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2008

Ein Verdacht

Der heutige Südsudan bildet seit über 20 Jahren den Schwerpunkt der Arbeit von Hoffnungszeichen. Hilfe vor Ort in einem derart krisengeschüttelten Gebiet zu leisten erfordert eine sorgfältige Auswahl der Partner, die auch in schwierigen Zeiten noch in der Lage sind, Projekte zu betreuen. Als eines der ärmsten Länder der Welt benötigt der Südsudan (vormals Teil des Sudans) unsere Hilfe in vielen Bereichen: bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser, beim Aufbau medizinischer Infrastruktur wie Buschkliniken und Unterstützung in Bildungsprojekten. Um langfristig eine nachhaltige Struktur aufbauen zu können, muss man eigene Mitarbeiter vor Ort einsetzen, die mit lokalen Akteuren zusammenarbeiten. Bis zu 80 Mitarbeiter von Hoffnungszeichen sind im Einsatz: Sie unterstützen Mutter-Kind-Projekte, helfen bei der Errichtung von Dorf-Kindergärten sowie beim Betrieb zweier Buschkliniken.

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Ende 2007 erhält Hoffnungszeichen einen Brandbrief aus dem Südsudan. Einem lokalen Vertrauensmann wurde in den vergangenen Wochen und Monaten immer häufiger und in alarmierender Weise berichtet, dass das Trinkwasser in der Umgebung der Ölförderanlagen um Thar Jath nicht mehr in Ordnung sei. Besorgte Mütter beklagten bitteren Geschmack, teilweise sei das Wasser wohl auch so salzig, dass Kinder sich sofort übergäben. Magen- und Durchfallerkrankungen hätten insgesamt sehr zugenommen. Außer den Kindern seien alte oder geschwächte Personen betroffen. Und auch ungewöhnliche größere Viehsterben würden von den Hirten auf schlechtes Wasser zurückgeführt. Als Grund vermuteten die Menschen Abfälle aus der Ölindustrie. Dort würden Chemikalien zum Einsatz kommen und wohl einfach in die Umwelt entsorgt. Genaues wisse man aber nicht. Die Kontaktleute richten einen fast verzweifelten Appell an uns. Sie hätten weder Mittel noch Möglichkeiten, Untersuchungen anzustellen und Beweise zu erbringen. Aber Hoffnungszeichen müsse doch von Deutschland aus etwas ausrichten können?

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Bei Hoffnungszeichen sind die Mitarbeiter des Sudan-Projekts genauso alarmiert. Wasser ist das große und übergreifende Thema vieler Menschenrechtler in dieser Zeit. Am 23. Dezember 2003 hat die 58. Generalversammlung der Vereinten Nationen die zehn Jahre dauernde Internationale Aktionsdekade »Wasser für das Leben« ausgerufen.1 Sie begann am Weltwassertag, dem 22. März 2005, und endete am 22. März 2015.2 In diesem Zeitraum sollen weltweit Entscheidungsträger und die breite Öffentlichkeit für Wasserthemen sensibilisiert und darauf hingewirkt werden, dass bereits eingegangene Verpflichtungen umgesetzt werden.3 Bis 2015 soll die Anzahl der Menschen, die keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser und zu angemessener sanitärer Versorgung haben, halbiert werden.4 Nicht nachhaltige Wassernutzungsformen sollen beendet werden.5

Noch ist das Recht auf sauberes Trinkwasser nicht verbrieftes Recht. Die Weltgemeinschaft arbeitet allerdings mit zunehmender Kenntnis der bestehenden Notlagen und der immer absehbareren dramatischen Folgen daran. Für Menschenrechtsaktivisten wie Hoffnungszeichen steht außer Frage, dass es ein Menschenrecht auf sauberes Wasser gibt.

Was wir von Hoffnungszeichen im Sudan vorfinden werden ist ungewiss. Vielleicht sind es nur Gerüchte, das kam schon vor. Allerdings bewertet unser Kontaktmann, dessen Urteil unser volles Vertrauen genießt, die Situation als sehr ernst. Deshalb gibt es nur eine richtige Entscheidung: Wir müssen den Befürchtungen auf den Grund gehen. Aber wie? Man könnte nach den möglichen Quellen von Verunreinigungen suchen und Proben nehmen. Unsere nächste Menschenrechtserkundungsreise in den Sudan ist schon in Vorbereitung, die Ölfördergebiete stehen nun auch auf dem Reiseplan. Die Entnahme von Wasserproben ist Neuland für Hoffnungszeichen, aber auch hier gilt: Was sich praktisch umsetzen lässt, wird gemacht.

Der erste Schritt erfordert keinen großen Aufwand: Klaus Stieglitz ist mit dem Mitarbeiter eines Wasserlabors in der Nähe des Bodensee befreundet. Von seinem Freund lässt er sich zeigen, wie Wasserproben zu nehmen, Schnelltests durchzuführen und die Proben für eine Laboruntersuchung zu präparieren sind. In einem anderen Labor am Bodensee sollen auch die notwendigen weiteren Analysen durchgeführt werden. Probenbehälter werden zur Verfügung gestellt, Formulare für die anstehenden Probennahmen entworfen.

→ Exkurs: Der Süden lernt,

seine Interessen wahrzunehmen

Anders als der chaotische Gesamteindruck des zerrissenen Landes mit all seinen widerstreitenden Kräften und Interessen vermuten lässt, gibt es auch im Sudan klar definierte Leitsätze für den Umgang mit den Ölvorkommen und ihrer sozial- und umweltverträglichen Nutzung. Von mangelnder Kenntnis des Gefährdungspotenzials kann keine Rede sein.

Die streitenden Parteien des Bürgerkriegs hatten im Verlauf der Friedensverhandlungen bereits im Januar 2004 bei ihrem Treffen in Kenia festgelegt, dass bei der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Nachhaltigkeitsstandards zu beachten seien. Das am 7. Januar 2004 im kenianischen Navaisha unterzeichnete Grundsatzprotokoll wurde als Kapitel III Bestandteil des Umfassenden Friedensabkommens von 2005.6 Konkret formulierten die Parteien unter Punkt III. 1.10 des Protokolls über die Teilung des Wohlstands als Leitprinzip für den verantwortungsvollen Umgang mit vorhandenen Ressourcen, »… dass die am besten bekannten Methoden bei der nachhaltigen Nutzung und der Kontrolle der natürlichen Ressourcen befolgt werden sollen«.7 Das heißt nichts anderes, als dass bei der Ausbeute der natürlichen Ressourcen des Landes internationale Standards eingehalten werden sollen.

Die Grundsätze für die Nutzung der Ölvorkommen werden in Unterpunkt 3 dieses Protokolls gesondert ausgeführt. In Bezug auf die Umwelt- und soziale Verträglichkeit der Ölförderung werden klare Vorgaben gemacht. Vertreter von Regierung und Rebellen waren sich demnach zu diesem Zeitpunkt voll bewusst, dass die Ölförderung mit besonderen Eingriffen in Natur, Umwelt und Lebensraum von Mensch und Tier verbunden ist, die es zu gewärtigen gilt. Nationales Interesse und öffentliches Wohl werden zwar als erstes der zu beachtenden Interessen bei der Erschließung und Förderung von Öl benannt,8 gleichrangig danebengestellt werden aber die Interessen der betroffenen Regionen9 und die Interessen der lokalen Bevölkerung.10 Abschließend enthält die Aufzählung der für alle weiteren Entscheidungen maßgeblichen Voraussetzungen die Einhaltung der nationalen Umweltvorschriften, der Richtlinien für die Erhaltung der Biodiversität und der Prinzipien für den Schutz des kulturellen Erbes.11 Zugleich wird eine paritätisch besetzte National Petroleum Commission (NPC) ins Leben gerufen, die unter anderem beauftragt ist, ein an den oben genannten Punkten ausgerichtetes Regelwerk für die Ölindustrie zu erschaffen.12 Ausschließlich diese NPC soll in Zukunft Verträge mit Ölförderern aushandeln.

