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3. Störungsspezifische Therapieforschung
3.5 Anpassungsstörungen und Belastungsreaktionen

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Diese diagnostische Kategorie wird oft als Verlegenheitsdiagnose missverstanden und ist bislang dadurch definiert, dass «keine andere Diagnose» vergeben werden kann bzw. keine andere Störung vorliegt. Für Patienten ist diese Diagnose oft entlastend, weil sie sich damit nicht als «psychisch krank» eingestuft fühlen und sich in ihren realen Belastungen ernst genommen fühlen. Simmen-Janevska & Maercker (2011) schlagen eine neue positive Definition vor auch im Hinblick auf die Einstufung dieser diagnostischen Kategorie unter dem Oberbegriff der «Stressstörungen» im ICD-11.

Leitsymptome sind hier spätestens vier Wochen nach einem belastenden Ereignis auftretendes «gedankliches Verhaftetsein» (Intrusionen), Vermeidung einer Auseinandersetzung mit dem Stressor und «Fehlanpassung» in Verbindung mit Rückzug oder Minderung des Selbstwerts oder Schlafstörungen. Darüber hinaus werden Subtypen unterschieden (depressiv, Angst, Impulskontrollstörung). Diese Reaktionen können sich innerhalb von drei Monaten zurückbilden (Belastungsreaktion) oder bis zu sechs Monaten anhalten (Anpassungsstörung) oder länger als sechs Monate anhalten (chronische Anpassungsstörung). Typische Auslöser sind: Trennung und Scheidung, Konflikte am Arbeitsplatz oder in der Schule, Kündigung, schwere Erkrankungen in Verbindung mit medizinischen Eingriffen, familiäre Konflikte, Rechtsstreitigkeiten, Erkrankungen in der Familie, finanzielle Probleme (Simmen-Janevska & Maercker 2011 S. 184).

Psychotherapeutisch gibt es bisher kaum Behandlungsstudien. Die einzige bisher vorliegende Behandlungsstudie (RCT) von van der Klink et al. (2003) ist modular aufgebaut aus Stressimpfung, kognitiver Restrukturierung und Zeitmanagement und knüpft daher an klassische Konzepte zur Stressbewältigung an. Dies ist auch auf den ersten Blick durch die Bezeichnung dieser Störungsgruppe als Stressstörung naheliegend. Die Behandlung wird von den Autoren auch als «lösungsorientiert» bezeichnet.

Ein anderer Behandlungsansatz ergibt sich aus dem Störungsverständnis von Horowitz (1986). Horowitz hat ein übergeordnetes Erklärungsmodell für «Stressstörungen als ‹leichte Form der PTSD›» entwickelt, in dem die Verarbeitung von traumatischen Ereignissen, Verlustereignissen (komplizierte Trauerreaktion) und Anpassungsstörungen nach einem gemeinsamen Ansatz möglich ist. Im Rahmen des von Maercker modifizierten Horowitz-Modells werden intensive Gefühle, kurzfristige Verdrängung in Verbindung mit Intrusionen, anschließendes Durcharbeiten der emotionalen Belastung und ein finaler Abschluss als Phasen der normalen Bewältigung belastender Lebensereignisse beschrieben. Eine nicht gelingende Verarbeitung ist nach diesem Modell gekennzeichnet durch Dissoziation/Überwältigung, Verhaftetsein, Folgesymptome und einen erlebten Bruch in der Lebenslinie. Simmen-Janevska & Maercker (2011) folgern aus diesem Modell eine Behandlung von Stressstörungen analog zur Traumabehandlung.

Auf dem Hintergrund der hier beschriebenen «Verhaltenstherapie emotionaler Schlüsselerfahrungen» und einer langfristig angelegten Analyse und Behandlung früherer und späterer Belastungen kann man noch eine weitere Konsequenz aus dem Horowitz-Modell ziehen: Biografisch sollten sowohl traumatische, potenziell traumatische als auch entwicklungsrelevante Schlüsselerfahrungen und chronische Stressbelastungen mit aktuellen Belastungen in einen Zusammenhang gestellt werden. Dadurch lässt sich abklären, ob die misslingende Verarbeitung der aktuellen Belastung auch auf die unvollständige Verarbeitung früherer Belastungen zurückzuführen ist. In der Regel kann man in der Praxis durchaus solche Zusammenhänge feststellen. Dabei sollte man natürlich auch Anpassungsstörungen ohne jede Vorgeschichte als solche erkennen. Ähnlich wie bei Traumatisierungen sollte man hier nicht vorschnell «Vulnerabilitäten» unterstellen, sondern zunächst die Möglichkeit langfristiger Zusammenhänge emotionaler Stresserfahrungen prüfen und in eine Behandlungsstrategie «emotionaler Schlüsselerfahrungen» integrieren. Der Vorteil liegt in einer Fokussierung der Behandlungsstrategie auf den gemeinsamen wunden Punkt und emotionalen Kern unverarbeiteter Stressbelastungen und in einer gezielten Überwindung langfristiger Probleme mit der Emotionsregulation.

Konsequenzen für die Praxis

Anpassungsstörungen und Belastungsreaktionen sind als Folgen akuter Stressbelastung aufzufassen. Akuter schwerer Stress kann frühere unverarbeitete Erfahrungen aktivieren, die in die Behandlung einbezogen werden sollten. In der Erstellung des Fallkonzeptes und Entwicklung der Behandlungsstrategie ist daher sorgfältig zu prüfen, ob die akute Stressbelastung in einem langfristigeren Kontext mit früh begonnenen chronischen Stressbelastungen oder mit traumatischen Stressbelastungen steht, die dementsprechend dann auch mitbehandelt werden sollten.


Verhaltenstherapie emotionaler Schlüsselerfahrungen

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