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Tommy

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Die Schelle über der Wohnungstür schlug Alarm. Ohne Unterlass bearbeitete Tommy die Klingeltaste. Das dringliche Öffnen der Haustür versprach ihm Rettung in letzter Sekunde, vor naiven Wir-lieben-die-Vielfalt-der-Kultu-ren-Träumern oder arroganten Wir-deuten-die-Werte-der-Moral-Oberlehrern. Zumindest stellte er sich das in seiner Fantasie, in der die Menge ihn verfolgender Gegner riesig, deren ideologische Herkunft jedoch überschaubar war, so vor.

Hilde hatte es aufgegeben, ihn von derart überzogenen Ankündigungen abzubringen.

»Gut schaust du aus, mein Lieber«, sagte Hilde, nachdem Tommy nach oben gespurtet war und etwas außer Atem vor ihr stand.

Sie umarmten sich. Tommy hatte einen kräftigen, aber sportlichen Körper und war groß gewachsen und, obwohl Hilde sich streckte, reichte ihr Kopf ihm nur bis zu den Schultern.

Tommy trug eine schwarze Jeans, ein dunkelgrünes T-Shirt und weiße Turnschuhe. Seine blauen Augen wogen die Schwere seines breiten, flächigen Gesichts mit der etwas zu klein geratenen Nase ein wenig auf. Die blonden, kurz geschorenen Haare verschwanden unter einer Basecap, deren Schirm er über die ausgeprägte, leicht vorstehende Stirnpartie gezogen hatte.

Er zog die Cap vom Kopf und grinste. »Danke, Tantchen«, antwortete er. »Und du wirst immer jünger. Wir werden noch ein Paar, irgendwann.«

Hilde lächelte. Aber auch wenn Tommys Süßholzraspelei sie amüsierte - weitere Peinlichkeiten wollte sie ihm ersparen. »Bedenke, Tommy: würde ich immer jünger werden, trüge ich einen Strampelanzug, irgendwann.«

»Oh Gott«, rief Tommy, hielt sich eine Hand vor den Mund und prustete los.

»Siehst du«, sagte Hilde. »Komm schon herein.«

Tommy ging direkt durch bis in die Küche, wo er die Brötchentüte auf dem Tisch ablegte.

»Nein, im Ernst«, griff er den Dialog wieder auf, »was ich sehe, ist überragend.«

»Du brauchst eine Brille, Tommy.«

»Ich schwör’!«

»Besser nicht.«

»Doch, doch, ganz großes Ehrenwort, Tantchen.«

»Na gut Tommy, einverstanden. Deine Hartnäckigkeit lässt mich annehmen, dass du inzwischen ein nettes Mädchen kennengelernt hast?«

»Ähh, nein. Warum?«

»Dann solltest du deine Schmeicheleien sinnvoller einsetzen.«

»Okay, okay, Tantchen, du hast gewonnen. Trotzdem ...«

»Ein Jahr aus den Augen«, unterbrach ihn Tante Hilde, »und aus dem großen Jungen ist ein junger Mann geworden. Bist gewachsen, und auch ein paar Pfunde sind im Internat geblieben, hab’ ich Recht? Es steht dir, wirkt markant, wenn du weißt, was ich meine.«

»Ja, Tantchen. Danke. Viel Sport, weißt du. War das einzige, was man da wirklich gut machen konnte.« Tommy nimmt die Haltung eines sich zur Schau stellenden Kraftsportlers ein. »Mein Körper, gestählt wie von Zwangsarbeitern im KZ. Und da geht noch mehr.«

Das geringste Nachlassen der Aufmerksamkeit

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