Zumindest auf dem Papier endet damit die Zeit, in der die Bewohner des Südsudan Verfügungsmasse des Nordens waren, die nach Bedarf benutzt, vertrieben oder ausgemerzt wurde. Noch bis ins Jahr 2003 hinein kam es trotz diverser Waffenstillstandsabkommen immer wieder zu Kampfhandlungen zwischen Regierungstruppen und Rebellen sowie massiven Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung. Grund war zum einen die Absicht, die Kontrolle über die Ölquellen zu behalten beziehungsweise zu erlangen, maßgeblich auf Regierungsseite war jedoch, ihren vor Ort aktiven Vertragspartnern ungestörtes Arbeiten zu ermöglichen. Bereits seit 1999 berichteten Menschenrechtsorganisationen immer wieder von Angriffen auf die Zivilbevölkerung, um sie aus dem Einzugsbereich der Ölquellen zu vertreiben.13 Mit Unterbrechungen gelang es den Ölsuchern mit dieser Art von Unterstützung, trotz des Bürgerkriegs ihre Probebohrungen fortzusetzen und Ölquellen zu erschließen.

Das Comprehensive Peace Agreement (CPA) macht nun erstmals die Südsudanesen zu gleichberechtigten Partnern. Vertreter der Rebellenpartei erhalten volle Einsicht in die bestehenden Verträge mit Ölförderfirmen und werden mandatiert, zur Beurteilung der Auswirkungen dieser Verträge technische Experten zu beauftragen.14 Besonders hervorgehoben wird dabei die Evaluierung der bereits vorhandenen Auswirkungen. Die Vereinbarungen bleiben auch nicht Tinte auf geduldigem Papier: Im Jahr 2006 überträgt die Sudan People’s Liberation Army (SPLA) norwegischen Experten die Erstellung eines Gutachtens über die bisherigen Auswirkungen der Ölförderung im Südsudan und die sich daraus ergebenden Folgerungen für den zu erwartenden weiteren Ausbau der Ölindustrie.15

In den Jahren 2007 und 2008 bereist ein Team des Norwegian Directorate for Nature Management den Sudan. Nach Gesprächen mit Regierungsvertretern und Offiziellen in Khartum und Juba besuchen die Experten vorhandene Industrieanlagen und Entsorgungsanlagen, um sich vor Ort ein Bild von den Auswirkungen und Herausforderungen der Erschließung und Förderung von Öl im Südsudan zu machen. Maßstab für die Evaluation sind die geltenden internationalen Standards, die Erfahrung im Umgang mit den bekannten Risiken in anderen Ländern mit vergleichbarer On-shore-Ölförderung und die besonderen Bedingungen vor Ort. Probenentnahmen von Wasser, Boden oder lebenden Organismen aus dem Umfeld der Ölbohr- und Förderanlagen finden kaum statt. Das Verfahren ist üblich: Das Ergebnis der Evaluation zielt zunächst darauf ab, den Rahmen aufzuzeigen, aus dem dann die weiteren, konkreten Maßnahmen abzuleiten sind: ein Anfang, mitten in der schon fortgeschrittenen Erschließung des Öls im Südsudan.

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Am 6. Februar 2008 brechen zwei Mitarbeiter von Hoffnungszeichen zu einer 10-tägigen Reise in den Südsudan auf. Begleitet werden wir von zwei einflussreichen Journalisten. Einer ist Kenianer und arbeitet für die Nachrichtenagentur »AFP« (Agence France Presse). Er stößt in Nairobi zu unserer Reisegruppe. Das »AFP«-Büro in Nairobi ist gut besetzt und interessiert sich sehr für den Südsudan. Der »AFP«-Mitarbeiter wird nach dieser Reise eine Reihe von Berichten absetzen, die Themen laufen über die Ticker einer der weltgrößten Nachrichtenagenturen. Der Deutsche ist Redakteur der »Schwäbischen Zeitung«, einer Tageszeitung im Südwesten Deutschlands. Auch er wird nach der Reise seine Eindrücke veröffentlichen.

Nach Zwischenstopps in Nairobi und Juba erreichen wir am 8. Februar in einem kleinen gecharterten Flugzeug Raga. Der Flug hat fünf Stunden Verspätung, weil der schon in die Jahre gekommene Buschflieger nicht startklar war. Der Flughafen von Raga besteht aus einer langen sandigen Piste, das Flughafengebäude ist ein Container. Die Kleinstadt, mit etwa 20 000 Bewohnern eine der größeren Ansiedlungen im Südsudan, befindet sich nahe der noch virtuellen Grenze zum nördlichen Sudan in Western Bahr el Ghazal.16 Der Ort ist zugleich Sitz des Bezirk-Commissioners für das County Raga.

In Raga schlagen wir unser Basislager auf. Es ist ein kleiner Zeltplatz, der innerhalb eines umfriedeten Areals ganz in der Nähe traditioneller Tukuls aufgebaut wird. Geschlafen wird auf Isomatten am Boden, gekocht mit Camping-Kartuschen. Besonders abends kann es vorkommen, dass sich irgendwelches Getier aus der Umgebung zu uns verirrt. Eine handtellergroße Spinne muss im aufgekrempelten Hosenbein mitgereist sein. Anders ist nicht zu erklären, dass sie nachts plötzlich im Zelt deutlich vernehmbar die Innenwand erklimmt. Ein instinktiv über sie gestülpter Kaffeebecher reicht gerade, um das Riesenvieh nach draußen zu befördern. Von nun an werden Hosenaufschläge verstärkt kontrolliert. Manchmal hören wir aufgeregtes Geschrei der Anwohner und wissen dann, dass eine giftige Schlange gesichtet wurde. Keinerlei Reaktionen ruft ein Waran hervor, eine 1,5 Meter lange Echse, die gemächlich durch die kleine Ansiedlung schleicht. Der Waran bedeutet keine Gefahr. Ganz nah und ohne Anzeichen von Angst geht er an uns vorbei und streift uns mit keinem Blick.

Seit 2007 liegt eines der Hilfsprojekte von Hoffnungszeichen in Raga. Ein Pater von den Comboni-Missionaren leitet hier ein Schulprojekt. 2001 mussten die Brüder vor dem Krieg fliehen. Nach Ende der Kampfhandlungen kehrten sie an ihren alten Wirkungsort zurück und bauten die stark beschädigten Lernorte wieder auf. 1200 Kinder werden an zwei nach Geschlechtern getrennten Grundschulen und einer weiterführenden Schule unterrichtet. Die meisten Kinder stammen aus großen und sehr armen Bauernfamilien. Mit jährlich 20 000 Euro werden Nahrungsmittel für die tägliche Schulspeisung und Lehrmittel der Kinder finanziert, in diesem Jahr auch kleinere Reparaturen. Neben den Schulen unterhalten die Combonis in Raga County auch zahlreiche Kindergärten.

Am nächsten Tag fahren wir nach Boro Medina, 100 Kilometer westlich von Raga. Die Fahrt dauert fünf Stunden. Im Flüchtlingslager von Boro Medina hat 2007 unser Engagement in dieser Region begonnen. Im Lager leben sowohl Kriegsflüchtlings- als auch Rückkehrerfamilien, aber auch Überschwemmungsopfer. Beim ersten Besuch übergaben wir 200 Hilfspakete. Bis heute sind insgesamt 1500 Hilfssäcke und rund 75 Tonnen Hilfsgüter verteilt worden. Diesmal haben wir 125 Hilfssäcke dabei, jeder 50 Kilo schwer. Neben nahrhaften Grundnahrungsmitteln erhalten die Familien Decken, Plastikplanen, Kochgeschirr, Moskitonetze, Seife und Hacken. Seit dem vergangenen Jahr haben sich die Lebensbedingungen im Lager nicht verbessert. Die Zahl der Schutzsuchenden ist von damals 1000 auf 2100 gestiegen.

