Читать книгу Todesmarsch durch Russland - Klaus Willmann - Страница 8
ОглавлениеBeim RAD
Am 15. Mai 1940 fuhr ich mit dem Zug zusammen mit Anton Sieß und Ernst Wölpl von Garmisch nach München. Beide kannte ich bisher nur vom Sehen, aber schon nach kurzer Unterhaltung wussten wir, dass wir das gleiche Ziel hatten. Beim Umsteigen in den Zug, der uns nach Oberschleißheim bringen sollte, gesellte sich noch ein junger Bursche aus Oberammergau zu uns, und wir unterhielten uns während der kurzen Fahrt nach Oberschleißheim ungeniert laut darüber, was uns in nächster Zeit erwarten könnte. Wir waren angespannt und neugierig, aber alle begeistert von den Siegen, die unsere Wehrmacht bisher errungen hatte.
»Hat etwa einer von euch an unseren Erfolgen gezweifelt?«, rief Anton Sieß laut.
»Nein, nein!«, riefen wir fast zugleich, und einer fügte hinzu: »Wir können uns doch von denen nicht alles gefallen lassen! Das bisschen RAD bringen wir schneller hinter uns, als ihr glaubt.«
»Natürlich«, meinte auch ich, »und dann werden auch wir feldgrau und werden kräftig mitmischen.«
»Aber wenn die in Frankreich so weitermachen, wird für uns nicht mehr viel übrig bleiben«, meinte Franz Wölpl leise zweifelnd.
Dies veranlasste Ernst Sieß dazu, sofort zu widersprechen:
»Franz! Wir sind doch noch nicht in England! Diese harte Nuss müssen wir doch auch noch knacken! Für uns gibt’s noch genug zu tun, wirst’s schon sehen!«
Am Bahnhof Oberschleißheim wuchs unsere Schar auf 16 Mann an. Wir erkannten uns gegenseitig an den kleinen Koffern, die jeder bei sich trug. Neugierig und mit kaum verborgener innerer Anspannung, gingen wir bis zum RAD-Lager am Ortsrand von Hochbrück, das zuvor noch ein Ausbildungslager der Waffen-SS gewesen war.
In der Schreibstube, einer Baracke, in der sich auch die Zimmer unserer Offiziere befanden, wurde uns mitgeteilt:
»Sie sind alle 14 Tage zu spät dran. Sie können froh sein, dass man das nicht Ihnen, sondern einer elenden Schlamperei andernorts anlasten muss. Sie werden heute noch eingekleidet. Die Vormänner Himmelstoß und Roidl werden Ihnen gern dabei behilflich sein, ihren Ausbildungsrückstand nachzuholen. Das hat unser Chef, Herr Oberstfeldmeister Brutscher, angeordnet.«
Diese Ankündigung bekräftigte der »Schreibstubenhengst« mit hämischem Grinsen.
Im Lager war es so sauber, dass ich unwillkürlich glaubte, man könne von den Fußböden der Baracken essen. Unsere künftigen Behausungen waren im Viereck angeordnet und umschlossen den Exerzierplatz in ihrer Mitte. Hinter den Freiräumen zwischen den Baracken konnte ich Wiesen und Felder, dazu einige kleine Feldgehölze und allein stehende Bauernhöfe erkennen.
Innerhalb einer Stunde waren wir alle eingekleidet, wobei die üblichen Sprüche des »Kammerbullen« durch die Baracke schwirrten:
»Die Jacke Ihrer Uniform ist nicht zu eng, sondern Ihr Bauch zu groß!« – »Tauschen Sie doch Ihre Knobelbecher (Stiefel) mit Ihrem Nachbarn! Dem sind Sie angeblich zu klein.« – »Dieser Drillich scheint wie für Sie geschaffen zu sein. Damit können auch Sie ganz sicher hervorragend arbeiten!«
Als uns die beiden für uns abgeordneten Hilfsausbilder Himmelstoß und Roidl zu unserer Baracke führten, flüsterte mir Ernst Wölpl ins Ohr:
»Der Himmelstoß soll ganz in Ordnung sein. Aber Roidl soll sich gern größer machen als er ist.«
In unserer Bude standen an beiden Längswänden jeweils drei »Doppeldecker«, roh gezimmerte Stockbetten aus Fichtenholz. Matratzen, Bettdecken und Kopfkissen waren mit weißblau gewürfeltem Leinen bezogen, und natürlich war es Roidl, der jetzt lauthals verkündete:
»Wehe demjenigen, der sein Bett jeden Morgen nicht so verlässt, wie er es heute hier vorfindet. So, und nun zeige ich euch, wie man seinen Spind vorschriftsmäßig einräumt!«
Mit diesen Worten deutete er auf die Spinde, die, einer für jeden, zwischen den »Doppeldeckern« an den Längswänden rechts und links der Tür standen.
