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Kapitel 4

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Es kam nicht sehr häufig vor, dass Eva freiwillig – und ohne dass ER sie darum bat – ein Gespräch mit ihrem Schöpfer suchte.

An diesem Tag jedoch – und es muss wohl, wenn alle mir vorliegenden Berechnungen stimmen, ein Donnerstag gewesen sein – nahm sie schon sehr früh am Morgen ihren schönsten Wanderstab, zog sich ein respektvolles, schwarzes Schaffell über und machte sich auf den Weg.

Nun könnten natürlich einige der gläubigen Leser besserwisserisch einwenden, dass es nicht unbedingt notwendig gewesen wäre, zu IHM zu gehen. Denn zur damaligen Zeit war ER bekanntermaßen noch überall auf der Welt präsent, um hier und da ein paar kleinere Korrekturen an seiner Schöpfung vorzunehmen, dem Werk also, wenn man denn so wollte, kurz vor der Veröffentlichung noch einmal den letzten Schliff zu geben.

Aber Eva war, ganz im Gegensatz zu dieser Ansicht, der Meinung, sie wäre es der zu erwartenden Ernsthaftigkeit des Gesprächs, und auch ihrem drängenden Anliegen, schuldig, einen besonders hübschen Platz dafür auszusuchen.

So pflückte sie noch zusätzlich, auch um IHM einen gewissen Respekt zu erweisen, auf dem Weg zu der kleinen Bergspitze, die sie als ihr Ziel ausgesucht hatte, einen schönen, bunten Blumenstrauß.

In Anbetracht der Kämpfe und Auseinandersetzungen, die sie in der Vergangenheit schon mit IHM ausgefochten hatte, fühlte sie in sich eine gewisse Verpflichtung, IHM ihre Dankbarkeit, nicht aber Unterwürfigkeit zu zeigen.

Sie wusste sehr genau, trotz einer fehlenden Erziehung und ohne die leitende Vorbildfunktion durch Eltern, was sich gehörte.

Oben auf dem Berg angekommen, legte sie ihren kleinen Strauß behutsam auf einen etwas erhöhten Felsen ab. Sie selbst setzte sich direkt daneben auf einen runden Stein und ruhte sich von dem hinter ihr liegenden Anstieg aus.

Von hier oben hatte man einen wunderschönen Überblick über das lang gestreckte Tal.

Satt und grün wie immer lag es sanft geschwungen, anmutig vor ihr.

Die Luft war so klar, dass man von hier aus sogar am Horizont ihre kleine Hütte erkennen konnte. Aus der Öffnung im Dach sah sie in einer schmalen Säule Rauch aufsteigen, der sich irgendwo im Himmel verlor.

»Adam nutzt die Gelegenheit und brutzelt sich wieder irgendetwas«, dachte sie belustigt.

Es war – man ahnt es schon – selbstverständlich paradiesisch hier oben, da es ja in der Tat auch das Paradies war.

Plötzlich schreckte Eva auf. Ihr Blick ging zu dem Stein, auf dem sie den Blumenstrauß abgelegt hatte.

Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie, wohl erschöpft von dem Weg, eingeschlafen war.

Über den mitgebrachten Blumen kreiste, wie eine fleißige Biene auf der Suche nach Nektar, eine kleine, weiße Wolke.

Sie war nicht besonders groß oder irgendwie spektakulär. Nein, sie war lediglich weiß und flauschig. Allerdings hatte Eva den Eindruck, als strahlte sie etwas mehr als alle anderen.

Sie wusste sofort, dass es nicht irgendeine Wolke war, und erhob sich.

»Sind die für mich?«, hörte sie IHN wie zur Bestätigung schon im nächsten Augenblick fragen.

»Oh gewiss, HERR«, antwortete sie lächelnd und zeigte so ihre Freude über das Treffen. »Ich weiß natürlich, dass es nicht gerade sehr fantasievoll ist, dir Blumen mitzubringen, HERR – aber was schenkt man jemandem, der schon alles hat?«

Die Wolke strahlte jetzt so weiß wie später nur noch die Wäsche in einer Werbung und schwebte ein wenig höher.

