Читать книгу Ein Pfundskerl namens George - Колин Кэмпбелл - Страница 11

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DREI

Was fängst du mit dir selbst an, wenn die Liebe deines Lebens dich verlassen hat?

Das Licht im Zimmer musste sich allmählich verändert haben; der Streifen Himmel, der durch die Kellerfenster zu sehen war, verfärbte sich von Dunkelblau zum schwachen Rosa eines Sonnenaufgangs. Aber ich bemerkte erst, dass es draußen hell geworden war, als die Sonne so hoch gestiegen war, dass sie genau auf mein kleines Fleckchen Boden hinunterschien. Ich hatte nicht geschlafen. Ich war noch immer steif, nachdem ich die ganze Nacht zu einer Kugel zusammengerollt auf dem Betonboden verbracht hatte. Aber der physische Schmerz passte zu meiner Stimmung. Irgendetwas zwang mich zu versuchen, mich so normal wie möglich – fast roboterartig – zu bewegen. Ich entschied, zur Arbeit zu fahren. Ich schleppte mich die Kellertreppe hoch, duschte und zog mich für die Arbeit an. Ich gab mir alle Mühe, mich nicht im Haus umzusehen, während ich es durchquerte. Ich ging hinaus, stieg in meinen Wagen und fuhr die 15 Minuten zur Arbeit. Ich war so geistesabwesend, dass ich auf dem Weg vermutlich ein halbes Dutzend Leute hätte überfahren können, ohne die dumpfen Aufschläge zu bemerken.

Das Toronto-Büro von MKTG befand sich in einem unscheinbaren, niedrigen Bürogebäude in einer Seitenstraße der Yonge Street. Ich schlurfte zu meinem Schreibtisch wie betäubt und gefährlich überstimuliert zugleich. Nur wenige Kollegen waren da, es war ein ruhiger Tag. Ich fühlte mich völlig losgelöst, als wäre ich außerhalb meines eigenen Körpers und würde mir selbst dabei zusehen, wie ich mich durch den Tag bewegte. Natürlich versuchte ich, Jane anzurufen, in ihrem Büro und auf ihrem Handy, aber ich erreichte immer nur eine automatische Anrufbeantworterstimme. Ich versuchte es immer und immer wieder, ohne Erfolg.

Gegen drei Uhr nachmittags entschied ich, Schluss zu machen und etwas zu essen. Ich hatte keinen Appetit, aber ich hatte zuletzt am Flughafen in Charleston etwas gegessen. Außerdem brauchte ich ein bisschen frische Luft, auch wenn es draußen noch immer eiskalt war. Ich schlüpfte in meine Jacke, zog meine Mütze und Hand­schuhe an und machte mich auf den Weg zu einem Deli ein paar Blocks von meinem Büro entfernt.

Ich konnte das bleierne Gewicht meiner Beine spüren, und die eisige Luft brannte in meinen Lungen und zerrte an meiner ungeschützten Gesichtshaut, aber ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass ich irgendwo über und vor meinem Körper schwebte. Ich beobachtete mich selbst, wie ich, in den Wind gebeugt, die Straße hochstapfte, Schmerz und Demütigung so deutlich ins Gesicht geschrieben, als würde ich ein Schild mit der Aufschrift MEINE FRAU HAT MICH EBEN VERLASSEN tragen. Alle, an denen ich vorüberging, konnten es sehen. Wie hätten sie es auch nicht sehen können? Eine Stimme in meiner Nähe schnitt durch den Wind: »Hey, Kumpel. Ich habe eine harte Nacht hinter mir. Hast du ein bisschen Kleingeld?«

Er trug einen unförmigen, fleckigen Mantel über Schichten locker sitzender Kleider, die von Schmutz, Zeit und menschlichem Fett alle ungefähr dieselbe bräunlich-graue Farbe angenommen hatten. Nach seinem Gesicht zu urteilen, das unter dem Bartwuchs mindestens einer Woche verborgen war, war er Mitte fünfzig, aber vielleicht war er auch jünger und einfach vom Leben gezeichnet. Er hatte sich in einer Schneewehe am Rand des Gehsteigs einen Platz flach geklopft, mit einer Decke unter sich, um seine Beine vor der Kälte zu schützen. Er trug große, klobige Winterstiefel, neben denen zwei Mülltüten lagen, die den Rest seiner irdischen Besitztümer zu enthalten schienen. Sein Blick war auf mein Gesicht geheftet und von etwas erhellt, das ich nicht deuten konnte.

»Wie bitte?«, sagte ich.

»Hast du ein bisschen Kleingeld?«, wiederholte er.

»Ja«, sagte ich. Ich zog die Brieftasche aus meiner Jacke und entnahm ihr einen Fünfdollarschein. »Bitte sehr.«

Seine Augenbrauen verrieten seine Verblüffung. Er nahm das Geld und musterte mich wieder. »Hey, danke«, sagte er. »Reiche Typen geben mir meistens gar nichts.«

Ich war alles andere als reich; und es sah mir nicht ähnlich, stehen zu bleiben und mit Obdachlosen zu reden; außerdem gab ich ihnen nie Geld. Aber in diesem Augenblick hatte er irgendetwas an sich, das ich nachempfinden konnte. Obwohl er seine Leiden sichtbarer zur Schau trug als ich meine, hatten wir beide eine harte Nacht hinter uns.