Es wurde rasch Abend, während Roidl uns zeigte, wie wir unsere Kleidung zusammenzulegen und in der Reihenfolge, in der wir sie anderntags benötigten, zu stapeln hatten. Ganz unten lagen die weißen Fußlappen. So wie Roidl es uns vorführte, wickelte man diese anstelle von Socken um die Füße und konnte danach in die Stiefel schlüpfen, die Knobelbecher genannt wurden. Noch heute glaube ich seine raue Stimme zu vernehmen:
»Wer das schlampig macht, ist selbst schuld, wenn er sich Blasen an den Füßen holt. Für so einen Schlamper wird ein jeder Überlandmarsch zur Qual! Schlappmachen gilt nämlich bei uns nicht! Natürlich wird auch am Samstag gearbeitet. Aber am Abend und am Sonntag habt ihr genug Zeit, um euer Zeug zu waschen. Eure Mama ist für euch nicht mehr zuständig! Nun etwas völlig anderes: Sie haben alle brandneue Knobelbecher erhalten, in die sich einige soeben hineinzwängen mussten. Das kann man ändern. Hier ist Lederfett. Das knetet man per Hand in die harten Knobelbecher und macht sie damit geschmeidig wie Hausschuhe!«
Wir kneteten alle eifrig und waren kaum damit fertig, als der Ruf erklang:
»Alle raustreten! Essen fassen!«
An der Tür stand Truppführer Kießl und rief:
»Hände vorzeigen! Was? Mit solchen Dreckpfoten wollen Sie essen. So etwas kommt bei uns nicht infrage! Zunächst einmal – Hände waschen!«
Der Eindruck, den die ersten Tage beim RAD hinterließen, war nicht überraschend für mich. Am vierten Abend im Lager, kurz bevor wir müde in unsere Betten steigen durften, raunte mir Anton Sieß, der Sohn eines Garmischer Bäckers, ins Ohr:
»Bei aller Begeisterung für unser Vaterland – dieses dämliche Griffeklopfen mit unseren Spaten, die Augen links, rechts! Still gestanden! Das hängt mir langsam schon zum Hals raus. Können die sich nichts anderes einfallen lassen? Ich dachte, beim RAD wird gearbeitet!«
Schon am folgenden Morgen marschierten wir laut singend – wir hatten an einigen Abenden Marschlieder gelernt – in schnurgerade ausgerichteten Reihen mit unseren vorschriftsmäßig gepackten Tornistern auf dem Rücken und blank polierten Spaten auf den Schultern zum Flugplatz Oberwiesenfeld. Dort waren kleinere Schäden auf dem Flugfeld zu beheben und geringfügige Erdarbeiten zu verrichten. Wir konnten nur zwei Maschinen der Luftwaffe vor einem Hangar stehen sehen. Ich glaube, es handelte sich um Transportmaschinen, sogenannte »Tante Jus« mit ihren drei Sternmotoren.
Nur zwei Tage waren wir auf dem Flugplatz beschäftigt. Bei den jeweiligen Hin- und Rückmärschen war ich froh darüber, meine Fußlappen immer gewissenhaft um die Füße gewickelt zu haben. Einige meiner Kameraden waren weniger glücklich, und Franz Bauzer, ein Kamerad in meiner Bude, war am zweiten Abend dazu gezwungen, sich Blasen an den Fersen mit einer Nadel aufzustechen und seine Füße mit Wundpflastern zu bekleben. Dabei beobachtete ihn Ferdinand Weber eine Minute lang mit belustigtem Gesichtsausdruck, bevor er rief:
»Du Schlamper! Das kann nur dir passieren. Wir haben unsere Lappen so gewickelt, wie dieser Gernegroß es uns eingetrichtert hat. Hast du etwa geschlafen? Unsere Trittlinge sind unversehrt! Sei froh, dass der Schorsch genügend Pflaster hat, sonst würdest du jetzt dumm aus der Wäsche schauen!«
Einige Kameraden lachten schallend. Nein, viel Mitgefühl konnte der Ärmste kaum erwarten.
Dass der sogenannte Arbeitsdienst in Wahrheit der Vorbereitung auf den Kriegseinsatz diente, zeigte sich bei der Ausbildung an der Waffe. Unterfeldmeister Gaul übte mit uns unnachsichtig bis zum Erbrechen. Dabei herrschte ein rauer Umgangston. Schon nach wenigen Tagen konnte jeder von uns fast blind den Karabiner 98k zerlegen, entölen und wieder einfetten.
Nicht nur mir wurde dieses Einerlei langweilig. Wir fieberten doch alle dem Tag entgegen, an dem wir endlich scharf schießen sollten. Stattdessen beschäftigte man uns damit, einige Moorwiesen in der Umgebung mit Drainagen trocken zu legen.
Natürlich verfolgten wir in diesen Tagen gespannt den Fortgang des Krieges. Wir hörten die Nachrichtensendungen des Reichsrundfunks und lasen im Völkischen Beobachter. Dieses täglich erscheinende Parteiorgan der NSDAP besorgte jeden Tag ein anderer aus unserer Bude, was unsere Vorgesetzten sehr wohlwollend beobachteten.