»Aber Eva, du bist doch mein schönstes Geschenk!«

Ja, ER war ein Charmeur alter Schule, so viel war klar.

Eva senkte leicht errötend den Kopf.

ER hatte sehr wohl bemerkt, dass sie IHN, im Gegensatz zu Adam, respektvoll mit dem Wort HERR angeredet hatte, und fand es angemessen und passend.

Denn schließlich war ER ja auch der Schöpfer von allem, jedem und überhaupt.

»Schätzchen«, sagte ER sanft, »was hast du auf dem Herzen?«

Eva blickte auf und ging langsam etwas dichter an die kleine Wolke heran.

»HERR, ich habe lange mit mir gekämpft, ob ich überhaupt damit zu dir kommen sollte. Aber so, wie die Dinge liegen, kann es nicht weitergehen. Es muss dringend etwas getan werden!«

»Lasse mich raten, es geht um Adam?«

Eva nickte bestätigend.

»Allerdings!«

»Kommt er seinen ehelichen Pflichten nicht nach? – Also ich habe ihm immer gesagt, er muss eine junge Frau wie dich regelmäßig und ordentlich …«

»Nein«, unterbrach Eva, bevor es peinlich wurde, »das ist es nicht.«

»Ja, was ist es dann?«, wollte ER wissen. »Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst.«

Eva nahm ihren ganzen Mut zusammen.

»Es ist – na ja, er hat da so ein Ding gebaut …«

Die Wolke war zwar noch weiß, aber ein aufkommendes Entsetzen war sogar ihr deutlich anzusehen.

Der skeptischen, aber durchaus berechtigten Frage einiger Wissenschaftskollegen an dieser Stelle, wie man einer Wolke Entsetzen ansehen könne, möchte ich entgegnen: Es geht!

»Himmel, was verlangt er von dir?«

»Nein, er verlangt nichts von mir. Er hat es für sich – er hat etwas nur für sich gebaut.«

Die Wolke blähte sich etwas auf.

»Was ist es denn?«

Da es für solch ein Teil, von dem Eva hier sprach, noch keinen allgemeingültigen Begriff gab, suchte sie nach den passenden Worten, um den Gegenstand richtig und angemessen zu beschreiben.

»Er hat den Panzer einer mittelgroßen Schildkröte genommen und an der einen kurzen Seite ein längliches Brett befestigt. Dann hat er mehrere getrocknete Katzendärme gespannt und, vom Anfang des Brettes bis zum Ende des Panzers, an das Teil festgebunden. Ich glaube sechs Stück, wenn ich mich richtig erinnere. Mit einem geflochtenen Seil aus Leder hat er das ganze Teil dann um seine Schulter gehängt, so dass es quer vor seinem Bauch hing.«

Eva machte eine wohlbedachte Pause und schaute erwartungsvoll auf die Wolke.

»Äh, nun ja, ich verstehe nicht so recht«, kam es erwartungsgemäß von IHM.

»Das ist aber noch lange nicht alles«, setzte Eva ihre Beschreibung fort. »Stell dir vor, HERR, er lässt sich von mir seitdem auch nicht mehr die Haare schneiden!«

»Siehst du da eine Verbindung?«, wollte ER wissen.

»Eindeutig ja!«, antwortete Eva prompt und nickte zusätzlich intensiv mit dem Kopf.

Sie stemmte, um ihre Empörung zu verdeutlichen, ihre geballten Fäuste in die Taille. »Er haut dann mit einer Hand immer wieder auf den Darmschnüren herum und grölt dazu den ganzen Tag etwas von Erdbeerfeldern und irgendeiner Lucy im Himmel!«

Sie stemmte ihre Hände noch intensiver in die Hüften, beugte sich kampflustig nach vorne und versuchte, so gut sie eben konnte, das Beschriebene anschaulich vorzuführen.

»Wer verdammt noch mal ist Lucy?«, rief sie hilfesuchend in den Himmel.

»Tja«, klang es ratlos, aber zutiefst besorgt aus der Wolke. »Ich weiß auch nicht. Ich kenne keine Lucy. – Gabriel vielleicht, oder …«, und dabei schien ER zu flüstern, »Luzifer, ja ... Aber Lucy …?«

»Einmal«, fuhr Eva fort und ihr Blick wurde dabei hilflos, »ging es auch um eine Treppe in den Himmel. – Man stelle sich das mal vor: eine Treppe in den Himmel!«

Eva verdrehte bei den Worten ihre Augen.

