Читать книгу Kreuz und Rose - - Страница 8
Оглавление«Die Umrisse der Anthroposophie als eines Ganzen» Der Geheimwissenschaft im Umriß zum Hundertsten
Die Geheimwissenschaft beendet Steiners inhaltsreiche Phase, in der Anthroposophie noch Theosophie hieß – ab 1911 erscheinen knappe, meditativ orientierte Bücher, die die Leser zur Eigenaktivität anregen sollen. Die Geheimwissenschaft bleibt aber zentral, Steiner bearbeitet sie für neue Auflagen immer wieder. Im Mittelpunkt der Geheimwissenschaft steht die Rosenkreuz-Meditation: Sie leitet über vom Aufnehmen des Inhaltlichen zu produktiver Eigenaktivität. Als sie Hundert wurde, entstand dieser Überblick über das umfangreiche Buch.
Die Geheimwissenschaft im Umriß enthält, so schreibt Rudolf Steiner im Januar 1925 in seiner letzten Vorrede zu diesem Buch, «ja die Umrisse der Anthroposophie als eines Ganzen […] Alles, was ich seither sagen konnte, erscheint, wenn es an der rechten Stelle diesem Buche eingefügt wird, als eine weitere Ausführung der damaligen Skizze.»1 Das (nach Die Rätsel der Philosophie) umfangreichste Buch Steiners: eine Skizze? Diese Zuschreibung ist in der Tat nur berechtigt, wenn man das spätere Werk Steiners in die Geheimwissenschaft zu integrieren versucht. Nur dann bemerkt man, dass die Charakteristik von Luzifer und Ahriman – in der Geheimwissenschaft erstmals (schriftlich) niedergelegt – in den Folgejahren sowohl in Büchern wie in Vorträgen reiche Ausarbeitung erfuhr, was in noch reicherem Maße für das in der Geheimwissenschaft zwar an zentraler Stelle, tatsächlich aber nur knapp beschriebene Mysterium von Golgatha gilt. Das Wesen des Hüters der Schwelle wird bis zu Steiners Tod immer wieder neu charakterisiert, wer sich über die Prinzipien der Wirksamkeit der Planeten, über die Ätherarten oder die vorchristlichen Mysterien aufklären will, findet in der Geheimwissenschaft Grundlegendes, und natürlich sind die Anthropologie und der Reinkarnationsgedanke zeitlebens zentrale Themen gewesen, an denen Rudolf Steiner immer weiter gearbeitet hat.
Dennoch, der heutige Leser wird das Buch kaum als Skizze erleben. Bereits das Kapitel ‹Schlaf und Tod› enthält Weitungen, die der folgen wollenden Aufmerksamkeit nicht ohne Weiteres zugänglich sind, und das Kapitel ‹Die Weltentwickelung und der Mensch›, mit 160 Seiten schon äußerlich sehr umfangreich, birgt eine Stofffülle, die als Ganze nur von Spezialisten bewältigt wird. Insbesondere in diesem Kapitel sind implizit eine große Menge an Bezugnahmen enthalten, speziell auf Haeckels Evolutionsgedanken sowie auf die entsprechenden theosophischen Gedanken Blavatskys, Sinnetts oder Scott-Elliots. Diese Bezugnahmen, die damals sozusagen in der Luft lagen, sind dem heutigen Leser nicht mehr zugänglich und erschweren die Lektüre. Die «Maulbeere» des alten Saturn, der durch Absonderung entstandene zweigliedrige Mensch zum Beginn der Sonnenentwicklung und die «Eichelfrucht» im Beginn der Erdentwicklung sind «sinnlich-übersinnliche Bilder»2, die für sich selbst sprechen. Aber um wie vieles deutlicher wird diese Sprache, wenn man die Anspielung auf Haeckels Beschreibung der pflanzlichen Keimesentwicklung durch Morula, Blastula und Gastrula versteht! Und um wie vieles transparenter wird die Erdentwicklung und die ausgiebige, komplexe und übrigens 1913 grundlegend überarbeitete Schilderung des sogenannten «Sündenfalls» in der lemurischen Zeit, wenn man weiß, dass für H.P. Blavatsky und infolgedessen für die theosophischen Leser der «Sündenfall» im Mittelpunkt der Menschheitsentwicklung stand. Das war die Folie, vor der Steiner dem Mysterium von Golgatha seine Mittelpunktsstellung verlieh.3
Auch 1910, beim Erscheinen der Geheimwissenschaft, ist das Buch sicherlich nicht als Skizze erlebt worden. Viel eher dürfte es als Zusammenschau von Steiners bisherigem theosophisch-anthroposophischen Schaffen rezipiert worden sein. Denn es fasst die Veröffentlichungen Steiners seit der Übernahme des Generalsekretär-Postens der Theosophischen Gesellschaft unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zusammen.
