Читать книгу Ein Pfundskerl namens George - Колин Кэмпбелл - Страница 6
ОглавлениеProlog
Ich bin Schwimmer und Surfer. Ich liebe das Meer. George, mein 140 Pfund schwerer Landseer-Neufundländer – das sind umgerechnet stolze 63 Kilogramm –, liebt das Wasser ebenfalls. Ich zögere etwas, wenn ich »mein Hund« sage, denn das klingt, als würde ich dieses Geschöpf besitzen, mit dem ich einen Großteil meines Lebens teile. Wie Sie, so hoffe ich zumindest, in diesem Buch sehen werden, gehört George ausschließlich sich selbst. Wir Menschen, die wir das Glück haben, ihn zu kennen und in unserem Leben von ihm berührt worden zu sein, sind nur die Empfänger seiner großzügigen Gaben.
George ist der Hund, der mein Leben verändert hat. Als ich ganz unten war, war er da, um mich zu trösten. Er hatte kein Zuhause, als ich ihn bei mir aufnahm, aber wie sich herausstellte, war er es, der mich gerettet hat. Er hat mir beigebracht, zu gehen und zu warten, zu sitzen und geduldig zu sein und Veränderungen anzunehmen. Er hat mich gelehrt, wie wichtig Umarmungen sind, zu flüstern, anstatt zu brüllen, anderen um mich herum genauer zuzuhören und einfühlsam gegenüber Bedürftigen zu sein. Er hat mir gezeigt, wie man die Wellen des Lebens reitet, anstatt sich von ihnen überspülen und ertränken zu lassen. Er hat mir beigebracht, dass man zu weit aufs Meer hinausschwimmen kann – und er hat mich öfter, als ich mich erinnern kann, zurück ans rettende Ufer gezogen. Er hat mich gelehrt, dass der Surfsport, genau wie das Leben, nicht zu ernst genommen werden sollte – dass man manchmal nur auf ein Brett steigen muss, um sich selbst und die Leute um sich herum glücklich zu machen.
Viele der Lebenslektionen, die ich mit George gelernt habe, erinnerten mich an Lektionen, die mir eigentlich schon vor langer Zeit begegnet waren. Ist es nicht so, dass sich im Leben oft, ohne dass wir es erkennen, ein Kreis schließt?
Mein Großvater Nick Howes war die erste positive Kraft in meinem Leben und in vielerlei Hinsicht mein erster Lehrer. Er lehrte mich die Werte, die mir später George erneut nahebringen sollte, als mein Großvater es nicht länger konnte.
Ich möchte daher an dieser Stelle ein wenig zurückspulen und von meinem Großvater Seymour Wylde Howes III erzählen. Er wurde im Jahr 1913 auf einer Zuckerplantage auf der Karibikinsel Montserrat geboren. Er zog es vor, Nick genannt zu werden, aber ich nannte ihn Grandpa. Im Zweiten Weltkrieg war er einer der Ersten, die am D-Day in Frankreich an den Stränden der Normandie landeten, wo er mehrere seiner Kameraden vor dem Ertrinken rettete, nachdem ihr Landungsboot auf eine Mine gefahren war. Nach dem Krieg führte Grandpa ein, wie man allgemein wohl sagen würde, bescheidenes, gewöhnliches Leben. Doch für mich war er alles andere als gewöhnlich.
Mein jüngerer Bruder David und ich hatten eine sehr enge Beziehung zu unserem Großvater. Grandpa lebte sein Leben mit voller Hingabe, er war selbstlos und gab uns das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Es waren seine kleinen und großen Gesten, die über Jahre hinweg dazu beitragen sollten, unser Leben zu prägen. Als Jungen verbrachten wir oft den ganzen Sommer in seinem Cottage an einem stillen Strand in einer ruhigen Bucht im kanadischen Nova Scotia. Morgens wachten wir oft vom Geruch von brutzelndem Speck und der tiefen, begeisterten Stimme meines Großvaters auf. »Aufgestanden, ihr Schlafmützen!«, rief Grandpa, während wir noch im Bett lagen. »Heute ist ein wichtiger Tag! Wir haben wichtige Dinge zu tun!« Meinem Großvater zufolge hatten wir jeden Tag »wichtige Dinge« zu tun.