»Wie soll das denn gehen?«, fragte ER interessiert nach. »Außerdem würde ich dabei noch gerne ein Wörtchen mitreden.«

»Ich weiß es doch auch nicht, HERR, sagte sie und senkte bei den Worten wieder ihren Kopf. »Ich habe das Gefühl, dass bei Adam im Oberstübchen zwar noch Licht brennt, aber keiner mehr zu Hause ist – wenn du verstehst, was ich meine, HERR.« Sie tippte sich mit dem Finger an die Stirn. »Und das ist ja auch noch nicht einmal alles!«

Die Wolke vibrierte leicht.

»Was denn noch?«

Eva stellte sich jetzt wieder aufrecht hin und drückte ihr Kreuz durch.

»Während er mit diesem Ding vor dem Bauch rumschreit, macht er mit seinen Hüften so komische, kreisende Bewegungen.« Eva versuchte, es so plastisch wie möglich darzustellen. »Er nennt das Ganze dann ‚Bühnenshow‘!«

Eva stellte sich noch einmal breitbeinig vor den Stein und versuchte, so gut sie konnte, ebenfalls ihre Hüften kreisen zu lassen und dabei gleichzeitig wild mit den Armen zu fuchteln.

»Bühnen…was?«

»Bühnenshow!«

»Bühnenshow?«

»Ja.«

Sie hatte IHN noch nie stottern hören, aber jetzt erlebte sie es.

»Aber, aber … was ist … Es ist ein Rätsel. – Sollte vielleicht doch Luzifer seine Finger …«

»Es ist unerträglich!«, setzte Eva ihre Schilderungen fort. »Er hat sogar einen Namen für das Ganze. Er nennt es ‚Musik‘!«

»Mu…was?«

»Musik.«

Eva betonte voller Abscheu jeden Buchstaben.

»Musik – interessant.«

»Von wegen interessant«, widersprach sie. »Ich muss mir den ganzen Tag dieses Gejammer anhören.«

»Und es ist wirklich so schlimm, wie es sich anhört?«, versuchte ER noch etwas tiefer zu ergründen.

Resigniert und ohne jede Hoffnung setzte Eva sich wieder auf ihren Stein zurück.

»Allerdings! Und dann sagt er immer …«, sie musste sich zwingen, die Worte auszusprechen, »es sei noch sooo viel Musik in ihm. – HERR, ich kann nicht mehr, ich bin am Ende! Das ist auch der Grund, warum ich heute hierhergekommen bin und dich um Hilfe anzuflehen.«

Die Wolke schwebte ein wenig dichter heran.

»Hm, Erdbeerfelder, sagst du?«

»Ja«, in Evas Augen waren Tränen der Verzweiflung. »Und manchmal noch irgendwas von einem gelben Unterseeboot!«

»Gelbes Boot? – Faszinierend!«

»Von wegen«, erwiderte Eva und war den Tränen nahe. »Ich schäme mich so!«

»Das ist absolut nicht notwendig«, versuchte die Wolke zu beruhigen. »Dich trifft absolut keine Schuld. – Bedenke, er ist doch nur irgendein Nowhere Man!«

Eva erhob sich wieder und versuchte alles, was sie sagte, mit Gesten zu unterstützen.

»Und erst gestern, ich kann es kaum beschreiben, lief er den ganzen Tag mit diesem Ding vor dem Bauch vor der Hütte herum und sang dabei ohne Unterbrechung: ‚Alles, was du brauchst, ist Liebe!‘ – Stell dir das einmal vor, HERR! Den ganzen Tag hören Sie immer wieder: ‚Alles, was du brauchst, ist Liebe!‘«

Die Wolke flog ruckartig, so als hätte sie einen Schluckauf, ein kleines Stückchen höher.