Er griff in seinen Mantel und zückte eine Flasche, die in eine braune Papiertüte gewickelt war. »Willst du einen Schluck?«, fragte er, während er die Flasche ein paar Zentimeter in meine Richtung bewegte.

Normalerweise würde es mir nicht im Traum einfallen, einen Schluck von einem Obdachlosen anzunehmen, außerdem trinke ich selbst zu den besten Zeiten nicht viel, aber in diesem Augenblick erschien mir sein Angebot tatsächlich sinnvoll. »Ja, na klar, was zum Teufel«, sagte ich und nahm die Flasche von ihm entgegen. Was immer darin enthalten war, schmeckte wie Feuerzeugflüssigkeit. Ich ließ es in meiner Kehle brennen und spürte dann, wie es meinen leeren Magen entflammte. Ich gab ihm die Flasche zurück. »Danke.«

Er nahm selbst einen Schluck und schob die Hand dann wieder in seinen Mantel, um ein Päckchen Zigaretten aus einer Innentasche hervorzuzaubern. »Zigarette?« Er hielt mir das Päckchen hin und wies mit dem Kinn darauf.

Ich rauchte auch nicht, aber das hielt mich nicht davon ab, mir eine Zigarette aus dem Päckchen zu nehmen. »Danke«, sagte ich, während er mir sein Feuerzeug reichte und aufzustehen versuchte, aber dann stolperte er und taumelte stattdessen wieder in den Schnee. Ich schob eine Hand unter seinen Arm und half ihm hoch, dann steckte ich mir die Zigarette an, die er mir gegeben hatte, und hielt ihm die Flamme hin, damit er sich seine eigene anzünden konnte. Ich gab ihm das Feuerzeug zurück und nahm einen langen Zug an der Zigarette. Der Rauch fühlte sich gut in meinen Lungen an, beruhigend, als wäre es der erste richtige Atemzug, den ich an diesem Tag tat. Ich hustete nicht. Ich stieß eine Rauchwolke in die Luft aus. »Wie bist du denn auf der Straße gelandet?«, fragte ich.

Seine Antwort war lang und verwirrend. Sie beinhaltete ein Farmhaus und eine schöne Ehefrau, die ihn verlassen hatte; ­Freunde, die ihn verraten hatten; seinen Lehrer in der fünften Klasse und den Staat, beide entschlossen, ihm alles wegzunehmen, was er besaß. Nachdem ich den ganzen Tag auf meinen Computerbildschirm gestarrt hatte, empfand ich diese Unterhaltung als willkommene Abwechslung. Als ich aufgeraucht hatte, bedankte ich mich bei ihm und sagte ihm, er solle auf sich aufpassen. »Ja, Kumpel«, sagte er. »Komm morgen wieder. Ich werde hier sein.« Ich entfernte mich in Richtung des Deli und sah ihn nie wieder.


Der Rest jenes ersten Tages und die beiden, die darauf folgten, sind in einem Dunstschleier verloren, der mir in den kommenden Tagen und Wochen vertraut werden sollte. In jener ersten Woche bat ich Jane in Dutzenden von Telefonanrufen und SMS-Nachrichten, sich mit mir zu treffen oder wenigstens ans Telefon zu gehen und zu erklären, warum sie mich verlassen hatte und wohin sie gegangen war. Keine Antwort. Ich verbrachte Stunden damit, über jedes Detail unserer Beziehung nachzugrübeln, nach Hinweisen zu suchen, die ihren Weggang erklären könnten. Ich arbeitete, so viel ich konnte, Dreizehn- und Vierzehnstundentage, die oft erst lange nach neun Uhr endeten. Zu Hause saß ich auf der Couch und versuchte, meine Gedanken mit Bier und Fernsehen zu betäuben. Es war egal, was lief – Wiederholungen, Realityshows, Werbesendungen – ich ließ den Fernseher einfach laufen, bis ich meinen Verstand genug beruhigen konnte, um einzuschlafen. Ich mied das Schlafzimmer, das Jane und ich uns geteilt hatten, und schlief stattdessen auf der Couch. Ich hörte auf zu kochen und zu putzen und ließ zu, dass sich leere Pizzaschachteln, Suppendosen, halb gegessene Tiefkühlmahlzeiten und Flaschen auf dem Küchentresen auftürmten.

Ein paar Freunde meldeten sich bald, nicht, weil sie wussten, was passiert war, sondern weil sowohl Jane als auch ich auf einmal wie vom Erdboden verschluckt waren. Ich erwiderte ihre Anrufe oder E-Mails nicht. Jane und ich waren von unseren Freunden immer als »Traumpaar« angesehen worden – erfolgreich, schwer verliebt –, und es war mir peinlich, jetzt einzuräumen, dass vielleicht nicht alles so perfekt gewesen war, wie es schien. Und wie könnte ich zugeben, dass ich keine Ahnung hatte, warum? Aber gleichzeitig wusste ich irgendwie, dass ich Trost bei anderen Leuten finden musste. Ich war nur noch nicht bereit dazu.

Die Einsamkeit nahm solch heftige Ausmaße an, dass sie wirklich unerträglich wurde. Ich musste es jemandem erzählen, daher griff ich zum Telefon und rief meinen jüngeren Bruder David an.

