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PROLOG

Machtlose Menschen

Juli 2012. Sarnico, Italien. Zahlreiche Paparazzi sind im Ort. George Clooney dreht ein TV-Commercial für die Luxusversion der E-Klasse von Mercedes-Benz. In dem Spot will der Hollywoodstar das Auto unbedingt aus der Nähe sehen. Zunächst verfolgt er mit einem Wasserflugzeug den auf der spektakulären Uferstraße des Iseosees fahrenden silberfarbenen Luxuswagen. Dann braust er mit einem Speedboot heran, um das Objekt seiner Begierde aus der Nähe betrachten zu können. Action pur. Die Botschaft: Der smarte Schauspieler mit dem Womanizer-Image wird von dem neuen Mercedes-Modell in dasselbe Jagdfieber versetzt wie beim Buhlen um die Aufmerksamkeit einer schönen Frau.

In den Drehpausen amüsiert sich der tiefenentspannte Star mit seinen Fans und lässt sich dabei fotografieren, wie er Mitglieder der Crew mit Essen versorgt. Die Bilder gehen durch die Yellow Press der ganzen Welt.

Am Rande des Drehs gibt er bekannt, dass er seinen 2008er Tesla Signature 100 Roadster, der erst 1700 Meilen gelaufen ist, versteigern lässt. Mit dem Erlös sollen Hilfsprojekte im Sudan gefördert werden.

August 2012: Der vier Jahre alte Sportwagen bringt der von Clooney mit gegründeten Sudan-Hilfsorganisation Satellite Sentinel Project in der Auktion 99 000 US-Dollar.

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Ungefähr um das Jahr 60 herum sendet der römische Kaiser Nero aus seinen afrikanischen Legionen zwei Centurionen mit ihren Hundertschaften aus, um das noch unbekannte Land bis zu den Quellen des Weißen Nil zu erforschen. Nero plant, den Machtbereich Roms in Afrika mit weiteren Landnahmen in subsaharischen Territorien südlich der Provinz Ägypten zu vergrößern. Das legendäre Goldland, das die Römer im uralten Königreich Meroe im heutigen Sudan vermuten, weckt Begehrlichkeiten. Für die Kosten-Nutzen-Abwägung lässt Nero durch die Vorhut zunächst erforschen, ob das unbekannte Territorium überhaupt über Ressourcen verfügt, deren Ausbeutung lohnt.

Tatsächlich erreichen die römischen Legionäre unter unvorstellbaren Anstrengungen den Victoria-See, aus dem der Weiße Nil entspringt. Um dorthin zu gelangen, müssen sie jedoch ein Hindernis überwinden, dessen Vorhandensein jegliches Interesse an weiteren Eroberungen einschlafen lassen wird: Tief im Süden stoßen sie auf ein Sumpfgebiet riesigen Ausmaßes, der Weiße Nil teilt sich hier in unzählige Arme. Wegen der geringen Wassertiefe sind die Gewässer nicht schiffbar. Die gesamte Fläche ist von Wasserpflanzen wie Papyrus und Schilf bedeckt. Auch ein Durchwaten ist deshalb fast unmöglich.

Die Beschreibung dieses Sumpfs dokumentierte der römische Geschichtsschreiber Seneca. Es ist die früheste bekannte Erwähnung des Sudd (stammt vom Arabischen Sadet = Barrie-re, Staudamm) im Südsudan, der bis heute bei einer Größe von knapp sechs Millionen Hektar zu den größten zusammenhängenden tropischen Feuchtgebieten der Erde zählt.

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Seit Mai 1847 befindet sich der 18-jährige Ornithologensohn Alfred Brehm als Sekretär und Gehilfe des schwäbischen Naturforschers Johannes von Müller auf einer Expedition durch Afrika. Von Ägypten aus wollen sie den gesamten Kontinent durchqueren und dessen Tierwelt erforschen. Im Januar 1848 kommen die Forscher im Sudan an. Seit zehn Jahren beherrscht von Ägypten aus das osmanische Reich die Region. Für seine Reiseaufzeichnungen beobachtet Brehm auch die Menschen, denen er auf seinen Reisen begegnet. Besonders bewegt ihn der im Sudan weit verbreitete Sklavenhandel. Das harte und skrupellose Vorgehen der im Sudan lebenden Europäer gegen die sudanesischen Sklaven findet er unerträglich. Einmal sieht er einen Transport von Sklaven aus dem Süden des Landes ankommen. Der Zustand der dunkelhäutigen Menschen aus der Volksgruppe der Dinka bewegt den jungen Brehm tief: »Der Anblick war schauderhaft. Keine Feder kann ihn beschreiben. Mir hat er wochenlang wie ein Bild des Schreckens vor der Seele gestanden. Es war der 12.Januar 1848.«1 – »Das unglückliche Los, als verkäufliche Ware betrachtet zu werden, trifft die Völkerstämme Abessiniens, die Galla, Schoa, Makate, Amhara (…) die Schilluk, Dinka, Takhallaui, Darfuri, Scheibuni, Kik und Nuer.«2