Da war 1904 zunächst die Theosophie erschienen. Sie bereits enthält eine Anthropologie, den Reinkarnationsgedanken, Ausführungen zur Seelenwelt und zum Geisterland sowie eine allererste Fassung des anthroposophischen Schulungsweges. Mit Ausnahme der Evolution sind also alle Themen der Geheimwissenschaft bereits angeschlagen. Die Theosophie ist komponiert nach der Dreigliederung von Leib, Seele und Geist, und die Dreigliederung wird auch zur Grundlage der Entwicklung des Reinkarnationsgedankens ebenso wie für die Schilderung von Seelenwelt und Geisterland. In den folgenden Jahren bis 1908 hat Rudolf Steiner die angeschlagenen Themen ausgearbeitet und als Aufsätze in der Zeitschrift Lucifer-Gnosis veröffentlicht, woraus später Sonderdrucke sowie Bücher – einige allerdings erst nach Rudolf Steiners Tod – erstellt wurden. Eingegangen sind die Aufsätze in die Bücher Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? (Sonderdruck 1907, Buchausgabe 1909), Die Stufen der höheren Erkenntnis (Sonderdruck 1908, Buchausgabe 1931) und Aus der Akasha-Chronik (Sonderdruck 1907, Buchausgabe 1939). So hat die Darstellung des Schulungsweges nach der Theosophie große Veränderungen erfahren, zunächst mit der Hinzunahme der Natur als Übungsfeld und überhaupt einer großen Fülle von Übungsanregungen in Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?. Die Systematisierung der höheren Erkenntnisstufen als Imagination, Inspiration und Intuition erscheint erst in Die Stufen der höheren Erkenntnis. Ganz neu tritt nach der Theosophie das Thema Evolution und Weltentwicklung hinzu, das in den Aufsätzen Aus der Akasha-Chronik erstmals durchgearbeitet wird (sowie natürlich parallel in Vorträgen).
In der Geheimwissenschaft werden nun alle angeschlagenen Themen zusammengefasst: die Anthropologie im Kapitel ‹Wesen der Menschheit› (II), der Reinkarnationsgedanke und die Darstellung von Seelenwelt und Geisterland im Kapitel ‹Schlaf und Tod› (III), der Evolutionsgedanke im Kapitel ‹Die Weltentwickelung und der Mensch› (IV), fortgesetzt im Kapitel ‹Gegenwart und Zukunft der Welt- und Menschheits-Entwickelung› (VI), und zwischen diesen beiden Kapiteln zum Evolutionsgedanken der umfangreich und systematisch dargestellte Schulungsweg im Kapitel ‹Die Erkenntnis der höheren Welten (Von der Einweihung oder Initiation)› (V). Abgeschlossen wird das Buch von ‹Einzelheiten aus dem Gebiete der Geisteswissenschaft› (VII), die einige Themen vertieft aufgreifen. Und sieht man dann noch das Einleitungskapitel der Geheimwissenschaft, in dem es um den ‹Charakter der Geheimwissenschaft› (I) geht, als eine für die theosophisch-anthroposophischen Verhältnisse umgearbeitete Erkenntnistheorie an, so ist in der Tat in die Geheimwissenschaft das gesamte vorangegangene philosophische und theosophisch-anthroposophische Schaffen Steiners eingegangen.
Ein einheitlicher Gesichtspunkt
Neu sind in der Geheimwissenschaft insofern weniger die Inhalte, die im Einzelnen schon bekannt waren und den Mitgliedern in den genannten Aufsätzen und in Vorträgen immer wieder dargebotene Grundlagen der Anthroposophie enthalten. Neu ist insbesondere der Gesichtspunkt, unter dem Rudolf Steiner sein bisheriges Schaffen nun zusammenfasst: der der Viergliederung des Menschen in physischen Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich und der Verwandlung der drei Leibesglieder in Geistesglieder.
So beginnt das Kapitel ‹Wesen der Menschheit› nicht mit der Dreigliederung nach Leib, Seele und Geist, sondern mit dem Aufbau der vier Wesensglieder entlang der Naturreiche, gipfelnd in der Zusammenfassung:
«Wie der physische Leib zerfällt, wenn ihn nicht der Ätherleib zusammenhält, wie der Ätherleib in der Bewußtlosigkeit versinkt, wenn ihn nicht der Astralleib durchleuchtet, so müßte der Astralleib das Vergangene immer wieder in die Vergessenheit sinken lassen, wenn dieses nicht vom «Ich» in die Gegenwart herübergerettet würde. Was für den physischen Leib der Tod, für den Ätherleib der Schlaf, das ist für den Astralleib das Vergessen. Man kann auch sagen: dem Ätherleib sei das Leben eigen, dem Astralleib das Bewußtsein und dem Ich die Erinnerung.»4
Es folgt die Differenzierung der Ich-Tätigkeit in Empfindungs-, Verstandes- und Bewusstseinsseele, die dann vertieft wird in die geistige Dreiheit von Geistselbst, Lebensgeist und Geistesmensch. Diese drei geistigen Glieder werden gebildet, wo das Ich das verborgene Geistige im Offenbaren der Leiblichkeit freilegt. (Die Dreigliederung der Theosophie wird hier also durchaus integriert.) Die verwandelnde Arbeit des Ich wird in diesem Kapitel zunächst als Kulturtatsache dargestellt:
«Im Grunde besteht alles Kulturleben und alles geistige Streben des Menschen aus einer Arbeit, welche diese Herrschaft des Ich zum Ziele hat. Jeder gegenwärtig lebende Mensch ist in dieser Arbeit begriffen: er mag wollen oder nicht, er mag von dieser Tatsache ein Bewußtsein haben oder nicht.»5
Die Vierheit von physischem Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich wird in allen folgenden Kapiteln wieder aufgegriffen, aber unter jeweils veränderten Bedingungen. Im Kapitel ‹Schlaf und Tod› werden die vier Wesensglieder in ihrer Auflösung nach dem Tod und ihrer Neubildung vor der nächsten Geburt beschrieben. Ebenfalls findet hier eine Verwandlung von physischem Leib, Ätherleib und Astralleib statt, aber anders als im vorangegangenen Kapitel, in dem diese Verwandlung als allmählich und kontinuierlich beschrieben wurde, gehen die Wesensglieder nun durch eine völlige Auflösung: Zunächst wird mit dem Tode der physische Leib abgelegt; dann löst sich nach wenigen Tagen der Ätherleib auf, nachdem er wie ein Tableau das nunmehr abgeschlossene, zu einer Ganzheit gewordene vergangene Erdenleben als innerlich stimmiges Gemälde dem nachtodlichen Bewusstsein zur Erscheinung gebracht hat; und dann beginnt die Zeit, in der der Astralleib mit all seinen Begierden, Trieben und Leidenschaften so weit geläutert wird, dass das Ich seine Verwobenheit mit dem dem Erdenleben allzu stark zugeneigten Astralleib ablegen kann. Nun kann das von jeder Anhaftung an Irdisches befreite Ich in das Geisterland eintreten, verbunden mit allen Früchten des vergangenen Erdenlebens, die nun in Keime für das künftige Erdenleben verwandelt werden, in einer Welt, die nur aus Intentionen und schlackenfreien Urbildern besteht. Hier kann das Ich sich qualifizieren, nach Maßgabe der gefassten Intentionen einen neuen Astralleib, einen neuen Ätherleib und schließlich einen neuen physischen Leib auszubilden, die den im Geistigen gebildeten Intentionen entsprechen. Das Ich im Geisterland webt mit an den Verhältnissen der eigenen Leiblichkeit und den Welt-, Kultur- und Naturverhältnissen, in die diese Leiblichkeit eingebettet sein wird.
Und auch im Evolutionskapitel sind die vier Wesensglieder der rote Faden, der das Verstehen durch die Fülle des Stoffs hindurchführt. Der Alte Saturn schildert die Bedingungen der Entstehung des physischen Leibes und des Physischen überhaupt, auf der Alten Sonne entsteht der Ätherleib, auf dem Alten Mond der Astralleib, und auf der Erde kommt das Ich hinzu. Aber es ist eigenartig: Denn das zunächst nur als Wärme erscheinende Physische des Alten Saturn hat nahezu Ich-Qualität, das Ich des Irdischen ist ohne das nunmehr fest gewordene Physische nicht zu denken. Eins steckt im anderen drin, Physisches und Ich sind von Beginn an aufeinander bezogen.
Die Wesensglieder mit dem Ich werden geschaffen von hierarchischen Wesenheiten, die als Fluchtpunkte des Denkens die Aktivität der Schöpfung einzufangen vermögen. Aber mit dem Auftreten des Ich treten die Hierarchien zurück. Nur die Weltmächte Christus, Luzifer und Ahriman umgeben den Menschen noch, zwischen ihnen ist der Mensch mehr und mehr auf sich selbst gestellt, und vollends auf sich gestellt ist er nun, was die Fortführung der Evolution in die Zukunft hinein betrifft.
Diese Zukunft wird angedeutet im Kapitel ‹Gegenwart und Zukunft der Welt- und Menschheitsentwickelung›. Es ist so knapp, wie das in die Vergangenheit gerichtete Weltentwicklungskapitel umfangreich ist. So wie das Ich im Leben zwischen Tod und neuer Geburt die Frucht des vergangenen Erdenlebens umwandelt in den Keim des nächsten, so wandelt der an der Evolution beteiligte Zeitgenosse die Früchte der Schöpfung um in Keime für die Zukunft. Aber während man es bei den Früchten der Vergangenheit mit Tatsachen zu tun hat, denen sich das Erkennen ruhig gegenüberstellen kann, so erregt, «was in der Zukunft geschieht, […] das menschliche Fühlen und Wollen.»6 Hier ist ein ganz anderer Modus menschlicher Tätigkeit gefragt: die gewonnene menschliche Freiheit achtend bei zugleich voller Verantwortungsübernahme für das Verwirklichen zukünftiger Evolution. Soweit diese gelingt, werden die zukünftigen Weltzustände Jupiter, Venus und Vulkan Verwandlungen der vergangenen Zustände Mond, Sonne und Saturn sein – im Sinne der in die bisherige Entwicklung einverleibten Möglichkeiten: Dies ist gerade der Mensch, der Freiheit und Verantwortlichkeit miteinander verbindet, der zum «selbständigen Glied einer geistigen Welt»7 geworden ist.
