Читать книгу Der Gesang der Lerche bleibt - Klaus Weniger - Страница 8

Оглавление

Mit einigen Klassenkameraden befreundet sind uns der Lappwald, der Birkerteich und das Clarabad noch heute vertraut. Ich habe gern in Helmstedt gelebt. Dort habe ich mich wohlgefühlt. Der 2. Weltkrieg hat am 20. Februar 1944 mit dem Luftangriff auf meine Heimatstadt viele Menschenopfer gefordert. An diesen Tag werde ich immer wieder erinnert.

Zurück zum Zeitgeschehen.

Die Lehrerschaft meiner Schule ist ebenfalls auf den Staat vereidigt. Der Gehorsam verlangt, wie sich später herausstellen wird, die Bespitzelung der Lehrerkollegen untereinander. Besonders sind die im Visier, die sich stärker als erwünscht für die Ausbildung der Schüler einsetzen. Im September 1939 – ich bin noch keine zwölf Jahre alt – bricht der Krieg aus, es ist der 2. Weltkrieg. Im Jahr 1941 werden wir Jungen mit vierzehn Jahren regelmäßig und mit Nachdruck von den Führern der Hitlerjugend auf die uns übertragenen Pflichten hingewiesen. Zu den Lehren des Nationalsozialismus kommen außerdem ständig die Ermahnungen zum Gehorsam dem Führer Adolf Hitler gegenüber. „Ihr müsst euch körperlich und seelisch schneller als üblich entwickeln.“

Mit dieser Aussage erhöht sich der seelische Druck auf jeden einzelnen Jugendlichen. Diese Appelle setzen sich auch bei mir fest. „Ich will möglichst schnell älter werden, damit ich noch während des Krieges Soldat werden kann.“

Mit diesem Satz spreche ich in Gegenwart meiner Mutter meinen lang gehegten Wunsch laut aus. Ich bin, wie die meisten Jungen, endgültig von der Propaganda des Systems eingefangen Von nun an, so denke ich, können wir nur gemeinsam weiterleben. Mein so einfach dahin geplapperter Wunsch trifft meine Mutter sehr tief. Ihre Gedanken und ihre Entrüstung über mein kindliches Verlangen würgt sie sicher in diesem Augenblick hinunter. Sie spricht ihre Empörung nicht aus. Ich denke, sie schweigt vermutlich aus Angst vor mir, ich könnte ihre Betroffenheit einem meiner HJ-Führer anvertrauen.

Es ist beängstigend, es zeigt den politischen Zustand in der Gesellschaft an, wenn Eltern vor ihren Kindern Angst haben müssen. Mit dem Wunsch, schnell Soldat zu werden, melden sich sicher nur kindliche Träume. Ich erinnere mich: Gelegentlich spüre ich Zweifel am System, die sich bei mir im Wechsel zwischen einer gewissen Niedergeschlagenheit und einer künstlichen Hochstimmung zeigen. Sind es möglicherweise normale Vorgänge während der Zeit der Pubertät, die mich beeinflussen? Was ist das mit der Pubertät? Ich kenne noch nicht einmal diesen Begriff. Und darüber erfahre ich nichts. Bei politischen Schulungen kommen mir manchmal ungereimte und nebulöse Definitionen zu Ohren. Ist es der graue Schleier der Propaganda? Schnell und gekonnt räume ich alles fort, was bei mir nach einer grauen Absonderung der Propaganda aussieht. Auch dieses ist mir in Erinnerung. Die uns allgewaltige Kriegszeit lässt Augenblicke einer blitzartigen Erkenntnis von Unwiderlegbarkeit ebenso schnell wieder verschwinden. Gern möchte ich meine Fragen stellen, aber wen kann ich in meiner Umgebung ansprechen?

Ich gehe als Arbeiter in eine Munitionsfabrik

Vor den Sommerferien in 1943 melde ich mich im Arbeitsbüro der Munitionsanstalt in Grasleben. Freiwillig will ich einen Arbeitseinsatz für die kämpfenden Soldaten an den Fronten leisten. Ich bin dort sehr willkommen. Um in der Munitionsanstalt eine Arbeit aufnehmen zu können, mache ich mich ein Jahr älter. Bereits am ersten Tag der Schulferien bin ich unterwegs. Um nur nichts zu versäumen, fahre ich mit anderen Arbeitern der Munitionsfabrik, wie man sagt „bereits vor dem Aufstehen“ mit einem von vielen neuen, hellbeigefarbenen Werksbussen zur Munitionsfabrik.

In eingeschossigen, großflächigen Flachbauten befinden sich die Arbeitsräume. Eingereiht zwischen erwachsenen Frauen sitze ich und arbeitete täglich rund acht Stunden.

Wir rüsten überalterte Granatwerfermunition um. Die Stahlkörper, ausschließlich mit Sprengstoff gefüllt, werden aus dem Nebenbau angeliefert. Die Geschosse erhalten eine neue Treibpatrone. Diese wird dann seitlich mit einer Madenschraube befestigt. Zum Abschluss der Montage wird der neue Aufschlagzünder mit der Sprengkapsel auf den Stahlkörper aufgeschraubt. Gegen eindringende Feuchtigkeit werden die Aufschlagzünder mit Schellack versiegelt. Am Ende jeder Schicht verlassen etwa sechstausend 6-cm-Granatwerfer-Granaten unseren Arbeitsraum.