Brehm schildert Gewalt und Gegengewalt. Er erklärt, mit welcher Rücksichtslosigkeit weiße Menschen die Völker Schwarzafrikas auch mit dem Mittel der Sklaverei unterjochen. Es wundert ihn nicht, dass diese Völker mit ausgeprägter Feindseligkeit reagieren. Diese Feindseligkeit, für die der junge Brehm vollstes Verständnis hat, macht dem Forscher die Weiterreise in den Süden des Landes praktisch unmöglich. So konstatiert er geradezu resigniert: »Die Sklavenjagd ist es, die dem Forscher den Weg ins Innere Afrikas verschließt.«3

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1857 bereist der katholische Geistliche Daniele Comboni mit fünf weiteren Missionaren erstmals Afrika und gelangt in den südlichen Sudan. Das Elend und die Versklavung der schwarzen Afrikaner veranlassen ihn zur Gründung eines Missionswerks. Sein Hauptziel ist der Kampf gegen die Sklaverei, sein missionarischer Ansatz kann moderner kaum sein: »Afrika durch Afrika retten.«4 Gegen große Widerstände der eigenen Kirche beteiligt er Laien und Frauen an der Missionsarbeit.5 Der größte Unterschied zu bisherigen Missionsansätzen ist jedoch, dass Comboni die Afrikaner als mündige und selbstverantwortliche Partner respektiert, die ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen vermögen. Die Europäer dürfen unterstützen und lehren, aber nicht bevormunden und nach europäischem Vorbild formen, lautet einer seiner Grundsätze.6

Das Missionswerk wird ein großer Erfolg. Die Kulturen der im Südsudan lebenden Völker sind aufgeschlossen für die Gottesvorstellungen der Christen. Bis heute ist der südliche Sudan von Naturreligionen und dem Christentum geprägt, im Gegensatz zum überwiegend islamischen Nordsudan.

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Am 11. Juni 1955 wird um 16 Uhr in Le Mans das berühmte 24Stunden-Rennen gestartet. Die Witterung ist sommerlich schwül, ein Gewitter liegt in der Luft. Am Horizont ziehen dunkle Wolken auf, doch noch scheint die Sonne.

Über 200 000 Zuschauer säumen die 13 Kilometer lange Rennstrecke, deren Piste an normalen Tagen dem ganz gewöhnlichen Straßenverkehr dient. Die lange Gerade etwa ist Teilstück der Verbindungsstraße zwischen Le Mans und Tours. Hier erreichen die schnellsten Fahrzeuge Geschwindigkeiten von fast 300 Stundenkilometern. Während der Rennen sind diese Plätze am beliebtesten. Von den »Populaires« aus, den billigen Stehplätzen vor den teuren Tribünen, haben die Fans den besten Blick auf die Startplätze und die Boxen. Das Gebrüll der Rennleiter und Mechaniker dringt zur Menge herüber, der Geruch von Treibstoffen, Kupplungs- und Bremsabrieb schwängert die Luft. Dicht gedrängt stehen hier Tausende von Menschen, direkt an der Rennstrecke und nur durch eine knapp ein Meter hohe Einfriedung aus Stroh und Holzlatten von der Fahrbahn getrennt. Es herrscht Volksfeststimmung. Das Rennen ist ein weltweites Medienereignis, zahllose Medien sind vor Ort, viele Sender berichten live. Für die Wochenschauen der Kinos wird in Farbe und Cinemascope gedreht.

147 Minuten nach dem Start nähern sich mehrere Wagen dem schmalen Streckenabschnitt vor den Tribünen. Das Publikum reckt die Hälse, denn die in Führung liegenden Fahrer sind dabei. Der Brite Mike Hawthorn im Jaguar und die beiden Silberpfeile liefern sich ein packendes Rennen. Jaguar und Mercedes kämpfen um den Sieg bei der WM der Fahrer und der Marken. Mercedes muss in Le Mans gewinnen, um sich noch Chancen auf den Titel zu erhalten.7 Vordergründig geht es um Prestige und zukünftige Kaufanreize für die Kunden der Serienfahrzeuge. Ein Sieg in Le Mans zeigt die technische Überlegenheit der eigenen Produkte im beginnenden Boom der Automobilindustrie. Eine unschätzbare Werbung.

Es ist aber auch, zehn Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs, ein Stellvertreterkrieg zweier Nationen.8 Mike Hawthorn ist für seinen Nationalismus berüchtigt. Im Vorfeld des Rennens kündigte er an, sich niemals Deutschen geschlagen geben zu wollen. Sein Jaguar D-Type ist an der Seite mit dem Hoheitszeichen der britischen Armee bemalt. Ganz vergessen ist noch nicht, dass die Mercedes-Silberpfeile einst bis zum Beginn des Krieges zu Propagandazwecken für die Nationalsozialisten unterwegs waren.9 Die Nazis waren Hauptgeldgeber der Silberpfeile.10 Millionen Subventionen flossen an die Rennsportabteilung des Stuttgarter Autoherstellers.11 Der Automobilrennsport diente als »eine Art mentales Rüstungsprojekt zur Vorbereitung des Krieges«.12 Das Team um den Rennleiter Albert Neumann, das schon vor dem Krieg so erfolgreich war, hat nach dem Krieg mit demselben Personal dort angeknüpft, wo man kriegsbedingt aufhören musste, nun allerdings »demokratisch gewendet«, wie der ZDF-Historiker Guido Knopp Jahrzehnte später formuliert.13

Der Mercedes-Vorstand hatte dazu klare Zielvorgaben gemacht. Fokus der Bemühungen war die Doppelweltmeisterschaft in der Formel 1. Für das ambitionierte Programm wurden umfangreiche Mittel zur Verfügung gestellt. Das Personal der neuen Rennsportabteilung wuchs auf über 200 Leute an. Darüber hinaus standen weitere 300 Spezialisten aus anderen Abteilungen von Mercedes als Berater zur Verfügung.

