Читать книгу Verhaltenstherapie emotionaler Schlüsselerfahrungen - - Страница 34

3. Störungsspezifische Therapieforschung
3.2 Traumaforschung
3.2.2 Traumadefinition und Traumasymptomatik

Оглавление

Zunächst eine phänomenologische Definition des Traumas aus psychoanalytischer Sicht von Cooper (1986 S.44), zitiert von Bohleber (2007): «Ein psychisches Trauma ist ein Ereignis, das die Fähigkeit des Ich abrupt überwältigt, für ein minimales Gefühl der Sicherheit und Vollständigkeit zu sorgen, einer überwältigenden Angst oder Ohnmacht oder dazu führt, dass diese droht, und es bewirkt eine dauerhafte Veränderung der psychischen Organisation.» Es geht also um schwere emotionale Belastungen, die mit Ohnmacht, Unsicherheit und einem Gefühl der Unvollständigkeit verbunden sind. Hantke (2006) zitiert die in der Literatur oft erwähnten «tiefen Erschütterungen» durch das Trauma: missbrauchtes Vertrauen, zerrüttete Sicherheit, Gefühl endloser Hilflosigkeit und Schuld. Sie beschreibt die traumatische Erfahrung folgendermaßen: «Die wichtigste Erfahrung im traumatischen Erleben ist die Hilflosigkeit, verbunden mit der subjektiv erlebten Bedrohung der körperlichen und/oder psychischen Integrität. Sie bedeutet Kontrollverlust, Verlust der Beziehung zu sich selbst, aber auch zu Raum und Zeit» (S. 121).

Im DSM-5 (APA 2013) ist die PTSD nicht mehr als Angststörung klassifiziert, sondern als «Stressstörung». Symptome sind:

Erleben einer lebensgefährlichen oder ernsthaften Verletzung oder Bedrohung (direkt oder als Zeuge oder wiederholt oder in extremer Weise in einer professionellen Rolle) in Verbindung mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen.

Wiedererleben des traumatischen Ereignisses in Form von Bildern, Gedanken oder Erinnerungen oder wiederkehrenden Träumen oder Gefühlen oder Verhalten, so als ob das Ereignis gerade wieder passiere, oder intensiver emotionaler Belastung bei Konfrontation, oder körperlichen Reaktionen bei der Konfrontation mit dem Ereignis.

Vermeidungsverhalten (Unfähigkeit zur Erinnerung, Kontaktvermeidung mit externen Auslösern)

Negative emotionale oder kognitive Schwankungen (Schamgefühle, vermindertes Interesse am Alltag, negative Überzeugungen, Gefühl einer eingeschränkten Zukunft).

Schwankungen der körperlichen Befindlichkeit (ständige Übererregung, Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsprobleme).

Die Symptome (2–4) dauern mindestens einen Monat (akut) oder mindestens drei Monate (chronisch) oder beginnen verzögert (mindestens sechs Monate nach dem traumatischen Ereignis) und sind

Mit Leiden oder äußeren Beeinträchtigungen verbunden. Im DSM-5 werden zusätzlich der «dissoziative Typ» mit Entfremdungsgefühlen (depersonalisiert, derealisiert) und der «Vorschultyp» unterhalb von sechs Jahren unterschieden.

Was sind «ernsthafte Verletzungen oder Bedrohungen»? Eine taugliche Definition für die ersten 18 Lebensjahre liefert hier die ACE-Studie, auf die im Abschnitt 3.2.6 noch ausführlicher eingegangen werden soll. Die Häufigkeiten in % (N=17337) laut ACE-Studie (Schickedanz & Plassmann 2011 S. 436) je nach Belastung stellen sich folgendermaßen dar (siehe Tab. 11).


Tabelle 11: Potenziell traumatische Kindheitserfahrungen (ACE-Studie)


Aus diesen Belastungen kann ein ACE-Score gebildet werden von 0–10 (ACE-D-Fragebogen: Schäfer, Wingenfeld & Spitzer 2009), der sich auch gut als Standarddiagnostikum in den Abklärungsprozess jeder Psychotherapie einbeziehen lässt. Nach Ausmaß der Mehrfachbelastungen ergeben sich in der Studie folgende Häufigkeiten: Keine Belastungen bestanden in 36,1 % der Haushalte, 1 = 26 %, 2 = 15,9 %, 3= 9,5 %, 4 und mehr = 12,5 %. Es traten also in 63,9 % der befragten Haushalte in den ersten 18 Lebensjahren der Kinder und Jugendlichen erhebliche Belastungsfaktoren auf.

Nach dem 18. Lebensjahr können z. B. folgende Ereignisse zu einer Traumatisierung führen: lebensbedrohliche Erkrankungen 15 %, Unfälle 50 %, Erdbeben je nach Ausmaß 24–91 %, Terrorismus 35–55 %, Krieg 27–41 %, Vergewaltigung 50 % (Prävalenzraten nach Landolt 2004). Lebensbedrohliche Ereignisse werden grundsätzlich als «traumatisch» eingestuft.

In der für Mai 2015 geplanten Veröffentlichung des ICD-11 sollen hinsichtlich der Traumadefinition folgende Veränderungen vorgenommen werden: 1. Zusammenfassung der posttraumatischen Störungen, der Belastungsstörungen und anhaltenden Trauerstörung unter dem Oberbegriff «Stressstörungen» (stressinduzierende Ereignisse werden nicht mehr inhaltlich definiert oder eingegrenzt!), 2. Fokussierung auf die drei Kernelemente der Störung (Intrusionen, Vermeidung, Übererregung), 3. Vorliegen funktionaler Einschränkungen für mindestens einen Monat und 4. Unterscheidung in «PTBS» und «komplexe PTBS». Bei der komplexen PTBS wird dem größeren Einfluss lang andauernder traumatisierender Lebensbedingungen Rechnung getragen durch «anhaltende Störungen der Affekt-, Selbst-und Beziehungsregulation». Die Abgrenzung von Persönlichkeitsstörungen wird in der «spezifischen Responsivität auf effektive Therapiemaßnahmen» gesehen. Mit dieser Veränderung wird das Gewicht der Traumadefinition verlagert auf die reaktiven Aspekte; situative Aspekte werden nicht mehr als per se traumatisch eingestuft, mit Ausnahme lebensbedrohlicher Erfahrungen.

Konsequenzen für die Praxis

Traumatischer Stress ist wesentlich häufiger, als die meisten Menschen erwarten würden. Schwere emotionale Belastungen sollten jedoch ohne Vorliegen einer PTSD-Symptomatik nicht vorschnell als «traumatisch» bezeichnet werden, aber trotzdem als erhebliche emotionale Belastungen in ihren Folgen ernst genommen werden. Der Begriff «traumatisch» wird zukünftig vollständig an das Auftreten entsprechender symptomatischer Reaktionen gekoppelt. Trotz der Häufigkeit massiver Belastungen ist die Verwendung dieses Begriffs an eine diagnostische Abklärung gebunden. Unterschieden werden sollten «potenziell traumatische» Belastungen, die nicht mit einer Traumasymptomatik verbunden sein müssen, aber mit Folgestörungen verbunden sein können, von «traumatischen» Belastungen, die entweder mit einer PTSD-Symptomatik oder einer lebensbedrohlichen Erfahrung einhergehen.


Verhaltenstherapie emotionaler Schlüsselerfahrungen

Подняться наверх