Als Dave und ich aufwuchsen, standen wir uns sehr nahe. Als Kinder machten wir alles zusammen. Ich begann im Alter von fünf Jahren, Eishockey zu spielen, und zwei Jahre später folgte er meinem Beispiel. Von da an war Eishockey der Eckpfeiler unserer Beziehung. Wir sammelten und tauschten Eishockeykarten und legten unser Geld zusammen, um Eishockeyzeitschriften zu kaufen. Wir lasen alles, was wir konnten, über die Toronto Maple Leafs und die Montreal Canadiens und verbrachten unzählige Stunden damit, uns ihre Spiele im Fernsehen anzusehen. Wenn wir den Sport nicht in uns aufsaugten, waren wir draußen und spielten selbst. Jeden Winter spielten wir Eishockey in organisierten Ligen, aber auch in Formen, die wir uns ausdachten (wie es nur Kinder tun können), wenn wir nicht aufs Eis konnten. Wir beide spielten im Familienwohnzimmer auf den Knien Eishockey, mit den Händen und einem Pingpongball oder Eisstielen und einem alten Radiergummi. Wir zerkratzten den Kellerboden, indem wir mit einem Tennisball und original Eishockeyschlägern spielten. Im Winter ruinierten wir unzählige Gartenschläuche bei dem Versuch, unseren Garten zu fluten, um eine Eisbahn zu bekommen, und im Sommer spielten wir auf der Straße.

Da Dave jünger war, fühlte ich mich immer als sein Beschützer. Wenn unser Dad wütend oder ungenießbar wurde, tat ich mein Bestes, um Dave von ihm abzuschirmen. Egal, was passierte, ob Gutes oder Schlechtes, wir steckten immer zusammen drin. Das hieß jedoch nicht, dass wir uns später für den gleichen Weg entschieden. Er heiratete gleich nach dem Studium und ließ sich in der Stadt in Nova Scotia nieder, in der wir beide unseren Bachelorabschluss gemacht hatten. Er wurde Lehrer und dann Schulleiter, und er und seine Frau bekamen zwei wunderbare Kinder. Sein Leben war ein Muster an Stabilität, und hier war ich und rief ihn an, um ihm zu erzählen, dass meines in Trümmern lag. Meine Ehe war gescheitert, und das gab mir das Gefühl, als sein älterer Bruder gescheitert zu sein. Ich war nicht länger die Person, auf die er sich stützen konnte. Als er den Hörer abnahm, konnte ich die Worte kaum herausbekommen. Aber irgendwie schaffte ich es zwischen meinen Tränen, ihm zu sagen, dass Jane gegangen war.

»Du solltest nicht allein sein«, sagte Dave, als ich geendet hatte. »Ich bin schon unterwegs.«

Mich zu besuchen, hieß, seine Frau und seine Kinder allein zu lassen, sich von der Arbeit freizunehmen und den ganzen Weg von der Ostküste nach Toronto zu fliegen. Er hatte die Entscheidung binnen Sekunden getroffen. Es war das Netteste, was je irgendjemand für mich getan hatte. Alles, was ich sagen konnte, war: »Danke. Ich bin froh, dass du kommst.«

Einen Tag später stand Dave in meinem Wohnzimmer. Er konnte nur ein paar Tage bleiben, aber seine Unterstützung – allein schon seine Gegenwart – ermöglichte es mir, diese erste Woche zu überstehen. David tat, was er konnte, um mich bei Laune zu halten und mich abzulenken. Er saß mit mir da, half mir, das Haus ein bisschen zu putzen, und ging mit mir ins Kino, um einen Will-Ferrell-Film zu sehen, von dem er wusste, dass er mich zum Lachen bringen würde. Seine Ablenkungsmethoden folgten keiner ausgefeilten Strategie, wir führten nur ein paar tiefere Gespräche über das, was ich durchmachte, aber allein schon seine Gegenwart half. Mir graut bei dem Gedanken, wie schlimm es vielleicht hätte kommen können, wenn er nicht so viel Mühe auf sich genommen hätte, um mir zu zeigen, dass jemand auf der Welt mich noch immer liebte.

Als Dave abreiste, versank ich wieder in einem Dunstschleier der Depression, und am nächsten Tag hörte ich endlich von Jane: »Ich will dich wirklich nicht sehen«, lautete ihre Nachricht. »Ich brauche noch mehr Zeit zum Nachdenken.«

Ich schrieb ihr prompt zurück: »Das ist doch verrückt. Wir müssen reden. Reden wird genauso viel helfen wie Nachdenken. Wir können gemeinsam reden und nachdenken. Bitte komm zurück zum Haus, und wir können morgen zusammen zu Abend essen.«

Ihre Antwort: »Ich komme nicht mehr zurück zum Haus. Nie wieder.«

»Dann eben nicht im Haus. Aber wir müssen reden.«

»Ich habe darüber nachgedacht, und ich will allein sein«, antwortete sie.

Ich hätte am Boden zerstört sein sollen, aber nach über einer Woche völligen Schweigens erschien mir Kommunikation – welcher Art auch immer – ein Schritt in die richtige Richtung zu sein. Nachdem wir uns noch ein paarmal hin und her geschrieben hatten, verständigten wir uns schließlich darauf, uns ein paar Tage später in einem Restaurant zu treffen.