Die militärische Aufsicht in den einzelnen Räumen wird von Munitionsspezialisten gestellt. In unserem Arbeitsraum informieren sie uns wiederholt, dass hier eine Kiste mit kompletten Aufschlagzündern in die Luft geflogen sei. Fahrlässigkeit eines Arbeiters trage die Schuld an dem Unglück. Die Reste des Mannes mit der Schuld habe man regelrecht von den Wänden und der Decke „abkratzen“ müssen. Allein der Gedanke daran, einen Menschen von der Decke abzukratzen, erhöht ständig die Arbeitskonzentration.

Nach wenigen Tagen werde ich zur Verladung von 10,5-cm-Artilleriemunition an den Schacht und die Verladerampe abkommandiert. Aus der Tiefe des Bergwerks kommen laufend flache Loren mit Artilleriegranaten nach oben. Die schweren Loren mit ihren eisernen Rädern, für den Schienenweg ausgelegt, werden auf großflächigen Stahlblechen und anschließend auf die in die Eisenbahnwaggons reichenden Schienenstücke geschoben.

Zur Erleichterung der körperlich schweren Arbeit werden die Bodenbleche ständig mit Wasser begossen. So fällt es den Männern etwas leichter, die Loren zu bewegen. Das Wasser auf den Stahlblechen ergibt bereits nach kurzer Zeit eine dünne, rotbraune Rostbrühe. Die „Munitionskutscher“ erkennt man sofort an den Rostflecken, die sich beim Arbeiten bis hinauf in ihre Kniekehlen verteilen.

Zusammen sind wir mit zehn Mann mit der Verladung beschäftigt. In jedem Waggon stapeln die „Lorenschieber“ die Munition, entsprechend der Anweisungen, auf den Achsen in den einzelnen Waggons. Die leeren Loren werden sofort zurück zum Schacht gerollt. Sie werden kurzfristig mit neuer Munition aus der Tiefe kommen.

Mit hohem Tempo arbeiten wir. Es ist eine körperlich schwere Arbeit und als Lohn bekomme ich zwischen 60 und 95 Reichspfennige je Stunde.

Den Rest der Ferien verbringe ich zusammen mit einigen Schulkameraden in der Badeanstalt Birkerteich. Die Freizeit vergeht sehr schnell, dann beginnt schon wieder der Schulbetrieb. Nach der üblichen Begrüßung vor dem Schulgebäude durch den Direktor der Schule und dem Hissen der Hakenkreuzflagge singen wir gemeinsam mit erhobenem rechten Arm und gestreckter Hand unsere Nationalhymne und das Horst-Wessel-Lied. Der Schulalltag hat uns wieder.

Werbeversuche zum Eintritt in die Waffen-SS

Jetzt kommen die ersten Werbeversuche für den Militärdienst. Die Hitlerjugendführer wollen mich für den Eintritt als Kriegsfreiwilligen in die Waffen-SS gewinnen. Gleichaltrige Jungen fühlen sich, wie auch ich mich, von dieser Werbung mächtig angesprochen.

Auf den Plakaten sind junge, kräftige Männer in Tarnuniform zu sehen. Ihre Tarnuniformen und ihre Stahlhelme mit Tarnstoffüberzug allein sprechen besonders uns junge Männer an. Die zwei großen SS-Runen auf schwarzem Untergrund bannen auch meine Augen. Die Waffen-SS-Uniform trägt auf dem rechten schwarzen Kragenspiegel die weißen SS-Runen. Auf dem linken Kragenspiegel ist die Rangstufe festgehalten. Als einzige Waffengattung tragen sie den Hoheitsadler mit dem Hakenkreuz am linken Oberarm.

Die harte, grünschwarze Ausmalung eines Uniformträgers auf dem Werbeplakat löst bei mir gleichzeitig Beklemmung aus. Ist es eine unbekannte, unterschwellige Angst hier überrumpelt zu werden von dem Anonymen? Fühle ich mich vermutlich nur von der Uniform angezogen und hingerissen? Oder gewinnt man bei den anderen Menschen in der Volksgemeinschaft an Ansehen, wenn man diese Tarnuniform trägt? Möchte ich sie nur tragen, um damit bei den anderen Menschen anzugeben? Will ich dann etwa plötzlich etwas „Besseres“ sein? Mich hat doch die Volksgemeinschaft längst angenommen.

All diese vorgenannten Gedanken und die allgemeinen Richtlinien der Erziehung lassen sich in meinem Inneren nicht in Übereinstimmung bringen. Wir jungen Menschen sind einmal auf Gemeinsinn und auf Gleichheit ausgerichtet. Und da ist noch etwas anderes, etwas Stärkeres in mir, was mich für eine Entscheidung zur Waffen-SS unfähig macht. Dieses Etwas, ich kann es nicht beschreiben, liegt tief und fest in meiner Person verankert. Was sollen meine Eltern dazu sagen und was sollen sie von mir halten? Meinen Eltern kann ich mit der Frage, ob ich mich freiwillig zur Waffen-SS melden soll, nicht kommen. Sie überlassen mir allein die Entscheidung. Denn weder meine Mutter noch mein Vater haben politische Fragen im Privaten zugelassen. Das ist die Tatsache.