Entwicklung des Bewussteins: Der Vegetationskegel der Evolution
Diese hohe Verwandlungsaufgabe des zur Freiheit herangereiften geistigen Menschenwesens, die Arbeit des Ich am Physischen, am Ätherischen und am Astralen wird in der Geheimwissenschaft in mehreren Schattierungen beschrieben: als Kulturtatsache im zweiten, als Ereignis im Leben zwischen Tod und neuer Geburt im dritten und als Resultat der ganzen Evolution im vierten Kapitel. Damit der Mensch aber diese Aufgabe tatsächlich ergreifen kann, bedarf es noch mehr als einer unterstützenden Kultur, als des im Leben zwischen Tod und Geburt vorbereiteten Schicksalswirkens, als einer Evolution, die uns an diese Stelle geführt hat. Es bedarf der bewussten und gezielten Arbeit des Menschen an sich selbst. Diese ist Voraussetzung, um die Evolution entsprechend weiterzuführen. Und diese Arbeit beginnt mit der Verwandlung des Bewusstseins. Denn immer war es das Bewusstsein, das im Mittelpunkt des Entwicklungsstrebens der Hierarchien lag. Die Entwicklung des Bewusstseins ist, vergleichsweise gesprochen, der Vegetationskegel der Evolution. Und es ist das Gebiet, in dem wir Menschen am unmittelbarsten arbeiten können: an der Entwicklung unseres Gegenstandsbewusstseins, das auf die Gegebenheiten einer geschaffenen physischen Welt ausgerichtet ist, zu einem imaginativen Bewusstsein, das Bildeprozesse, Zukunftsprozesse, Lebendiges und Werdendes angemessen zu erfassen vermag.
Dieser Arbeit ist das zwischen Vergangenheit und Zukunft der Evolution eingefügte fünfte Kapitel ‹Die Erkenntnis der höheren Welten› gewidmet. Hier wird sehr genau beschrieben, was man an diesem Vegetationskegel tun kann, um Anfangskeime der Imagination und darauffolgend der Inspiration und Intuition auszubilden, was man tun kann, um die Evolution voranzutreiben. Denn anders kann man diese Stellung des Schulungskapitels mitten im Evolutionskapitel kaum verstehen: Es ist die Schulung des Bewusstseins, die Verwandlung des Gewordenen in jedem Einzelnen, ganz konkret im Hier und Jetzt. Die Rosenkreuz-Meditation, Zentrum des Schulungskapitels, fasst diesen ganzen Zusammenhang für die verschiedenen Stufen des Bewusstseins. In ihr ist auch jener Übergang enthalten vom «Sündenfall» als der zu tiefen Verstrickung des Ich im Astralleib, der in Blavatskys Geheimlehre im Mittelpunkt stand, zum Mysterium von Golgatha, das in der Geheimwissenschaft in den Mittelpunkt rückt: als Möglichkeit, das Ich so zu ergreifen, dass es den Astralleib zu verwandeln und den «Sündenfall» zu überwinden vermag. Meditation und Schulung setzen die Evolution fort, indem sie den Meditierenden selbst verwandeln und in ihm die Fähigkeiten ausbilden, die Welt zu verwandeln, die Schöpfung fortzuführen.
Auch im Schulungskapitel begegnen uns die vier Wesensglieder wieder, auch hier wird der einheitliche Gesichtspunkt durchgetragen: Schulung beginnt im Gegenstandsbewusstsein, mit Gedanken, die das Ich mit seinem zunächst an den physischen Leib gebundenen Denken denken kann, die sich aber zugleich schon auf Geistiges richten. Sie setzt sich fort in die Imagination, die mit der Verwandlung des Astralleibes einhergeht, während die Inspiration den Ätherleib und die Intuition den physischen Leib umwandelt.8
So wird durch die ganze Geheimwissenschaft das Motiv der Verwandlung von physischem Leib, Ätherleib und Astralleib durch das Ich durchgeführt, mit wachsenden Dimensionen. Es ist dieser einheitliche Gesichtspunkt, der es erlaubt, das Erscheinen der Geheimwissenschaft mit einem gewissen Recht gleichzusetzen mit dem Zeitpunkt, in dem Anthroposophie erstmals als Ganzes, als in sich stimmiges System auftritt. Dass daraus doch kein abgeschlossenes System geworden ist, verdankt sich nicht nur der weiteren Lebensleistung Rudolf Steiners, der mit seiner – von der Theosophie durchaus verschiedenen – Dreigliederung 1917 nochmals eine neue Systematik eröffnet und damit die ganze Anthroposophie in innerer Spannung hält, es verdankt sich auch der Fassung dieses systematischen Entwurfs: Sie ist dem Denken und nur dem Denken gegeben. Das Denken wird eingeführt in die Bildeprinzipien der Welt und des menschlichen Seins. Aber welche moralischen Folgen daraus zu ziehen seien, das ist dem Denkenden anheimgegeben. Die geisteswissenschaftlichen Gedanken ermöglichen ein Eindringen in das Weltganze, das zu einem Leben im Zusammenhang mit diesem Weltganzen befähigt. Aber sie achten in jedem Fall die Freiheit des Denkenden.