Eine 40-jährige Frau der Volksgruppe der Borge weiter im Norden floh im April letzten Jahres vor den Kampfhandlungen in ihrer Heimatregion hierher. Fünfzehn Tage lang war sie zu Fuß unterwegs. »Angst hatte ich, Angst«, erzählt sie. »Aus der Luft bombardierte uns ein Flugzeug, und am Boden begannen sie zu schießen.«

Unterstützung erhalten die Menschen hier kaum. Es gibt keine sanitären Anlagen und keine wetterfesten Behausungen, von medizinischer Grundversorgung ganz zu schweigen. Das größte Problem aber sind Hunger und Durst. Viele unserer Gesprächspartner klagen, dass sie nichts oder zu wenig zu essen haben. In der Nähe des Lagers gibt es zudem kein Wasser, insbesondere kein sauberes Trinkwasser. Deshalb holen die meisten Frauen Wasser aus dem Fluss Boro, der 40 Laufminuten entfernt liegt. Inzwischen haben sich erst kürzlich vertriebene Familien in den Dörfern Minamba und Deim Jalab niedergelassen. Wir verteilen deshalb 45 Hilfssäcke dort, die anderen im Lager von Boro Medina. Für diese Lieferung stellte Hoffnungszeichen 20 000 Euro zur Verfügung. Ein weiterer Hilfstransport im Wert von 40 000 Euro ist in Planung.

Am 11. Februar 2008 fahren wir zurück nach Raga und treffen uns mit vor Ort stationierten Militärs und paramilitärischen Kämpfern. In dieser Gegend kam es während der Bürgerkriege immer wieder zu Kampfhandlungen und massiven Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere auch durch die für den Nordsudan kämpfenden Milizen. Das CPA von 2005 sieht die Entwaffnung aller Milizen vor. Neben der Khartumer Armee und den Rebellen der SPLA gab es eine Vielzahl von paramilitärischen Milizen, die entweder Khartum oder der SPLA nahestanden. Einige der Milizkommandeure, die man guten Gewissens auch als Warlords bezeichnen kann, wechselten jedoch regelmäßig die Seiten. Dadurch wurde die Sicherheitslage in den betroffenen Landstrichen praktisch undurchschaubar, ein legitimes staatliches Gewaltmonopol gab es nicht. De facto herrschte das Recht des Stärkeren: Wer eine Waffe besitzt, kann seine Interessen durchsetzen. So ist es eines der wichtigsten Ziele des CPA, diese sogenannten OAGs (Other Armed Groups) aufzulösen oder formal in die SPLA oder die Regierungsarmee zu integrieren. Um dies durchzusetzen, gibt es ein Beobachtungsteam, das unter Führung von US-Militärs den Schutz von Zivilisten sicherstellen soll. Als NGO können wir unsere Beobachtungen diesem Team melden. Tatsächlich erhalten wir von unseren Kontaktpersonen vor Ort immer wieder Hinweise auf das Vorhandensein weiterhin bewaffneter Banden und auch auf bewaffnete Zwischenfälle in Süd-Darfur und weit in südsudanesisches Gebiet hinein.

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Bei unserer Erkundungsreise 2007 erbrachten wir den Nachweis, dass in Raga trotz der Sicherheitsabsprachen des CPA zwei Jahre nach Ratifizierung des Abkommens unrechtmäßig weiterhin zwei Milizen stationiert waren. Mit den beiden Kommandeuren konnten wir damals sprechen. Die Quot-al-Salam-Miliz unter Major Hassan Mohammed Abo war mit 3750 Kämpfern im Ort stationiert, die Fursan-Miliz unter Major Hamdan Ahmed al-Momin mit insgesamt 1320 Kämpfern.

Von Kontaktpersonen erfuhren wir 2008 vor Antritt der neuen Erkundungsreise, dass die Quot-al-Salam-Miliz in Umsetzung des CPA abgezogen sei. Die Fursan-Miliz soll sich, inzwischen drei Jahre nach Inkrafttreten des CPA, immer noch voll bewaffnet im Ort aufhalten. Nur der ursprüngliche Anführer sei nicht mehr da. Diesen Angaben wollen wir jetzt auf den Grund gehen.

Die Kaserne, in der im vergangenen Jahr die Quot-al-Salam-Miliz lag, ist verlassen. Außer leeren Patronenhülsen, die überall auf dem sandigen Boden des Kasernengeländes herumliegen, haben die Kämpfer keine sichtbaren Spuren auf dem Gelände hinterlassen. Auch bei Fahrten durch den Ort sehen wir keine Angehörigen dieser Miliz mehr. Die Fursan sind jedoch weiterhin präsent. Im selben Befehlsstand, in dem wir uns im vergangenen Jahr mit dem damaligen Kommandeur trafen, sprechen wir nun mit den nach eigenem Bekunden gegenwärtigen Anführern. Ihr Feldzeichen, ein Blechschild, befindet sich immer noch am Eingang des Gebäudes. Ihre Truppe besteht nach eigenen Angaben derzeit aus 1623 Mann, von denen sich 500 bis 600 Kämpfer hier vor Ort aufhalten und aktuell als Händler auf dem Markt oder auch als Hirten arbeiten. Alle sind noch voll bewaffnet, ausgerüstet nach eigenen Angaben mit G3-Gewehren und Kalaschnikows, die ihnen die Regierung in Khartum bezahlt habe, von der sie auch weiterhin bezahlt würden und der ihre Loyalität gelte. Deshalb würden sie die Waffen nur an Vertreter der Regierung in Khartum herausgeben, allerdings auch nur gegen Bezahlung. Zeigen wollen sie uns die Waffen nicht. Das hätten sie schon bei UNMIS (United Nations Mission in Sudan)getan, deren Vertreter zudem Fotos gemacht hätten.

Von den beiden »Amir«, wie sich die Befehlshaber bezeichnen, erfahren wir, ihnen sei zu Ohren gekommen, dass eine größere SPLA-Einheit von Wau aus auf dem Weg nach Raga sei, um die Fursan zu entwaffnen. Das würden sie aber nicht akzeptieren. »Wir werden ihnen unsere Waffen nicht geben. Wenn sie reden wollen, sagen wir nichts. Wenn sie kämpfen wollen, werden wir kämpfen.« Es ist eine gefährliche Gemengelage. Sollte die SPLA sich tatsächlich in Kampfhandlungen mit der Miliz verwickeln lassen, würde wieder neues Leid über die Zivilbevölkerung gebracht.

Neben der Fursan-Miliz gibt es in Raga noch weitere Soldaten. Zwei reguläre Bataillone sind hier stationiert, je 350 Mann der Streitkräfte der Khartumer Regierung Sudan Armed Forces (SAF) und der ehemaligen Rebellenarmee SPLA. Diese Joint Integrated Unit (JIU) scheint zu funktionieren. Wir treffen uns mit dem Kommandeur des SAF-Teils. Er erzählt uns, dass das Verhältnis zwischen den beiden Einheiten gut sei, auch wenn man bis zum 9. Januar 2005 verfeindet war. Manchmal würden die Kommandeure sogar gemeinsam essen. »Spannungen zwischen den Soldaten der JIU gibt es nicht«, sagt er, »allenfalls, wenn sie betrunken sind.« Eine aus Spielern beider Bataillone zusammengesetzte Fußballmannschaft trete gelegentlich gegen andere Mannschaften aus Raga-Stadt an, erzählt er uns weiter, als wolle er illustrieren, wie normal der Alltag nach dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg schon ist. Das Fursan-Problem beschäftigt auch ihn, ebenso der Umstand, dass ihre Anwesenheit und ihre Finanzierung durch Khartum gleichermaßen eklatante Verstöße gegen das Friedensabkommen sind. Allerdings haben die JIUs kein Mandat, Milizen zu entwaffnen.