Schon zuvor wussten wir, dass uns nach dem Angriff auf Polen am 1. September 1939 Frankreich und England den Krieg erklärt hatten, ohne allerdings Polen mit einem Gegenangriff zu helfen. Bisher war im Westen nichts Neues geschehen. Dort herrschte der sogenannte Sitzkrieg, den Hitler am 10. Mai dieses Jahres beendete, indem er die angeblich unüberwindliche Maginotlinie für unsere Gegner überraschend umging. Am Tag meines Dienstantritts in Hochbrück, am 15. Mai 1940, kapitulierte Holland, einige Tage danach Belgien, und am 20. Mai erreichten deutsche Panzer die Kanalküste. Wir jubelten laut, als am 22. Juni im Wald von Compiègne unser General Wilhelm Keitel und der Franzose Charles Huntziger den Waffenstillstandsvertrag unterzeichneten. Damit war die »Schande von Versailles getilgt«, wie es im Propagandasprachgebrauch hieß, und damit dies auch mit möglichst großer Symbolwirkung geschah, hatte man dazu den Salonwagen aus dem Museum geholt, in dem 1918 der Waffenstillstand unterzeichnet worden war.
Zwei Tage später bewunderten wir in den Zeitungen das Foto Hitlers vor dem Eiffelturm in Paris. Einige von uns machten keinen Hehl daraus, dass sie gern früher als später Soldat werden wollten. Ich selbst hüllte mich zu dieser Frage zwar in Schweigen, musste mir aber eingestehen, dass auch ich bereits von der allgemeinen Begeisterung und dem Siegestaumel erfasst war.
Es war an einem glühend heißen Tag Ende Juni, als wir mit vorschriftsmäßig gepackten Tornistern und geschulterten Spaten zu einem sogenannten Gewaltmarsch mit unbekanntem Ziel aufbrachen.
»Wem ist denn diese Schnapsidee ins Hirn gekrochen?«, knurrte Ernst Wölpl neben mir, bevor wir uns auf das Kommando »Im Gleichschritt Marsch!«, in Bewegung setzten. Immer wieder hörten wir den Ruf: »Ein Lied!« Daraufhin erklangen aus unseren ausgetrockneten, rauen Kehlen mehr oder weniger melodisch, aber laut die altbekannten Soldatenlieder wie Schwarzbraun ist die Haselnuss, Es zittern die morschen Knochen oder Es ist so schön, Soldat zu sein.
Auf staubigen Landstraßen erreichten wir nach etwa zweieinhalb Stunden den Dorfplatz einer Ortschaft, deren Namen mir entfallen ist. Hier erwarteten uns Feldmeister Brutscher und unser Oberstfeldmeister (der Dienstgrad des Letzteren entsprach etwa einem Kompanieführer beim Militär) neben dem Dorfbrunnen. Beide hatten ihre Fahrräder an den Steintrog eines Brunnens gelehnt, in den leise plätschernd ein Wasserstrahl aus einem gebogenen Stahlrohr floss. Bei diesem Geräusch mussten wir alle begehrlich schlucken.
Obwohl unsere Kehlen wie ausgedörrt waren, war es uns vor Beginn dieses Marsches streng untersagt worden, während des Marschierens zu trinken.
»Bevor ihr zum Militär kommt, werden wir aus euch Muttersöhnchen schon noch abgehärtete deutsche Männer machen!«, hatte unser Feldmeister gebrüllt.
»Das Ganze Halt!«, wurde schließlich befohlen und »Rechts um!«
In schnurgerade ausgerichteten Reihen standen wir unseren beiden Vorgesetzten gegenüber.
»Erstes Glied einen Schritt vor, drittes Glied einen Schritt zurück!«
Feldmeister Brutscher schritt gemächlich langsam durch unsere Reihen und ließ sich von jedem Mann seine mit Wasser gefüllte Feldflasche zeigen. Nur zwei von uns hatten das strenge Trinkverbot nicht befolgt. Brutscher notierte sich ihre Namen und rief:
»Für jeden dieser unbeherrschten Kerle gibt es zwei Tage Ausgangssperre an den beiden nächsten Wochenenden!«
Anderntags marschierten wir mit stolz geschulterten Karabinern zum Schießplatz nach Freimann. Endlich Scharfschießen! Diesem Ereignis hatten wir fast alle erwartungsvoll entgegengefiebert. Als mein Name aufgerufen wurde und ich an einen der Schießstände trat, sah ich Vormann Kießl, der als Aufsichtsperson neben meinem Schießstand fungierte. Bevor ich zu meinem ersten Schuss anlegte, hörte ich ihn spöttisch bemerken:
»Na ja, so viel wird unser Preuße ja nicht treffen.«
Als jeder von uns seine sechs Schuss – zwei stehend, zwei kniend und zwei liegend – auf die hundert Meter entfernte Scheibe abgegeben hatte, war ich drittbester Schütze und bekam einen Tag Sonderurlaub. Während ich innerlich noch darüber jubelte, konnte ich nicht anders und rief dem etwa zwei Meter von mir entfernt stehenden Kießl zu:
»Schau nicht so überrascht! So schießt man in Schlesien! Nicht in Preußen!«
Weil er mir abrupt den Rücken zuwandte, konnte ich sein Gesicht nicht sehen. Im Lager, noch bevor wir in unsere Bude traten, erzählte mir mein Kamerad Manfred Schur amüsiert:
»Lothar, der Kerl ist ganz rot angelaufen, als du ihn vor uns allen so blamiert hast.«
Einige der anderen, die dies hörten, und natürlich auch ich lachten vergnügt.
