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Kapitel 3

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Es war noch sehr früh an diesem Morgen.

Adam hatte die Augen kaum aufgeschlagen, als er sich schon daran machte, mit Schwung aus dem Bett zu klettern.

Er setzte sich seitlich auf die Bettkante und beobachtete Eva durch den leicht geöffneten Vorhang in ihrem Badezimmer.

Sie stand dort auf Zehenspitzen, in ihrem kleinen (um ehrlich zu sein, sehr kleinen!) Tigerfell, das sie immer dann im Bett trug, wenn er sie darum gebeten hatte. Oder wenn sie wollte, dass der Abend nicht nur mit tiefgründigen Gesprächen endete.

Allerdings hatte Adam über die Jahre gelernt, das auch an einem mysteriösen Glitzern in ihren Augen zu erkennen. Das erste menschliche Frühwarnsystem, wenn man so will.

Das System funktionierte aber auch genauso gut andersherum. – Dann, wenn er nicht einmal zu fragen brauchte.

Vor dem Spiegel drehte sie sich mal rechts-, mal linksherum. Immer so, dass sie ihre eigenen Bewegungen gut sehen konnte.

Sie fühlte sich gänzlich unbeobachtet, weil sie davon ausging, dass Adam noch fest schlief.

Und Gardinen gegen allzu neugierige Blicke gab es nicht, da es außerhalb des eigenen Hauses noch niemanden mit neugierigen Blicken gab.

Der Beruf oder besser gesagt die Neigung des Spanners war damals noch nicht bekannt.

Ihre Hände strichen langsam von den Achseln abwärts bis zu den Hüften hinunter. Die eigenen Blicke folgten dabei kritisch den gleitenden Bewegungen.

All das spielte sich vor einer großen, flachen Muschel ab. Adam hatte sie einmal am Strand gefunden und sie ihr zum Geschenk gemacht. Danach hatte er sie für sie langwierig flach mit Sand poliert, sodass man sich darin, sehr zu Evas Freude, einigermaßen brauchbar betrachten konnte.

Eva war schlichtweg begeistert und lange sehr dankbar.

»Diese Erfindung«, hatte sie damals zu Adam gesagt, »ist ein großer Schritt für die Menschheit.«

Er war sich dabei allerdings nicht so sicher. Denn einerseits hatte die Muschel für ihn keine wirklich relevante Funktion, andererseits verbrachte Eva doch in der Folgezeit sehr viele Stunden davor, ohne wirklich sichtbar etwas zu tun.

Adam hatte sich selbst, in einem breit angelegten Feldexperiment, ein paarmal so, wie er es bei ihr beobachtet hatte, für eine längere Zeit davorgesetzt. In der Hoffnung, die Magie dieses Teils zu erkunden. Es war ein großer Fehlschlag und er brach das Experiment ohne ein greifbares Resultat ab. Es ist ihm nie gelungen, das Geheimnis des Spiegels zu entschlüsseln. Er schloss die gesamte enttäuschende Versuchsreihe mit den Worten »Wenn es ihr Spaß macht!« ohne weitere brauchbare Ergebnisse ab.

Es dauerte nicht lange an diesem Morgen und Eva entdeckte Adam noch etwas schlaftrunken auf dem Bett sitzend.

Mit hüpfenden, fast schwerelosen Schritten kam sie beschwingt auf ihn zu. Sie stellte sich dicht vor ihn und bewegte sich dann so wie kurz vorher vor der Muschel. Dabei ließ sie mehrfach ihre Hände seitlich über die Hüften bis zu ihrem Busen hinauf- und langsam wieder hinabgleiten.

Ihre Augen waren dabei unablässig und gnadenlos auf Adam gerichtet.

Es war ihre Ouvertüre zu dem, was ohne weitere Ankündigung folgen sollte.

»Wenn du irgendetwas an meinem Äußeren ändern könntest, Liebling – was wäre es?«, fragte sie, stoppte abrupt ihre Bewegungen und schaute ihn mit erwartungsvollen, großen Augen an.

Hätte es damals schon Sirenen sowie rote, rotierende Warnlichter gegeben, sie wären alle auf einmal angegangen.

Alle!

Sie hätten die Warnung herausgeschrien: »Vorsicht, von jetzt an gehen Sie nur auf eigene Gefahr weiter!!!«

In wenigen Bruchteilen einer Sekunde lief Adams gesamtes bisheriges Leben vor seinem inneren Auge ab.

Ein helles Licht erschien ihm, auf das er ohne die Möglichkeit des Haltens zusteuerte.