Das ist mit ein Grund, warum dieses Buch so schwer zu lesen ist. Rudolf Steiner wollte vermeiden, dass sein systematischer Entwurf leichfertig dogmatisiert oder gar zur Grundlage von Fanatismus wird. Er wollte das freie Ich ansprechen, das selber entscheidet, ob es die Verantwortung, die aus geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkten quillt, übernehmen will. Er wollte mit der Geheimwissenschaft Menschen anregen, «sich als ein selbständiges Glied einer geistigen Welt zu fühlen».9
Die Geheimwissenschaft ist singulär geblieben. Kein späteres Buch erhebt den Anspruch, Anthroposophie als Ganze darzustellen. Vielmehr werden die Bücher in den folgenden Jahren immer inniger. Sie setzen noch viel unmittelbarer auf die Aktivität des Ich. Demgegenüber treten Stofffülle und Systematik zurück. Dem Gegenstandsbewusstsein, dem Anspruch, den Gedanken vom Geistigen eine in sich stimmige und umfassende Form zu geben, die dem ans Gehirn gebundenen Denken zugänglich ist, ist mit der Geheimwissenschaft genüge getan.
Der Bewegung der Begriffe folgen
Aber die Formung der Gedanken in der Geheimwissenschaft und die Verwandlung dieser Formung durch das Buch hindurch verdient noch eine eigene Betrachtung. Denn die Geheimwissenschaft will eben nicht nur vom Geistigen reden, sondern sie will den Menschen anregen, tatsächlich ins Geistige einzudringen, sich selbst zu ihm hinzuentwickeln. Diese Anregung geschieht durch Denkformen, die immer anspruchsvoller werden, dafür aber auch ein immer reicheres Kraftpotenzial in sich enthalten.
Im Kapitel vom ‹Wesen der Menschheit› werden die Grundbegriffe entwickelt. Sie werden abgeleitet aus der Anschauung des toten, des schlafenden und des bewussten, schließlich des sich erinnernden Menschen. Es ergibt sich ein begrifflicher Zusammenhang, der oben bereits zitiert wurde, und der durch seine innere Systematik eine starke begriffsprägende Kraft hat:
«Wie der physische Leib zerfällt, wenn ihn nicht der Ätherleib zusammenhält, wie der Ätherleib in der Bewußtlosigkeit versinkt, wenn ihn nicht der Astralleib durchleuchtet, so müßte der Astralleib das Vergangene immer wieder in die Vergessenheit sinken lassen, wenn dieses nicht vom «Ich» in die Gegenwart herübergerettet würde. Was für den physischen Leib der Tod, für den Ätherleib der Schlaf, das ist für den Astralleib das Vergessen. Man kann auch sagen: dem Ätherleib sei das Leben eigen, dem Astralleib das Bewußtsein und dem Ich die Erinnerung.»10
Denn die Begriffe werden nicht nur nebeneinandergestellt, sondern stehen auch zueinander in einem inneren Zusammenhang. Tod, Schlaf und Vergessen sind unterschiedliche Aggregatzustände von fehlender irdischer Präsenz: im Tod, in dem der physische Leib sich selbst überlassen ist, im Schlaf, in dem physischer Leib und Ätherleib bewusstseinslos zusammenhängen, und im Vergessen, in dem zum physischen und Ätherleib zwar ein Astralleib hinzutritt, aber noch kein Ich. Als Gegenbegriffe gehören zu Tod, Schlaf und Vergessen Leben, Bewusstsein und Erinnerung. Mit wenigen Termini wird hier ein begrifflicher Zusammenhang aufgebaut, der das Wesen des Menschen in seiner Viergliedrigkeit in einer ersten Skizze einfängt, beinahe definitorisch zunächst, und zugleich in seiner inneren Dichte schon weit darüber hinausweisend.11
Im Kapitel ‹Schlaf und Tod› werden diese klar gefassten Begriffe nun in Bewegung gebracht. Zunächst, wenn es um Schlaf und Traum geht, wird gefragt: Wo eigentlich sind Astralleib und Ich, wenn physischer Leib und Ätherleib schlafend im Bette liegen? Es zeigt sich, dass der Astralleib so etwas wie eine Rückseite hat, die nachts zum Tragen kommt. Tagsüber bildet er die Grundlage unseres Alltagsbewusstseins, indem er uns ein- und abgrenzt, uns der Welt gegenüberstellt. Nachts aber stülpt er sich um, dehnt sich aus in die ganze Welt, fügt sich harmonisch in den ganzen Kosmos ein, bis zu den Sternen, und schöpft dort die Kraft, um dann die eigentlich unharmonische Abgrenzung wieder für eine gewisse Zeit zu bewältigen. Und was passiert im Traum? Da kommt der Astralleib aus dem Schlaf zurück, aber er durchdringt erst den Ätherleib, noch nicht den physischen Leib. Und deshalb produziert er zwar innere Bilder, die aber ohne Zusammenhang mit der Außenwelt sind. Das ist einsichtig, verständlich, stimmig. Und so geht es weiter. Was geschieht mit dem Ätherleib nach dem Tode? Er zeigt sich in seiner Urqualität, als zusammenhangstiftende Kraft des ganzen Lebens, als Bildekraft hinter all den Einzelheiten, die uns unsere Biographie und unser Gegenstandsbewusstsein zunächst präsentieren. Er enthält die Bildekraft, nicht die abgeschnürte Einzelheit. Und der Astralleib? Er muss all das in der Abschnürung Erlebte wieder befreien, so dass es sich harmonisch dem Kosmos eingliedern kann.