Innerhalb von vier Jahren entwickelte das Mercedes-Team aus veralteten Vorkriegsmodellen neue Rennwagen. 1954 starteten die neuen Silberpfeile in ihre erste Grand-Prix-Saison; gleich beim ersten Start, dem Grand Prix von Frankreich, schrieben sie Geschichte. Am 4. Juli 1954, dem Tag, an dem in Bern die deutsche Fußballmannschaft Weltmeister wurde, errang das Mercedes-Team auf der Rennstrecke von Reims einen sensationellen Doppelsieg. Mitten in der Saison war Mercedes in die WM eingestiegen, Reims war der erste Start. Für manche Deutsche wurde der Tag zu einem Wendepunkt in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Zeit der Schande und der Bedeutungslosigkeit war vorbei: Endlich war man wieder wer.14 Eine englische Zeitung titelte: »Der Tag for Germans«.15

Auch bei der Sportwagenweltmeisterschaft reüssierte das Mercedes-Team seit 1954. In einem Mercedes-Werbefilm von 1954/55, der im angelsächsischen Raum unter dem Titel »Pioneers of Progress« gezeigt wurde, symbolisierte das Aufziehen der schwarz-rot-goldenen Flagge für den Sieger nach dem großen Sieg in Frankreich das verbindende Element aller Bemühungen der beteiligten Mercedes-Mitarbeiter.16

Die britische Presse wird noch bis weit in die 1980er-Jahre hinein kriegsbedingt anti-deutsche Ressentiments pflegen. Nicht nur Mike Hawthorn verstand das Duell auf der Rennpiste als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.17 Wie er das »no surrender« am Steuer umsetzt, konnten die Zuschauer in Le Mans an diesem 11.Juni 1955 schon seit Rennbeginn beobachten. Zweimal ignorierte der junge Brite die Zeichen seines Teams, zum Tanken an die Box zu kommen. Er will offenbar um keinen Preis seine Führung verlieren.

Ein solches Spektakel gab es auf der Rennstrecke zu so einem frühen Zeitpunkt noch nie. Dichtauf hinter Hawthorn liegt Juan Manuel Fangio. Der legendäre Argentinier hat schon eine unglaubliche Aufholjagd hinter sich. Nach einem miserablen Start ist es ihm in einer halsbrecherischen Vollgasfahrt gelungen, zwei Runden Rückstand aufzuholen. Nun sitzt er mit seinem Mercedes-Boliden dem Briten im Nacken. Die durchschnittlichen Rundenzeiten der beiden Führenden, die sich weit vom Feld abgesetzt haben, liegen bei 200 Stundenkilometern. Zahlreiche Konkurrenten wurden von den beiden Führenden bereits überrundet. Sinnvoll ist das Duell zu diesem Zeitpunkt noch nicht: Das 24-Stunden-Rennen dauert noch keine zweieinhalb Stunden.

Auch auf der Geraden liegen wieder langsamere Wagen vor ihnen. Rechts fährt mit einer Geschwindigkeit von 190 Stundenkilometern der Brite Lance Macklin in einem Austin Healey. Von hinten kommt der auch schon überrundete zweite Silberpfeil mit Pierre Levegh am Steuer, der ebenfalls am langsameren Austin vorbeiziehen will.

Mercedes hat einen PR-Coup gelandet mit der Verpflichtung des in Frankreich überaus populären Amateurfahrers Levegh. Es soll ein Zeichen der Versöhnung sein, dass ein Franzose neben Stars wie Fangio und Stirling Moss beim bedeutendsten Rennen in Frankreich für das sieggewohnte Team aus Deutschland fahren wird.18 Zugleich holt man sich mit dem fast 50-jährigen Pariser Juwelier einen in Le Mans schon überaus erfahrenen und erfolgreichen Piloten ins Team. Levegh war 1952 allein die volle Rennzeit durchgefahren und hatte bis kurz vor dem Ziel wie der überlegene Sieger der 24 Stunden von Le Mans ausgesehen. Fünfzehn Minuten vor dem Ende des Rennens hat ihn ein Getriebeschaden um den sicheren Sieg gebracht. Moralisch war Levegh seither der Held von Le Mans und ein Publikumsliebling.