Am Sonntag verließ ich mit den beiden anderen Schützenkönigen um sechs Uhr das Lager. Zu Fuß gingen wir bei strahlendem Sonnenschein bis zur Danziger Freiheit und bestiegen dort die Straßenbahn zum Hauptbahnhof München. Werner Hall wollte nach Weilheim, Karl Reith nach Oberammergau und ich nach Garmisch. Im Trubel unter all den Fahrgästen fielen wir in unseren braunen Ausgehuniformen kaum auf, denn Uniformen aller Art gehörten längst schon zum Alltagsbild der Zeit.
Garmisch erreichte ich am späten Vormittag. Die von meinem Besuch überraschte Familie Maier, meine Hausleute, begrüßten mich mit lautem Hallo, und ich genoss die wenigen Stunden, die mir bis zur Abfahrt meines Zuges nach München verblieben, bis zur letzten Minute. Wieder einmal fühlte ich, wie sehr die gemütliche Wohnstube dieser einfachen Menschen für mich zur Heimat geworden war.
Kathi begleitete mich zum Bahnhof, und erst kurz bevor ich einstieg, wurde mir klar, weshalb sie mir heute manchmal so einsilbig erschienen war, denn jetzt erst teilte sie mir mit zitternder Stimme mit:
»Lothar! Du kannst es noch nicht wissen, aber mein Verlobter ist in Frankreich gefallen. Hoffentlich ist der ganze Kram bald zu Ende. Mach’s gut!«
Pünktlich um 18 Uhr meldeten wir drei uns in der Schreibstube wieder zurück.
Am 16. Juli wurden wir am Bahnhof in München-Freimann mit zunächst unbekanntem Ziel verladen. Das war keine aufwendige Sache. Wir bestiegen die damals gebräuchlichen Personenwagen der Reichsbahn, an deren Längsseiten Trittbretter aus Holz angebracht waren. Jeder von uns hatte seinen Tornister und Spaten bei sich. Die Karabiner 98k waren tags zuvor im Lager von einem LKW des Heeres abgeholt worden. Was in den drei Güterwagen am Zugende transportiert wurde, wusste keiner von uns. Während wir in die Waggons befohlen wurden, hörte ich die helle Stimme von Manfred Schur:
»Wahrscheinlich haben sie hier keine Arbeit mehr für uns!«
In unserem Wagen erklangen schon bald nach der Abfahrt fröhliche Lieder. O du schöner Westerwald durfte natürlich nicht fehlen. Karl Ritter aus Mittenwald hatte irgendwo in Hochbrück ein Schifferklavier aufgetrieben, das wir beim Anmarsch zusätzlich zu unserem Marschgepäck abwechselnd trugen. Jeder Trupp war zehn Mann stark. Unser Truppführer Stein schmunzelte zufrieden, weil Karl sein Instrument gut beherrschte. Immer mehr drängten in unsere Nähe, und Ernst Wölpl stellte vergnügt fest:
»Ganz vorn sitzen unsere Offiziere. In einer Kurve konnte ich von meinem Fensterplatz aus sehen, wie unser Herr Oberstfeldmeister zu uns zurück schielte. Dort vorn ist’s sicher langweiliger als bei uns!«
Im Bahnhof von Ulm begannen die Bremsen zu kreischen, und wir hielten zu einem Kurzaufenthalt. Hier schwirrte plötzlich das Gerücht von einem Wagen zum anderen:
»Wir fahren nach Frankreich. Wir sollen dort einen Flugplatz reparieren! Irgendwo im Elsass! Straßburg soll nicht weit davon entfernt sein!«
Einige Stationen vor Kehl bestiegen wir Busse. Als wir damit durch einige menschenleere Dörfer fuhren, fiel uns auf, dass deren Bewohner zur Zeit noch umgesiedelt, also in Sicherheit gebracht waren.
»Diese Vorsorge war völlig unnötig!«, rief einer hinter meinem Sitzplatz. »Die Franzmänner hätten es nie bis hierher geschafft!«
In Kehl war die Brücke über den Rhein gesprengt, und als wir in Bussen auf einer von unseren Pionieren errichteten Notbrücke den Fluss überquerten, sahen wir einige vom Wasser umspülte Teile der alten Brücke herausragen.
Am frühen Abend bezogen wir in Hagenau in einem Schulgebäude unser Lager. Entlang der geöffneten Fenster war auf dem Fußboden auf einem etwa zwei Meter breiten Streifen Stroh aufgeschüttet. Diese Schlafplätze wurden von dreißig Zentimeter hohen, senkrecht am Boden befestigten Fichtenbohlen begrenzt.