Die erfolgreiche Weigerung der Fursan-Miliz, sich entwaffnen zu lassen, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Staatsgewalt in diesem Teil des Sudan mit ihrem legitimen Gewaltmonopol nicht wirkt. Der friedliche Abzug der Miliz würde einen Beitrag zur Stabilisierung der Region leisten. Dramatisch aber sind die immer noch aktiv kämpfenden Dschandschawid-Reitermilizen in Darfur. Die Regierung in Khartum hat die arabischen Nomadenstämme mit modernen Waffen ausgerüstet und ausgebildet und sie zu Mitkämpfern auch gegen die rebellischen schwarzafrikanischen Stämme, die – aus Sicht des Nordens – unbotmäßigerweise Teilhabe und eigene Rechte im und am Land einfordern. Die Dschandschawid kämpfen nicht nur gegen bewaffnete Rebellen, sondern gegen die gesamte Bevölkerung. Massenmord, Plünderung und Vergewaltigungen sind die Regel.17

In Khartum werden bei unzähligen Menschenrechtsverletzungen, die an missliebigen Volksgruppen begangen werden, beide Augen zugedrückt. Man kennt dort die traditionelle Verachtung der arabischen Nomadenstämme für die andersgläubigen und andersfarbigen Ackerbauern im Süden und nutzt sie rücksichtslos für die eigenen Interessen. Nun soll offenbar das traditionell sowohl von arabischen als auch schwarzafrikanischen, christlich-animistischen Volksgruppen bewohnte Darfur von den Missliebigen »gesäubert« werden. Die Rückendeckung durch den Staat setzte alte Konfliktlösungsmuster der verschiedenen Ethnien aus der vornationalstaatlichen18 Zeit außer Kraft. Im Norden konnte man ruhig die Hände in den Schoß legen, während im Süden nur dem Anschein nach unkontrollierbare Gewalt gegen die Zivilbevölkerung entfesselt wurde. Kurz gefasst: Die Regierung gab Menschen zum Abschuss frei.19

Bei unseren Gesprächen im Flüchtlingslager in Boro treffen wir auf zahlreiche Augenzeugen von anhaltenden Übergriffen sowohl der regulären sudanesischen Armee als auch von deren paramilitärischen Verbündeten. Mehrere Frauen berichten, dass sie am 12. Mai 2007 in der Ortschaft Dafak aus der Luft von sudanesischer Luftwaffe bombardiert worden seien und deshalb flohen.

Eine 25-Jährige ist mit ihren vier Kindern hierher geflohen und erst seit 25 Tagen im Camp. Sie gehört der Ethnie der Meziriyah an und lebte in einem Dorf im Bezirk Buram. Ihr Dorf Jokan habe sie in einer Montagnacht in der ersten Januarwoche verlassen. In dieser Nacht sei das Dorf angegriffen worden. »Sie kamen in den späten Abendstunden zu Fuß und in Autos. Sie töteten die meisten Bewohner des Dorfs mit ihren Gewehren und steckten das Dorf in Brand. Wir waren alle auf uns allein gestellt. Ich nahm meine Kinder und lief weg. Die Angreifer schossen auch auf mich.« Als wir fragen, ob sie die Angreifer näher beschreiben könne, erzählt sie, dass sie eine schwarze Hautfarbe gehabt hätten, grüne Uniformen mit Rangabzeichen und dunkelblaue Mützen getragen hätten. Abgesehen hätten sie es besonders auf Angehörige der schwarzafrikanischen Ethnie der Zaghawa. Bei dem Überfall seien ihr 30 Stück Vieh und sämtliche Getreidevorräte geraubt worden.

Kurz nach dem Interview mit der Mutter können wir auch mit ihrer etwa achtjährigen Tochter sprechen. Das Kind erinnert sich, dass es nachts an der Hand seiner Mutter weggelaufen sei und Schüsse gefallen seien.

Einige Tage später, am 18. Januar 2008, sei das Dorf Malaaka in der Nähe von Rudom überfallen worden, erfahren wir von einer anderen jungen Mutter, die mit ihren drei Kindern ins Lager floh. In den frühen Morgenstunden hätten Dschandschawid das Dorf überfallen und in Brand gesetzt: »Sie kamen um drei Uhr morgens. Ich hörte sie schießen. Da nahm ich eines meiner Kinder auf den Rücken, das zweite vor die Brust, das dritte nahm ich an die Hand und rannte davon.« Später erfuhr die 22-Jährige, dass ihr Bruder bei dem Überfall durch einen Schuss in den Oberkörper verletzt wurde.

In unserem Bericht für den Human Rights Council der Vereinten Nationen über andauernde Menschenrechtsverletzungen durch die Milizen und das reguläre Militär werden die Augenzeugenberichte wichtige Beweismittel sein.

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Was macht das Salz im Trinkwasser? Erste Spurensuche im Ölfeld Thar Jath: Am 12. Februar 2008 fliegen wir von Raga aus nach Leer, wo wir unser neues Basislager einrichten. Von hier aus beginnen wir unsere Recherche über die Wasserverschmutzung. Noch am Ankunftstag fahren wir von Leer aus in den Nilhafen Adok, der die Erdölfelder verkehrstechnisch an den Wasserweg nach Norden anbindet. Von Adok aus gibt es eine wetterfeste Schotterstraße in ausgezeichnetem Zustand mindestens bis nach Bentiu, der Hauptstadt des Teilstaats Unity. Für den Bau dieser Straße, die die Ölfelder zugänglich macht, mussten die früheren Bewohner der Gegend einen hohen Preis zahlen. Im Jahr 2000 hatte die mit Probebohrungen beschäftigte schwedische Firma Lundin Oil sich bei der Regierung in Khartum darüber beschwert, dass es wegen der schlechten Straßenverhältnisse in ihrem Konzessionsgebiet zu Arbeitsverzögerungen komme. Die nächsten militärischen Aktionen der Regierungstruppen in der Trockenzeit richteten sich gegen die Bevölkerung vor Ort, deren Ansiedlungen einen Straßenbau behinderten. Ganz gezielt wurde für den Straßenbau die Gegend »gesäubert«. Zehntausende Menschen wurden getötet oder zur Flucht gezwungen, ihre Dörfer zerstört20 Bereits im Jahr 2003 legte Human Rights Watch einen fast 600-seitigen Report über diese Zusammenhänge und Hintergründe des Bürgerkriegs im Sudan vor.21 Es hat einen seltsamen Beigeschmack, dass wir es nun auf dieser Straße nach all den holprigen Pisten geradezu genießen, gut und schnell voranzukommen.

Am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg in das Ölfeld von Thar Jath, in dessen Umgebung die Umweltverschmutzungen vorkommen sollen. Wir fahren auf der breiten Straße nach Norden und lassen uns vom Anblick der absolut unberührt wirkenden Natur überwältigen. Das Gebiet, an dessen Rand wir nun unterwegs sind, ist eines der größten zusammenhängenden tropischen Feuchtgebiete der Erde. Der Nil verzweigt sich hier in kaum wahrnehmbarer Fließgeschwindigkeit in ein riesiges Delta. Je nach Niederschlagsmengen und Zufluss durch die Quellseen des Flusses nimmt der Sudd eine Fläche von bis zu 5,7 Millionen Hektar ein, was der Größe Belgiens entspricht. Während der Trockenzeiten weiden Hirten ihre großen Rinder- und Ziegenherden auf dem fruchtbaren Grasland, das hier entsteht. Meterhoch steht dann das Gras. Der natürliche Tierreichtum des riesigen Sumpf- und Überschwemmungsgebiets hat Experten zu einem Vergleich mit der Serengeti veranlasst.22 Vögel in buntesten Farben begleiten uns, ein Weißkopf-Seeadler sitzt direkt an der Straße.

Uns unbekannte Vogelarten – eine farbenprächtiger als die andere – vermitteln einen ebenso interessanten Einblick in die Artenvielfalt wie eine etwa einen Meter lange Echse, die gelangweilt in der gleißenden Sonne liegt.