»So sieht also mein Ende aus«, schoss es durch seinen Kopf und er wusste sofort, dass nichts mehr wieder so sein würde wie vorher.

Er wusste ohne weiteres Nachdenken, dass es eins von jenen tödlichen Spielen war, bei denen er nicht gewinnen konnte. Bei dem es nie einen Gewinner gab.

Hier spielte eine übermächtige Katze mit einer kleinen Maus.

Mag sein, dass der kleine Nager als Held starb, aber das Sterben war schon beschlossen.

Denn egal, was immer er auch antworten würde, er würde letztlich als kleines, vertrocknetes Häufchen Elend liegen bleiben, vom Wind noch bestenfalls gnädig in alle vier Himmelsrichtungen verteilt werden – bestenfalls!

Wahrscheinlicher aber war das Szenario, dass ihn eine pyroplastische Feuerwalze gnadenlos dahinraffen würde, bevor er auch nur ansatzweise die Chance hätte, sich auf die Knie in den Staub zu werfen und um Gnade zu flehen.

In nicht einmal einer weiteren Sekunde spielte er alle möglichen Endzeitszenarien, die ihn so einfielen, durch.

Würde er »Gar nichts, mein Schatz. Du bist wundervoll so, wie du bist!« sagen, würde sie ihrerseits »Das sagst du doch nur so!« antworten und weiterbohren.

Würde er aber leichtsinnigerweise oder aufgrund von mangelnder Erfahrung den nie wieder aus der Welt zu tilgendem Fehler machen und tatsächlich etwas vorschlagen, das sie ändern sollte, wäre es das unausweichliche Armageddon.

Das würde zwangsläufig bedeuten, wieder monatelang auf dem Sofa zu schlafen, Blumen zu pflücken, Füße zu massieren, Geschenke und so weiter.

Das ganze endlose Wiedergutmachungsprogramm inklusive der endlosen Schwüre, ab jetzt ein besserer Mann zu werden.

Als dritte Alternative aber kam ihm noch kurz in den Sinn, einen plötzlichen Hörsturz oder gar Schlimmeres vorzutäuschen.

Das hatte er aber in anderen kritischen Situationen schon ein paarmal gemacht.

Deswegen hatte es sich leider schon zu sehr abgenutzt, um noch wirklich erfolgsversprechend zu sein.

Es war auch nicht einfach, eine Krankheit glaubhaft vorzutäuschen, wenn es doch im Paradies so etwas noch nicht gab und somit als wirkliche Bedrohung unglaubwürdig war.

Für ihn galt es jetzt genauestens abzuwägen, bei welcher der möglichen Antworten auf die gestellte Frage seine Überlebenschance am größten war.

Es gab keinen zweiten Versuch.

Oder besser noch sollte die Frage beantwortet werden, bei welcher Antwort die Wunden nicht allzu tief werden dürften.

»Gar nichts, mein Schatz. Du bist wundervoll so, wie du bist!«, hörte er sich wie in einem Traum sagen und lehnte sich dabei sicherheitshalber ein wenig nach hinten.

Er wusste natürlich, dass es mit dieser Antwort nicht vorbei war, wollte sich aber damit noch ein wenig Zeit erkaufen.

Eva kam auf ihn zu, setzte sich schwungvoll auf seinen Schoß und fuhr mit ihrer Hand durch seine Haare.

»Adam, das sagst du doch nur so.«

Sie kam mit ihren Lippen dichter an ihn heran.

Es gab kein Entkommen. Er hoffte nur darauf, dass es schnell ginge und er nicht zu lange würde leiden müssen.

»Sag schon, was würdest du ändern?«

»An dir?«

»Ja sicher, an mir. An wem denn sonst, an der Ziege etwa?«

»Nein, die hat einen zu dicken Hintern«, entfuhr es ihm leichtsinnig und in derselben augenblicklichen Gewissheit, etwas falsch gemacht zu haben.

Sie schaute ihn lange und verdächtig ruhig an.

Hinter ihrer Stirn liefen fast hörbar Hunderte von Gedanken ab. Adam hätte schwören können, dass ihre Gedanken Geräusche machten.

»Findest du, ich habe auch einen zu dicken Hintern?«

»Aber nein, ich meinte doch nur die Ziege.«

Eva stand auf, blieb aber dicht vor ihm stehen.

»Wenn du wirklich findest, dass ich zu dick bin, kannst du es ruhig sagen. Es ist schon okay.«

Adam wusste, dass er alles sagen konnte, nur nicht das!

