekommen?“, wunderte sich der Regens.
„Ja, einen Stich!“, schwitzte Peter, der Mühe hatte, seine schreckliche Lust zu unterdrücken.
„Sie gehen nach unserem Gespräch am besten gleich zu Dr. Lamprecht, einem erfahrenen und gütigen Praktiker, der gegen alle Beschwerden ein Mittel weiß“, sagte der Regens.
Peter nickte.
Der Regens hatte eine Mappe vor sich liegen, in der er blätterte. Sein Akte!, dachte Peter. Was wohl darin stand? Sicherlich seine Defizite in Sachen Keuschheit. Der Regens wusste doch alles darüber, wenn er es auch nicht offen zugab, weil es nicht peinlich werden sollte. In Wirklichkeit hatte er ihn abgeschrieben. Es lag doch klar auf der Hand, dass er das mit dem Finger durchschaut hatte. Deshalb war er für das Priesteramt charakterlich ungeeignet, seinen sittlichen Ansprüchen nicht gewachsen, das würde seine letzte Aktennotiz sein.
Eine gewisse Fingerfertigkeit könne man ihm ja nicht absprechen, begann der Regens.
Oh Gott, jetzt begann die Standpauke, dachte Peter und fühlte sich sehr schuldig.
Er entnehme seiner Biografie, sagte der Regens und schaute in seine Akte, dass er nach der Mittleren Reife eine Schreinerlehre begonnen und beendet habe, den Beruf aber nicht ergreifen wollte, sondern sich für das Priesteramt entschieden hätte. Warum?
Wie sollte Peter die Frage in wenigen Worten beantworten? Da war so vieles passiert und auch die Sache mit Gisela spielte eine Rolle, aber sie wollte er auf keinen Fall erwähnen und er dachte an Onkel Marcus, der ihm die Sache mit Gisela ausgeredet hatte und er nannte seinen Namen.
„Ah ja, der Pater Markus, ein Mann von großem Einfluss ohne Zweifel“, sagte der Regens und sah ihn ernst an. Aber der Ehrgeiz eines Onkels könne keine Berufung begründen!
Peter nickte schnell.
Der Regens seufzte. Vorzeitig in eine Rolle gedrängt werden, die nicht passe, könne falsche Vorstellungen erzeugen, die wiederum Schuldgefühle auslösen, weil man den Erwartungen nicht gerecht werde.
Er zog aus einer Box ein Blatt Papier und begann zu schreiben. Man sah, dass bei ihm alles seinen festen Platz hatte. Auf seinem Schreibtisch standen die Utensilien in Reih und Glied und warteten auf ihren Befehl. Alles strahlte Ordnung aus, alles war der Reihe nach zu regeln.
Er könne seinen Fall noch nicht abschließend beurteilen, sagte der Regens und legte seinen Stift beiseite. Er brauche dazu noch Zeit und Gottes Rat. Er würde ihm aber gern einige Aufträge für die nächste Woche erteilen, die er sich bitte notieren möge, und er reichte ihm seinen Stift.
Von Dr. Lamprecht habe er ja schon gesprochen, sagte der Regens. Bei ihm sollte er sich einem generellen Gesundheitscheck unterziehen. Nur ein gesunder Priester ist ein guter Priester!
Der Regens nickte und schaute ihn prüfend an. „Wie wir seit jeher sagen: ora et labora! Also ergänzen Sie Ihr Beten durch körperliche Arbeit! Als ausgebildeter Schreiner können Sie Ihre handwerklichen Fähigkeiten sicherlich gut zur Geltung bringen, wenn Sie uns bei den Reparaturarbeiten helfen, die in der Kirche dauernd anfallen. Ich werde entsprechende Weisungen erteilen und Sie halten sich bereit. Denken Sie im Übrigen viel häufiger an den heiligen Josef, das Vorbild der Schreiner und in Sachen Keuschheit ein bewunderungswürdiger Lehrer.“
„Ja“, murmelte Peter. „Auf jeden Fall.“
Er blickte unwillkürlich auf die Statue der Jungfrau und sah zu seiner Freude, wie sie ihn anlächelte. Danke!, dachte er und beschloss, vor ihrem Altar niederzuknien und sie aus ganzem Herzen um Hilfe zu bitten. Sie sollte alles von seinem schändlichen Tausch und dem vermaledeiten Finger wissen. Nur sie konnte ihn von dieser Perversion befreien.
Der Regens hüstelte und fragte ihn, wieweit er mit Christian und Martin befreundet sei, wieweit er also mit ihnen offen reden könne.
Peter glaubte schon, dass er mit ihnen über alles reden konnte.
Der Regens nickte zufrieden. Dann sollte er mit ihnen über die Gründe reden, warum er Priester geworden war. So was helfe, die eigene Entscheidung zu rechtfertigen und gegen Zweifel zu sichern. „Denn wir wollen doch alle unseren Glauben festigen und unsere Entschlossenheit stärken, nicht wahr?“
Auch die Jungfrau nickte aufmunternd, was Peter erfreute und mit Stolz erfüllte.
Der Regens beugte sich vor. Er müsse mit seinen Freunden auch über die Probleme der sexuellen Enthaltsamkeit sprechen. Das dürfe kein Tabu sein. Denn das Schlimmste wäre doch, wenn man im eigenen Saft schmorte. Im Übrigen sei es viel besser, mit Gleichaltrigen darüber zu sprechen, als wenn er in offizieller Funktion einen Vortrag darüber halte, nicht wahr?