An dieser Stelle soll ich einen Einblick in meine Erziehung geben: Gab mir mein Vater einen Auftrag, den ich in meinem Alter erledigen konnte, dann war es sinnlos zu fragen: „Wann soll ich das erledigen?“ Seine Aufträge waren grundsätzlich sofort zu erfüllen. Einen Widerspruch oder eine Ausrede, dass ich erst meine Schularbeiten machen würde, wurde nicht geduldet.

Aus Gründen einer durchgehenden Erziehung war es aus der Sicht der Erziehungsberechtigten einfach erforderlich, bereits kleine Abweichungen mit einer Ohrfeige zu bestrafen.

Je nach meiner Dickköpfigkeit gab es dann gelegentlich die allgemein bekannte „Tracht Prügel“ in unterschiedlicher Qualität. Selbst meine Mutter fühlte sich vereinzelt berufen, mich mit dem Teppichklopfer zu versohlen. Dagegen habe ich mich aber wehren können. An dem Teppichklopfer habe ich mich, auf dem Fußboden sitzend, einfach festgehalten.

Nach diesen Aktionen kam bei beiden kein versöhnliches Lächeln auf. Jedes Mal spürte ich bei diesen Aktionen, dass mein Vater auch noch über einen lange Zeit nachtragend und sehr jähzornig sein konnte.

Ich sollte mich doch für jede Tracht Prügel meinen Eltern gegenüber als dankbar zeigen! Dieses stellte der Studienrat Pepo S. in der Oberschule für Jungen beim Deutschunterricht fest. Er führte geradezu überzeugend aus: „Jeder von euch muss nach der Tracht Prügel dem Vater Danke für die Prügel sagen. Diese wohlgemeinte Behandlung wird euch in eurer Entwicklung stark machen. Und eine Tracht Prügel hat noch nie jemanden geschadet.“

Mit der Prügelei fing es bereits in der Luther-Schule an. Vor einem Lehrer dieser Schule hatten wohl alle Schüler vom sechsten Lebensjahr an große Angst. Der Name dieses „Steißbeinkloppers“ ist mir nicht in Erinnerung. Seine Lieblingsbeschäftigung war, den straffällig gewordenen Schüler vor der Klasse über das Knie zu legen, um ihm dann mit dem Rohrstock den Hintern zu versohlen. Bei dem Mann, der sich Lehrer nannte, half es auch nicht, wenn sich das straffällige Kind ein Heft hinten in die Hose steckte. Das Heft zog der Lehrer vor Verabreichung der Prügel einfach heraus. Darin hatte er Erfahrung.

Aus meinem anerzogenen Gefühl für Gerechtigkeit habe ich mir später gesagt: „Ich werde an meinen Mitmenschen nie Gewalt anwenden. Ich werde mich so gut wie möglich, ihnen gegenüber korrekt verhalten. So korrekt will auch ich von meinem Gegenüber behandelt werden.“ Meine Aussage zu dem Punkt meiner Erziehung sagt nicht, dass ich mich aus Geneigtheit von anderen Menschen beschädigen lasse.

Ich bin sicher, dass sich meine Eltern in allen politischen Fragen immer bedeckt gehalten haben. Bei ihnen fand ich keine Unterstützung. Warum es so war, weiß ich nicht. Ich habe sie nicht mit meinen Gedanken belastet und das werde ich nicht. Nur meine eigene Einstellung, ich möchte es meine persönliche Beherrschung nennen, lässt mich auf dem Boden der Tatsachen bleiben. Wenn ich auf der einen Seite meines Lebens dem Führer Adolf Hitler die Treue geschworen habe, dann heißt es nicht, dass ich meine Eltern in irgendeiner Form hintergehen oder schädigen werde.

Da sich die Eltern, wie bereits festgestellt worden ist, bedeckt halten, verlangt die Zeit von mir, innerlich die notwendige Kraft zu entwickeln, die mich gegen die Irrungen und Wirrungen der Zeit immun werden und bleiben lässt. Nur die unauflösbare, seelische Verbindung zu meinen Eltern hält mich letztlich davon ab, für die Waffen-SS zu optieren. Ich gebe zu, ich habe in dieser Frage mit mir kämpfen müssen. Die schneidige Tarnuniform und diese kantigen und harten, die sogenannten germanischen Gesichter hinterlassen bei mir einen großen Eindruck. In vielen schlaflosen Nächten und weil ich unbedingt in den Krieg ziehen will, beschäftige ich mich damit.

Mit ihren sanften und unerwartet freundlichen, ja einschleichenden Stimmen versprechen mir die Hitlerjugendführer: „Wenn du jetzt unterschreibst, dann bist du noch vor dem sechzehnten Geburtstag bei der Waffen-SS.“ Was wären das für Aussichten! Und Luftwaffenhelfer brauche ich nicht mehr zu werden. Ich wäre schon mit allen Gleichgesinnten im Krieg, noch vor all den anderen Jungen meiner Umgebung.