Mit derselben Geschwindigkeit wie der führende Hawthorn im Jaguar prescht der Franzose ganz links heran. Macklin hält sich rechts. Kurz vor der Boxengasse überholt Hawthorn seinen Landsmann Macklin auf der mittleren Spur, schert dann nach rechts aus und setzt sich vor den Austin Healey. Doch statt weiter davonzuziehen, bremst er scharf ab, um nach rechts zum Tanken vor die Boxen zu fahren. Mit dem Bremsmanöver löst er eine entsetzliche Kettenreaktion aus. Nur der Jaguar verfügt schon über Scheibenbremsen, der Austin mit seinen Trommelbremsen hat einen viel längeren Bremsweg. Macklin wird zu einem abrupten Ausweichmanöver gezwungen, um einer Kollision zu entgehen. Er zieht seinen Wagen nach links und gerät in die Fahrspur des von hinten mit einem Tempo von 240 Stundenkilometern heranrasenden Silberpfeils von Pierre Levegh. Levegh touchiert den linken hinteren Kotflügel des Austins. Wie von einer Abschussrampe abgefeuert, schießt der Mercedes schräg nach links oben, prallt auf eine Betonmauer und wird von da auf die Absperrung katapultiert, die Zuschauer und Fahrbahn trennt. Levegh wird herausgeschleudert und stirbt noch am Unfallort. Der Wagen zerschellt und fängt sofort Feuer. Achsen, Räder, Bremsen- und Karosserieteile schießen mit ungeheurer Beschleunigung in die dicht gedrängte Menschenmenge. Die Zuschauer auf den Stehplätzen in diesem Bereich werden von den herumfliegenden Trümmerteilen umgemäht, Köpfe, Arme, ganze Rümpfe abgetrennt: Bilder des Grauens.

Macklins Austin gerät durch die Kollision mit dem Silberpfeil ins Schleudern und schlittert zunächst auf die Boxen zu, wo drei Menschen überfahren werden, und wird dann quer über die Fahrbahn gegen die Absperrung vor der Tribüne geschleudert, wo er zum Stehen kommt. Macklin kann sich selbst aus dem Wrack befreien.

Vier Sekunden dauert der bis heute schlimmste Unfall, den es im Automobilrennsport je gab. Den deutschen und französischen Fernsehzuschauern bleiben Live-Bilder der entsetzlichen Katastrophe nur erspart, weil die Sender am späten Nachmittag die Direktübertragung des Rennens programmgemäß für andere Sendungen unterbrachen.19 Aufgenommen wird das Grauen dennoch in allen Einzelheiten: Zwei Reporter des französischen Fernsehens drehten mit einer 16-Millimeter-Schmalfilmkamera gerade »Schnitte« für die spätere Berichterstattung. Als der Unfall geschieht, fangen die französischen Kameraleute gerade Szenen vor den Boxen20 ein, die die Rennatmosphäre vermitteln sollen. Sie richten ihre Kamera nach dem Aufprall von Leveghs Silberpfeil sofort auf das Unfallgeschehen. Die Bilder, die sie aufnehmen, sind so grauenvoll, dass später nur einige Ausschnitte gezeigt werden.

84 Menschen starben, hundert wurden verletzt, Hunderte, wenn nicht Tausende traumatisiert. Dennoch: Die Tausende Zuschauer an anderen Stellen der Rennstrecke bekamen von der Katastrophe so gut wie nichts mit. Unfälle gehörten zum Alltag der Autorennen. Die Gefahr für die Fahrer, die bei den waghalsigen Manövern und technischen Grenzen der Fahrzeuge ständig gegenwärtig war, hatte einen besonderen Reiz für die Zuschauer. Erst das machte wohl einen Großteil des Prickelns des Geschwindigkeitsrausches aus. Verunfallte Fahrzeuge, tote Fahrer, Rauchsäulen brennender Wagen zählten und zählen zum besonderen »Flair« des Automobilsports. Nach dem Unfall werden in Le Mans zwar langsame Runden verfügt, das Rennen aber nicht angehalten. Nach kurzer Zeit wird der Kurs wieder freigegeben. Das Rennen geht weiter. Vom Ausmaß der Katastrophe erfahren die meisten Menschen erst am folgenden Tag aus der Zeitung.

Juan Manuel Fangio entkam dem Inferno unbeschadet. Pierre Levegh habe ihn noch mit einem Handzeichen auf die Gefahrensituation aufmerksam gemacht, wird Fangio später berichten – der Franzose sei sein Lebensretter. Der mit Heldengeschichten von Wagemut und Kameradschaft reich gesegnete Automobilsport erhielt eine weitere Legende.

Und noch eine Legende entsteht: Jahrzehntelang wird in der öffentlichen Wahrnehmung der Unfall von Le Mans mit dem Ende der Silberpfeile verbunden. Alle anderen Teams setzten in Le Mans das Rennen fort. Nur Mercedes entschied noch in der Nacht zum 12. Juni 1955, sein Team zurückzuziehen. Wenige Tage nach der Katastrophe verkündet Mercedes-Boss Fritz Könecke den kompletten Rückzug von Mercedes aus dem Rennsport. Menschenleben seien den sportlichen Erfolg und das damit verbundene Prestige nicht wert, kann daraus als Botschaft verstanden werden. Abgetreten war ein Gigant, der – kaum wieder angetreten – den Rennsport dominiert hatte. Die hochgesteckten Ziele des Vorstands wurden quasi im Handumdrehen erreicht. Der in der Vorkriegszeit erlangte Nimbus der Silberpfeile wirkte ungebrochen fort. Er überdauerte auch die Rennsport-Abstinenz seit 1955. Seither fehlte den Autorenn-Aficionados ihr Silberpfeil, fast so, als seien die Ergebnisse aller folgenden Rennen immer nur relativ, weil ja kein Silberpfeil dabei war.

