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Vorwort

Kreuz und Rose: zusammen werden sie zum Rosenkreuz. Es ist eines der wichtigsten Symbole in der Anthroposophie und steht für die Entwicklungsfähigkeit des Menschen und die Verwandlung und Spiritualisierung von Welt und Leben. Rudolf Steiner hat das Rosenkreuz zu einer Meditation geformt, mit der man sich in die Anthroposophie von innen einleben kann; sie ist wie der Zipfel, an dem die ganze Anthroposophie sich von außen nach innen wendet.

In der Meditation des Rosenkreuzes, wie sie Rudolf Steiner in der Geheimwissenschaft im Umriß vorstellt, steckt ein klarer methodischer Weg, der sich auf die aktive Entwicklung des Bewusstseins des Meditierenden richtet. Damit bleiben Methode und Bewusstseinsentwicklung rational fassbar und somit auch anschlussfähig an allgemeinere Diskurse. Die Verwandlung des Bewusstseins und die Übertragung des in anderen Bewusstseinszuständen Erfahrenen ins gewöhnliche Bewusstsein sind der Schwerpunkt rosenkreuzerischen Übens; weniger interessiert im Folgenden das Herbeiführen von passiver Hellsichtigkeit.

Daneben hat die Rosenkreuz-Meditation eine Beziehung zu der spirituellen Strömung der Rosenkreuzer, über die Rudolf Steiner zeitweise ausführlich gesprochen hat. In den in diesem Buch versammelten Aufsätzen steht jedoch die Meditation selbst im Zentrum, die auch ganz unabhängig von dem überlieferten Rosenkreuzertum verstanden und meditiert werden kann.

Ich habe diese Meditation 1983 im Anthroposophischen Studienseminar bei Frank und Brigitte Teichmann kennengelernt. Wir haben die Anleitung zu dieser Meditation, die in der Geheimwissenschaft im Umriß schriftlich vorliegt, studiert wie auch andere Texte Rudolf Steiners. Davon, dass man diese Meditation tatsächlich durchführen könne, war, den damaligen Usancen gemäß, keine Rede. Es war in der anthroposophischen Szene völlig unüblich, über Meditation und geistige Forschung zu sprechen, und es gab auch nur ganz wenige Bücher zu diesem Thema. Das hat sich erst in den folgenden Jahrzehnten grundlegend verändert.

Die Rosenkreuz-Meditation ist dann zum Zentrum im Aufbau meines meditativen Lebens geworden, und ich habe mich ihr durch Jahrzehnte hindurch fast täglich gewidmet. Alles, was ich seither über anthroposophische Meditation und das sich daraus ergebende Verständnis anderer anthroposophischer Aspekte veröffentlicht habe, entspringt letztlich diesem Umgang mit Steiners Rosenkreuz-Meditation.

Dazu gehören die ersten Seminare mit dieser Meditation im Frankfurter und im Stuttgarter Zweig der Anthroposophischen Gesellschaft noch in den neunziger Jahren, intensiviert dann im neuen Jahrtausend. Dazu gehört die Beobachtung, dass der komplexe Aufbau der Meditation und das Meditieren selbst für viele Menschen zu anspruchsvoll ist, weshalb ich mir Gedanken gemacht habe, wie man vom heutigen Alltagsbewusstsein ein Brücke bauen kann zum Ausbilden grundlegender geistiger Fähigkeiten, die für anthroposophisches Meditieren nützlich sind. Und dazu gehört die Entwicklung eines geistigen Forschungsweges, der dem Aufbau der Rosenkreuz-Meditation in der Geheimwissenschaft entspricht, und dessen Anwendung auf verschiedene Gebiete. Davon zeugen insbesondere die beiden Aufsätze ‹Die Rosenkreuz-Meditation› und ‹Von Meditation zu geistiger Forschung› sowie das ausführliche Beispiel ‹Fenchel meditieren› im Anhang. Auch der Geheimwissenschaft im Umriß, die den unmittelbaren Kontext für die Rosenkreuz-Meditation bildet und deren Formulierung des Schulungsweges mich am meisten geprägt hat, ist ein Aufsatz gewidmet.

Von da aus weitet sich der Blick auf den anthroposophischen Schulungsweg insgesamt: zunächst zu den «12 Nebenübungen» der Geheimwissenschaft, später dann zum «Lichtseelenprozess». Einen Überblick über anthroposophisches Meditieren darüber hinaus findet man in ‹Die denkende Individualität als Ausgangspunkt anthroposophischer Meditation›.

Drei Aufsätze geben einen Einblick in die meditative Werkstatt: in das Erüben eines leeren Bewusstseins, in das Erforschen des Bewusstseins selbst und in die Wirkungen anthroposophischer Meditation auf Konstitution und Gesundheit. Das Buch endet mit zwei Untersuchungen zum Verhältnis zwischen anthroposophischer Schulung im allgemeinen und dem Übungsweg der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, wobei die zweite zugleich eine kleine Genese anthroposophischen Meditierens bei Rudolf Steiner enthält. Am Beginn des Buches steht eine Skizze meines Verhältnisses zur Anthroposophie im Allgemeinen.

Die Aufsätze sind in den Jahren 2009 bis 2019 unabhängig voneinander entstanden – was einige kleinere Überschneidungen bedingt – und können auch unabhängig voneinander gelesen werden. Sie wurden für die Buchausgabe geringfügig bearbeitet, verändert oder aktualisiert. Die Reihenfolge ist ein Vorschlag für eine sinnvoll geordnete Lektüre aller Aufsätze.