Ich war mir für meine Entscheidung schließlich sicher, ihre sanften Stimmen haben mich gewarnt. Auf der einen Seite die Härte im Gesichtsausdruck auf den Plakaten und dann das für mich nicht passende Schmeicheln der Hitlerjugendführer. Noch im Sommer 1943 melde ich mich heimlich und freiwillig zum Kriegsdienst bei der „Division Hermann Göring“. Ihre Einheiten gehören zur Luftwaffe. Ihr Oberbefehlshaber ist der Reichsmarschall Hermann Göring.

Gegen diese Entscheidung haben meine Eltern nichts gesagt. Nach meiner Entscheidung kommt von den HJ-Führern keinerlei Druck mehr auf mich zu. Diese Alternative ist der einzige Grund, warum ich mich freiwillig zum Kriegsdienst meldete.

Brandwache in der Schule

Zur Sicherung unserer Schule gegen Feuer, das in Form von Stabbrandbomben von den feindlichen Bombern auf die Stadt fallen kann, ist in unserer Oberschule für Jungen eine Brandwache eingerichtet. Unter der Aufsicht eines Studienrates stehen zur Nachtzeit zwei oder drei Schüler für die Brandwache zur Verfügung.

Der Luftkrieg erfordert die Bereitstellung geeigneter Gegenmittel. Deshalb stehen an markierten Stellen innerhalb des Schulgebäudes zur Feuerbekämpfung Eimer, die ständig bis zum Rand mit Wasser gefüllt sind, große Papiertüten mit Sand, Feuerpatschen und die von Hand zu benutzenden Wasserpumpenspritzen. In der Gemeinschaft mit den in Glasschränken untergebrachten Tierpräparaten verbringen wir jeweils eine Nacht auf Feldbetten. In einer Ecke des Raumes steht ein komplettes echtes Skelett. Ob es sich um ein männliches oder weibliches handelt, das habe ich nicht erfahren. Lehr- und Hilfsmittel sind geordnet untergebracht. Es stinkt in dem Raum nach altem, verstaubten Bohnerwachs und Kreide.

Bis zum Ende Dezember 1943 kommt die Brandwache nicht zum Einsatz.

Einsatz in Hannover nach schweren Luftangriffen

Eines Vormittags wird der Schulunterricht unterbrochen. Die HJ muss sofort auf dem Schulhof der alten Penne „abmarschbereit“ antreten. Das ist der Befehl. Antreten vor dem Gebäude, in dem der Hitlerjugend-Bann, die Hitlerjugend-Führung, residiert.

Das fehlt mir noch, außer der Reihe anzutreten. Meine Uniform, frisch gewaschen, hängt heute zum Trocknen auf der Wäscheleine. Was werden die von der HJ sagen, wenn ich in Zivil antanze? Nicht hingehen? Das geht überhaupt nicht. Mir bleibt nichts anderes übrig, ich gehe in Zivil zum Dienst.

Mit meinem Erscheinen fängt der große Ärger an. Mein HJ-Führer kommt direkt auf mich zu. Von dem Schlag mit seiner flachen Hand, den ich ohne jede Vorwarnung im Gesicht spüre, bin ich fast benommen. Er brüllt mich an: „Was fällt dir ein, hier auf der Bildfläche ohne Uniform zu erscheinen? Du gibst hier eine private Vorstellung und dabei eine so lächerliche und billige Figur ab. Was du hier vorführst und was ich hier sehe … das ist die reine Wehrkraftzersetzung!“ Dass meine Uniform auf der Leine hängt, interessiert ihn überhaupt nicht. Das will er nicht hören.

Jetzt ist seine Stunde gekommen. War da noch die Rechnung mit der fehlgeschlagenen Werbung für die Waffen-SS offen? Er will mich fertig machen. Es ist für ihn ein Fressen, mich vor meinen Kameraden zu erniedrigen.

„Wenn es Antreten heißt, heißt es natürlich in Uniform antreten. Und das ist ein Befehl! Den Befehl hat jeder auszuführen, auch du. Hast du das gefressen? Nein! Du hast es nicht gefressen. Du bist ohne deine Uniform zum Dienst gekommen.“ Kann ich, so glaube ich, jedenfalls etwas dazu beitragen, damit er mit seiner Kanonade aufhört. Mein Versuch: „Ich denke …“, „… Ach nein! Du denkst, … du hast hier nicht zu denken! Das Denken kannst du ruhig den Pferden überlassen, die haben einen größeren und dickeren Schädel.“ Mit heftigem Brüllen schmettert er mir seine Reaktion entgegen. „Es gibt keine eigenmächtige Änderung der Kleiderordnung! Geht das denn nicht in deinen blöden Schädel?“

Warum muss meine verdammte Uniform ausgerechnet heute gewaschen auf der Leine hängen? Wer kann es überhaupt nachvollziehen: dass ein Zivilist bei der HJ nichts, aber auch gar nichts gilt. Ich habe es doch wissen müssen, was zu erwarten ist. So bleibe ich, innerlich fürchterlich aufgeregt, für Augenblicke in tiefe Zweifel mit dem System gestürzt, allein zurück. Meine Schulkameraden fahren in Uniform ohne mich zum Einsatz. Sie wollen den ausgebombten Menschen helfen. In der vorausgegangenen Nacht hat es einen Terrorangriff auf Hannover gegeben.