Die Entscheidung, sich aus dem Rennsport zurückzuziehen, beruhte jedoch vorwiegend auf wirtschaftlichen Erwägungen. Tatsächlich hatte Mercedes schon vor Beginn der Rennsaison 1955 beschlossen, die Rennsport-Aktivitäten einzustellen. Man wollte die finanziellen Mittel, die der Rennsport verschlang, nun für die Entwicklung der Serienfahrzeuge einsetzen.21

Mercedes hatte sein Engagement im Rennsport selbst finanziert. Sponsoren gab es im Autorennsport erst, seit 1968 das Verbot von Werbung auf den Wagen abgeschafft wurde22

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Einen Monat nach dem Unglück von Le Mans kommt es im Süden des Sudans zu einem gewaltsamen Aufstand. Am 18. August 1955 beginnen in der kleinen Garnisonstadt Torit nahe der Grenze zu Uganda südsudanesische Soldaten des dort stationierten Equatorial Corps der britischen Kolonialarmee Sudan Defence Army eine Meuterei. Die südsudanesischen Soldaten weigerten sich, den Standort den nordsudanesischen Soldaten zu überlassen. Der Aufstand richtete sich gegen die befürchtete Unterdrückung südsudanesischer Interessen bei der bevorstehenden Entlassung der noch unter britisch-ägyptischer Herrschaft stehenden Gebiete Nordsudan und Südsudan in die staatliche Unabhängigkeit am 1. Januar 1956.

Seit Bestehen des britisch-ägyptischen Kondominiums unter Einschluss des Sudans wurde der Nordsudan von einer britisch-ägyptischen Administration gemeinsam verwaltet, der südliche Sudan hatte eine britische Kolonialverwaltung.23

Als 1922 die Ägypter zum Verlassen des Landes gezwungen wurden, führten die Briten im Nordsudan eine Form der indirekten Herrschaft ein.24 Unter Aufsicht britischer Verwalter bedeutete das auf lokaler Ebene Selbstverwaltung.25 Hintergrund war, dass die Briten Verwaltungskosten sparen wollten.26 Die Briten sprachen von Modernisierung.27 Den Süden beurteilten die Briten als noch nicht reif genug für eine Modernisierung und richteten eine eigene Verwaltung ein.28 Damit betrieben sie de facto eine Abschottungspolitik, die den Süden isolierte.29 Im Ergebnis wurde die kulturelle, ethnische und sprachliche Aufspaltung des Gesamtsudan verfestigt.30

Wirtschaftlich hatte es der Nordsudan durch den Baumwollhandel zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Unter britischem Einfluss wurden Bildungssystem, Infrastruktur und Gesundheitswesen ausgebaut. Die arabisch geprägte Bevölkerung entwickelte Vorstellungen von politischer Teilhabe und deren staatlicher Ausprägung. Seit dem Ende des 1.Weltkriegs wuchs im Nordsudan der Nationalismus.31 Hier – wie auch in den arabischen Regionen, die erst im 1.Weltkrieg als Verbündete der Franzosen, Briten und Amerikaner die 500-jährige Herrschaft der Osmanen beendet hatten – erhielten muslimische Sekten großen Zulauf. Und auch hier war das Ziel die staatliche Unabhängigkeit. Ganz klar war, dass aus Sicht der Nordsudanesen der zukünftige Staat islamisch bleiben sollte.32Aber erst nach dem 2.Weltkrieg, in dem die Sudan Defence Force erfolgreich verhindert hatte, dass das faschistische Italien das Gebiet eroberte, kam es zu Verhandlungen über die staatliche Unabhängigkeit.33 1947 fand in der südsudanesischen Stadt Juba eine Konferenz statt, in der die britischen und nordsudanesischen Verhandlungsführer die Südsudanesen vor vollendete Tatsachen stellten: Norden und Süden sollten ein Staat werden.34

Der südliche Sudan war in jeglicher Hinsicht unterentwickelt und rückständig. Anders als im Norden hatten die Kolonialherren nichts dafür getan, wirtschaftliche Perspektiven, Bildungssystem und Infrastruktur zu entwickeln. Den Südsudanesen war das allerdings auch sehr bewusst. Sie fühlten sich zu Recht marginalisiert und unterdrückt. Je näher die Unabhängigkeit rückte, desto größer wurde die Ablehnung des oktroyierten Staatsgebildes.