Die Lektüre ist aber keine ganz leichte Kost. Sie vermittelt natürlich Information, aber die Texte wollen auch etwas verstehbar machen, und dafür braucht es beim Lesen das Mitdenken. Zudem sind sie keine Einführung in die anthroposophische Meditation oder die Anthroposophie im strengen Sinne; eher sind es Reflektionen, Vertiefungen und weiterführende Gedanken für Menschen, denen beides zumindest in Grundzügen schon bekannt ist. Wer ganz neu an dieses Feld herantritt, für den finden sich einige einführende Texte zu den in diesem Kontext wichtigsten Grundbegriffen im Anhang, der als Download auf der Website des Verlags Freies Geistesleben bereit steht.1 Sie sind zumeist der Website des ‹Instituts für anthroposophische Meditation› entnommen, ebenso wie die ausführliche Literaturübersicht zur anthroposophischen Meditation. Auch die in diesem Buch besprochenen Meditationen stehen dort zum Download bereit.

Eine wichtige Station bei der Entstehung der in diesem Buch versammelten Aufsätze war die von 2003 bis 2010 bestehende ‹Firma für Anthroposophie›, die neue Wege im Umgang mit Anthroposophie entwickelte. Gemeinsam mit den Kollegen Sebastian Gronbach, Jelle van der Meulen, Alexander Schaumann und Michael Schmock haben wir damals – 100 Jahre, nachdem Rudolf Steiner 1904 Leiter einer Esoterischen Schule und damit Lehrer für Meditation und geistiges Forschen wurde – einen wichtigen Schritt von Meditation zu geistiger Forschung gemacht. Außerdem gab es in diesen Jahren ein erstes Kolloquium am Goetheanum, das ich zusammen mit Heinz Zimmermann durchgeführt habe und in dem wir den Austausch über meditative Erfahrungen regelrecht geübt haben.

Es kam in diesen Jahren auch sonst das Meditieren sehr in Mode, man denke etwa an die Achtsamkeitsbewegung, die Zen-Meditation mit ihren Meditationshäusern oder das christliche Meditieren am Benediktushof des Willigis Jäger. Dort habe ich mich überall umgesehen, und mir wurde gerade an der Unterschiedlichkeit deutlich, was das Spezifische der anthroposophischen Meditation ist.

2012 habe ich dann das ‹Institut für anthroposophische Meditation› gegründet, das sich zur Aufgabe gesetzt hat, anthroposophische Meditation auch in der nicht-anthroposophischen, aber spirituell interessierten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Das ist ein Stück weit auch gelungen, ein Höhepunkt war die Anleitung einer anthroposophischen Meditation auf dem buddhistisch orientieren Kongress ‹Meditation und Wissenschaft› 2019 in Berlin; seither jedoch scheint diesbezüglich eine vorläufige Grenze erreicht zu sein. Innerhalb der anthroposophischen Szene ist das Meditieren, auch als gemeinsame Praxis, indes so selbstverständlich geworden, wie wir es zu Beginn des 21. Jahrhunderts kaum für möglich gehalten hätten. Das gemeinsame Gespräch im Rahmen des ‹Instituts für anthroposophische Meditation› gibt es bis heute. Stellvertretend für die ganze Gruppe seien hier die bereits seit der Gründung teilnehmenden Persönlichkeiten Corinna Gleide, Christoph Hueck, Andreas Neider, Dorian Schmidt und Markus Buchmann genannt.

Außerdem bin ich durch Karl-Martin Dietz und Thomas Kracht verschiedentlich zu Kolloquien im Rahmen des ‹Forum Zeitfragen› der Anthroposophischen Gesellschaft und des Hardenberg Instituts eingeladen worden, wo ich neue Beobachtungen und Forschungsergebnisse vorstellen konnte. Aus diesen Zusammenhängen kenne ich auch Johannes Kiersch, der so freundlich war, ein Geleitwort für dieses Buch beizusteuern. Stephan Stockmar und Lydia Fechner von der Zeitschrift die Drei waren dort oft dabei und haben mich immer wieder aufgefordert und unterstützt, meine Gedanken weiter auszuarbeiten und zu Papier zu bringen.

2016 fand auf Anregung von Stephan Schmidt-Troschke von ‹Gesundheit aktiv› der Kongress ‹Meditation und Gesundheit› in Berlin statt, den wir zusammen mit Rudi Ballreich vorbereitet haben. Anknüpfend daran gab es am Alanus Werkhaus in zwei Durchgängen eine Fortbildung für Menschen, die andere meditativ anleiten möchten. In der Leitung dieser Fortbildungen, die sich über insgesamt fünf Jahre mit 25 Wochenenden erstreckte, habe ich zusammen mit den Teilnehmenden das ganze Feld anthroposophischer Meditation noch einmal sehr vertiefen können.

Mit meinem Einstieg in die Redaktion der Monats-Zeitschrift Info3 hat sich nun mein Lebensschwerpunkt nochmals verlagert und das Engagement für die anthroposophische Meditation ist in den Hintergrund getreten. Dass Claudius Weise vom Verlag Freies Geistesleben die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen und mir die Möglichkeit gegeben hat, was ich zur anthroposophischen Meditation zu Papier gebracht habe, zwischen zwei Buchdeckel zu versetzen, freut mich sehr.

Allen Genannten danke ich sehr herzlich – ohne Euch wären die Aufsätze und damit auch dieses Buch nicht zustande gekommen!

Den Leserinnen und Lesern wünsche ich Anregung und Inspiration, sei es für das eigene Meditieren oder für das Verständnis von Anthroposophie, und ich hoffe, dass die Aufsätze seit der Zeit ihrer Entstehung nichts davon verloren haben.


www.geistesleben.de/Dehmelt


Kreuz und Rose

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