»Das geht zu weit!«

»Sag ich ja, es ist nicht zu ertragen! Ich brauche keine Liebe, ich brauche meine Ruhe!«

»Gut, dass du damit zu mir gekommen bist. Ich glaube, das erfordert mein sofortiges Eingreifen. – Meine Schöpfung steht offensichtlich am Abgrund!«

In Eva keimte wieder ein wenig Hoffnung.

»Oh ja», bestätigte sie. »Und ich bin kurz davor, ihr den finalen Stoß zu geben. Neuerdings – und ich sage das nur noch, um das Bild abzurunden, HERR – spricht er sogar davon, eine, wie er es in seiner bedauerlichen Verwirrung nennt, ‚Band‘ zu gründen.«

Die Wolke nahm jetzt deutlich und ohne jeden Zweifel die Form eines Fragezeichens an.

»Eine was will er gründen?«

Eva legte ihre Hände an den Kopf.

»Ich wusste zuerst auch nicht, was eine Band sein soll, habe es mir aber während einer ruhigen Phase von Adam erklären lassen. – Es ist, wenn man mit mehreren anderen, die auch selbstverständlich die gleiche Krankheit haben müssen, zusammen oder auch gleichzeitig Musik macht. – HERR, stell dir vor, dann ist es möglicherweise nicht nur einer, der den ganzen Tag Liebe braucht, sondern vielleicht sogar – vier!«

Die Wolke schrumpfte zu einem Ausrufezeichen zusammen.

»Das müssen wir verhindern!«

»Aber unbedingt!«

«Obwohl, dir ist schon bewusst, dass es durchaus unwahrscheinlich ist, bei der momentanen Weltbevölkerungssituation noch drei weitere Mitglieder zu finden, um diese Band ins Leben zu rufen?«, gab ER zu bedenken.

»Ich schwöre dir HERR, bei dem Grab meiner …«

Nein, Entschuldigung, so weit war die Welt noch nicht! – Also, noch einmal:

»Ich schwöre dir HERR«, und ihr Flehen klang echt in seinen Ohren, »so besessen, wie er momentan von der Sache ist, findet er einen Weg!«

»Na ja, allein schon aufgrund der Haare und aus noch anderen hygienischen Gründen muss ich dringend einschreiten. – Obwohl, die Idee als solche … Wer weiß, vielleicht gar nicht mal so schlecht …«

Eva legte ihre rechte Hand feierlich auf die Brust und ging getragenen Schrittes auf die Wolke zu.

»Mir soll es recht sein, HERR. Bewahre dir die Idee doch für später auf. Vielleicht kommt irgendwann einmal eine Zeit, in der so etwas einen Sinn hat. Aber bitte doch noch nicht jetzt und schon gar nicht hier!«

Eva schaute leicht errötend vor sich auf den Boden, bevor sie etwas leiser weitersprach.

»Ich wäre dann auch, wenn du mir an diesem Punkt entgegenkämst, in puncto Menschheitsvergrößerung zu gewissen wohlwollenden Zugeständnissen bereit.«

»Holla, jetzt kommen wir ins Geschäft!«, rief ER erfreut aus.

Eva schöpfte leichte Hoffnung.

»Also gut, meine Liebe, wir haben einen Deal. Ich bin bereit, die ganzen Sachen aus Adams Kopf zu tilgen und vielleicht später einmal, wenn die Zeit dafür reif ist, irgendwo wieder einzusetzen. Vielleicht irgendwo in einer unbedeutenden Hafenstadt. Da bemerkt es keiner und der Spuk ist mit Sicherheit schneller wieder vorbei, als er angefangen hat! Geh jetzt nach Hause, mein Kind. Du wirst alles so vorfinden, wie es vor der Musik war. Und –«, die Stimme erhob sich deutlich, »denk an dein Versprechen! Wenn nicht – ich sage nur: Erdbeerfelder!«

Eva verbeugte sich tief und glücklich.

Sie trat beschwingt den Heimweg an und freute sich schon darauf, wieder nach Hause zu kommen.

Ein radikaler Haarschnitt war bei jemandem fällig!

Sehr alte Augen schauten ihr hinterher, als sie von dem kleinen Berg wieder hinab in das Tal stieg.

»Gelbes Unterseeboot? – Lächerlich!«

Mein Gott, Adam!

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