Im Laufe des Jahres 1955 kam es zu größeren Unruhen im Süden des Sudans. Menschen begannen, sich gegen die Vernachlässigung der Interessen des Südens durch die Vorherrschaft der Nordsudanesen zu wehren und eigene Rechte einzufordern. Die Meuterei in Torit führte zu einer ersten gewaltsamen Entladung der aufgestauten Frustrationen. In Torit kam es zu einem Gewaltexzess, dem Hunderte Nordsudanesen zum Opfer fielen.35 Der Tag, an dem die Meuterei in Torit begann, ist heute als »Torit revolution day« Nationalfeiertag im seit 2011 unabhängigen Südsudan. Die Aufständischen von damals gelten als Nationalhelden,36 die von ihnen verübte Gewalt wird zur Legende verklärt.

Da die Südsudanesen nicht wirklich gut organisiert waren, konnten die Nordsudanesen den Aufstand schnell stoppen. 250 Todesurteile wurden verhängt, vorwiegend gegen Christen und Intellektuelle.37 Die massiven Repressalien führten zu einer Fluchtwelle aus dem Süden des Sudan in die umliegenden Länder. Dort gründeten sich Widerstandsgruppen, die von nun an den bewaffneten Kampf gegen die Widersacher aus dem Norden führten. Der Bürgerkrieg, der noch vor der offiziellen Staatsgründung begann, endete erst 1972 mit der teilweisen Autonomie der südsudanesischen Verwaltung. Es war nur der erste Bürgerkrieg, ein weiterer sollte folgen. Es war auch nur die erste von zahlreichen Fluchtwellen aus dem Sudan.

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1974 erwirbt der US-amerikanische Ölkonzern Chevron die Konzession, im Sudan nach Erdöl zu suchen und gegebenenfalls die Fundstellen auszubeuten. 1978 wird bei Probebohrungen im Süden tatsächlich Erdöl gefunden. Für den Sudan, der zu den ärmsten Ländern der Welt zählt, ergibt sich aus den Erdölfunden die Perspektive, das Land aus der Armut führen zu können. Die Ölvorkommen sind zwar nicht so groß wie etwa in Saudi-Arabien oder dem Irak, aber vergleichbar mit denen ölproduzierender Länder wie Brunei oder Kolumbien.38 Umsichtig bewirtschaftet, könnte sich das Erdöl als Segen erweisen.39 Es wird sich jedoch zeigen, dass das Öl bis heute zwar eine kleine Elite bereichert, für weite Teile der Bevölkerung hingegen bringt es nicht nur keine Verbesserungen, sondern erweist sich mit Krieg, Verwüstung, Entwurzelung und Zerstörung der Umwelt als Fluch.

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1983 beginnt im Sudan ein Krieg gegen Teile der eigenen Bevölkerung. Die Regierung in Khartum will mithilfe der Sprache eines radikalen Islamverständnisses ihre Interessen durchsetzen und geht rigoros gegen die nicht-islamische und nicht arabische Bevölkerung vor. Es beginnt ein Kulturkampf, der aus heutiger Perspektive als neuzeitlicher Phänotyp gewaltsamer, staatlich organisierter Instrumentalisierung des Islams gelten kann. Die Weltöffentlichkeit nimmt das brutale Vorgehen der sudanesischen Regierung lange Zeit kaum wahr. Hinter den Kulissen geht es um Macht und um die Kontrolle über Ressourcen: Eigentlicher Bezugspunkt ist dabei die Herrschaft über das Öl.40 Als Folge des Konflikts kommt es zu einem völligen Zerfall aller Ordnung, der staatlichen wie der traditionellen. Entsetzliche Gräuel an der Zivilbevölkerung werden von allen Parteien verübt. Spannungen zwischen Ethnien, insbesondere um Ressourcen, hatte es im multiethnischen Sudan immer gegeben. Bis in die Neuzeit existierten aber sogar zwischen arabischen Nomaden und sesshaften Afrikanern tradierte Konfliktlösungsmechanismen, die Spannungen kontrollierten.41

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Bei Daimler-Benz mehren sich seit Anfang der 1980er-Jahre die Stimmen, die eine Rückkehr in den Motorsport fordern.42 Der Autohersteller hat Qualitäts- und Imageprobleme.43 Dem Motorsport misst man erhebliche Impulse für die Kaufentscheidungen der Autointeressenten zu. Nun soll auch Daimler von dem Image, das die Rennwagen vermitteln, profitieren: Leistungsstärke, Hightech, Dynamik und Internationalität.44 1988 beschließt der Konzern den Wiedereinstieg in den Sport, zunächst der Tourenwagen und der Sportprototypen.45 Die Erfolge sind wechselhaft, und nicht die gesamte Unternehmensführung ist vom Sinn der Investitionen in diesem Bereich überzeugt.46 Der ebenfalls geplante Wiedereinstieg in die Formel 1 verläuft stockend.47 Das entsprechende Engagement bleibt nicht ohne Einfluss auf die Serienfahrzeuge: Die beliebteste Farbe der Mercedes-Käufer ist Silber.48