»Aber nein, Schätzchen«, versuchte er möglichst zu besänftigen, »ich habe doch nur das mit der blöden Ziege gesagt, weil die so einen knochigen Hintern und stackselige Beine …«

»Meine Beine sind aber überhaupt nicht stackselig!«

»Aber natürlich nicht. Ich meinte doch nicht, dass du …«

Er versuchte, Evas Hand zu ergreifen, was ihm aber nicht gelang.

Sie zog sie demonstrativ zurück und verschränkte ihre Arme vor der Brust.

Mit dem Kopfwippen eines aufgeregten Huhns beugte sie sich in seine Richtung.

»Gefällt dir überhaupt noch irgendetwas an mir?«

»Aber sicher, eigentlich alles.«

Sie beugte sich noch weiter vor. Und so, wie sie es tat, war es eine Drohung.

»Ja, das ist so leicht dahingesagt. Lügen kosten ja nichts! Aber, wenn du es schon so mit den Tieren hast – was, wenn ich tatsächlich ein Tier wäre? –, was für eins wäre ich dann deiner Meinung nach?«

Adam wusste, dass genau in diesem Augenblick sein Leben ultimativ endete.

Es war eigentlich ein sehr schönes Leben gewesen, überlegte er. Nicht sehr lange, zugegeben, aber immerhin.

Konnte er noch auf IHN hoffen? Nein, mit solchen Lappalien gab ER sich nicht ab.

ER würde Adam einfach einen Kopf kürzer machen und die Sache wäre erledigt.

»Was, wenn ich schon Adam der Soundsovielte bin?«, schoss es ihm durch den Kopf.

Keine Antwort des gesamten Universums hätte die richtige sein können.

Aber es musste eine Antwort her! Keine Antwort zu geben wäre noch schlimmer gewesen und hätte bei Eva Raum für alle mögliche Spekulationen offengelassen.

Und so entschloss er sich, ohne es weiter zu durchdenken, »Eine Katze … vielleicht?« zu sagen.

Um ehrlich zu sein, war es mehr als Frage denn als Antwort formuliert. Er wollte sich die Möglichkeit der lebenserhaltenden Abänderung offenhalten. Ein kleines Schlupfloch, wenn man so wollte.

Eva schnellte hoch.

»Eine Katze?«, wiederholte sie. Wobei die Worte aus ihrem Mund kamen, als würde sie sich übergeben. »Eine Katze!«

»Naja, ich weiß auch nicht …«

»Jetzt rede dich nicht raus, mein Lieber! Da stellt man dir einmal eine einfache Frage und erwartet nichts mehr als einen konstruktiven Vorschlag, was man vielleicht ein wenig verändern könnte, und du vergleichst mich erst mit einer Ziege und dann, als wäre die Demütigung noch nicht groß genug, auch gleich noch mit einer Katze! – Ich bin so was von enttäuscht!«

Adam stand auf, ging auf sie zu und versuchte eine Berührung.

Sie drehte ihm den Rücken zu, schloss die Augen und würdigte ihn keines weiteren Blickes.

Adam ergriff sie und drückte sie mit dem Rücken leicht, aber etwas dichter an sich heran.

»Eva, das Ganze ist so, als würde ich sagen: Stell dir mal vor, ich wäre der letzte Mann auf Erden, würdest du mich dann noch lieben?«

»Und?«

»Es gibt Fragen, auf die es keine richtigen Antworten gibt.«

Sie drehte sich wieder ein wenig in seine Richtung.

»Gibt es wohl.«

»Ach, und die wäre?«

»Du bist nicht der letzte, du bist der erste Mann auf Erden.«

»Ja, aber stell dir doch nur mal vor, ich wäre der letzte Mann auf Erden.«

»Das ist doch dasselbe.«

»Ist es nicht.«

Sie baute sich wieder vor ihm auf.

»Weißt du was, du bist nicht der Letzte, du bist das Letzte!«

Sie knuffte ihn mit der Faust am Oberarm.

»Und außerdem bist du leider der Einzige!«

Daraufhin drehte sie sich um und stürmte hinaus.

Er schaute ihr lange nach.

»Aber Schätzchen, du bist doch auch die Einzige für mich!«

Adam fand, dass es alles in allem doch noch ganz gut gelaufen war.

Gewiss, der Sturm würde noch etwas andauern, aber er war sich sicher, dass schon sehr bald wieder ein hellerer Himmel auftauchen würde.

Er wusste aber auch, dass bis dahin in der nächsten Zeit sehr viele Blumensträuße zu pflücken und viele, viele lange Fußmassagen zu geben waren.

Mein Gott, Adam!

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