Nach diesem E-Mail-Austausch verließ ich das Haus und kaufte mir zum ersten Mal in meinem Leben ein Päckchen Zigaretten. Ich war immer entschieden gegen das Rauchen gewesen und hielt meinen rauchenden Freunden gern Vorträge darüber, dass sie aufhören sollten. Ich nahm das Päckchen und ein paar Flaschen Bier mit auf die Veranda hinter dem Haus, setzte mich im Dunkeln hin und rauchte Kette. Es schneite leicht. Die Veranda war sauber und still. Anfangs war es friedlich. Aber nach einer Weile kamen die Erinnerungen. Ich dachte unwillkürlich an meinen Großvater. Als ich ihm Jane das erste Mal vorstellte, war er ein alter Mann, der in einem staatlichen Veteranenheim lebte. Er musterte sie von Kopf bis Fuß, lächelte sanft und sagte: »Ich hoffe, Sie werden diesen Jungen heiraten.« Sie strahlte ihn an. Er starb nur zwei Monate, nachdem Jane und ich geheiratet hatten – unsere Hochzeit war das letzte Mal, dass er sich in der Öffentlichkeit blicken ließ. Auf einmal spürte ich seine Abwesenheit schmerzlich.

Als ich aufwuchs, gab es oft Zeiten, in denen ich mich von meinem Vater entfremdet fühlte. Also war es mein Großvater, der mich unterstützte und ermutigte, wenn ich es am meisten brauchte. Als Veteran des Zweiten Weltkriegs lebte er das Leben mit der Intensität und Freude von jemandem, der es beinahe verloren hätte. Er wusste immer Rat, und da ich das Glück hatte, ihn bis in meine Vierziger in meinem Leben zu haben, hatte er mir bei den meisten größeren Entscheidungen oder bei Problemen, vor denen ich stand, geholfen.

Ich dachte darüber nach, was mein Großvater in meiner Situation getan hätte – welchen Ratschlag er mir gegeben hätte. Und das war der Moment, in dem ich seine Stimme zu hören meinte, als hätte er sich genau dort zu mir auf die Veranda gesetzt und seine Pfeife angesteckt.

Man sieht nicht mehr viele Leute mit Pfeife, aber Männer seiner Generation haben sie geliebt. Als Kind mochte ich den Geruch von süßem Kirschtabak sehr gern. Vor meinem geistigen Auge sagte er, während er an seiner Pfeife zog, zu mir: »Du solltest nicht rauchen. Tu es nicht, nur, weil ich es tue. Deine Mutter wäre nicht erfreut.«

»Okay, Grandpa«, antwortete ich.

»Weißt du, ich habe im Krieg mit dem Rauchen angefangen. Ich sage nicht, dass es richtig ist, aber es hat mir geholfen, meine Nerven zu beruhigen, wenn die Bomben hochgingen und es richtig schlimm aussah.«

Im Augenblick sah es für mich richtig schlimm aus, und ehrlich gesagt fand ich es okay, in dem Wissen zu rauchen, dass er es früher selbst getan hatte.

Grandpa fuhr fort: »Wenn du ein Problem hast, ist der erste Schritt, damit umzugehen, dich zu fragen: ›Wie hat es angefangen?‹« Das sagte er jedes Mal, wenn ich zu ihm kam, um ihn um Hilfe zu bitten.

»Okay, Grandpa. Wie hat es angefangen?« Als ich aufgeraucht hatte, verstummte seine Stimme.

Aber ich hatte bereits Stunden damit zugebracht, mein Gedächtnis nach Hinweisen auf den Grund für Janes Weggang zu durchforsten, und doch war ich keinen Schritt weitergekommen. Draußen auf der Veranda kam ich zu dem Schluss, dass trotz all der Liebe, die ich für sie empfand, und egal, wie glücklich und stolz ich war, ihr Ehemann zu sein, vielleicht ich das Problem war. Vielleicht hatte irgendein Makel tief in mir sie veranlasst zu gehen. Wenn ich ihn beheben konnte, überlegte ich, dann konnte ich sie vielleicht zurückgewinnen.


Das Restaurant, in dem wir uns verabredet hatten, lag im Stadtzentrum, in einer vornehmen Straße, die sich durch eine ansonsten eher heruntergekommene Gegend der City zog. Das Lokal war vielleicht halb voll, die Gäste ein Meer von Geschäftsanzügen. Sie hatte einen Tisch für vier Personen in der Mitte des Raums gewählt und saß mit dem Blick zum Eingang, ihre Jacke und Handtasche neben sich auf den Stuhl gelegt. Sie hatte die Haare hochgesteckt, trug Jeans und einen dunklen Pullover, in dem sie, wie ich immer fand, zu streng aussah. Sie entdeckte mich und hob die Finger zu einem fast unmerklichen Wink.