»Hier waren vor uns wohl Landser einquartiert!«, rief einer hinter mir, als wir in den für zwei Gruppen, also insgesamt 30 Mann, ausgelegten Raum drängten. Unsere über den zusammengerollten Mänteln aufgerollten Decken und die Zeltplane über unseren Tornistern waren schnell über das Stroh gebreitet. Unsere »Affen«, wie wir die Tornister nannten, dienten von nun an jedem von uns als Kopfkissen. Zufrieden betrachtete ich meinen Schlafplatz, als ich den lauten Ruf vernahm:
»Alle raustreten zum Essen fassen!«
Obertruppführer Breitsamer stand mit gespreizten Beinen vor der Tür.
Hunger hatten wir längst schon, und deshalb trampelten wir mit unseren Essgeschirren in den ehemaligen Schulhof hinaus. Jedes »Essgeschirr« bestand aus einem rund einen Liter fassenden, nierenförmigen Blechbehälter, der an den rückwärtigen Teilen des »Koppels« neben dem Brotbeutel befestigt werden konnte. Löffel, Gabel und Messer waren zusammenklapp- und schwenkbar in einem Stück zusammengenietet. Der Deckel des Blechnapfs war mit einem ebenfalls beweglichen Henkel versehen und konnte als Suppenteller verwendet werden.
Im Hof wartete unser Koch an seiner »Gulaschkanone«. Dabei handelte es sich um einen fahrbaren Küchenwagen mit einem Blechrohr als Kamin. Wir reihten uns einer hinter dem anderen vor ihm auf. »Heut hab ich Gulasch, Bratkartoffeln und frischen grünen Salat für euch. So gut kocht nicht einmal die Mama zu Hause!«, rief Koch Hannes von seinem erhöhten Standort zu uns herunter. »Drängeln gilt nicht! Es ist genug da für einen Nachschlag!«
Am anderen Morgen marschierten wir singend mit unserer Arbeitskleidung, weißen Drillichanzügen, sauber gewienerten Knobelbechern, umgeschnallten Koppeln und unseren Spaten auf der linken Schulter zum etwa drei Kilometer vor dem Ort gelegenen Feldflughafen. Drei Trupps begannen damit, einige nur notdürftig aufgefüllte Granattrichter dicht neben der grasbedeckten Rollbahn – betoniert war die Start- und Landebahn natürlich nicht – wieder einzuebnen und zu festigen.
»Es kann sein, dass die Landebahn je nach Wetterlage verlegt werden muss«, erklärte unser Oberfeldmeister mit laut brüllender Stimme. »Dann kann man die rotweißen Markierungshauben an ihren Rändern verändern. Sie muss jedenfalls fest bleiben und darf nicht verschlammen! Die Trichter müssen sich nachher so anfühlen, als hätte es sie nie gegeben! Also gewissenhafte Arbeit! Der Flugplatz muss bald wieder brauchbar sein!«
Die restlichen Arbeitsmänner unseres Haufens, zu denen auch ich gehörte, bekamen den Befehl, bereitliegende, zwanzig Zentimeter starke Rundholzpfeiler als Zaunpfähle in den Boden zu rammen. Stacheldrahtrollen lagen bereit, mit denen diese Pfähle verbunden werden sollten. Der Feldflughafen war zur Zeit nicht genutzt, musste aber vor seiner Wiederinbetriebnahme mit einem mannshohen Stacheldrahtzaun umgeben werden. Die Reste des beschädigten alten Zaunes lagen etwa hundert Meter entfernt am Waldrand auf einem Feld. Unser Trupp begann an der südlich gelegenen Ecke des Geländes mit nacktem Oberkörper fleißig zu arbeiten. Einige fuhren mit Schubkarren die runden Holzabschnitte vom anderen Ende des Flugfeldes zu uns, und ich hatte gerade mein drittes, gut einen Meter tiefes Rundloch mit einer von Hand zu bedienenden Ramme in den Boden gebohrt, als Rudi Heller von seinem Schubkarren zu mir herüber rief:
»Lothar! Du sollst auf der Stelle zu Unterfeldmeister Gaul kommen! Er steht dort vorne, neben dem Verwaltungsbau! Unverzüglich sollst du kommen! Lass dir also nicht zu viel Zeit, wenn du deinen Luxuskörper unter deiner Drillichjacke versteckst.«
Während ich mich in meine Jacke zwängte und mein braunes Käppi aufsetzte, fragte ich mich, was Gaul von mir wollen könnte. Fünf Minuten später, noch bevor ich mich vorschriftsmäßig zur Stelle melden konnte, rief er mir entgegen:
»Herrmann! Ich hab dem Kameraden von der Luftwaffe mitgeteilt, dass Sie eine besonders schöne Sonntagsschrift haben. Oberfeldwebel Heiner«, er deutete auf einen großen, schlanken Mann in blaugrauer Fliegeruniform, »würde Ihre Fähigkeiten gern für die Luftwaffe beanspruchen. Machen Sie uns also keine Schande.«
Vor den beiden angelangt, schlug ich meine Knobelbecher zusammen, stand stramm und grüßte vorschriftsmäßig mit dem ausgestreckten rechten Arm. Oberfeldwebel Heiner jedoch winkte geringschätzig ab und meinte:
»Kommen Sie schon mit mir, Arbeitsmann Herrmann. In unserem Depot sollen Sie nach den Vorgaben unseres Materialverwalters einiges schön übersichtlich beschriften. Sie sollen auf diesem Gebiet ja ein Genie sein.«
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte er sich auf dem Absatz um und ging mir voran auf ein großes Zelt neben dem Wohngebäude eines vormaligen landwirtschaftlichen Betriebs zu, in dem jetzt die Kommandantur und die Funkstelle untergebracht waren. Ich sah einige von uns oben auf dem Dach herumklettern, die dort nach den Anweisungen eines Unteroffiziers der Luftwaffe damit beschäftigt waren, eine abgeknickte Funkantenne zu erneuern und einige Löcher im Dach zu reparieren. Bei uns waren doch sämtliche Berufszweige vertreten.