Die Begriffe werden in Bewegung gebracht, in dem sie durch Traum, Schlaf und Tod unterschiedliche Verhältnisse zueinander eingehen, und sie offenbaren dabei andere Aspekte als bei ihrer Eingliederung in den wachen Erdenmenschen. Was den wachen Erdenmenschen bildet, reicht weiter, als der erste Blick es vermuten lässt. Die Begriffe sind offen für den Kosmos, sind offen für ein Menschenwesen, das mit dem Weltganzen in Verbindung steht.
Das zu entdecken erfordert eine innere Aktivität, erfordert, der Begriffsbildung wirklich zu folgen. Das ist mehr, als dem puren Inhalt zu folgen und sich erzählen zu lassen, was nach dem Tode geschieht. Die mitdenkende Aktivität nimmt nicht nur die Erzählung hin, sondern folgt der Bewegung der Begriffe und taucht dadurch begriffsbildend ein Stück weit in die Wirklichkeit ein, von der die Rede ist.
Ein probates Mittel, um in diesem Sinne die Bewegung der Begriffe mitzuvollziehen, ist das Referieren des Textes aus eigener Kraft. Zunächst wird es wenig sein, was man von einem Kapitel, einem längeren oder kürzeren Absatz referieren kann. Aber jeder Versuch steigert die Aufmerksamkeit, und beim nächsten wird es schon besser gehen. Man wird bemerken, dass sich der Text kaum dem Gedächtnis, wohl aber dem Mitdenken fügt. Dass man hier und da Zusammenhänge entdeckt. Dass den anfänglichen Zusammenhängen, dem ersten Verstehen zu folgen fruchtbarer ist als dem Nicht-Verstehen, und dass es wichtig ist, Fragen offen zu halten statt sie rasch zu beantworten. Und man wird bemerken, wie immer genaueres Referieren immer tiefere Seelenschichten beteiligt. Die Wirklichkeit, von der die Rede ist, liegt in den Tiefen meiner Seele. Und die Begriffe sind so geformt, dass ihr Mitdenken diese tieferen Seelenschichten beteiligt, aktiviert, freilegt. Ich kann bemerken, wie in meinem Inneren beim Referieren leise etwas in Resonanz gerät, von dessen Existenz ich kaum etwas wusste, das aber durch stetige Pflege immer präziser erlebbar wird.
«Liest man Mitteilungen aus der sinnenfälligen Welt, so liest man eben über sie. Liest man aber Mitteilungen über übersinnliche Tatsachen im rechten Sinne, so lebt man sich ein in den Strom geistigen Daseins. Im Aufnehmen der Ergebnisse nimmt man zugleich den eigenen Innenweg dazu auf. Es ist richtig, daß dies hier Gemeinte von dem Leser zunächst oft gar nicht bemerkt wird. Man stellt sich den Eintritt in die geistige Welt viel zu ähnlich einem sinnenfälligen Erlebnis vor, und so findet man, daß, was man beim Lesen von dieser Welt erlebt, viel zu gedankenmäßig ist. Aber in dem wahren gedankenmäßigen Aufnehmen steht man in dieser Welt schon drinnen und hat sich nur noch klar darüber zu werden, daß man schon unvermerkt erlebt hat, was man vermeinte, bloß als Gedankenmitteilung erhalten zu haben.»12
Das Studium der Geheimwissenschaft als Bewusstseinsentwicklung
Im Kapitel ‹Schlaf und Tod› wird durch das Mitdenken zunächst der Wesensbereich in mir angeregt, in dem die Imagination wurzelt. Mit ihr reiche ich schon ein Stück weit ins Leben zwischen Tod und neuer Geburt hinein. Das lebendige Denken, das Begriffe von Geistigem miteinander in Bewegung bringt, deren innerer Zusammenhang sich nur innerlich offenbart – das ist eine erste imaginative Tätigkeit.
Noch mehr verlangt das Kapitel von der Weltentwicklung. Auch hier ist das referierende Mitdenken ein guter Einstieg, aber es reicht nicht. In ‹Schlaf und Tod› waren die Verhältnisse noch so, dass ich mich am Zeitablauf und der Rückseitigkeit zur Konfiguration der Wesensglieder im Alltagsmenschen quasi festhalten konnte, ich hatte eine innere Orientierung, die aus der Ähnlichkeit mit meinen alltäglichen Erfahrungen resultierte. Auf dem Alten Saturn werde ich nun in eine Welt gestellt, die mit der mir bekannten nur noch die Wärme gemeinsam hat. Ansonsten habe ich nichts, woran ich mich festhalten könnte. Stattdessen kommt mir eine Komplexität von Beziehungen, von Andeutungen, Prozessen, Wesenheiten entgegen, deren Fülle und Wirklichkeitsgehalt ich vielleicht ahne, doch kaum halten kann. Das ist ein Merkmal inspirativer Erfahrung. Ein Halten, Einprägen und Verbinden mit der Komplexität des Beschriebenen wird eigentlich nur möglich, indem ich Fragen stelle an den Text, selber setze, welche Aspekte der Komplexität ich verfolgen möchte. Ist es die Verdichtung von Wärme über Luft zu Wasser bis hin zum Festen? Ist es das Zunehmen von Differenzierung, das durch Spiegelung, Zurückbleiben und Absonderung immer facettenreicher wird, das reichste Vielfalt bei gleichzeitiger innerer Einheit ermöglicht? Ist es das Entstehen von Fortpflanzung, also der Trennung zwischen geistiger und physischer Entwicklung, die von Zustand zu Zustand immer stärker wird, oder die Entstehung der Sinne, die schließlich unser Gegenstandsbewusstsein ermöglichen, aber schon auf dem Saturn angelegt werden? Verfolge ich die sich wandelnde Funktion der Pralayas? Versuche ich, aus einem Begriff, etwa dem der Spiegelung oder der Wärme, den ganzen Saturn zu entwickeln? Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, aber eine der vielen Möglichkeiten zu wählen, das scheint mir der Schlüssel für diese Stufe der Gedankenbildung zu sein. Denn nur meine eigene Frage verleiht mir Halt in einer geistigen Wirklichkeit, die doch in den Gedankenformen Steiners so gegenwärtig ist, dass sie mich erschlägt, wenn ich mich ihr gegenüber nicht aufrechterhalten kann – sofern sie nicht einfach an mir vorbeizieht, weil ich mich ihrer Kraft lieber gar nicht erst aussetzen möchte.
