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VORWORT

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1848 fegte ein gewaltiger Revolutionssturm über Europa hinweg. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit stürzten in Paris, Mailand, Venedig, Neapel, Palermo, Wien, Budapest, Krakau und Berlin Zehntausende radikaler Arbeiter und liberaler Bürger die alten Regierungen und machten sich ans Werk, eine neue, liberale Ordnung zu schaffen. Seit der Französischen Revolution von 1789 hatte Europa keine derart dramatischen politischen Ereignisse mehr erlebt – und sollte sie auch bis zu den Umwälzungen von 1989 in Ost- und Mitteleuropa oder vielleicht bis zur weniger weitreichenden bolschewistischen Revolution von 1917 nicht mehr erleben. Die Lawine zerschmetterte die konservative Ordnung, die seit dem Ende der napoleonischen Kriege 1815 auf dem Kontinent für Frieden gesorgt, in vielen Ländern allerdings auch die Träume von nationaler Freiheit und konstitutioneller Regierung unterdrückt hatte. Das festgefügte Gebäude der Macht, seit fast zwei Generationen den Europäern aufoktroyiert, brach unter dem Gewicht der Aufstände zusammen.

Die Geschichte von 1848 wurde viele Male erzählt.1 Sie ist kompliziert, und ihre Darstellung birgt einige interessante Herausforderungen. Ein Historiker beschrieb dies als Problem »historischer Synchronisation«,2 die Italiener haben einen sehr viel farbigeren Ausdruck dafür: »un vero quarantotto« – »ein echtes 48« –, was soviel bedeutet wie »ein wahrhaft königliches Chaos«.3 Deshalb soll hier in erster Linie die Geschichte als solche erzählt werden, und zwar so, dass sie hoffentlich mit Genuss zu lesen ist. Dieses Buch wird aber auch von der Überzeugung getragen, dass die Revolutionen von 1848/49 es wert sind, einmal mehr aufgearbeitet zu werden, weil sie auf entsprechende Resonanz in der Gegenwart stoßen. Im Allgemeinen erlaube ich der Leserin, dem Leser, aus den Beweisen und dem Erzählten eigene Schlüsse zu ziehen, doch gelegentlich gebe ich einen, wie ich hoffe, hilfreichen Fingerzeig. 1848 standen die Revolutionäre vor dem Problem, freiheitliche konstitutionelle Regierungen bilden zu müssen, wobei sie sich mit erstaunlich modernen Fragestellungen konfrontiert sahen. Für die Deutschen, Italiener, Ungarn, Rumänen, Polen, Tschechen, Kroaten und Serben sollte dieses Jahr der »Völkerfrühling« sein, eine Chance, ihr eigenes Nationalbewusstsein zum Ausdruck zu bringen und politische Anerkennung zu finden. Im Fall der Deutschen und Italiener war es zugleich eine Gelegenheit zur nationalen Einigung in einem liberalen oder sogar demokratischen Geist. Daher war Nationalismus eines der Themen, die 1848 an die Oberfläche der europäischen Politik drängten. Obwohl im Konstitutionalismus und in den Bürgerrechten verwurzelt, handelte es sich um einen Nationalismus, der verhängnisvollerweise kaum den legitimen Ansprüchen anderer nationaler Gruppen Rechnung trug. Vielerorts führte diese enge Sichtweise zu einem erbitterten ethnischen Konflikt, der letztlich dazu beitrug, die revolutionären Herrschaftsordnungen in Mittel- und Osteuropa zu zerstören.

Ein weiteres Problem stellten die Themen »Verfassung« und »Demokratie« dar. Fast überall trugen die Revolutionen von einer harten, oft gewaltsamen politischen Polarisierung Narben davon. Gemäßigte strebten nach einer parlamentarischen Regierungsform – ohne allerdings allen das Wahlrecht zu gewähren – und sahen sich unverzüglich von Radikalen herausgefordert, die eine Demokratie anstrebten – häufig im Verein mit einschneidenden sozialen Reformen. Die Kluft zwischen Liberalen und Demokraten trennte die revolutionäre Allianz, die so mühelos die konservative Herrschaft gestürzt hatte. Der daraus entstehende Antagonismus zeitigte dramatische Folgen für die Zukunft liberalen Regierens und der Demokratie, und zwar nicht nur im Jahr 1848, sondern in vielen Teilen Europas bis weit ins 20. Jahrhundert hinein.