Am Weltumwelttag 2006 wurde der Sudd in Khartum in einer feierlichen Zeremonie als zweite sudanesische Landschaft im Rahmen der internationalen Ramsar Convention23 in die Liste der Feuchtgebiete von weltweiter Bedeutung aufgenommen.24 Damit wurde die außerordentliche Bedeutung dieses viertgrößten Sumpfgebietes der Erde manifestiert. Der Sudd erfüllt alle Kriterien, die für eine Klassifizierung nach der Ramsar Convention vorgesehen sind.25 Einen Schutzgebietsstatus im engeren Sinn bedeutet die Aufnahme jedoch nicht. Für den Schutz ist der Sudan zuständig, der nun gehalten ist, entsprechende Regelwerke und Kontrollmechanismen zu schaffen.26

Ökologisch besteht das riesige Feuchtgebiet aus zahlreichen verschiedenen Ökosystemen, von offenem Wasser mit Unterwasservegetation, schwimmender Randvegetation, klassischen Sumpfgebieten bis hin zu saisonal überfluteten Wäldern, von Regen- und Flusswasser genährten Grasniederungen, Auen und Buschland. Hier überwintern Vögel, die nicht nur für den regionalen, sondern auch den internationalen Naturschutz von Bedeutung sind, darunter der Rosapelikan, der eine Flügelspannweite von 3,60 Meter erreichen kann, Weißstörche, Kronenkraniche und Seeschwalben. Hinzu kommen nur hier vorkommende Fischarten, Vögel, Säuger und Pflanzenarten, die gefährdete Mongalla-Gazelle, Elen-Antilopen, Afrikanische Elefanten und Schuhschnabel-Störche. Riesige durchziehende Säugetierherden sind vom Grasangebot der Feuchtgebiete während der Trockenzeit abhängig.27

Um eine Vorstellung von dem Artenreichtum in diesem Gebiet entwickeln zu können, kann man aktuelle wissenschaftliche Befunde heranziehen. Als 2007 in New York die südsudanesische Teilregierung und die amerikanische Umweltorganisation Wildlife Conservation Society gemeinsam das Ergebnis der ersten Bestandsaufnahme der südsudanesischen Tierwelt seit 25 Jahren veröffentlichten, erzählte einer der beteiligten US-Forscher, er habe beim Anblick des Tierreichtums seinen Augen nicht getraut.28 »Ich dachte, ich halluziniere«, erzählte er der »New York Times«.29 Bei der Zählung sei man auf hochgerechnet fast anderthalb Millionen Gazellen und Antilopen gekommen, darunter gesunde Populationen der nur hier und in Uganda vorkommenden Weißohr-Moorantilopen. Die Forscher beobachteten aus der Luft Tierherden, die dicht an dicht eine Kolonne von etwa 80 Kilometern Länge und 50 Kilometern Breite bildeten.30 Sogar die hier schon als ausgerottet geltenden Oryx-Antilopen wurden gesichtet, dazu Elefantenherden, Giraffen, Löwen, Leoparden.31 In Lagunen und Seen tummeln sich Krokodile und Flusspferde.32

Nach den Erfahrungen aus den Bürgerkriegen in Mozambique und Angola, wo Wilderer die Tierpopulationen so gut wie vernichtet hatten, war man mit schlimmsten Ahnungen in den Südsudan gereist.33 Auch im Nordwesten des Südsudan wurde die Tierwelt durch Wilderer extrem in Mitleidenschaft gezogen, ebenso wie im südöstlichen Boma-Nationalpark. Einstmals hier vorkommende riesige Büffel- und Zebraherden wurden ausgelöscht.34 Immer wieder werden auch Berichte bekannt von Dschandschawid, die bis in die Nachbarländer eindringen und dort wegen des Elfenbeins ganze Elefantenherden abschlachten.35 Die Undurchdringlichkeit des Sudd verhinderte offenbar das weitere Vordringen der Wilderer. So wurde der Sumpf zum Schutzschild der Fauna des Südsudans.36

Die Straßen, die zu den Ölquellen gebaut wurden, durchschneiden die traditionellen Wanderwege der Tiere, geben die Naturschützer 2007 zu bedenken. Was vor den Zerstörungen durch den Krieg wie durch ein Wunder gerettet wurde, droht nun doch noch Opfer zu werden. Dabei hat der Sudd noch eine ganz andere Funktion, die ihn so unersetzlich macht: Hydrologisch ist der Sudd ein riesiger Filter, der die Wasserqualität kontrolliert und normalisiert und wie ein riesiger Schwamm die Strömung des Wassers stabilisiert. Er ist die Hauptwasserquelle für Menschen und Tiere und zudem ein reicher Fischgrund. Die Bewohner des Sudd oder seines Einzugsgebiets gehören vorwiegend zu den Ethnien Dinka, Nuer und Shilluk. Ihre sozioökonomischen und kulturellen Aktivitäten sind völlig abhängig vom typischen Wechsel der Trocken- und Regenzeit im Sudd, durch den die Wiesen für ihre Rinderherden regeneriert werden. Sie kommen zu Beginn der Trockenzeit aus ihren festen Wohnsitzen im Hochland in die Niederungen, um ihr Vieh dort zu weiden und kehren mit Beginn der Regenzeit im Mai oder Juni in ihre Dörfer zurück.37 Einer der Gründe für den erneuten Ausbruch des Bürgerkriegs zwischen Norden und Süden war auch die Absicht, den Sudd durch einen Kanal trockenzulegen, um die Wassermassen des Nil in die nördlichen Regionen fließen zu lassen.38 Damit wären die Menschen im Süden von ihrer Lebensader getrennt worden. Schon 2006 wurde die Erschließung der Ölvorkommen als Bedrohung dieses einzigartigen Ökosystems benannt. Im selben Jahr wurde erstmals Öl industriell gefördert. Hat sich die Gefahr so schnell verwirklicht? Wir werden dem auf den Grund gehen.

Zunächst tauchen am Straßenrand verrostete Hinweisschilder auf die Ölfelder auf, dann völlig unvermittelt Hochspannungsleitungen. Immer öfter passieren wir mit Stacheldraht umzäunte Ölpumpen. Wir sind mitten in den Ölfeldern von Thar Jath. Und ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, erheben sich vor uns sechs rot-weiß geringelte Schlote in den Himmel.


Sie gehören zu der Raffinerie, die vor ein paar Monaten errichtet wurde und erst vor wenigen Wochen in Betrieb ging. Aus zweien der Schlote steigen dunkle Abgaswolken auf. Blanke Metallflächen an Rohren, Tanks und Gebäuden spiegeln das gleißende Sonnenlicht. Die Anlage ist umzäunt, die Wachtürme an den Ecken wirken einschüchternd.

Wir fahren an der Anlage vorbei sechseinhalb Kilometer weiter nach Rier. Dort protokollieren wir die mit vielen Bewohnern geführten Gespräche. Dieses Rier ist das neue Rier. Dort, wo das alte lag, befindet sich nun eine Rohölförderanlage. Die 3500 Einwohner wurden 2005 von der nordsudanesischen Regierung gezwungen, von einem Tag auf den anderen ihr Dorf zu verlassen. Nach Angaben der Dorfbewohner kontrollierte der Nordsudan die Gegend bis Anfang des Jahres. Es gab weder Entschädigungen noch Hilfen beim Aufbau des neuen Dorfs.

Der neue Wohnort mutet eher wie ein Flüchtlingslager an, kaum wie eine gewachsene Heimat. Es wurden hier nicht – wie sonst in dieser Gegend üblich – zuerst die Tukul-Lehmhütten gebaut und dann die Verbindungswege zwischen den verstreuten Behausungen. Hier wurden mit Lineal und rechtem Winkel erst die Straßen gezogen und dann die Verschläge für Menschen entlang dieser Pisten gebaut. Die Vertreibung dieser Menschen ist eine weitere eklatante Missachtung grundlegender Menschenrechte.