Mir ist die Auseinandersetzung mit dem HJ-Führer mehr als ärgerlich. Der hat mich vor den Augen meiner Kameraden gedemütigt. Er hat mich mit voller Absicht tätlich bestraft. Wie stehe ich jetzt da? Ich komme nach Hause und bitte meinen Vater, mit meinem HJ-Führer über die Angelegenheit zu sprechen. Ich bitte ihn eindringlich. Mein Vater dagegen findet meinen Wunsch überhaupt nicht gut. „Der HJ-Führer stellt sich doch jetzt stur. Vor dem werde ich nicht zu Kreuze kriechen.“ Ich habe das Zögern meines Vaters nicht verstanden.

Schließlich fahren wir zu dem Schläger. „Du bleibst im Wagen!“, lässt mich mein Vater beim Aussteigen wissen. Seine innere Unruhe war mir nicht entgangen. Nun kusche ich schon wieder wie ein Hund. Dieses Mal sogar vor meinem Vater. Ungeduldig warte ich auf seine Rückkehr. Er zeigt keinerlei Reaktion und spricht nicht mit mir. Hätte ich ihn gefragt, hätte ich wahrscheinlich eine extra Ohrfeige bekommen. Über das Ergebnis der Aussprache habe ich nie etwas gehört.

Der HJ-Führer S. hatte sich bestimmt mit seiner politischen Einstellung durchgesetzt. Er kostete mit Sicherheit bei dem Gespräch noch einmal seinen Sieg aus. Und der Vater wollte nicht vor seinem Sohn als Schwächling erscheinen. In der folgenden Woche habe ich auch nichts mehr von der HJ gehört. Und was wäre denn wirklich geschehen, wenn jetzt der eine oder andere Hitlerjunge zum Extra-Einsatz in Zivil kommen würde? Die Ehre der HJ darf in keinem Fall beschädigt werden. Dieses habe ich, wenn auch zähneknirschend, einsehen müssen.

Nach dem nächsten Angriff auf Hannover einige Tage später fahre ich endlich mit. In der frisch gebügelten Uniform geht es zum Einsatz. Nahe dem Hochbunker an der Lönsstraße werde ich mit einigen anderen Hitlerjungen zum Helfen eingesetzt.

Im Eilenriedestadion nahe der Stadthalle haben die Funktionsträger der Feuerwehr, des Roten Kreuzes, der Polizei und der Partei auf und neben der Aschenbahn Verpflegungsstände für die Bevölkerung einrichten lassen. Auf diesem Sammelplatz finden sich die ausgebombten Menschen ein, die über Nacht ihre Habe und Bleibe durch die Bomben verloren haben. Die Menschen erhalten hier ihre Verpflegung. Auch wir Helfer werden hier verpflegt.

Die Wasserleitungen und Wasserspülungen der Sanitäreinrichtungen sind im Eilenriedestadion über Jahre ungenutzt, völlig ausgetrocknet und verrostet. Nach den Luftangriffen sind sie jetzt bei dem Massenandrang von Ausgebombten im wahrsten Sinne des Wortes überfüllt. Freigemachte Räume in den Kabinen des Stadions dienen jetzt als Lager für den Nachschub an Nahrungsmitteln.

Die Menschen, die in der letzten Nacht den Angriff überlebt haben, stehen mit grauen Gesichtern stumpf und abwesend und hilflos herum. Ohnmacht steht auf ihren Gesichtern geschrieben. Einige betäubte Menschen erfassen im Augenblick nicht einmal mehr die Zerstörungen um sich herum. Teilweise irren sie, vorübergehend jede Erinnerung in ihren Köpfen gelöscht, ziellos umher. Andere, die sich in der Nacht zwischen den explodierenden Bomben ihren Schutz suchten, zeigen sich unerwartet überaktiv. Sie sind auf der Suche nach Resten ihrer Habe. Die ihnen vertraute Umgebung. existiert nicht mehr. Ein ekelhafter Gestank hat sich über der vernichteten Wohnlandschaft ausgebreitet. Schuttberge der zerbrochenen Mauern setzen noch stundenlang den schwelenden Qualm brennbarer Gegenstände frei. Nur selten verscheucht der Wind ihn für kurze Momente.

Hier also haben uns die HJ-Führer zum Helfen eingesetzt. Für uns fünfzehn Jahre alten Jungen sind diese Erlebnisse sehr stark. Wir werden die Erfahrungen mit nach Hause nehmen. Mein Eindruck ist, dass einige der Betroffenen nicht begreifen können, dass sie nun obdachlos sind. Mit dem Elend hier kann ich nicht umgehen. Ich bin tief betroffen. Unter uns Jungen sprechen wir nicht darüber, was wir sehen und erleben. Ich denke, hier beginnen wir früh mit der Verdrängung unserer Gefühle.