In den folgenden Tagen setzte leichter Regen ein, und deshalb ließ ich mir bei meiner angenehmen Beschäftigung viel Zeit. Ich wurde auch nicht gedrängt, sondern bemalte gemächlich mit großen, kunstvollen Buchstaben Schubladen mit dem mir angegebenen Inhalt. Das waren größtenteils mir unbekannte, kleinere Ersatzteile für Flugzeugmotoren.
Jeden Abend umringten Kinder mit Milchkannen oder ähnlichen Behältnissen unsere Gulaschkanone, über der Hannes einen kleinen Bretterschuppen errichtet hatte. Am ersten Abend standen Hölzl und ich unter der Tür zum Hofraum und konnten hören, wie Hannes Feldmeister Brutscher erklärte:
»Wir können doch unsere Reste nicht wegwerfen! Das wäre schade. Diese Kinder haben auch Hunger! Fast alle von ihnen sprechen deutsch.«
Daraufhin entfernte sich der Feldmeister, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
Eines Tages brachte ein Kleinlaster des Heeres eine Ladung französischer Karabiner mit dazugehöriger Munition in unser Lager. Diese Gewehre waren den entsprechenden deutschen Waffen ähnlich, nur einige Zentimeter länger. Wir übten damit einige Tage lang bis zum Erbrechen »Griffe klopfen«. Wieder war es Feldmeister Brutscher, dieser altgediente Soldat, der uns stundenlang auf dem ehemaligen Schulhof drillte. Seine etwas heisere, aber kräftige Tenorstimme glaube ich noch heute zu hören:
»Still gestanden!«, »Die Augen rechts!«, »Volle Deckung!«, »Sprung auf, marsch, marsch!«, »Wollt ihr nicht oder könnt ihr nicht?«, »Ich muss euch wohl die Hammelbeine lang ziehen?«, »Wie lieblos halten Sie denn Ihren Karabiner? Gerade weil die Franzosen ihn uns überlassen haben, müssen Sie mit ihm nach HDV (Heeresdienstvorschrift) umgehen können, bevor Sie auf irgendeinem Kasernenhof der Wehrmacht Ihren Dienst antreten. Ich lasse mir von Ihnen den RAD nicht blamieren! Deshalb dreißig Kniebeugen mit vorgehaltenem Karabiner!«
Zwei von uns begannen nachts laut zu träumen und wurden ausgelacht:
»Reicht’s dir am Tag nicht? Musst du nachts immer noch weitermachen?«
Andere bekamen von der Hitze und dem beständigen Drill Durchfall. Jedenfalls war der »Donnerbalken«, unser Abort am Ende des zweckentfremdeten Schulhofs, mehr frequentiert als bisher. Dieser Donnerbalken bestand aus einem von uns ausgehobenen, sieben bis acht Meter langen Graben, den wir mit einem einfachen, nach vorne offenen Bretterschuppen umgeben hatten und über dem ein Balken als Sitzgelegenheit zum Verrichten der Notdurft angebracht war. Einigen von uns gelang es sogar hin und wieder, dieses Örtchen als »Drückebergerbalken« zu benutzen.
Nur an den Samstagabenden und sonntags hatten wir Gelegenheit, unsere Wäsche zu waschen, und leerten dabei so manche Flasche Bier. Auch wenn man dabei sehr darauf achten musste, dass die Kragenbinden vollzählig blieben, genossen wir jede freie Minute. An einem dieser Sonntage konnten wir sogar einen Ausflug nach Straßburg unternehmen. Das alles überragende Münster und der Blick von seinem Turm über die Dächer der Stadt war für uns alle mehr als nur eine willkommene Abwechslung.