Besonderen Grund zur Klage gibt es wegen der Trinkwasserqualität. Eine Handpumpe soll frisches Grundwasser aus dem Boden fördern. Doch nutzen die Einwohner von Rier dieses Wasser nicht mehr. Sie vermuten, dass das Wasser von den Ölfirmen mit Chemikalien verunreinigt ist. Ein junges Mädchen berichtet: »Das Wasser schmeckt bitter. Wir waschen damit nicht einmal mehr unsere Kleidung, weil es die Farben angreift und die Stoffe zerstört.« Sie bestätigt damit die zahlreichen Aussagen, die unseren Kontaktmann derart beunruhigt haben, dass er sich an uns wandte.

Am 13. Februar nehmen wir in Rier an dieser Handwasserpumpe unsere erste Wasserprobe. Anschließend fahren wir weiter in das 23 Kilometer von der Raffinerie entfernte Koch. Das Thema Umweltverschmutzung scheint allgegenwärtig. Viele unserer Gesprächspartner, die von Viehsterben und schlechtem Wasser berichten, wollen aus Angst vor Repressalien ihre Namen nicht nennen. »Uns sind alle möglichen Versprechen gemacht worden, Schulen, Straßen, Versorgung. Aber was haben wir davon? Sehen Sie hier irgendwo Schulen? Was wir brauchen, ist gesundes Land und sauberes Wasser, damit wir unsere Herden grasen lassen können«, sagt ein junger Mann.

Später treffen wir auf den amtierenden Commissioner des Landkreises Koch, Oberst Peter Bol Ruot, der in einem schön ausgebauten Tukul seltsam altmodisch Hof hält. Es ist sehr sauber, aufgeräumt. In der Mitte des Hofes steht ein schattenspendender Akazienbaum. In von der Sonne ausgebleichten Plastikstühlen dürfen wir Platz nehmen. Hinter einem kleinen Tisch steht der Stuhl des Hausherrn. Auf dem Tischchen liegt sein Satellitentelefon – das Statussymbol schlechthin in diesem abgelegen Landstrich. Es ist fast, als erhielten wir eine Audienz.

Freundlich beantwortet der Commissioner unsere Fragen. Was wir erfahren ist alarmierend. Im Jahr 2006, so erzählt er, seien 27 Erwachsene und drei Kinder gestorben, weil sie mit Chemikalien verseuchtes Wasser getrunken hätten. Derzeit seien bis zu 1000 Menschen krank davon. Zahlreiches Vieh sei verendet, nachdem es verseuchtes Wasser getrunken hätte. Er habe die Klagen aus der Bevölkerung zusammengetragen und sich an das Ölkonsortium gewandt, das Lizenznehmer in diesem Block 5A genannten Fördergebiet sei. In drei Fällen seien Entschädigungen geleistet worden, »ohne Anerkennung eines Verschuldens seitens des Betreibers«, wie ein anderer Behördenvertreter »AFP« gegenüber später anmerkt. Weiter sei nichts geschehen, trotz der vielen Fälle.

Kurz nach dem Gespräch mit dem Commissioner treffen wir einen Mann,39 der für eine der Ölfirmen arbeitet. Er erzählt freimütig, dass Männer mit Handschuhen und Atemschutzmasken in zuvor ausgehobene Gruben Chemikalienabfälle werfen. Jetzt sei Trockenzeit, aber in der Regenzeit würden diese Gruben geflutet. Wir nehmen sowohl Proben aus dem Brunnen von Koch als auch aus den Sümpfen entlang der Straße von Koch nach Thar Jath um die Raffinerie und weiter südlich aus dem Brunnen der Ortschaft Mirmir und dort aus dem Sumpf. Der geringste Abstand zur vermuteten Quelle der Verunreinigungen – der Raffinerie – sind 600 Meter, der größte 32,7 Kilometer.

Mit den Proben im Gepäck reisen wir zurück nach Leer und sprechen mit dem dortigen Commissioner. Kurz danach begegnen wir zufällig dem schillernden40 Vizepräsidenten des seit 2005 autonomen Südsudans, Dr. Riek Machar Teny, und seiner Frau Angelina Teny, die seit 2005 in der gemeinsamen Übergangsregierung von Nord und Süd Energieministerin in Khartum ist. Ein merkwürdiges Zusammentreffen. Machar plaudert freundlich ein paar Worte mit uns, fragt auch nach unseren aktuellen Erkundungen. Trotzdem haben wir den Eindruck, gegen eine Wand zu reden. Was wir sagen, interessiert ihn nicht wirklich, hat es den Anschein. Vielleicht denken wir beim Anblick seiner ostentativ zur Schau gestellten Macht auch zu sehr an das Leid der Menschen im Südsudan.

Seine Frau, die hoch angesehene südsudanesische Politikerin, lässt er nicht zu Wort kommen. 2006 sagte sie auf einer Konferenz in Juba, dass es Probleme mit dem Prozesswasser gebe, das bei der Ölförderung anfällt. Diese seien bei den älteren Bohrstellen im Norden besonders problematisch, die Firmen, die im Süden gerade beginnen, seien hingegen auf einem guten Kurs.41 Möglicherweise schweigt sie auch deshalb, als wir von unserem Verdacht erzählen.

Am nächsten Tag fliegen wir zurück nach Nairobi. Am Tag darauf halten wir eine Pressekonferenz ab, in der wir den Medien die vorläufigen Ergebnisse unserer Erkundungsreise vorstellen. Dabei fordern wir nachdrücklich die Regierung Sudans zum Handeln auf. Schon allein die von uns gesammelten Zeugenaussagen belegen massive Gesundheitsbeeinträchtigungen und schwerwiegende Auswirkungen auf die Umwelt.

Zurück in Deutschland, übergeben wir am 18. Februar die Wasserproben zur wissenschaftlichen Analyse an ein renommiertes Labor. Das Ergebnis bestätigt die Vermutungen: Das Wasser aus dem Brunnen von Rier erweist sich als stark kontaminiert. Die Analyse ergab einen Gesamtsalzgehalt von 6600,50 Milligramm pro Liter Wasser (mg/l) und eine Belastung mit Strontium in Höhe von 6,7 mg/l. Zudem weist das Wasser dieser Probe einen Nitratgehalt in Höhe von 81,6 mg/l auf. Der von der US-Umweltbehörde EPA empfohlene Grenzwert42 für den Gesamtsalzgehalt von Trinkwasser liegt bei 500 mg/l. Dieser Wert wird bei der untersuchten Probe um das mehr als 13-Fache überschritten. Der Grenzwert für Nitrat liegt bei 10 mg/l und ist damit um das 8-Fache überschritten. Eine Nitratkonzentration in dieser Höhe kann bei Säuglingen schwere Erkrankungen hervorrufen, die bei Nichtbehandlung zum Tode führen können. Die Befunde aus den weiter entfernten Entnahmestellen sind unauffällig.

Das Ergebnis ist erschütternd. Die kommerzielle Ölförderung in diesem Gebiet hat ja gerade erst begonnen und läuft noch gar nicht mit voller Kraft.43 Hier bahnt sich eine furchtbare Umweltkatastrophe an, wenn nicht gegengesteuert wird. Der Befund der Wasserproben wird mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit gegeben. Zahlreiche Medien im In- und Ausland berichten.

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→ Exkurs: Woher kommen die

Verunreinigungen?