Es fühlte sich seltsam an, sie nicht zu umarmen. Die Begrüßung, die wir stattdessen zustande brachten, war unbeholfen und steif. Eine Bedienung kam und fragte mich, ob ich etwas trinken wolle, was mir ein bisschen Zeit gab, um wieder zur Besinnung zu kommen. Als sie gegangen war, um mein Wasser zu holen, stellte ich die erste der vielen Fragen, die mich in den Wahnsinn getrieben hatten. »Wohin bist du gegangen?«

»Ich habe etwas gefunden«, antwortete sie. »Dort werde ich erst einmal wohnen.«

Ich wartete darauf, dass sie fortfuhr. Sie tat es nicht. Die Bedienung kam wieder und traf auf tiefes Schweigen. »Hier ist Ihr Wasser«, sagte sie, während sie es vor mir auf den Tisch stellte. »Kann ich Ihnen beiden etwas zu essen bringen?«

Jane bestellte. Ich hatte mir die Speisekarte noch nicht angesehen, und ich hatte nicht viel Appetit, daher bestellte ich dasselbe wie sie. Die Bedienung nahm die Speisekarten und entfernte sich. Wieder breitete sich tiefes Schweigen aus.

»Das heißt, du wirst mir nicht sagen, wo du jetzt wohnst?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil ich nicht will. Es geht dich nichts an.«

»Jane, du bist meine Frau. Natürlich geht es mich etwas an.«

Ohne dass es mir bewusst war, war ich etwas lauter geworden. Niemand um uns herum schien groß auf mich geachtet zu haben, aber Jane versteifte sich, als hätte ich sie geohrfeigt. »Nein, es geht dich absolut nichts an«, entgegnete sie. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Und wir werden dieses Gespräch nicht hier führen.«

Das lief nicht gut.

»Warum tust du das?«, fragte ich.

»Ich kann mit unserer Ehe im Moment einfach nicht umgehen.«

Ich versuchte nicht zu verbergen, wie verletzt ich war. »Du meinst, ›mit mir umgehen‹?«

Vielleicht hatte sie das Gefühl, dass sie zu weit gegangen war, denn sie sah mich mit einem gewissen Mitgefühl an. Sie holte einmal tief Luft. »Ich will allein sein«, begann sie. »Es hat nichts mit dir zu tun. Ich fühle mich einfach wohler allein.«

»Das ist doch verrückt. Unsere Ehe ist kein Wegwerfartikel. Meine Emotionen sind keine Wegwerfartikel – und ich habe das Gefühl, du behandelst mich so, als ob ich einer bin.«

»Es tut mir leid. Ich will dir nicht wehtun«, sagte sie. »Aber ich will nicht verheiratet sein. Wir sind zu verschieden, und wir müssen im Leben einfach nach vorn blicken und auf die Weise herausfinden, wie wir glücklich sein können.«

Während sie redete, brachte die Bedienung unser Essen. Sie stellte uns die Teller hin, bot uns den obligatorischen frisch gemahlenen schwarzen Pfeffer an und fragte uns, ob wir noch irgendeinen Wunsch hätten. Als sie gegangen war, holte ich zu meiner großen Rede aus.

»Wir müssen zu einer Eheberatung gehen«, sagte ich.

»Colin, das wird wirklich nichts ändern an meinem …«

»Lass mich ausreden«, sagte ich. »Ich werde nicht einfach zur Tür hinausgehen, ohne einen Versuch zu unternehmen. Ich will, dass wir zu einer Eheberatung gehen. Wenn ich irgendetwas ändern oder korrigieren muss, dann werde ich es tun. Wenn wir hingehen und, nach drei Monaten oder vier Monaten oder wie lange es eben dauert, ein professioneller Eheberater mir ins Gesicht sagt: ›Es besteht keine Hoffnung, das hier wieder einzurenken‹, dann werde ich der Erste sein, der dir die Hand gibt und dir alles Gute wünscht. Aber wenn wir nicht wenigstens versuchen, es wieder hinzubiegen, sind wir verrückt.«

Ich hatte die Rede geplant und sie eine Million Mal im Kopf einstudiert, aber als es darum ging, sie zu halten, bekam ich vielleicht die Hälfte von dem heraus, was ich beabsichtigt hatte. Janes Miene war absolut unergründlich, eine Maske. »Ich werde darüber nachdenken«, war alles, was sie sagte. Dann fand sie irgendeine Ausrede, sie müsse zurück ins Büro, und stürzte ohne ein weiteres Wort davon. Sie hatte ihren ganzen Teller aufgegessen. Ich selbst hatte nicht einen Bissen genommen, daher ließ ich mir mein Essen einpacken. Als ich das Restaurant verließ, bemerkte ich einen Obdachlosen an der Straßenecke. Ich gab ihm mein Mittagessen und ein bisschen Kleingeld im Tausch gegen eine Zigarette. Ich blieb eine Weile stehen und redete mit ihm. Trotz des Elends, auf der Straße zu leben, schien er glücklicher, als ich es war. Ich musste aus diesem Loch herauskommen.


Jane brauchte noch ungefähr eine Woche, bis sie sich zu einer Eheberatung bereit erklärte. Ich fand im Internet eine Paartherapeutin und buchte einen Termin. Im Vorfeld versuchte Jane zwei- oder dreimal, einen Rückzieher zu machen, aber sie erschien pünktlich zu unserer ersten Sitzung. Die Praxis unserer Therapeutin war voller Pflanzen, und zwei dick gepolsterte, bequeme Sessel standen darin. In Anbetracht der Umstände machte die Therapeutin einen viel zu fröhlichen Eindruck. Bilder ihrer Familie – vereint, glücklich, strahlend – hingen überall. Es fühlte sich an, als würde sie damit prahlen. Es fiel mir schon schwer genug, überhaupt zu einer Beratung zu gehen. Ihre glückliche, lächelnde Familie machte es mir nicht unbedingt leichter.