Wir verlassen den Ort mit dem Elend, um an einer anderen Stelle das gleiche Elend vorzufinden. Unter aufgetürmtem Trümmerschutt liegen Häuser, Straßen und Vorgärten. Wie es hier vorher ausgesehen hat, wissen die Menschen im Augenblick wohl selbst gar nicht mehr.

Später sind wir zu einer dritten Aufgabe unterwegs. Aus einem brennenden Haus sollen wir Telefonleitungen bergen. Die in Blei gefassten Leitungen sind auf kleine Rollen aufgewickelt. Sie liegen tief in einem Keller. Das mehrstöckige Haus ist zu diesem Zeitpunkt bis auf das erste Obergeschoss heruntergebrannt. Nur durch das schon vom Feuer aufgeheizte Erdgeschoss kommen wir in das Kellerlager. Der Zutritt zum Gebäude und der Aufenthalt in dem tiefen Keller machen mir Angst. Unter Aufbietung aller Kräfte kriechen wir vorwärts und holen die schweren Rollen aus dem überhitzten Keller. Restmengen müssen wir zurücklassen. Nur mit unseren Händen haben wir die Rettungsaktion der Wertstoffe bewältigt.

Einen Atemschutz und Schutzhandschuhe kannte man damals nicht. Selbst nasse Tücher für den Atemschutz standen uns nicht zur Verfügung. Unter Gasmasken hätten wir nicht arbeiten können. Uns wären die Volksgasmasken bei der Hitze in dem Kellerlager zur Todesfalle geworden.

Wir haben uns in den Minuten der Ruhe schnell wieder von der Anstrengung erholt. Und wir haben mehr als nur sehr viel Glück gehabt, denn nur wenige Augenblicke vergehen, da stürzen die Decken des Ober- und Erdgeschosses krachend in den Keller. Für Augenblicke verschwindet alles in einer gewaltigen und ohrenbetäubenden Lärm verursachenden dichten, auf uns zurollenden Staubwolke. Schmutz, der Staub der Zerstörung und der Brandgeruch liegen, alles Leben bedeckend, in den Straßen. Der Staub klebt auf unseren verschwitzten Körpern und Gesichtern und haftet fest in der Uniform. Und ich empfinde dieses als eine Art Auszeichnung für unseren Einsatz.

Mir ist bei unserem Auftrag, den Menschen zu helfen, nicht bewusst, dass sie mit jedem kommenden Luftangriff noch mehr Elend und Todesangst erleben.

In kleine Gruppen aufgeteilt sind wir zu weiteren Einsätzen unterwegs. Es sind etwa sieben Stellen an diesem einen Tag, wo wir helfen. Diese liegen in einem kleinen Bereich der Stadt. Unsere Hilfsarbeiten erledigten wir mit Eifer. Müde und fertig geht es vor Einbruch der Dunkelheit zu unserem Sammelpunkt. Die einbrechende Nacht lässt in mir noch einmal das Erlebte aufsteigen.

Auch die kommende Nacht soll keine Ruhe geben. Mit großem Nachdruck heulen die Sirenen. Ihr auf- und abschwellendes „Jaulen“ geht allen Mitmenschen und mir bis ins Mark. An diese Sirenengeräusche gewöhnt sich kein Mensch. Sie verkünden Verlust und Tod. Die bis ins Mark gehenden Schreie der Sirenen verlangen von den Menschen, dass sie sich schnell vor den Bomben in Sicherheit bringen. Ihre lauten Schreie verursachen auch heftige körperliche Schmerzen.

Im Hochbunker an der Hermann-Löns-Straße finden wir mit vielen anderen Bürgern der Umgebung Schutz. Den Luftangriff erleben die Menschen im Hochbunker. Obwohl der Bunker auf mich zunächst einen sicheren Eindruck macht, fühle ich mich mit einem Mal nicht mehr ganz sicher. Bedingt durch die spürbare räumliche Enge kommt dieses Gefühl auf. Jetzt und hier eingesperrt zu sein und der fühlbare Mangel an Luft verstärken die Feststellung. Draußen wütet erneut der Bombenkrieg. Hier im Bunker, hinter dickem Beton ist er kaum wahrnehmbar. Ich spüre neben mir die Menschen. Ich sitze mit meiner Beklemmung zwischen den vor Angst schweißnassen Menschen. Vereinzelt nehme ich auch explodierende Bomben wahr. Der Einschlag in unmittelbarer Nähe des Bunkers hat den Betonklotz leicht ins Schwanken gebracht. Am Morgen treten wir endlich und mit Hoffnung auf frische Luft wieder ins Freie. Die Luft bewegt sich kaum. Sie ist angefüllt vom Gestank schwelender Brennstoffe. Ich bin sehr froh, dass wir die letzte Nacht ohne jeden Schaden überstanden haben. Am späten Nachmittag sind wir zusammen wieder auf dem Weg nach Hause. Ich erinnere mich nicht, dass ich über meine Erlebnisse mit meinen Eltern gesprochen habe.

