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3. Störungsspezifische Therapieforschung
3.3 Schmerztherapie: Biofeedback und Schmerztransformation

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In diesem Kontext kann man diesem riesigen Forschungsgebiet selbstverständlich nicht gerecht werden. Auf den ersten Blick hat es auch wenig mit emotionsfokussierter Psychotherapie zu tun. Aber schon auf den zweiten Blick kann sich dies ändern, da Schmerzen auch eine emotionale Komponente haben.

Schon Wittgenstein hat darauf hingewiesen, dass sich ein Schmerz nicht in behavioristische Begriffe zum Schmerzverhalten auflösen lässt, sich aber auch nicht auf mentale Begriffe reduzieren lässt (1953 S. 245). Die internationale Definition ist: «Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- oder Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potenzieller Gewebsschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird» (IASP-Definition). Schmerz wird also als körperliches Phänomen erlebt und als subjektive Erfahrung anerkannt; eindeutige somatische Indikatoren gibt es nicht.

In einem Überblicksartikel in Psychosomatische Medizin von Uexküll unterscheidet Adler (1998) die folgenden Aspekte des Schmerzgeschehens: peripherer Schmerzapparat, zentraler Schmerzapparat (Rückenmark), sensorisch-diskriminierendes System, motivierend-affektives System, zentrale neokortikale Kontrolle, Hormone und Überträgersubstanzen (S. 262). Es kommt «zu einer Bedeutungskopplung zwischen Körpervorgängen einerseits und Interaktionen zwischen Subjekt und Umwelt andererseits. Die Verletzung, die zu neurophysiologischen Vorgängen führt ….. kann als unkontrollierter Reiz und die Reaktionen im Körper als Antwort darauf bezeichnet werden. Die Zuwendung der Schutz bietenden Personen stellt den konditionierten Stimulus dar, der später allein durch Bedeutungskopplung die Körperantwort auszulösen vermag» (S. 265). So kann chronischer Schmerz über die (nicht unbedingt notwendige somatische Verletzung hinaus) unterschiedliche Funktionen bekommen: Vermiedene Wünsche oder Bedürfnisse können ausgedrückt werden (Ausdrucksfunktion); in unangenehmer Weise kann die Verletzlichkeit bewusst werden (Spürfunktion) und ausgedrückt oder unterdrückt werden; zugrunde liegende Ängste können aktiviert werden, oder der Schmerz wird als Bestrafung erlebt analog zu früheren Bestrafungserfahrungen. In den meisten Fällen gehen diese Erlebnisweisen tief in das Schmerzerleben und die Schmerzwahrnehmung selbst ein und können somit vom (sensorischen) Schmerz «selbst» zunächst nicht getrennt werden. Die emotionalen Erfahrungen werden vielmehr implizit im Schmerz aktiviert. In ätiopathogenetischen Studien konnten Zusammenhänge der Schmerzvulnerabilität mit frühen emotionalen Belastungen in der Kindheit belegt werden: So konnten vermehrte körperliche Misshandlungen und in geringerem Umfang sexuelle Übergriffe (Linton 2002; Walsh et al. 2007) gefunden werden, aber auch Zusammenhänge mit früheren Verlassenheitserfahrungen und einer in Verbindung mit sozialem Rückzug auftretenden Alexithymie (Weardon et al. 2005).

So unterschiedlich das Schmerzgeschehen sein kann, so unterschiedlich sehen auch die Behandlungskonzepte aus. Im Folgenden soll daher nur kurz auf zwei Aspekte psychologischer Schmerztherapie eingegangen werden, die im Vorfeld zur Entwicklung einer Methode «Imaginative emotionale Transformation» beigetragen haben.

In einem verhaltensmedizinischen Lehrbuch von Ehlert (2003) stellt Flor (2003 S. 212ff.) mögliche Schmerzbehandlungsmethoden vor: Dazu gehören somatische Verfahren (medikamentös, operativ), Biofeedback (z. B. TENS, EMG) und Entspannungsverfahren, Operantes Gruppentraining (Aktivierung) und zahlreiche Schmerzbewältigungsverfahren (Schmerzablenkung, Imaginative Schmerztransformation). Obwohl es hier immer noch an vergleichenden Therapiestudien mangelt, kann man zwei psychologische Techniken herausgreifen, die sich in der Regel als sehr wirksam erweisen im Umgang mit Schmerzen: Biofeedback und Imaginative Schmerztransformation.

Patienten erleben ihren Schmerz wie ihren Körper oft als etwas Objektives und als etwas von ihrer Persönlichkeit Getrenntes und sind sehr beeindruckt, wenn sich zum Beispiel ein Entspannungsverfahren sichtbar im Biofeedback oder spürbar im Schmerzerleben auswirkt. Diese Sichtbarkeit mentaler Aktivität bewirkt oft erstmals ein Gefühl der Beeinflussbarkeit des Körpers. Auch für Therapeuten ist der Einsatz von Biofeedback vorübergehend sehr hilfreich für die Wahrnehmung direkter emotionaler Verarbeitung mit erheblichen begleitenden körperlichen Veränderungen (s. auch Kap. 12.4.7). Dies allgemein zu wissen oder es dann konkret sichtbar vor Augen zu erleben, macht doch einen deutlichen Unterschied, und es zeigt sich – quasi als Nebeneffekt – auch der körperliche Effekt unterschiedlicher Strategien der Gesprächsführung: Während abstraktes Reflektieren kaum mit körperlichen Reaktionen verbunden ist, ist die elektrodermale und auch die muskuläre Aktivität bei unmittelbarer emotionaler Verarbeitung sehr viel höher, und der emotionale Stresspegel sinkt bei erfolgreichen Sitzungen insgesamt deutlich im Sitzungsverlauf!