»Augenblick …«, sagte er dann, während er im Türrahmen unseres Zimmers stand. Er sah in einem unsichtbaren Terminplan nach, der draußen hinter dem Panoramafenster des Cottage schwebte, irgendwo weiter unten, wo das Meer gegen die Ufer des Sandstrandes schlug. »Heute müssen wir schwimmen. Und Sandburgen bauen. Dann müssen wir den Rasen mähen und Brennholz hacken und noch einmal schwimmen. Danach müssen wir segeln, gefolgt von einem kurzen Ausflug in die Stadt, um ein paar Lebensmittel einzukaufen. Dann steht ein Barbecue auf dem Programm. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir direkt im Anschluss daran noch ein bisschen Blaubeerkuchen essen müssen. Und dann werden wir das alles abrunden, indem wir uns die Zähne putzen, unsere Pyjamas anziehen und eine Gutenachtgeschichte lesen.«
Mein Bruder und ich lauschten seinen Worten von der warmen Behaglichkeit unserer Etagenbetten aus und stellten uns weiter schlafend, bis Grandpa sagte: »Aber bevor wir das alles tun können, muss ich euch Schlafmützen erst einmal aus dem Bett holen!« Und mit diesen Worten stürzte er sich auf uns und kitzelte uns durch einen Berg von Decken hindurch, während wir lachten und kicherten und noch ein bisschen mehr lachten.
Egal, wie alt wir waren – jahrelang, ein Jahrzehnt lang, begann so jeder einzelne Sommertag mit ihm.
Er beendete unsere Tage auf fast die gleiche Weise. Nach unserem Tag voller Aufgaben und Spaß, und bevor wir es überhaupt richtig bemerkten, senkte sich die Dämmerung über uns. Wir waren hundemüde, schlüpften in unsere Pyjamas und machten uns bettfertig. Dann kam er herein, um uns eine Geschichte vorzulesen, und bevor er das Licht ausschaltete, fragte er jedes Mal: »Jungs, hattet ihr einen schönen Tag?«
»Natürlich hatten wir das, Grandpa!«
»Wisst ihr, Jungs«, sagte er dann mit leiser, sanfter Stimme, »heute war ein freier Tag.«
»Was ist ein ›freier Tag‹, Grandpa?«, fragten wir jedes Mal.
Und dann sah er mit einem breiten Lächeln zu uns hinunter und sagte: »Ein freier Tag ist, wenn man einen ganzen Tag damit verbringt, Dinge zu tun, die man liebt – wie zum Beispiel Sandburgen bauen, Drachen steigen lassen oder schwimmen gehen. Und wenn du diese Dinge mit Leuten tust, die du liebst und die dich lieben, dann wirst du an diesem Tag kein Stückchen älter. Das ist ein freier Tag.« Dann hielt er inne und strich uns die Haare aus dem Gesicht, während er uns tief in die Augen sah. »Heute, Jungs, hatten wir einen freien Tag auf der Erde. Heute sind wir nicht alt geworden. Und jetzt schlaft gut. Ich liebe euch.«
Dann schaltete Grandpa das Licht aus, und wir sanken in einen tiefen, schweren Schlaf. Wir liebten ihn von ganzem Herzen, und er liebte uns sogar noch mehr.
Erst viel später in meinem Leben, nachdem ich verloren hatte, was ich am meisten liebte, und lange nachdem Grandpa nicht mehr war, lernte ich, wie schwer »freie Tage« in diesem Leben zu bekommen sind. Ich vergaß, wie sie sich anfühlten, bis George mir half, sie wiederzufinden. Und jetzt, mit Georges Hilfe, versuche ich aus jedem Tag einen freien Tag zu machen.