Schultradition

Aus einem nicht erklärbaren inneren Protest, sicher gelegentlich auch gegen die Hitlerjugend, leisten wir Schüler uns den Luxus und folgen auch jetzt noch immer einer alten Schultradition. Bei nahezu jedem Wetter bummeln wir abends auf der Südseite der Neumärker Straße, eine der Hauptgeschäftsstraßen Helmstedts. Es geht vom Rathaus am Marktplatz in Richtung Westen bis nahe zum Hausmannsturm, einem Stadttor.

Die Gehwegplatten auf den beiden Bürgersteigen der Neumärker Straße zeigen Abnutzungen. Mit einem Lächeln sagen wir, dass seit Hunderten von Jahren unsere Vorschüler die Gehwegplatten hier jeden Vorabend krumm und schief gelaufen haben. Wir Nachfolger laufen ebenso in kleinen Gruppen pausenlos hin und her.

Unsere Vorgänger haben seit ewigen Zeiten den Mädchen vom Lyzeum, die ihrerseits in Gruppen zu zweit oder zu dritt auf dem Gehweg der anderen Straßenseite flanierten, heimlich verstohlene Blicke zugeworfen. Sicher kam der eine oder andere Blick, wenn auch schüchtern, mit verhaltenem Kichern zurück. Die Fahrstraßenbreite ist die von beiden Geschlechtern respektierte Grenze. Während der allgemeinen Schulzeit und so auch jetzt in der schwierigen Kriegszeit ist, entweder aus Anstand oder noch aus Resten des vorhandenen Gehorsams, die Abgrenzung nicht überschritten worden.

Gegen Abend, etwa kurz vor 19:00 Uhr, tritt Ruhe ein. Die Pennäler finden sich pünktlich zum Abendessen in der Familie ein.

Früher, vor dem Kriege, als unsere Penne noch ein Gymnasium war, haben unsere Vorgänger Schülermützen in unterschiedlichen Farben und mit Bändern getragen. Jetzt verbietet die Partei von einem zum anderen Tag die Schülermützen. Sie sind schnell aus dem Straßenbild verschwunden. Jetzt sind die einheitlich schwarzen Mützen der HJ angesagt. Ich denke, der Wechsel zur Einheitsfarbe ist den meisten Schülern egal. Wenn anscheinend auch unsere Eltern eine andere Meinung in dieser Frage vertreten, öffentlich äußert sich keiner von ihnen. Nun zeigen sich abends mehr und mehr Uniformen der Hitlerjugend auf der Straße. Dazu möchte ich ausführen, dass unser Leben ausschließlich durch die Partei bis ins Kleinste reglementiert wird. Und wir jungen Menschen können keine Veränderungen, welcher Art auch immer, wahrnehmen. Denn unsere politische Partei, die NSDAP, führt uns auf dem vorgeschriebenen Pfad.

Die Einstellung der „Volksgenossen“ zum Staat

Die Einstellung der Volksgenossen zum Staat und seiner Führung sehe ich als normal an. Über die als selbstverständlich angesehene Parteizugehörigkeit wird nicht gesprochen. Den Menschen wird geglaubt. Da sind Parteimitglieder, die das Parteiabzeichen sichtbar oder auf der Rückseite des Revers tragen. Die sichtbar angebrachten Abzeichen geben vielleicht nicht immer eine echte Zugehörigkeit zur NSDAP – Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei – zu erkennen. Später, wenn der Krieg gewonnen sein wird, werden sie alle die Parteiabzeichen sichtbar präsentieren. Viele werden sich sogar zu den „alten Kämpfern“ zählen. Sollte dagegen der Krieg … an die darauf folgenden Möglichkeiten darf man schon aus Gründen der Selbsterhaltung nicht denken. Das kann für den tödlich enden, der das Verbotene denkt und dann noch aus Wichtigtuerei ausspricht.

So eine persönlich entwickelte, negative Ansicht darf man auf keinen Fall, noch nicht einmal mit verhaltenem Atem einem Freund geschweige denn einem Familienmitglied gegenüber, laut denken und auch noch aussprechen. Bereits der Schatten dieser Sichtweise wäre selbstmörderisch.

Auch im fünften Kriegsjahr gibt es noch viele Mitmenschen, die einen eigenen Standpunkt scheuen. Die Mitteilungen der Staatspropaganda sind allgemein gültig und somit auch für sie amtlich. Diese meinungslosen Menschen werden bei Gesprächen alles, was vom Staat kommt immer mit „ja“, und „das ist prima“ bestätigen. Sie werden sich jedoch nie für die Partei einsetzen. Diesen Volksgenossen geht es ausschließlich darum nicht aufzufallen. Gelegentlich lassen sie sich sogar von den „Echten“ in die eine oder andere Richtung biegen oder kneten. Die Meinungslosen schaffen es sogar, mit ihren Hurrarufen andere Zeitgenossen aufzurütteln und mitzureißen. Dabei können sie überprüfen, ob diese Mitbürger auch wirklich echte Nationalsozialisten sind. Haben sie dagegen Zweifel, können sie die Überprüften bei der Partei denunzieren. Alles, um sich selbst in ein positives Licht bei den Nazis zu setzen. Meinungslose Genossen, die eine Denunzierung aus verschiedenen Gründen ablehnen oder Angst vor der Staatsräson haben, weil sie zum Beispiel heimlich einen Feindsender abgehört haben, tauchen schnell ab.