Ablenkungsstrategien haben meist nur kurzfristigen Erfolg, weil sich nach dem Eindruck der Patienten der Schmerz «selbst» dadurch nicht beeinflussen lässt. Anders ist dies bei der Imaginativen Schmerztransformation, in der der Therapeut den Patienten durch alle Aspekte des Schmerzes hindurch begleitet und ihn in Momenten besonderer Ohnmacht dazu animiert, den Schmerz zu visualisieren, in Ausprägung, Farben oder Formen zu beschreiben, um ihn dann zu transformieren (Veränderung der Qualität, der Fläche/Grenzen, der Farbe, der visuellen und taktilen Begleiterscheinungen) und dabei die körperlichen Auswirkungen zu beobachten. Dazu wird auch ein «beobachtendes Ich» quasi als innerer Therapeut bewusst gemacht bzw. implementiert, was mit einer Veränderung der Haltung zum Schmerz verbunden ist («Ich bin nicht mein Schmerz, sondern ich habe Schmerzen, die ich beobachten und beschreiben kann»). Revenstorf & Peter (2009) sprechen hier von einer «Modifikation der Schmerzgestalt», die mit hypnosetherapeutischen Mitteln erreicht wird.

Voraussetzung für diese symptomnahe Arbeit ist das Verständnis für die Funktionalität des Schmerzes, um dem Patienten nicht etwas nehmen zu wollen, was ihm aus anderen Gründen (noch) wichtig ist. In der Transformationsarbeit selbst werden solche Funktionalitäten manchmal deutlich, sodass man anstelle einer direkten Transformation auch auf eine Strategie des Dialoges mit dem Schmerz bzw. dem Körper (wie mit einer Bezugsperson) wechseln kann. Auf diese Weise werden dann bestrafende Aspekte («Der Schmerz will mich bestrafen») oder Ausdrucksaspekte auf dem möglichen Hintergrund von Verlassenheitserfahrungen thematisierbar («Die anderen merken nicht, wie ich leide»), auf die mit einer bewussteren Wahrnehmung der dahinterstehenden Erfahrungen und Bedürfnisse reagiert und mit denen gearbeitet werden kann (zum Beispiel Auseinandersetzung mit fordernden Ansprüchen oder Verlassenheit).

Eine aktuelle Bemerkung: Die große Bedeutung interdisziplinärer und psychologischer Behandlungsverfahren ist in diesem Bereich seit vielen Jahren unumstritten. Trotzdem gibt es immer wieder Angriffe vonseiten der Biomedizin mit dem Ziel einer rein medizinischen (vermeintlich «kurativen» und vor allem schnellen) Behandlung oder eines «Facharztes für Schmerzmedizin», der angeblich alle Kompetenzen abdecken soll, obwohl die bisherige somatische Medizin angesichts 15 Millionen Schmerzkranker und Kosten in Höhe von 38 Milliarden Euro in Deutschland «das Problem» nicht in den Griff kriegen. Der Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft Prof. Thomas Tölle (2014) stellt fest: «Patientenvertreter kritisieren, dass in der Medizin zu wenig gesprochen und zu schnell geschnitten wird. Die psychosozialen Komponenten des Schmerzes lassen sich aber nicht wegoperieren. Wir brauchen die multidisziplinäre, flächendeckende, integrierte Versorgung.» Das Umdenken scheint auch hier immer wieder durch schnelle «Lösungen» und durch ein Festhalten an Geld, Macht und falschen Versprechungen behindert zu werden. Möglicherweise tritt bald noch ein Ärztefunktionär öffentlich für das «Recht des Patienten auf eine Operation» ein. Wer dann noch daran glauben sollte, dass es hier wirklich um den Patienten geht, der sollte einmal selbst Schmerzpatienten behandeln und sich mit ihren postoperativen Enttäuschungen auseinandersetzen.

Fazit: Schmerz ist ein körpernahes emotional gefärbtes komplexes Ereignis und Reaktionsmuster, das sich durch kontrollierte Aufmerksamkeitslenkung dann gut beeinflussen lässt, wenn die Funktionen des Schmerzes und die somatische Komponente ausreichend berücksichtigt werden. Ablenkungsstrategien haben hier nur kurzfristig stabilisierende Bedeutung und sollten psychotherapeutisch begleitet werden von einer Imaginativen Transformationsarbeit, wenn die emotionalen Schmerzkomponenten eine erhebliche Rolle spielen.

Konsequenzen für die Praxis

Emotionen verändern sich durch Aufmerksamkeit, und auch Schmerzen lassen sich durch Bündelung der Aufmerksamkeit transformieren. Dem steht die verbreitete Annahme gegenüber, dass der Schmerz noch schlimmer wird, wenn man sich auf ihn konzentriert. Der Unterschied liegt darin, dass ein unveränderbar erlebter Schmerz immer mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann (im Sinne einer starren Fixierung) und kognitiv immer mehr Raum einnimmt, ohne dass sich das Schmerzerleben verändert. Eine flexible Aufmerksamkeitslenkung auf alle Facetten des Schmerzes in Verbindung mit einer folgenden Fokussierung auf die emotional und physisch belastenden Aspekte und einer darauf folgenden Transformation führt analog zu den Erfahrungen in der Traumatherapie zu einer veränderten Erfahrung. Ernst nehmen und wahrnehmen führt eben nicht zu einem Erstarren im Leid oder in der eigenen Ohnmacht.


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