Der von uns instand gesetzte Feldflugplatz war schneller als geplant wieder einsatzfähig, aber keiner von uns wusste, welche Einheit unserer Luftwaffe dort stationiert werden würde. Die Herren Offiziere schienen jedenfalls mit unserer Arbeit zufrieden zu sein, denn an einem strahlend-schönen Julimorgen ließ unser Oberstfeldmeister antreten und verkündete uns stolz:
»Arbeitsmänner! Als Anerkennung für unseren guten Arbeitseinsatz wurde uns erlaubt, zwei Tage lang die Maginotlinie zu besichtigen. Wir marschieren in einer halben Stunde ab und werden kommende Nacht dort unsere Zelte aufbauen.«
Weil einige von uns wegen dieses angekündigten Gewaltmarsches halblaut zu murren begannen, hob er beschwichtigend seine Hand und rief:
»Ruhe! Ich kann Ihre Freude gut nachempfinden! Ich denke, dass auch Sie daran interessiert sind, diese Linie kennenlernen zu dürfen, die unser Führer mit seiner genialen Strategie so erfolgreich zu umgehen verstand! Wegtreten!«
So gern wie an diesem Tag marschierte ich selten, denn diese so berühmte Verteidigungslinie unseres westlichen Nachbarlandes interessierte mich doch brennend. Kaum hatten wir auf einer Wiese neben einer Straße aus je vier Zeltplanen unsere quadratischen Viermannzelte aufgebaut, da kam auch schon der Befehl zum Abmarsch.
Am Nachmittag bestaunten wir einige unüberwindlich aussehenden Betonbunker, die entlang einer Straße in einen bewaldeten Hang hinein gebaut waren. An ihrer Vorderfront waren Spuren von Granateinschlägen zu erkennen, die offenbar kaum Wirkung gezeigt hatten. Dazu bemerkte Hans Meißner aus Murnau geringschätzig:
»Das war doch nur ein Scheinangriff von den Unseren. Die Panzer waren doch längst im Hinterland der Franzosen!«
»Trotzdem!«, entgegnete ihm Heiner Manz. »Strategisch sind diese Dinger auf alle Fälle gut angelegt!«
»Ach was denn!«, rief eine andere Stimme, »was verstehst denn du schon von Strategie? Du siehst doch, was es den Franzmännern geholfen hat.«
Am Abend saß unser Trupp sechs vor einem flackernden Lagerfeuer vor unserem Zelt. Wir sangen nicht nur laute Soldaten-, sondern auch einige melodische Heimatlieder. Immer mehr junge Arbeitsmänner versammelten sich um unser Feuer. Auch unser Oberstfeldmeister und der an diesem Abend sehr leutselige Feldmeister Brutscher saßen im Schneidersitz auf dem Boden und sangen mit.
Anderntags marschierten wir zum getarnt in die Landschaft eingebauten rückwärtigen Eingang der Bunkeranlage auf der anderen Seite des Hügels. Die kurze Führung durch einen Teil der Anlage hinterließ wohl bei jedem von uns unvergessliche Eindrücke. Kurz bevor wir den Befehl zum Abmarsch erhielten, meinte Franz Burg leise:
»Lothar, der Franzmann muss aber einen Riesenrespekt vor uns gehabt haben.«
»Das Ergebnis liegt doch klar auf der Hand!«, rief einer hinter uns.
»Ruhe!«, ertönte es laut, bevor der Befehl erteilt wurde: »Im Gleichschritt Marsch.«
Wieder auf unserem Schulhof angelangt, teilte der Oberstfeldmeister seiner Mannschaft mit:
»Männer! Wir sind als Wacheinheit nach Versailles beordert. Morgen fahren wir mit der Bahn ab! Näheres wird Ihnen dort mitgeteilt!«
Leises Raunen ging durch unsere Reihen.
»Paris.«
»Fesche Französinnen.«
»Von dort können wir vielleicht zum Eiffelturm.«
»Wenn sie uns Zeit dafür lassen.«
»Schöner als arbeiten.«
»Was wollt ihr eigentlich? Unser halbes Jahr ist ohnehin bald vorbei.«
Und einmal mehr erklang der laute Befehl:
»Ruhe! Wegtreten!«
Über dem Schlossgebäude von Versailles wehte die Hakenkreuzfahne. Nicht weit entfernt davon führten drei Treppenaufgänge hinauf zu den Eingangstüren der komfortabelsten Unterkunft, die uns bisher zugewiesen worden war. Unser Koch Hannes betrat schmunzelnd einen komplett eingerichteten Küchenraum im Erdgeschoss neben einem großen Speisesaal. Wir bezogen zu je sechs Mann Räume im Obergeschoss, die mit zwar einfachen, aber sehr einladend aussehenden Einzelbetten und Kleiderschränken ausgestattet waren. Auf der anderen Seite des Flurs stand uns ein Waschraum mit zwar einfachen, aber zweckmäßigen Waschbecken mit fließendem Warm- und Kaltwasser zur Verfügung.
»Jetzt weiß ich, warum es immer heißt: ›Wir leben wie Gott in Frankreich!‹ Schade, dass unsere RAD-Zeit bald vorbei ist!«
Kaum hatte Heiner Klotz dies ausgerufen, da entgegnete ihm Anton Sieß laut:
»Heiner, sei vorsichtig! Unsere Arbeitsherren wissen wahrscheinlich längst schon, wie sie dafür sorgen können, dass wir hier nicht übermütig werden.«
»Wer war denn vor uns hier einquartiert?«, rief Franz Struss mit seiner dünnen Tenorstimme.