Gelingt es aber, in dieser Komplexität wach zu bleiben, so bemerkt man nicht nur, wie verschiedene Bereiche zusammenwachsen, sondern wie ich eintauche in eine in den Gedanken wirkende Wirklichkeit, die mir das Weltensein in ganz neuer Weise erschließt. Diese Erfahrung wird leicht verfehlt. Zu groß ist die Verführung, sich unter dem Alten Saturn etwas vorstellen zu wollen, was irgendwie meinem Erfahrungsschatz ähnlich wäre. Wenigstens möchte ich doch wissen, wie es auf dem Alten Saturn ausgesehen hat oder mit welcher geologischen Epoche Lemuris und Atlantis zusammenfallen. Aber dieses Bedürfnis nach alltäglicher Vorstellbarkeit bedient Rudolf Steiner in der Geheimwissenschaft nicht. Wie prall waren doch die Schilderungen in den Aufsätzen Aus der Akasha-Chronik, wo von den Flugzeugen der Atlantier, von anschaulichen Tier- oder Menschenformen die Rede war. Und mit dem klaren Aufbau von Bewusstsein, Leben und Form hatte man in den 7 x 7 x 7-Gliederungen doch immer eine deutliche Orientierung. In der Geheimwissenschaft wird die systematische Orientierung verwischt, wird nicht eine Schilderung zu solch praller Anschaulichkeit geführt. Immer ist die Schilderung so, dass ich selber sie verdichten und in Zusammenhänge rücken muss. Dann aber wachse ich mit dieser Schilderung hinein in die Wirklichkeit, von der die Rede ist, nicht im Sinne von Begriffen, die von einer äußeren Wirklichkeit abgezogen sind, sondern so, dass ich in den Gedankenbildungen die Wirklichkeit dessen erlebe, wovon die Rede ist. Im Studium des Weltentwicklungskapitels wachse ich tatsächlich mit der geistigen Welt zusammen. Ich erlebe die innere Einheit in aller Differenzierung, ich erfahre die Schöpfungskraft der Hierarchien und ihre unendliche Bereitschaft, alles zu tun, damit der Mensch ein freies Wesen werden kann und zugleich doch ein Glied der geistigen Welt zu bleiben vermag. Ich erlebe, dass die Welt der ausgebreitete Mensch ist und ich als Mensch in dieser Welt als ihr Mittelpunkt, als ihr Vegetationskegel stehe. Das wird Erfahrung. Aber es setzt diese innere Gedankenarbeit und die Setzung eigener Fragestellungen voraus. Sonst bleibt es dogmatisierbares Wissen.