Ein drittes Thema, das 1848 an die Oberfläche brodelte und nie wieder von der politischen Tagesordnung Europas verschwand, war die »soziale Frage«. Während der rund dreißig Jahre seit den napoleonischen Kriegen hatte sich das bittere Elend der städtischen und ländlichen Bevölkerung bedrohlich verschärft. Grund für die Armut war ein Bevölkerungswachstum, dem noch kein entsprechendes Wirtschaftswachstum ausgleichend gegenüberstand. Die Regierungen unternahmen nichts gegen die soziale Notlage, deren Bekämpfung sich dann 1848 eine recht neue politische Strömung – der Sozialismus – auf die Fahnen schrieb. So wurde durch die Revolutionen die soziale Frage mit aller Macht und unwiderruflich auf das Feld der Politik geworfen. Alle späteren Regime, egal wie konservativ oder autoritär, konnte sie nur unter hohen Risiken ignorieren; 1848 aber sollte sich die Frage, was gegen die Armut zu unternehmen sei, als schicksalhaft für die liberalen revolutionären Regierungen erweisen.

Die Revolutionen von 1848 waren zudem europaweit – sie flammten auf dem ganzen Kontinent auf. Selbst Länder wie Großbritannien und Russland, die nicht direkt von Aufständen heimgesucht wurden, blieben von den Auswirkungen nicht ganz verschont. Diese europäische Dimension wirft die Frage auf, ob Europas geschichtliche Entwicklung lediglich die Summe seiner verschiedenen nationalen Teile ist oder ob diese Teile durch gegenseitige Erfahrungen, gemeinsame Probleme und Ähnlichkeiten in Idealen und Erwartungen miteinander verbunden sind. Auch dieser Aspekt ist von großer Bedeutung für die heutige Zeit.

Die genannten Themen werden im vorliegenden Buch, eingebettet in die Darstellung der Ereignisse von 1848/49, untersucht, wobei auf Augenzeugenberichte, Memoiren und eine umfangreiche Auswahl an Sekundärliteratur zurückgegriffen wird. Außerhalb der Forschung wurde diese Periode europäischer Geschichte nur wenig beleuchtet, dabei hat sie eine ganz eigene Dramatik: Viele Bildmotive aus europäischen Revolutionen – Arbeiter und Studenten auf Barrikaden, rote Flaggen, Trikoloren – stammen aus dieser Zeit. Die Aufstände und ihre Niederschlagung brachten eine beeindruckende Besetzung auf die Bühne: darunter Metternich, den Architekten der alten konservativen Herrschaftsordnung; Louis-Napoleon Bonaparte (später Napoleon III.), der das Schicksal der Zweiten Französischen Republik besiegelte, indem er Profit aus dem Namen seines berühmten Onkels schlug; Garibaldi, den Helden mit dem roten Hemd aus dem Kampf um Italiens Einheit; Mazzini, die beinahe religiös anmutende Inspirationsquelle hinter dem demokratischen Republikanismus Italiens; Bismarck, das machiavellistische stille Wasser der deutschen Geschichte; und Radetzky, den gerissenen österreichischen Feldmarschall von achtzig Jahren, der zu Recht hätte behaupten können, der Retter des Habsburgerreichs gewesen zu sein. Doch es gibt noch andere, deren Namen vermutlich nicht so vertraut sind, die aber trotzdem Teil der Besetzung sind: der kroatische Kommandeur Jelačić; der hitzige ungarische Revolutionär Kossuth; der bebrillte und geistreiche Republikaner Manin aus Venetien; der französische Historiker und Dichter Lamartine mit seinem Gespür für Dramatik. Die Revolutionen von 1848 stellen eine vielschichtige und faszinierende Geschichte dar, die die hohe Politik der Diplomatie, Staatenbildung und Verfassungsgebung mit der menschlichen Tragödie von Revolution, Krieg und sozialem Elend verbindet. Parallel dazu gab es wahrhaft erhebende und begeisternde Augenblicke: 1848 war sowohl eine Revolution der Hoffnung wie auch eine der Verzweiflung.

1848

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