In der Bohrtechnologie ist Wasser als Grundstoff für Spüllösungen von elementarer Bedeutung.44 Die generelle Bedeutung von Bohrspülungen in der Bohrtechnik liegt in der Stabilisierung eines reibungslosen Ablaufs des Bohrprozesses. Bohrspülungen sind während des Bohrvorgangs im Bohrloch umlaufende Flüssigkeiten, die das sogenannte Bohrklein nach oben befördern, den Meißel und das Bohrgestänge kühlen sowie die Bohrlochwand gegen Einsturz absichern. In nicht verfestigten Sedimenten, wie sie in dem betroffenen Gebiet vorkommen,45 werden der Spülung Stoffe zugesetzt, die eine Filterkruste bilden und damit die durchlässigen Schichten des Gebirges46 verschließen, um einen Kollaps des Bohrlochs zu verhindern. Eine gering zu haltende Menge Spülung tritt bis zur Krustenbildung in die durchlässigen Schichten ein und verschließt diese. Die Bohrspülung soll andererseits ebenso ein unkontrolliertes Eindringen von Fluiden oder Gasen aus dem Gebirge ins Bohrloch verhindern. Auch aus Kostengründen ist die Zusammensetzung der Spülung an die jeweiligen geologischen Bedingungen anzupassen.

Um die Korrosion des Bohrgestänges zu verhindern, wird stets auf ein sauerstoffreduziertes Milieu geachtet. Bei pH-Werten zwischen 10 und 12,5 ist die Korrosionsgefahr für Stahl vernachlässigbar gering. Um den pH-Wert zu erhöhen, werden Natrium, Calcium und Kalium-Alkalien zugesetzt. Bei niedrigeren pH-Werten in der Spülung müssen zum Korrosionsschutz Phosphate, Borate, Chromate oder spezielle Tenside eingesetzt werden. Zu den Alkalien zählen unter anderem KCI (tonstabilisierend) und Pottasche (K2CO3).

Viele Spülungszusätze haben mehrere Aufgaben zu erfüllen. Dementsprechend ist für Festgestein, Lockergestein, Sedimente oder Sedimentgestein die Bohrspülung jeweils unterschiedlich zusammengesetzt. In Ton und Tonsteinen, wie sie in und um Thar Jath vorkommen, werden z.B. die Bohrlöcher mithilfe von Zugabe von Kaliumchlorid, Kalziumchlorid oder Kaliumsulfat stabilisiert. Dabei werden die in den Tonen vorkommenden Natrium-Ionen durch Kalium oder Kalzium ersetzt, und der Ton nimmt dadurch weniger Wasser auf. Insbesondere Kaliumspülungen haben eine große Bedeutung bei Bohrungen in Ton und Tonsteinen, da sie vor allem in unbekannten Formationen durch die antiosmotischen Eigenschaften des Kalium-Ions die Aufnahme von Wasser optimal verhindern.

Die Verwendung von Chemikalien in Bohrspülungen unterliegt wegen ihres extrem hohen Gefährdungspotenzials strengen international gültigen Richtlinien. Zudem werden bei der Förderung von Öl konzentrierte salzhaltige Lösungen in die Öl-Lagerstätten injiziert, um so den Druck in der Lagerstätte zu erhöhen. Rohöl wird zusammen mit den vorher injizierten Salzlösungen an die Oberfläche gepumpt. Dort wird das Rohöl vom sogenannten Prozesswasser getrennt. 3 bis mehr als 9,5 Liter Prozesswasser fallen bei jedem geförderten Liter Rohöl47 an, eine unglaubliche Menge. Oftmals salzhaltiger als Meerwasser, kann dieses Prozesswasser auch giftige Metalle und radioaktives Material enthalten.48 Üblicherweise wird das Prozesswasser über ein weiteres Bohrloch in trinkwasserferne Schichten in großen Tiefen zurückgepumpt.49 Wird es über das Oberflächenwasser abgeführt oder mit zu seichten Bohrungen in grundwasserführende Schichten injiziert, besteht das Risiko, dass dieses verseuchte Wasser über Brunnen in den Nahrungskreislauf des Menschen gelangt.

Im Sudan ist dieses Problem bekannt: Es war bereits im Jahr 2006 Thema einer Konferenz in Juba, in der es um die Neuausrichtung der Ölförderung nach dem Friedensabkommen und der nun möglichen Beteiligung des Südsudans ging.50 Bei dieser Konferenz wurde darauf hingewiesen, dass der US-Multi Chevron, der bis 1983 die ersten Ölquellen erschloss, das erprobte, aber teure Verfahren zur sicheren Entsorgung des Prozesswassers anwendete: Chevron injizierte das verseuchte Abwasser zurück in tiefe Bodenschichten. Erst die Nachfolger entwickelten die Methoden, die die ersten für alle sichtbaren Folgen für die Umwelt zeigten.51 Die Ölreserven im Ölfeld von Thar Jath werden auf 149,1 Millionen Barrel geschätzt.52 Ein Barrel Öl sind 159 Liter. Überschlägig mit einem Mittelwert von sieben Litern Prozesswasser pro Liter Öl hochgerechnet bedeutet das, das 1 659 483,3 Millionen Liter Abwasser zu entsorgen sein werden.

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Am 18. März 2008 bittet Hoffnungszeichen in einem Brief an den Betreiber der Raffinerie in Thar Jath um eine Stellungnahme zu den Testergebnissen. Das in Khartum ansässige Betreiberkonsortium White Nile Petroleum Operating Company Ltd. (WNPOC) gehört zu 67,875% der zum malaysischen Staatskonzern Petronas gehörenden Gesellschaft Petronas Caligari Overseas, zu 24,125% der indischen Oil and Natural Gas Corporation (ONGC) Videsh Ltd. und zu 8% der staatlichen sudanesischen Sudapet (Sudan National Petroleum Corporation).53 Die Zweidrittelmehrheit in dem Konsortium entstand, als Petronas im Jahr 2003 die Anteile der schwedischen Firma Lundin übernahm, die die Quellen erschlossen hatte.54 Als wichtigster Partner der sudanesischen Regierung bei der Ölförderung und -aufbereitung in allen Lizenzgebieten ist Petronas der einflussreichste Stakeholder in Sachen Öl im Sudan.55

Hoffnungszeichen fordert in diesem Schreiben die Betreiber höflich auf, die Ergebnisse der Wasserproben zu kommentieren und zu erläutern, wie die Abfälle des Produktionsprozesses entsorgt werden und welche Maßnahmen sie planen, um die Bewohner von Rier mit genießbarem Trinkwasser zu versorgen. Eine Antwort kommt nicht.

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Am 28. März veröffentlicht der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine auf Betreiben Spaniens und Deutschlands entstandene Entschließung zur weiteren Diskussion über das in den Katalog der Menschenrechte zu integrierende Recht auf sauberes Trinkwasser und sanitäre Versorgung. Die Entschließung erfolgt als Reaktion auf einen Bericht des UN-Hochkommissars, aus dem hervorgeht, dass weltweit mehr als einer Milliarde Menschen der Zugang zu sauberem Wasser verwehrt ist und 2,6 Milliarden Menschen ohne Sanitäreinrichtungen auskommen müssen. Der UN-Hochkommissar hatte dringend nahegelegt, das Recht auf sauberes Wasser als Menschenrecht anzuerkennen.

Für drei Jahre wird ein unabhängiger Experte eingesetzt, der im umfassenden Dialog auf allen beteiligten politischen und gesellschaftlichen Ebenen von den Regierungen über die UN bis hin zu akademischen Institutionen und Nichtregierungsorganisationen die »best practices« zur Versorgung mit sicherem Trinkwasser und Sanitäreinrichtungen erarbeiten soll. Insbesondere die vor Ort agierenden NGOs werden in den Prozess eingebunden.

Wasser-Experten, die seit Jahrzehnten für die Anerkennung des Menschenrechts auf sauberes Wasser kämpfen, sehen in dieser Entschließung einen der wichtigsten Schritte hin zur Anerkennung dieses Menschenrechts.56 Am Ende des endlich eingeleiteten Rechtsfindungsprozesses soll ein einklagbares Recht auf sauberes Trinkwasser für jeden Menschen auf dieser Erde stehen.

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Im Juli 2008 beauftragt Hoffnungszeichen die Hydrogeologin Hella Rüskamp mit einer Studie zur Ursachenforschung der Trinkwasserverunreinigungen in den Erdölexplorationsgebieten Thar Jath und Mala. Ziel der Studie soll sein, den vermuteten direkten Zusammenhang zwischen den Aktivitäten der erdölexplorierenden Firmen (Explorationsbohrungen, Prozesswasseraufbereitung und -entsorgung) und der Kontamination des Grundwassers vor allem durch Salze und Schwermetalle zu belegen oder zu widerlegen.