Peter stimmte sofort zu, was der Regens zufrieden zur Kenntnis nahm. Dann aber änderte er seinen Blick, schaute ihn sorgenvoll, auch ein wenig nervös an. Peter hätte natürlich jederzeit die Gelegenheit mit seinem Spiritual zu sprechen, und da Pater Markus sein Onkel war, konnte er dort eine Vertrautheit voraussetzen, die er als Regens erst gewinnen musste. Die Nähe zu einem Onkel dürfe aber nicht so weit gehen, dass er zu keiner freien Entscheidung mehr fähig sei. Denn nur dank freier Entscheidung dürfe er Priester werden.
Peter wurde verlegen. Ohne seinen Onkel wäre er nicht Priester geworden, aber er hatte nie geglaubt, dass er dabei einem Zwang erlag. Er wagte dem Regens nicht in die Augen zu schauen, riskierte aber einen Blick auf die Jungfrau, die tief seufzend ihren zarten Busen hob.
Auch der Regens hob seufzend seine Brust. Er komme jetzt auf die schwierigste Aufgabe zu sprechen, die auf ihn warte, und das sei das Gespräch mit seiner Mutter. Sie wollte, dass er Priester werde, koste, was es wolle. Denn das sei nun einmal ihr Herzenswunsch, wie er selbst zur Genüge wisse. Er könne aber nur wiederholen, was jeder Priesterkandidat ja zur Genüge wusste, dass er nur aufgrund seiner eigenen freien Entscheidung zum Priester geweiht werden könne.
Peter neigte demütig den Kopf und sagte, er wusste es und wollte versuchen, so gut wie möglich den Rat des Regens zu beherzigen, worauf dieser aufstand und ihn zur Tür geleitete.
Aber die guten Ratschläge des Regens halfen ihm nicht, aus seinem Dilemma herauszukommen, weil er immer noch nicht wusste, wieweit er seinem Verstand und seinen Sinnen trauen konnte. Es war aber nicht zu bezweifeln, dass Bilder vor seine Augen gerieten, die sich verstandesmäßig schlecht oder gar nicht erklären ließen. Dann konnte er nur aus dem Jenseits, das dem Verstand verschlossen blieb, Hilfe erwarten, dachte Peter. Und hier stand an erster Stelle die heilige Jungfrau, der er sein Leben weihen wollte. Sie würde ihm helfen, dessen war er gewiss.
Kurt lehnte sich zurück und nahm einen größeren Schluck von seinem Rotwein. „Ihr seht, Peter ist noch nicht aus seinem Dilemma raus, ihr könnt also eure Einbildungskraft strapazieren, um es aufzulösen.“
„Muss denn zu seinem Dilemma jetzt auch noch der Lustfinger kommen?“, klagte Rosi. „Das ist mir zu plakativ, auch wenn Franz sagt, das Plakative gehört zu einem Traum, es ist mir auch, wie soll ich sagen, zu unappetitlich!“
„Es ist auf jeden Fall eine männliche Sichtweise“, sagte Kurt. „Das Phallische kommt da doch in allen möglichen Formen vor.“
„Oh, das Phallische gibt es auch in der weiblichen Sicht, aber nicht so, wie soll ich sagen, so offensichtlich platt!“
Darauf lachten die Männer, denn das Wort „platt“ gab dem Phallischen eine komische Wirkung.
„Du hast das richtige Wort gesagt: unappetitlich!“, ergriff Kurt das Wort. „Für Peter ist die Sache mit dem Finger unappetitlich, er schämt sich dafür, deckt ihn mit der Hand zu, wann immer er kann. Aber hier sehen wir die List oder den Trick des Unterbewussten. In der Hose war das Ding, wie Peter es nennt, verborgen, unsichtbar, als Finger ist es das nicht mehr. Peter wird mit ihm konfrontiert. Er kann es nicht mehr unterdrücken.“
Rosi nickte. „Gut, das kann ich verstehen, aber trotzdem bleibt bei mir ein Unbehagen. Lohnt sich eine Geschichte über so ein Thema, das, wie soll ich sagen?, fast ins Pornografische geht?“
„Katholische Priester sind kein Randproblem in unserer Gesellschaft, auch nicht in unserer globalen Gesellschaft“, sagte Franz. „Und wenn sie ihr Zölibatproblem nicht lösen, bleibt die Zukunft der katholischen Priester ungewiss.“
„Ist denn unser Peter typisch für den katholischen Priester“, fragte Rosi. „Der Priester, an den ich mich als Kind erinnere, war eher vergeistigt und zerstreut, ließ uns Mädchen den Rosenkranz beten, schwärmte von seiner Wallfahrt nach Lourdes. Er war ein sehr gutmütiger Mensch. Seinetwegen wäre ich bestimmt nicht aus der Kirche ausgetreten!“
„Wer weiß, welche Gedanken hinter seiner vergeistigten Zerstreutheit stecken!“, gab Franz zu bedenken.
„Ich merkte jedenfalls, dass er mich mochte“, lächelte Rosi. „Aber das einzige, was er dazu sagte, war, dass ihm mein Name gefiel.“
Sie wischte sich über die Augen. „Na gut, ich werde versuchen, an den Fäden der Geschichte, die ihr mir gelassen habt, weiterzustricken. Dann sehen wir uns also bei mir das nächste Mal!“