Bild wird Kraft
Steiner beschreibt diese Wirksamkeit der Gedanken mit einem Bild am Ende des Kapitels ‹Schlaf und Tod› mit Bezug auf den inneren Umgang mit dem Reinkarnationsgedanken:
«Zwei Menschen – so wolle man annehmen – bekämen eine Siegellackstange in die Hand. Der eine stelle intellektuelle Betrachtungen an über die «innere Natur» der Stange. Diese Betrachtungen mögen sehr klug sein; wenn sich diese «innere Natur» durch nichts zeigt, mag ihm ruhig jemand erwidern: das sei Träumerei. Der andere aber reibt den Siegellack mit einem Tuchlappen, und er zeigt dann, daß die Stange kleine Körperchen anzieht. Es ist ein gewichtiger Unterschied zwischen den Gedanken, die durch des ersten Menschen Kopf gegangen sind und ihn zu den Betrachtungen angeregt haben, und denen des zweiten. Des ersten Gedanken haben keine tatsächliche Folge; diejenigen des zweiten aber haben eine Kraft, also etwas Tatsächliches, aus seiner Verborgenheit hervorgelockt. – So ist es nun auch mit den Gedanken eines Menschen, der sich vorstellt, er habe die Kraft, mit einem Ereignis zusammenzukommen, durch ein früheres Leben selbst in sich gepflanzt. Diese bloße Vorstellung regt in ihm eine wirkliche Kraft an, durch die er in einer ganz andern Art dem Ereignis begegnen kann, als wenn er diese Vorstellung nicht hegt. […] Wiederholt jemand solche innere Vorgänge, so werden sie fortgesetzt zu einem Mittel innerer Kraftzufuhr, und sie erweisen so ihre Richtigkeit durch ihre Fruchtbarkeit.»13
Es ist diese Verwandlung des zunächst bildhaften Gedankens in Kraft, die das Geheimnis der Geheimwissenschaft ausmacht. Solche Gedanken sind nicht in erster Linie dazu da, um sich etwas unter ihnen vorzustellen – wenn auch das immer wieder möglich und für den Anfang auch eine Hilfe sein kann –, sondern sie werden zu Kräften, die die Wirklichkeit konfigurieren in einer dem Sinn der Evolution entsprechenden Art und Weise. Die Pflanze wird mir etwas anderes, wenn ich immer wieder den Gedanken bewegt habe, dass Pflanze und Mensch sich seit der Alten Sonne gemeinsam entwickelt haben, dass es Beziehungen gibt zwischen Pflanze und Mensch, die auch heute noch durch Heil- oder Nahrungspflanze wirksam sind. Mein Verhältnis zu meinem Astralleib verändert sich, wenn ich immer wieder versucht habe, mit meinem Ich den Gedanken vom «Sündenfall», der mein Ich so stark in den Astralleib verstrickt hat, und dessen gesamtem Kontext zu denken. Der Impuls, einen Schulungsweg tatsächlich zu gehen, stärkt sich, wenn ich die Stellung des Menschen in der Evolution tatsächlich erfahren habe.
Und dies ist nun der nächste Schritt in der Gedankenentwicklung der Geheimwissenschaft: Im Schulungskapitel geht es darum, den Standpunkt, von dem aus eigene Tätigkeit möglich wird, genau zu justieren, und dann auch tätig zu werden. Das ist der Zipfel, an dem die ganze Weisheit der Geheimwissenschaft sich umstülpt, in meine Hände gelegt wird, von der Vorlage zur Aufgabe wird. Ich stehe in der Weltenmitternacht zwischen Tod und neuer Geburt, ausgegossen in die Intentionen der Welt, daran meine Aufgaben bildend. Ich stehe zugleich im Hier und Jetzt, mit dieser großen Perspektive meine kleinen Aufgaben ergreifend. Hier bin ich intuitiv gefordert. Das Schulungskapitel bietet mir mit der Rosenkreuz-Meditation ein Kraftbild, das mich bis zur Intuition führen kann, mit den Nebenübungen und dem Rückblick eine Handhabe, um im Hier und Jetzt vom Ich aus Herrscher im Astralleib zu werden, den «Sündenfall» ein Stück weit zu überwinden und Platz zu machen für das Mysterium von Golgatha. Denn darum geht es letztendlich.
Eine Kraftquelle
Rudolf Steiner hat immer wieder betont, dass man verstehen kann, wovon in der Geheimwissenschaft die Rede ist.14 Es war ihm wichtig, nicht Offenbarungen zu verkünden, sondern dem Ich das Material zu liefern, seine Aufgabe souverän zu ergreifen. Dringt man hier und da ein in die in der Gedankenbildung wirksame Kraftwelt und Wirklichkeit, so gewinnt man den höchsten Respekt vor Rudolf Steiners Leistung, diese geistige Wirklichkeit und Kraft bis in die Gedankenform hinein geprägt zu haben. In einer Weise, dass sie heute durch diese Gedanken hindurch immer noch aufgesucht werden kann! Diese Leistung, die geistige Wirklichkeit in die Gedankenform einzuprägen und durch sie hindurch in die geistige Wirklichkeit einzudringen, ermöglicht einen Zugang zu dem Christus-Ereignis der Gegenwart. Es beginnt mit der in der Welt ausgegossenen Weisheit, mit den in der Geheimwissenschaft entwickelten Bildegedanken. In sie arbeite ich mich denkend ein, verinnerliche sie. Und «geistige Erkenntnis wandelt sich durch das, was sie ist, in Liebe um».15 Der Gedanke wird Kraft. Weisheit wird Liebe. Nicht uns weiser zu machen ist die Geheimwissenschaft geschrieben, sondern uns dank der verinnerlichten Weisheit, aus dem Innesein im Sinn der Welt uns der Welt zuzuwenden, den Sinn der Welt in der Welt offenbar zu machen – das ist die Möglichkeit, die die Geheimwissenschaft bietet. Auch heute noch.
Ihre Zukunft wird vielleicht weniger im Vermitteln von Informationen über die geistige Welt liegen als in ihrer Potenz als Schulungsbuch. Als Schulungsbuch im Nachdenken, Mitdenken und Selberdenken der Gedanken vom Wesen des Menschen, von Schlaf, Tod und Wiedergeburt, von der Schöpfung, der gewordenen Welt und ihrer Zukunft, als Schulungsbuch aber auch im Umgang mit den Übungen des Schulungskapitels, die den Zipfel der Verinnerlichung, der Umstülpung, der Verwandlung in sich tragen und uns befähigen, Zukunft zu schaffen. Die Geheimwissenschaft