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Beim letzten Rennen der diesjährigen Grand-Prix-Saison am 2. November in Sao Paulo hat niemand Zweifel daran, dass Lewis Hamilton Weltmeister wird. Der McLaren-Mercedes-Pilot liegt zwar nur auf Platz fünf, doch reicht das aus, um in der Gesamtwertung der Formel 1 den in diesem Rennen führenden Ferrari-Piloten Felipe Massa auf die Plätze zu verweisen. Bis zur vorletzten Runde herrscht fast Langeweile. Doch dann nimmt das Rennen eine unerwartete Wendung. Nachdem Regen eingesetzt und die meisten Fahrer die Reifen gewechselt haben, zieht Sebastian Vettel mit seinem Toro Rosso völlig überraschend an Hamilton vorbei. Aus der Traum von der Weltmeisterschaft! Hamilton kann nur noch auf dieselbe Punktzahl wie Massa kommen. Und da der brasilianische Ferrari-Pilot mehr Siege in dieser Saison erzielt hat, fährt nun er dem Weltmeistertitel entgegen. Hamilton heftet sich zwar an die Fersen von Vettel, hat aber keine Chance, den unglaublich stark fahrenden Deutschen erneut zu überholen. Aus der Traum? In der Ferrari-Box fallen sich die Mitarbeiter schon in die Arme. 100 000 Zuschauer jubeln ihrem Landsmann zu. Doch dann, im beinahe allerletzten Moment des Rennens, rasen Jäger und Gejagter auf Position fünf und sechs an dem auf Platz vier liegenden Toyota von Timo Glock vorbei. Hamilton fährt doch als Weltmeister durch das Ziel. Der Brite ist mit seinen 23 Jahren der jüngste Weltmeister der Formel-1-Geschichte. Und erstmals seit 1999 gewinnt wieder ein Auto mit einem Motor von Mercedes.57

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Bei Hoffungszeichen arbeiten wir nun mit Hochdruck an der Vorbereitung der weiteren wissenschaftlichen Absicherung der vorgefundenen Kontaminationen und ihrer Ursachen. Bei der Internet-Recherche stoßen wir auf die Facebook-Seite eines Mitarbeiters der Central Processing Facility (CPF) in Thar Jath. Jetzt sehen wir, dass es sich bei der riesigen Anlage, die wir für eine Raffinerie hielten, um eine Aufbereitungsanlage für Rohöl handelt. Hier wird das Rohöl vom Prozesswasser und sandigen Bestandteilen getrennt und von hier aus durch eine Pipeline zur weiteren Verarbeitung in die Raffinerien im Norden gepumpt. Bei der Auswertung von Satellitenaufnahmen ist zu erkennen, dass in dem Ölfeld von etwa 70 Bohrstellen aus Öl für die CPF gefördert wird. Zudem erkennt man verlassene Bohrlöcher, neben denen sich ebenfalls die Gruben mit den gefährlichen Bohrspülungen befanden.

Hoffnungszeichen tauscht sich mit einer Mitarbeiterin von Hella Rüskamp aus. Diese Mitarbeiterin und Klaus Stieglitz müssen möglichst bald nach Thar Jath reisen. Die Proben müssen jetzt von einem Experten genommen werden, damit keine Zweifel an der Beweiskraft der Wasserproben aufkommen. Akribisch werden Formulare für Entnahmeprotokolle vorbereitet.

Mithilfe der GPS-Daten der Probennahmen vom Februar legen wir fest, wo wir nun Proben sammeln wollen: Wir möchten weitere Trinkwasserbrunnen, Sumpfwasser und Prozesswasser in oder an der CPF beproben. Zusätzlich begeben wir uns auf die Suche nach den Abfallgruben, die uns ein Ölarbeiter im Februar beschrieben hatte.

Am 12. November landen wir wieder auf einer holprigen Buschpiste im Südsudan. Dieses Mal begleitet uns eine Korrespondentin der Deutschen Presse Agentur (»dpa«). Unser Arbeitsgebiet befindet sich nördlich der Stadt Leer und erstreckt sich etwa 75 Kilometer nach Norden. Der Weiße Nil ist die geografische und hydrogeologische Grenze des Arbeitsgebiets im Osten. Die erste Probe wird etwa 55 Kilometer vom Nil entfernt genommen. Insgesamt werden Proben aus zwölf Brunnen und sieben Proben aus Oberflächengewässern entnommen, wobei bei einigen Oberflächengewässern nur vermutet werden kann, dass sie Altlasten enthalten. Vier der Oberflächengewässer liegen in unmittelbarer Nähe der CPF von Thar Jath.58 Bei einigen Brunnen werden Klagen von Anwohnern über das Wasser zum Anlass für die Beprobung genommen. Die Handpumpen selbst werden auch einer Begutachtung unterzogen, wobei sich herausstellt, dass sie alle indischer Bauart sind, gegen Einträge von außen abgedichtet und von einem Betonsockel eingefasst. Eine direkte Kontamination von oben am Brunnen selbst scheint so ausgeschlossen. Die Ergebnisse zeigen eine ansteigende Versalzung der Brunnen in ausgeprägter Ost-West-Richtung.

Die Analyse der an den beiden Trinkwasserpumpen in Rier am 14. November 2008 genommenen Proben ergibt einen Gesamtsalzgehalt von 6420 bzw. 6170 Milligramm pro Liter Wasser (mg/l). Die US-Umweltschutzbehörde EPA setzt 500 mg/l als Grenzwert an. Diese Proben überschreiten den EPA-Grenzwert somit um das 12-Fache. Ein Salzgehalt dieses Maßstabs entzieht dem Körper Wasser. Diese Dehydration kann zu einer tödlichen Gefahr werden. Um bei einer Dehydration zu überleben, muss dem Körper unverzüglich sauberes Wasser zugeführt werden. Die Wasserproben in Rier enthielten auch Strontium-Anteile und in einer Probe Blei sowie Spuren von Cadmium.

Aber woher soll dieses saubere Wasser kommen? Viele Einwohner von Rier, insgesamt rund 5000 Menschen, gehen in den Sumpf und trinken die modrig stinkende Brühe. Diese sei besser als das Salzwasser aus dem Brunnen, meinen sie. »Das Wasser schmeckt salzig, und der Hals schmerzt davon«, sagt eine Einwohnerin in Rier. »Man bekommt Hautausschläge davon und Durchfall«, berichtet die Mutter dreier Kinder weiter.

Manchmal kommt auch ein Wasser-Tanklastwagen vorbei – von den Ölfirmen bezahlt. Der Lkw kann 20 000 Liter Wasser laden. 20 000 Liter für 5000 Menschen, oft seltener als einmal pro Woche. 4 Liter für einen Menschen in einer Woche, und das bei vierzig Grad im Schatten. Wenn der Tanklaster kommt, bricht deshalb unter den Menschen Streit aus. Eine Frau zeigt auf eine Narbe auf ihrem Unterkiefer und erzählt: »Hier hab ich einen Schlag abbekommen, als ich am Tanklaster Wasser haben wollte. Da wird richtig gekämpft.« Jeder will für seine Familie, für sich etwas von dem kostbaren Nass bekommen. Da wird gerauft, getreten und geschlagen – ein Schreckensbild, von der Ölindustrie in Szene gesetzt.

Doch die beiden Brunnen in Rier sind nicht die einzigen Problemfälle. Alle zwölf Brunnen, die wir beprobt haben, sind belastet, fünf davon so schwer, dass sie geschlossen oder saniert werden müssen. Es handelt sich dabei um die beiden Brunnen in Rier, den Brunnen bei Mar und die Brunnen in Bouw und Duar.


Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung

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