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Die Ausbeutung der Ölvorkommen im Sudan wird derweil weiter vorangetrieben. Chevron sollte laut Vereinbarungen mit der Regierung schon 1984 sudanesisches Öl auf den Markt bringen, suspendierte entsprechende Planungen aber, nachdem eine Rebellengruppe die Anlagen in Rubkona angriff und mehrere Chevron-Mitarbeiter tötete.49 Für viele im Süden galt Chevron als Verbündeter der repressiven Regierung im Norden. Im Norden misstraute man der Begründung für die Verschiebung.50 Dort nahm man an, Chevron sei die Attacke der Rebellen gerade recht gekommen, angesichts des Ölpreisverfalls bereits eingegangene Förderverpflichtungen nicht einhalten zu müssen.51 Eigentlich wollten die Amerikaner warten, bis die Ölförderung im Sudan wieder lukrativer würde, so die Vermutung der Sudanesen.52 Nachdem die Verzögerungstaktik nicht mehr half und Khartum den Druck verstärkte, verließ der US-Riese, der von der US-Regierung keine Unterstützung mehr bei Aktivitäten im Sudan erwarten konnte, das Land.53

Nach dem Rückzug von Chevron wird die Konzession in mehrere Ölfördergebiete aufgeteilt. Für diese sogenannten Blocks werden unterschiedliche Lizenzen zur weiteren Erschließung erteilt. Nach der Erfahrung mit dem Multi aus den USA setzt die Regierung in Khartum nun darauf, kleinere Ölunternehmen ins Land zu holen.54 Man glaubt, durch persönliche Verbindungen in einem Netzwerk aus kleineren Firmen mehr Einfluss ausüben zu können.55 Neben Ölfirmen aus Kanada und Europa drängen nun asiatische Unternehmen wie die China National Petroleum Corporation (CNPC) und die malaysische Petronas (Petroliam Nasional Berhad) in die zukunftsträchtige Ölindustrie des Sudan. Die Kanadier verschwinden relativ schnell wieder, auch wegen des öffentlichen Drucks, der durch den Vorwurf der Verwicklung in Menschenrechtsverletzungen im Sudan entsteht.56 Um die Ölindustrie anzukurbeln, ist dem Norden jedes Mittel recht, für Investitionen ausländischer Geldgeber inländische Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Mit brutaler Gewalt wird die Bevölkerung aus Gegenden vertrieben, in denen Ölquellen erschlossen werden sollen.

Die Geschehnisse im Block 5A genannten Konzessionsgebiet in Unity State sind umfassend aufgearbeitet worden. Um den freien Zugang zu den dortigen Ölfeldern von Thar Jath57 zu deren Ausbeutung zu ermöglichen, wurden Tausende Menschen getötet und Zehntausende vertrieben. Eine groß angelegte Untersuchung erhärtet später den Verdacht, dass ausländische Investoren wie die schwedische Lundin Oil, der malaysische Staatskonzern Petronas und die österreichische Ölfirma OMV die Vertreibungen nicht nur billigend in Kauf nahmen, sondern bei der nordsudanesischen Regierung aktiv betrieben.58 Unmittelbare Nutznießer der Verbrannte-Erde-Politik des Nordsudan gegenüber den Vertriebenen im Süden waren sie allemal.59 Die besonders gute Zusammenarbeit zwischen Khartum und dem malaysischen Staatskonzern hat wohl auch damit zu tun, dass beide Regierungen islamisch sind.60 Petronas betätigt sich im Sudan nicht nur bei der Ölförderung in verschiedenen Konsortien, sondern unterhält Tankstellen und ist Hauptlieferant für Flugbenzin im zivilen Bereich der Luftfahrt, aber auch für das sudanesische Militär61 und investiert eine Milliarde Dollar in den Bau einer Raffinerie.62 Für den aufstrebenden malaysischen Konzern wird der Sudan zum größten Auslandspartner.63

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In dem Jahrzehnte dauernden Konflikt kommen mehr als zwei Millionen Menschen ums Leben. Seit 1983 sind vier Millionen Menschen geflüchtet.64 Das Land ist verwüstet und selbst die überaus fruchtbaren Gegenden, deren Bewirtschaftung die gesamte Bevölkerung versorgen könnte, liegen brach. Millionen Flüchtlinge hausen in Lagern, in denen sie unter teilweise unwürdigen Bedingungen leben müssen, auf die Hilfe internationaler Hilfsorganisationen angewiesen.

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Für die in den Sudan gekommenen Hilfsorganisationen sind die Comboni-Brüder mit ihrer nun 150 Jahre dauernden Präsenz in dem afrikanischen Land wichtige Mittler, Ratgeber und Kooperationspartner. Wesentlicher Bezugspunkt ist dabei das vom Gründer der Bruderschaft entwickelte Menschenbild, das auch als Leitbild für Hilfsorganisationen ohne religiösen Bezug trägt. Zu den Helfern aus dem Ausland zählt auch Hoffnungszeichen | Sign of Hope. Die in Konstanz am Bodensee ansässige deutsche Nichtregierungsorganisation ist eine überkonfessionelle Menschenrechts- und Hilfsorganisation.