In den darauffolgenden Sitzungen hatte ich jede Menge Zeit, die vielen, vielen Fragen zu stellen, die ich hatte. Warum war Jane gegangen? War ich ein grässlicher Mensch? Hatte ich irgendetwas falsch gemacht? War ich langweilig? Hatte ich meine Socken he­rumliegen lassen? Hatte sie jemand anderen kennengelernt? Jane beantwortete eine Frage nach der anderen mit einem Schulterzucken. Unter Druck gesetzt, gab sie ein- oder zweisilbige Antworten. Die meiste Zeit starrte sie einfach nur aus dem Fenster und vermied jeden Blickkontakt. Die Therapeutin machte sich Notizen und versuchte, Jane zum Reden zu bewegen. Bei unserer letzten Sitzung sagte sie: »Jane, Sie sind ihm hier schon eine Antwort schuldig. Können Sie irgendetwas darüber sagen, warum Sie gegangen sind?«

Ihre Antwort: »Ich will einfach nicht mehr verheiratet sein.«

Am Ende jeder Sitzung stürzte Jane einfach zur Tür hinaus. Nach unserer letzten Sitzung, nachdem Jane gegangen war, bat mich die Therapeutin, noch ein bisschen länger zu bleiben.

»Hören Sie«, sagte sie. »Hier geht es nicht um Sie.«

»Was meinen Sie damit?«, fragte ich.

»Jane hat offensichtlich ein paar Dinge, mit denen sie allein umgehen muss. Diese Dinge haben vielleicht gar nichts mit Ihrer Ehe zu tun, aber sie scheinen ihre Fähigkeit zu beeinträchtigen, Ihre Ehe aufrechtzuerhalten. Wir machen keine Fortschritte, daher schlage ich vor, dass Sie beide individuelle Hilfe in Anspruch nehmen und getrennt mit Ihren jeweiligen Problemen umgehen.«

An dem Punkt glaubte ich noch immer, dass Jane letztendlich zur Besinnung kommen würde, aber den Ratschlag der Therapeutin zu hören, führte mir die Wahrheit vor Augen. Meine Beziehung mit Jane war zu Ende.

»Ich nehme an, Sie haben recht«, war alles, was ich zu der Therapeutin sagen konnte. Ich verließ ihre Praxis und hatte zum ersten Mal keine Hoffnung mehr.


Wenn ich nicht in der Arbeit war, rauschte die Zeit nur so an mir vorüber. Im Büro war ich imstande, mich anhaltend zu konzentrieren, und ich steckte meine ganze Energie in meinen Job, wo zum Glück alles noch immer gut lief. Meist blieb ich bis spätabends im Büro, bevor ich nach Hause fuhr, aß, was immer am wenigsten Vorbereitungen erforderte, und verbrachte den restlichen Abend abwechselnd damit, auf der Veranda hinter dem Haus zu rauchen und vor dem Fernseher zu sitzen. An einem besonders schlimmen Abend saß ich bis in die frühen Morgenstunden auf der Couch, als ein Spot des psychologischen Gesundheitsdienstes im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Darin lag ein unrasierter, nachlässig gekleideter Schauspieler in einem fast katatonischen Zustand auf einer Couch. Wow, das bin ja ich, dachte ich. Vielleicht sollte ich etwas dagegen unternehmen.

Mein Vater sagte immer, nur verrückte Leute würden zu Therapeuten gehen. Ehrlich gesagt, klangen mir diese Worte in den Ohren, bevor ich die Eheberatung in Betracht gezogen hatte. Sein Einfluss bewirkte, dass mir vor einer Therapie graute und ich sie als Zeichen des Scheiterns und Quelle der Lächerlichkeit ansah. Aber irgendwann war ich es einfach leid, mich hundeelend zu fühlen. Der Frühling hatte Einzug gehalten. Die Außenwelt wurde einladender, und ich verspürte mehr und mehr Lust, mich ihr wieder anzuschließen. Allmählich begann ich, mich wieder bei Freunden zu melden. Meine alte Freundin Catherine und ihr Ehemann John waren mit die Ersten gewesen, die den Kontakt zu mir suchten, und sie hatten mich unter ihre Fittiche genommen, mich zum Sonntagsessen eingeladen und häufig nach mir gesehen.

Catherine war eine erfolgreiche Psychotherapeutin mit einer Privatpraxis im Zentrum von Toronto. »Du solltest mit jemandem reden«, sagte sie.

»Du meinst, mit einem Therapeuten?«, fragte ich.

»Ja. Ich kann dir ein paar Leute empfehlen.«

»Bin ich wirklich so verkorkst?«

Sie lächelte. »Ich glaube einfach, es würde dir helfen, jemanden zum Reden zu haben.«

Mit Catherines Hilfe überwies mich mein Hausarzt an einen Psychiater. Dr. Edward Hamers Praxis befand sich in der zweiten Etage eines achtstöckigen Ärztehauses, einem alten braunen Backsteinbau in der Bloor Street. Der Eingang lag eingekeilt zwischen einem familienbetriebenen Lebensmittelladen und einer Drogerie. Die Anzeigetafel in der Lobby listete Ärzte für jedes medizinische Fachgebiet auf: Zahnheilkunde, Orthopädie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kieferorthopädie, Urologie – und Psychiatrie, das Fachgebiet des Mannes, der mir den Weg zurück zum Glück weisen sollte. Was zum Teufel tat ich da eigentlich?

