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3. Störungsspezifische Therapieforschung
3.2 Traumaforschung
3.2.5 Emotionales Wachstum und Spiritualität

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In der gelungenen Verarbeitung traumatischer Erfahrungen scheint so etwas zu liegen wie ein emotionaler Wachstumsprozess (Konzept der «posttraumatischen Reifung» Calhoun & Tedeschi 2006). Diese Reifung erkennt man nicht etwa am Fehlen von Traumafolgestörungen oder in der Wiedererreichung des prätraumatischen Gesundheitszustandes, sondern in der Erfahrung von intensivierter Wertschätzung des Lebens, Intensivierung persönlicher Beziehungen, Bewusstwerdung eigener Stärken, Entdeckung neuer Möglichkeiten und Erlangung eines spirituellen Bewusstseins. Die methodisch systematische Erfassung solcher Prozesse steht zwar noch am Anfang. Aber die Aussagen vieler Betroffener gehen in die Richtung, dass es eine Aneignung neuer positiver Möglichkeiten geben kann, die es in dieser Weise vor dem Trauma nicht gegeben hat (Wachstum). Pielmaier & Maercker (2011) weisen zu Recht darauf hin, dass man dieses Wachstum «nicht forcieren» bzw. erzwingen sollte. Wachstumsprozesse ergeben sich unvorhersehbar aus einem komplexen Prozess der Auseinandersetzung, für den man im Nachhinein dankbar sein kann, wenn man an der Krise bzw. dem Trauma gewachsen ist. Die Erlangung von spirituellem Bewusstsein (als eine «Bezogenheit auf etwas Unendliches» nach C. G. Jung 1971) wird von Seidler (2011) reflektiert. Demnach kann man das Trauma als Erfahrung tiefer Verletzbarkeit beschreiben, die man nicht mehr auslöschen und ungeschehen machen kann und die dem Einzelnen vermittelt, «nicht wirklich Herr im eigenen Haus zu sein» und auch nicht alles «aus eigenen Kräften leisten zu können» (Wirtz 2003). Diese Grunderschütterung kann zu einer Befreiung von narzisstischen Allmachtsvorstellungen führen («Alles hängt von meiner Kompetenz ab») zugunsten einer Verbundenheit mit den Grundlagen des Lebens bzw. zugunsten einer Akzeptanz der existenziellen Grundtatsachen: Vergänglichkeit, Verletzbarkeit, Getrenntheit (Yalom 2005). Wenn es gelingt, die Erfahrung von Verletzlichkeit, Zerstörung oder großer Verluste in das eigene Selbst- und Fremdbild und in eine übergeordnete Sichtweise vom Leben zu integrieren, dann geht die grundlegende Verbundenheit mit der Welt nicht verloren. Seidler zitiert: «Indem das Ungeheuerliche integriert wird, kann es den Menschen nicht mehr befallen» (Hippius Gräfin Dürckheim 1996). Eine positive Spiritualität im Sinne eines Vorhandenseins von gewachsenen tiefen Überzeugungen der Verbundenheit gehört wie unterstützende und Anteil nehmende zwischenmenschliche Beziehungen oder ein stabiler Selbstwert zu den Aspekten der sogenannten Resilienzforschung, die die entwicklungspsychologischen Schutzfaktoren gegenüber pathogenen Einflüssen erforscht. Spiritualität ist dabei die Frucht der Reifung eines Menschen, der Krisen oder Katastro-phen überstanden hat und sich der Wertig-keit des Lebens bewusster geworden ist und der von kindlichen Vorstellungen des Lebens Abstand nehmen kann (Unverletzlichkeit, ewiges Leben, Allmacht des Egos oder primärer Narzissmus: «Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt»).

Konsequenzen für die Praxis

Die Verarbeitung eines Traumas kann auch eine Auseinandersetzung mit existenziellen Grundlagen und spirituellen Überzeugungen mit sich bringen. Sie kann eine Chance sein, tiefe und Halt gebende Grundüberzeugungen über eine im engeren Sinne biografische Auseinandersetzung hinaus zu entwickeln. Die Entwicklung solcher Überzeugungen sollte man unterstützen, aber nicht forcieren. Dabei kann es hilfreich sein, eigene Krisenerfahrungen oder Grundüberzeugungen auf einer allgemeinen Ebene zu teilen, solange man damit keine »Lösungen» anbieten will. Dies gilt auch für die Bewältigung schwerer Belastungen oder grundlegender familiärer Konflikte. Es wird oft von Patienten als hilfreich erlebt, wenn man sich bei Bedarf als Person mit Krisenerfahrung und ethischen Überzeugungen zu erkennen gibt und das Ringen um eine stimmige Haltung als Teilaspekt einer Psychotherapie anerkennt. Es kann auch entlastend sein, wenn man vermittelt, dass man selbst ebenfalls Mühe hätte im Umgang mit einer bestimmten Erfahrung und man nicht wirklich beurteilen könne, wie man damit fertigwürde. Diese Aufrichtigkeit in der Akzeptanz von Ohnmacht schafft ebenfalls eine Art der Verbundenheit.


Verhaltenstherapie emotionaler Schlüsselerfahrungen

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