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Anfang Juni 1994 reiste Reimund Reubelt, Mitarbeiter von Hoffnungszeichen, in den südlichen Sudan. Im bürgerkriegsgeschundenen Land landete er mit einem kleinen Flugzeug voller Hilfsgüter, die er vorher in Kenia organisiert hatte. Der Pilot war unsicher gewesen, ob die Landepiste, die er ansteuerte, in Rebellenhand oder von Regierungstruppen gehalten wurde: »Wenn die Leute auf uns zu rennen, dann ist das ein schlechtes Zeichen, und wir müssen sofort wieder starten.« Die großgewachsenen und hageren Gestalten schritten langsam, fast feierlich auf die Buschpiste zu.

Diese Reise war der Beginn der seit zwanzig Jahren andauernden Arbeit in dem Land mit einer Analphabetenrate von mehr als 75%, in dem über die Hälfte der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt. Hoffnungszeichen organisierte nun regelmäßige Hilfstransporte in die gefährliche Krisenregion und begann, insbesondere mit kirchlichen Partnern vor Ort zusammenzuarbeiten.

Reimund Reubelts Kollege Klaus Stieglitz erinnert sich noch genau an die Begegnung mit einem älteren Herrn bei einem der regelmäßigen Besuche im südlichen Sudan ein paar Jahre später: »Die einfache Kleidung des Mannes mit schohweißen Haaren wirkte fast schäbig. Der alte Mann, ein ehemaliger Lehrer, erzählte uns aus seinem Leben, und wir hörten gespannt zu. Nach einer Weile fragte er uns, woher wir kämen. Deutschland kenne er gut, meinte er – aus dem Radio. Jahrelang hatte er sich durch den Kurzwellensender der ›BBC‹ auf dem Laufenden gehalten. Besonders traurig gestimmt habe ihn, dass 1961 eine Mauer quer durch Deutschland gebaut worden sei, die die Menschen trennte. Bis 1989 habe er täglich für den Fall dieser Mauer gebetet, die er nie gesehen hat. Dieser Mann im hintersten Winkel des heutigen Südsudans hat uns gezeigt, dass ihm das Unrecht, dessen Symbol diese Mauer war, nicht gleichgültig ist. Und er hat getan, was er konnte, um seinen Mitmenschen im reichen Europa beizustehen: Er hat gebetet. Wir fühlten uns in diesem Moment von dem alten Mann auf eine tiefe Art geliebt. Es war ein eindrücklicher Moment, der uns unser persönliches Credo vor Augen führte: den Menschen helfen, mit ihnen arbeiten und ihre Rechte schützen.«

Zu humanitärer Hilfe für den Südsudan kamen im Laufe der folgenden Jahrzehnte Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit sowie der Einsatz für Menschenrechte hinzu. Aus der Kombination zwischen humanitärer Hilfe, Entwicklungsund Menschenrechtsarbeit in Krisenregionen entsteht eine Spannung: Sich für die Rechte von Menschen einzusetzen, bedeutet, die Stimme gegenüber den Mächtigen zu erheben. Gleichzeitig sind es in Afrika wie in anderen von Potentaten geführten Ländern gerade die Machthaber, die darüber entscheiden, ob man überhaupt mit ihren Bürgern sprechen darf. Dennoch ist es für Hoffnungszeichen wichtig, den Menschen nicht nur mit Nahrung, Wasser, Medizin oder dem Bau von Schulen zu helfen, sondern auch zu versuchen, das Übel – die Verletzung von Menschenrechten –, an der Wurzel zu packen. Reimund Reubelt und Klaus Stieglitz sind deshalb überzeugt: »Wenn wir mit den einfachen Leuten vor Ort zusammenarbeiten wollen, wenn wir auf Augenhöhe eine Entwicklung benachteiligter Personengruppen erreichen möchten, müssen wir uns auch um deren Rechte kümmern. Es gilt, die Würde der Menschen zu schützen.«

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2006 erhält Hoffnungszeichen Beraterstatus im Wirtschaftsund Sozialrat der Vereinten Nationen und macht auf Menschenrechtsverletzungen im Südsudan aufmerksam.

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Ende 2007 wurde Hoffnungszeichen auf Probleme mit dem Trinkwasser in einigen Regionen des südlichen Sudan hingewiesen. Erste Tests bestätigten die Vermutung, dass die Verunreinigungen im Zusammenhang mit der Ölförderung stehen. Hoffnungszeichen gab eine umfassende Studie in Auftrag, die diesen Zusammenhang wissenschaftlich bestätigte.

Die Geschichte, die dieses Buch erzählt, ist die Chronik der Bemühungen von Hoffnungszeichen, die Verantwortlichen in den Ölfirmen zu bewegen, sich an international geltende Standards zu halten. Es geht darum, 180 000 betroffenen Menschen zu ihrem Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser zu verhelfen. Es geht auch darum, eines der größten Feuchtgebiete der Erde mit einem einzigartigen Artenreichtum zu erhalten. Und es geht darum, Herrschaftsmechanismen eines jungen Staats zu zeigen, die die Ölvorkommen zum Fluch für die Bevölkerung werden ließen. Was diese Chronik aber auch zeigt: Es gibt Hebel, um von außen Einfluss auf Entscheidungen der Schädiger zu nehmen. Sie müssten nur konsequent angewendet werden.


Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung

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