Es gab nur einen einzigen funktionierenden Aufzug hoch zu Dr. Hamers Etage. Der Aufzug war ungefähr so groß wie ein Wandschrank und rumpelte unheimlich. Es roch nach Medizin und Körperausdünstungen. Dr. Hamers Praxis befand sich am Ende eines schmuddeligen Flurs. Ich drückte auf die Klingel, und wenig später hörte ich ein Klicken, als die Tür aufgedrückt wurde. Ich öffnete sie zögernd und fand mich in einem leeren Wartezimmer wieder.

Der Raum war spärlich beleuchtet und roch nach Mottenkugeln. Ich setzte mich, nahm eine zerlesene Zeitschrift zur Hand und blätterte sie nervös durch. Ich kann nicht glauben, dass ich das hier tue, dachte ich. Ich spielte mit dem Gedanken, wieder zu gehen, aber gerade als ich aufstehen wollte, öffnete sich die dunkle Holztür zu Dr. Hamers Behandlungszimmer.

Ein Patient, der offensichtlich geweint hatte, murmelte ein rasches Dankeschön und ging. Dr. Hamer stand im Türrahmen. Er war ein konservativer und ausdrucksloser Typ mit einer großen ­Brille und schütterem Haar. Er sah genauso aus, wie ich mir einen Psychiater vorstellte. »Colin«, sagte er, wobei er zur Begrüßung nickte. Ich stand auf und folgte ihm in den Behandlungsraum.

Er sprach über seine Schulter, während er auf einen grünen Sessel am Kopfende einer langen Ledercouch zuging. »Wie ich bereits am Telefon erwähnte, als Sie den Termin machten, müssen wir, bevor ich mich bereit erkläre, Sie zu behandeln, eine erste Einschätzung durchführen. Daher werde ich Ihnen heute nur eine Reihe von Fragen stellen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie wir am besten vorgehen und welche Art Hilfe ich Ihnen bieten könnte.« Er blieb vor dem Sessel stehen und wies mit einer Handbewegung auf die Couch. »Wenn Sie damit einverstanden sind, legen Sie sich bitte hin, und dann fangen wir an.«

Mich hinlegen? Auf eine Couch? »Das mit der Einschätzung klingt okay«, sagte ich, während ich mich auf die Couchkante ­hockte. »Aber ich würde gern einfach hier sitzen, während ich mit Ihnen rede.«

Seine Miene blieb ausdruckslos, aber irgendetwas in seiner Stimme veränderte sich. »Wenn Sie sich nicht hinlegen, kann ich Ihnen nicht helfen«, sagte er.

»Was meinen Sie damit?«, fragte ich. »Dass wir kein Gespräch von Angesicht zu Angesicht führen können?«

Er schüttelte langsam den Kopf. »So läuft das nicht«, sagte er. »Wenn Sie meine Hilfe wollen, dann werden Sie tun müssen, worum ich Sie bitte, und sich hinlegen.«

Ich seufzte und verdrehte die Augen … und dann tat ich, was er von mir verlangte.

Ich hatte erwartet, dass er mich fragen würde, warum ich gekommen war, dass er mich nach Jane und meiner Ehe und allem fragen würde, was mich so traurig und bedrückt gemacht hatte, dass ich eine Psychotherapie brauchte. Aber als er eine Frage nach der anderen stellte, schien es kein klares Thema oder einen Zusammenhang zu meiner gegenwärtigen Krise zu geben.

»Mögen Sie Ihre Mutter?«, erkundigte er sich. »Mögen Sie Ihren Vater? Haben Sie Probleme mit Höhen? Beengten Räumen? Haben Sie irgendwelche Phobien? Sind Sie ein gut organisierter Mensch? Sind Sie pünktlich? Kommen Sie gut mit anderen zurecht?«

Ich sagte nicht die Wahrheit. Stattdessen gab ich Dr. Hamer die Antworten, die er, wie ich glaubte, hören wollte – die, wie ich glaubte, richtig waren. Während ich mich mehr oder weniger regelmäßig auf der Couch aufsetzte, um Blickkontakt zu ihm aufzunehmen, zeichnete ich das Bild einer idyllischen Kindheit, einer Familie ohne Funktionsstörungen. Ich stellte mich als rundum stabile, gut angepasste Person ohne irrationale Ängste oder Beklemmungen hin. Er kommentierte keine meiner Antworten, machte sich nur Notizen auf einem großen Schreibblock, der in seinem Schoß ruhte. Während ich wie Charlie Brown in einer Therapiesitzung mit Lucy auf dem Rücken lag, fühlte ich mich in jeder Hinsicht genauso befangen und lächerlich, wie ich erwartet hatte. Dr. Hamer feuerte einfach weiter drauflos: »Sehen Sie Leute, die nicht wirklich da sind? Hören Sie Stimmen im Kopf?«

»Na ja«, antwortete ich, »keine lauten.« Ich hoffte auf ein Lachen, aber alles, was ich zu hören bekam, war das Kratzen seines Stifts. »War nur ein Witz.«

Schweigen.

