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3. Störungsspezifische Therapieforschung
3.4 Trauerbewältigung
ОглавлениеDie Fähigkeit im Umgang mit Gefühlen zeigt sich auch in der Trauer. Znoj (2004) erwähnt schon im Vorwort seines Forschungsüberblicks: «Die vielen Facetten und Formen der menschlichen Trauer erlauben kein strikt manualisiertes therapeutisches Vorgehen. Gefordert ist vielmehr eine starke Sensibilität für die Bedürfnisse trauernder Menschen.» Der Vorgang des Trauerns ist nicht mit Traurigkeit gleichzusetzen, sondern ein komplexer Vorgang der Auseinandersetzung mit einer Verlusterfahrung, der in der Regel das Ziel einer Neuorientierung hat. Meistens geht es um den Verlust eines Partners, der Eltern oder eines Kindes; aber auch um Trennungen, Scheidungen und erhebliche materielle Verluste mit oder ohne Verlust des sozialen Status.
Znoj (2004) konstatiert «zwei konkurrierende Trauerauffassungen»: einmal die «kontinuierliche (moderne) Form», in der die Beziehung zum verlorenen Objekt innerhalb einer gewissen Zeit aufgelöst wird; und zum anderen die «romantische Trauer», in der die Beziehung zum verlorenen Objekt umgewandelt wird und fundamental bestehen bleibt. Die Entwicklung einer Perspektive nach dem Verlust scheint für die Verlustbewältigung entscheidend zu sein. Damit verbunden ist auch das Gefühl der grundsätzlichen Kontrolle über die Gefühle der Traurigkeit, die zwar kurzfristig immer wieder überwältigend sein können, aber letztlich nicht die Neuorientierung behindern. Im dualen Prozessmodell der Trauer (Stroebe & Shut 1999) wird ein Pendeln zwischen Verlustorientierung und Neuorientierung («Wiederherstellung») beschrieben. Die sogenannte «komplizierte Trauerreaktion» ist gekennzeichnet durch starke Durchmischung mit Wut, Schuld und Angst bei geringer oder fehlender Abnahme der Trauerintensität, durch innere Leere und anhaltende Sinnlosigkeit, erhöhte Infektanfälligkeit, selbstschädigendes Verhalten und Vernachlässigung des sozialen und beruflichen Funktionierens.
Diese symptomatische Beschreibung beinhaltet allerdings nicht die Gründe für eine komplizierte Verarbeitung. Diese ergeben sich erst im Rahmen eines fallkonzeptuellen Gesamtüberblicks. Durch einen Verlust können eigene unverarbeitete Verletzungen wieder aufbrechen. Oder es können ungeklärte Beziehungskonflikte mit der verlorenen Person wieder ins Bewusstsein treten oder auch strukturelle Probleme der eigenen Lebensführung auftreten (zum Beispiel Unselbstständigkeit in scheinbar banalen Alltagsfragen).
Diagnostisch wird die komplizierte Trauerreaktion eher den emotionalen Stressreaktionen zugeordnet als den affektiven Störungen, weil hier das Erleben nicht verflacht, sondern eher durch intensive Gefühlsschwankungen charakterisiert ist (Znoj 2004 S. 18). Die Abgrenzung zur posttraumatischen Störung ist weitaus schwieriger, weil intrusive Fantasien und Gefühle der Bedrohung, Vermeidung, Reizbarkeit und Panikattacken häufig im Kontext von großen Verlusten auftreten. Dies gilt umso mehr, wenn Gewalt oder andere menschlich herbeigeführte Katastrophen die Ursache für den Verlust sind. Maercker (2013) fasst den Kenntnisstand dahingehend zusammen, dass sich komplizierte Trauer analog der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) behandeln lässt. Dies ist einer der Gründe für die Bildung einer gemeinsamen übergeordneten Kategorie der Stressstörung in DSM-5 und ICD-11.
Znoj (2004) schildert die vier Aufgaben, die sich nach Worden (1986) in der Therapie stellen: 1. die Wirklichkeit des Verlustes akzeptieren, 2. den Schmerz des Verlustes anerkennen und verarbeiten, 3. sich neu orientieren und 4. die Beziehung zur verlorenen Person in der Weise neu definieren, dass ein Weiterleben und auch intime Beziehungen möglich werden. Hierbei geht es nicht darum, der Verlusterfahrung um jeden Preis einen besonderen Sinn zu verleihen (mit diesem Anspruch verunmöglicht man eher echte Empathie), sondern einfach darum, den Verlust als Teil des Lebens und als damit verbundene Aufgabe zu akzeptieren. Für die therapeutische Haltung fundamental ist es, keine Erwartungen an den Trauernden zu haben oder an die Zeit, die er braucht, oder an die «richtigen» Emotionen, sondern ihm die eigene Art des Trauerns zu lassen und dabei sowohl der Beschäftigung mit dem Verlust als auch der Neuorientierung den erforderlichen Raum zu geben.
Gelingende therapeutische Prozesse und die Bewältigung von Verlusten auch ohne therapeutische Unterstützung wird oft als persönliche Transformation (Wandlung) und Weiterentwicklung erlebt und beschrieben. Dazu gehört die Fähigkeit, mit starken Emotionen umgehen zu können und irgendwann nicht mehr von Erinnerungen auf eine unangenehme Art eingeholt zu werden (Intrusion), oder die gewachsene Unabhängigkeit gegenüber gesellschaftlichen Erwartungen, und manchmal auch der vertiefte Zugang zu spirituellen Überzeugungen.
Fazit: Die Auseinandersetzung mit Verlusten macht deutlich, dass es primär nicht darum geht, «das Positive» oder «den Sinn» zu erkennen, sondern sich der Realität und dem emotionalen Schmerz zu stellen. Dies kann man aber nicht fordern, sondern man sollte einen Raum für Neuorientierung und Selbstvergewisserung zur Verfügung stellen bzw. sich diesen als Betroffener nehmen. Der klassische verhaltenstherapeutische Anspruch auf Veränderung weicht hier der Ermöglichung von Akzeptanz und individueller Transformation. Es geht hier primär nicht darum, dysfunktionale Verhaltensweisen zu verändern, sondern die Aufmerksamkeit auf den realen Verlust zu lenken und eine Verarbeitung komplexer emotionaler Verflechtungen (Trauer, Wut, Schuld, Verzweiflung) zu ermöglichen. Damit liefert die Forschung zur Trauerbewältigung ähnlich wie die Forschung zur Traumabehandlung wichtige Hinweise für den Umgang mit primären emotionalen Belastungen.
Konsequenzen für die Praxis
Die Anerkennung realer Belastungen und die Etablierung eines Raumes der Akzeptanz anstatt primärer verhaltensorientierter oder kognitiver Veränderung ist für den Umgang mit Verlusterfahrungen entscheidend. Die therapeutische Haltung ist bedingungslos akzeptierend mit Offenheit auch für existenzielle oder spirituelle Überzeugungen. Diese therapeutische Arbeit weist Ähnlichkeiten zur emotionalen Depressionstherapie, zur Traumatherapie und auch zur Schmerztherapie auf. Alle diese Bereiche geben Hinweise darauf, wie eine sinnvolle Therapie primärer emotionaler Belastungsfaktoren und eine Unterstützung der Verarbeitung aussehen können.