Für mich ist nur noch wichtig, dass der Krieg so lange dauert, dass ich noch Soldat werde. Mit der Partei habe ich, wie sicherlich auch viele meiner gleichaltrigen Jungen, nichts im Sinn. Die NSDAP und ihre politischen Einrichtungen empfinde ich als junger Mensch zu theoretisch und abstrakt.

Ich verstehe es nicht, warum die einmal ausgegebenen Befehle ständig von den Funktionären wiederholt werden. Gehe ich in meinen Gedanken zurück, hat uns damals unser Führer den Befehl gegeben, dass die Jugend sich von den Eltern und Großeltern distanzieren soll. Zu dem Zeitpunkt war ich gerade zehn Jahre alt. Warum sollen wir uns distanzieren? Die von den Vorfahren einschließlich der Eltern erbrachten Leistungen gelten in der „neuen Zeit“, im Nationalsozialismus, nicht mehr. Wir, das gesamte deutsche Volk, haben damals den politischen Forderungen Folge geleistet. Ohne Wenn und Aber. Wir lebten in einer totalen Diktatur von 1933 bis 1945 und von 1939 bis 1945 im 2. Weltkrieg. Wir haben nur gelernt zu gehorchen und uns den Befehlen der NSDAP zu unterwerfen.

Aufgrund des Befehls distanzieren wir uns noch jetzt von den Eltern. Die gesamte Elternschaft und somit auch meine Eltern wissen von diesem und den viele anderen Befehlen. Die Eltern werden von der Staatsführung gezwungen, es gutzuheißen und uns für die Staatsinteressen freizugeben. Der wesentliche Punkt ist die Vereinnahmung der Jugend durch die Staatsführung.

Die Vereinnahmung beginnt bei den Jungen, die mit zehn Jahren in das Jungvolk eintreten. Über die Hitlerjugend, den Reichsarbeitsdienst, der Übernahme des jungen Menschen in die Partei und den Wehrdienst als Soldat. Nach der Ableistung des Wehrdienstes soll der Mann dann bis zum Lebensende ein Mitglied in der NSDAP bleiben. Die Partei fordert von allen deutschen Menschen, ohne jede Einschränkung, den absoluten Gleichschritt und die vollständige Unterwerfung unter die Staatsmacht. Unter dem Begriff Unterwerfung verstehe ich: Jeder vom Staat über die nachgeschalteten Funktionen gegebene Befehl ist ohne jeden Widerspruch auszuführen.

Wir Jugendlichen, wir damals 15 und 16 Jahre alten Jungen, bezeugten und dieses hiermit zum wiederholten Male, genau gesagt seit unserem zehnten Lebensjahr, dem nationalsozialistischen System, dieses auch im fünften Kriegsjahr mit unserer Begeisterung und unserer Bereitschaft zum Kriegsdienst. Jedenfalls nach außen.

Innerlich sind wir manchmal, ohne dass wir es erkennen, auf dem Wege zu einer gewissen Distanzierung von der Hitlerjugend. Ein kräftiger, verbal ausgeführter Tritt in den Hintern von der Hitlerjugend, schon spuren wir wieder. Ich schwärme von der „AchtAcht“5 und warte ungeduldig auf meinen Zug, der mich eines Tages in den Krieg, in mein großes Abenteuer mitnehmen soll. Mit den Gedanken an die „AchtAcht“ begeistere ich mich wieder für die positiv gestaltete Agitation der Staatsführung. Auch wenn es sich um laufend wiederholte Durchhalteparolen handelt: wir Jungen wollen für unseren Führer Adolf Hitler und für unser Vaterland kämpfen. Gegen den Feind, unseren Feind, eine genaue Beschreibung aller Feinde ist nicht erforderlich, es gilt nur, dass wir unsere Feinde vernichten.

Unsere Hitlerjugendführer sprechen regelmäßig von unseren an allen Fronten mutig und tapfer kämpfenden Soldaten. Von den Frontkämpfern, die pausenlos bei Tag und bei Nacht und jedem Wetter ihren schweren Dienst für unseren geliebten Führer und das Vaterland leisten. Von Soldaten ist die Rede, die, ob jung oder alt, nur den Befehlen des Führers Adolf Hitler folgen. Sie setzen jeden Atemzug und Augenblick ihr Leben für unsere Freiheit ein.

Nach diesen großartigen Aussagen kann in mir wieder einmal kein Zweifel aufkommen. Scheinbar falle ich in eine Art Trance, in einen Zustand der Heiterkeit, wo mich niemand mehr erreichen kann. Mich zieht es an ein „AchtAcht-Geschütz“. Vor lauter Verlangen danach in den Krieg zu ziehen, kenne ich nur diesen einen kleinen, begrenzten Frequenzbereich.

Der Gesang der Lerche bleibt

Подняться наверх