Er begann, wieder zu schreiben.

»Das müssen Sie nicht aufschreiben«, sagte ich.

Er schrieb weiter. »Sie werden alles aufschreiben, stimmt’s?«, erkundigte ich mich. Er schrieb auch das auf.

Die Fragen gingen noch über eine halbe Stunde weiter. Am Ende der Sitzung verkündete Dr. Hamer sein Urteil: »Sie können einmal die Woche kommen, mir sagen, wie Sie sich fühlen, und Ihre Probleme mitteilen«, sagte er. »Das könnte Ihnen bei Ihren unmittelbaren Gefühlen helfen. Es wird jedoch keine langfristige Lösung für Sie sein.« Er hielt einen Augenblick inne, um mich das verdauen zu lassen. »Wenn Sie Ihren Problemen wirklich auf den Grund gehen wollen, empfehle ich Ihnen, viermal die Woche zu kommen.«

Viermal die Woche! War ich so verrückt? Dr. Hamer fuhr fort, bevor ich irgendetwas sagen konnte. »Sie sollen wissen, dass die Häufigkeit keine Aussage über Sie oder die Schwere Ihrer Depression ist. Es ist nur so, dass bestimmte Patienten von einem solchen Ansatz profitieren können. Auf der Grundlage der heutigen Einschätzung denke ich, dass Sie ein Kandidat dafür sind.«

Ich war am Boden zerstört; ich musste wirklich ein Riesenproblem haben, wenn ich ihn so oft sehen musste.

»Ich weiß nicht, ob ich viermal die Woche schaffen kann«, sagte ich zu ihm. »Ich muss sehen, wie ich es mit meinen Arbeitszeiten vereinbaren kann.«

»Sie können gern darüber nachdenken und eine zweite Meinung einholen«, antwortete er. »Aber ich muss spätestens in ein paar Tagen wissen, was Sie tun wollen.«

»Okay, danke«, sagte ich. »Ich werde darüber nachdenken.«

Ich meldete mich bei Catherine, die mir begeistert und leidenschaftlich empfahl, die Therapie voranzutreiben; sie nannte es eine echte Chance zu emotionalem Wachstum und sagte mir, ich würde mich viel besser fühlen, wenn ich sie machte. Und so, da ich nicht das Gefühl hatte, eine bessere Option zu haben, krempelte ich meine Arbeitszeiten um und begann, Dr. Hamer mit der empfohlenen Häufigkeit zu sehen. Ich brauchte eine Weile, um mich daran zu gewöhnen. An manchen Tagen sprudelte es nur so aus mir hervor, als hätte ich ein paar Tassen Kaffee zu viel getrunken. An anderen Tagen fiel es mir zu schwer, meine Emotionen mitzuteilen, und dann kam ich in Dr. Hamers Praxis und sagte, noch bevor ich die Couch erreicht hatte, zu ihm: »Ich werde heute nicht mit Ihnen reden.« Dann saßen wir eine Dreiviertelstunde schweigend da, und sobald die Zeit um war, ging ich. Egal, welche Version von mir erschien, Dr. Hamer saß jedes Mal so ausdrucksvoll wie ein Wachposten des Buckingham Palace da und hinterfragte und notierte methodisch jeden Gedanken, jeden Impuls und jede Lebenserfahrung.

Einmal, als ich den Raum betrat, erwähnte ich, draußen sei ein schöner Tag – ich machte nur Small Talk. »Wirklich?«, fragte er. »Warum ist er schön?«

»Die Sonne scheint. Es ist warm … ich wollte nur höflich sein.«

»Was lässt Sie glauben, dass Sie höflich sein müssen?«

»Ich weiß nicht!« Alles, selbst den harmlosesten Small Talk, verwandelte er in ein Verhör. Einmal war ich so entnervt von seinen unaufhörlichen Fragen, dass ich leise »Idiot« murmelte.

»Das habe ich gehört«, sagte er. »Warum glauben Sie, dass ich ein Idiot bin?« Und dann begann alles wieder von vorn.

Es dauerte drei oder vier Monate, bis weit in den Sommer hinein, aber schließlich begann ich, kleine Fortschritte bei mir zu erkennen. Anstatt mir zu helfen, mich auf Jane zu konzentrieren, war Dr. Hamer zu einigen meiner frühesten Erinnerungen zurückgekehrt; den prägenden Erfahrungen hinter Launen, Ängsten und Problemen, von denen ich oft gar nicht wusste, dass ich sie hatte. Ein paar Sitzungen endeten damit, dass ich am Boden zerstört und in Tränen aufgelöst war, voller Angst, wieder hinaus ins normale Leben zu gehen; aber gelegentlich, an erfolgreichen Tagen, begann ich, Dinge zu verstehen, die mir mein Leben lang entgangen waren. Ich schlief noch immer schlecht. Ich vermisste Jane noch immer. Ich arbeitete noch immer zu viel und rauchte, und das Haus sah aus wie ein Schweinestall. Aber irgendetwas in mir bewegte, veränderte sich.

Ich war auf dem Wege der Besserung.

Ein Pfundskerl namens George

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