Und Heiner Klotz stellte lachend fest: »Egal Franz! Jetzt sind wir jedenfalls hier. Besser können wir es doch nicht haben.«
Anderntags wurden wir mit Stahlhelmen und den uns schon bekannten französischen Karabinern ausgestattet und in Gruppen von jeweils 15 Mann eingeteilt. Unteroffiziere der Wehrmacht führten uns alle durch das künftig von uns zu bewachende Gelände rund um das Schloss. Wir sollten hier rund um die Uhr als Doppelposten Streife gehen und verhindern, dass Unbefugte den hohen Herren der Wehrmacht im Schloss und seinen Nebengebäuden zu nahe kommen konnten. Besonders wichtig schien es aber, französische Zivilisten daran zu hindern, das Bahnhofsgebäude unkontrolliert zu betreten. Außerdem hatten wir dafür zu sorgen, dass sich außer den dazu befugten uniformierten und mit Sonderausweisen ausgestatteten Bahnangestellten niemand auf den Schienensträngen aufhalten konnte.
Ein schon etwas betagter Oberfeldwebel der Wehrmacht schärfte uns während seiner Führung mehrmals ein:
»Wir müssen Tag und Nacht sicher sein, dass hier kein Unbefugter Schaden anrichten kann. Sollte irgendjemand Ihrem Anruf, stehen zu bleiben, nicht Folge leisten, dann hat jeder von Ihnen von der Waffe Gebrauch zu machen! Wehe Ihnen, wenn Sie sich in so einem Fall als nicht treffsicher erweisen!«
Als uns noch am Spätnachmittag dieses Tages der Dienstplan für die folgende Dekade mitgeteilt wurde und jeder wusste, wann, mit wem und wo er seine Patrouillengänge zu verrichten hatte, hörte ich, wie Anton Sieß den neben mir sitzenden Heiner Klotz leise fragte:
»Na Heiner, was sagst du jetzt?«
»Ach du kannst mich doch kreuzweise! Außerdem sind unsere Tage beim RAD gezählt.«
Auch wenn für jeden von uns die Kontroll- und Wachgänge sehr bald zur Routine wurden, hatte ich wieder einmal Glück, denn ich wurde mehrmals zum Schreibstubendienst eingeteilt. Wieder einmal kam mir mein grafisches Talent zugute. Unser »Schreibstubenhengst« hatte zudem erfahren, dass ich stenografieren konnte. Daher war ich sonntags nicht zum Wachdienst eingeteilt.
An diesen Tagen fuhr ich zusammen mit Anton Sieß, Heiner Klotz und Franz Wölpl mit Bussen der Wehrmacht nach Paris. Jeder, der nicht zum Wachdienst eingeteilt war, konnte damit fahren. Auch Landser und manchmal deutsche Wehrmachtshelferinnen in ihren schmucken Uniformen fuhren mit. Einige unserer Kameraden nannten uns vier »die Unzertrennlichen«, und es war tatsächlich nicht ganz zufällig, dass wir jedes Mal gleichzeitig dienstfrei hatten. Denn der mir sehr wohlgesinnte »Schreibstubenhengst« hatte beim Erstellen des Dienstplanes ein bisschen mitgewirkt.
Natürlich konnten wir an diesen wenigen Tagen nicht alle Sehenswürdigkeiten der Weltstadt kennenlernen. Der Eiffelturm mit dem davor angebrachten Denkmal seines Erbauers war unser erstes Ziel. Den Blick über die wunderbare Hauptstadt Frankreichs werde ich zeitlebens nicht vergessen. Bei seinem Anblick fragte ich mich, warum sich die Menschen seit alters her nicht vertragen können und sich immer wieder bekriegen.
In einem uns empfohlenen Erfrischungsraum der Wehrmacht konnten wir preisgünstig essen, was unsere schmalen Geldbörsen schonte. Dort sprach uns ein munterer Gefreiter der Infanterie in unverwechselbarer Berliner Mundart an:
»Es wäre mir eine Ehre, wenn ich euch Jungs aus den bayerischen Bergen unser Freudenhaus zeigen dürfte. So wat Duftes gibt’s selten. Dieses amouröse Haus ist extra für uns reserviert und wird medizinisch überwacht. Na was ist?«
Natürlich wurden wir neugierig und konnten nicht widerstehen. Wir besichtigten aber nicht nur die Damen des horizontalen Gewerbes, sondern auch den Invalidendom, Notre Dame, den Triumphbogen und natürlich Montmartre.
Doch unsere Zeit beim RAD ging rasch zu Ende. Am 7. Oktober wurden wir in Lagerlechfeld entlassen. Heute noch erscheint es mir kurios, dass ich zu Hause in Garmisch meinen Einberufungsbefehl zur Gebirgsartillerie für den 2. Oktober 1940 vorfand. Am nächsten Tag begab ich mich sogleich zum Wehrmeldeamt, bei dem ich registriert war, seit ich in Garmisch wohnte.