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3. Störungsspezifische Therapieforschung
3.2 Traumaforschung
3.2.7 Überblick über die wichtigsten traumafokussierten Verfahren und eine Kontroverse: Stabilisierung versus Konfrontation

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Beim Blick in die evidenzbasierte Psychotherapie bezüglich PTSD-Behandlung stellt man zunächst fest, dass die unterschiedlichsten traumafokussierten Behandlungsverfahren wirksam sind (Bisson J. & Andrew 2007). Die verglichenen Interventionen waren die traumafokussierte kognitive Expositionstherapie (TFCBT), Stressmanagement (SM), Eye movement desensitisation and reprocessing (EMDR), Verhaltenstherapie in Gruppen (Group CBT) und «andere» Therapien (Supportive therapy, Non-directive counselling, Psychodynamic therapy and hypnotherapy). Dabei waren TFCBT und EMDR den anderen traumafokussierten Verfahren überlegen. Und alle traumafokussierten Verfahren waren den «anderen Verfahren» überlegen.

Die wichtigsten Verfahren sollen kurz beschrieben werden (siehe Infobox 1).

Die Gemeinsamkeit der traumafokussierten Verfahren besteht darin, dass «die Patienten lernen, sich nach einer langen Zeit der Vermeidung mit den angstbesetzten Seiten ihrer Vergangenheit wieder aktiv auseinanderzusetzen» (Neuner 2008). Hingegen vertreten die psychodynamischen Autoren Reddemann & Wöller (2011) den Ansatz, dass eine Traumatherapie dem Risiko zu begegnen hat, «ausschließlich das Schmerzliche einer traumatischen Erfahrung in den Vordergrund zu rücken» (S. 583), und daher auf der Beziehungsebene und an der Förderung resilienzorientierter Verhaltensweisen anzusetzen habe. In der Umsetzung dieses Ansatzes steht das Bemühen um «Dosierung» von traumabezogenen Emotionen und «Distanz» zum Trauma in Verbindung mit einer vor der Traumatherapie erfolgenden «Stabilisierung» im Mittelpunkt. Diese Stabilisierung und der Aufbau von Ressourcen wird derart stark betont, dass der Blick auf das Primäre in der Traumabehandlung – die Integration des Erlebten – in den Hintergrund geraten kann. Das Vertrauen in eine Transformation durch Exposition scheint bei diesen Autoren gering zu sein. Die permanente Vorsicht im Umgang mit angeblich zu starken Emotionen kann man zum Beispiel gut am Umgang mit Hyperventilation festmachen: Während am Expositionsmodell orientierte Verhaltenstherapeuten starke Emotionen auch mit zwischenzeitlicher Hyperventilation als Durchgangsstadium akzeptieren, währenddessen aktiv im Kontakt bleiben und eine flexible Aufmerksamkeitslenkung durch Fragen aufrechterhalten, nehmen an Reddemann orientierte Therapeuten Hyperventilation zum Anlass für einen Wechsel zurück in den ressourcenorientierten Zustand, wodurch die Integration des Erlebten verzögert wird[8]. Insgesamt wird viel Zeit wird auf die Etablierung eines Ressourcenzustands verwendet (z. B. «sich sicher und wohl fühlen in einer Urlaubssituation»). Und so kann man den Eindruck gewinnen, dass der Wohlfühlzustand wichtiger werden könnte als das zu verarbeitende Erlebnis.

Infobox 1:

Überblick über die wichtigsten traumafokussierten Verfahren

1. TFCBT: Unter dem Sammelbegriff Trauma-fokussierte kognitive Verhaltenstherapie werden verschiedene Ansätze zusammengefasst. Die Prolonged Exposure-Therapy (PE) wurde von Edna Foa (1998, 2008) entwickelt. Im Vordergrund steht die imaginative Konfrontation, in der die Patienten durch den Therapeuten angeleitet werden, das Trauma detailliert und mit allen Sinnesmodalitäten laut zu beschreiben und wieder zu erleben. Dieses Vorgehen wird wiederholt, bis die Angst deutlich abnimmt (Habituation). Weiterhin werden in-vivo Konfrontationen durchgeführt, in denen die Patienten lernen, sich angsteinflößenden Situationen zu exponieren. Auch Verfahren, deren Schwerpunkt eher auf kognitiven Grundsätzen basiert, setzen Expositionsverfahren ein. Allerdings ist die Expositionsdosis hier meist geringer und die -intensität weniger stark. So wird z. B. in der von Patricia Resick (1993) entwickelten Cognitive Processing Therapy (CPT) die Exposition ausschließlich als schriftliche Hausaufgabe durchgeführt. Dagegen bezieht Ehlers (1999) wesentlich stärker Imaginationsverfahren ein und kann dadurch im Unterschied zur Expositionsbehandlung und zu klassischen kognitiven Therapien deutlich höhere Effektstärken erreichen (Tab. 1); dies allerdings bei akuter PTSD-Symptomatik und nicht bei entwicklungsrelevanten Traumata!

2. BEPP: Brief Eclectic Psychotherapy for PTSD (BEPP) wurde von Berthold Gersons in Amsterdam entwickelt und wird in Nijdam et al. (2012) auf dem aktuellen Stand dargestellt. BEPP integriert kognitiv-verhaltenstherapeutische und psychodynamische Elemente sowie Konzepte der Trauertherapie. Die Behandlung mit BEPP umfasst 16 Sitzungen und verläuft in fünf Phasen: 1. Psychoedukation, 2. Exposition in sensu mit Imaginationsübungen und der Konfrontation mit Erinnerungsobjekten, 3. Schreibaufgaben: Sogenannte «Fortsetzungsbriefe» an Personen und Instanzen helfen, sich aggressiver Gefühle bewusst zu werden und diese auszudrücken, 4. Integration und Bedeutungszuschreibung: Das alles dominierende traumatische Ereignis wird in den Kontext des gesamten Lebens gesetzt und in seinem Bedeutungszusammenhang gesehen, 5. Abschiedsritual. Ziel der Behandlung ist die Reduktion der PTBS-Symptomatik, die Unterstützung der Patientinnen und Patienten bei der Integration der traumatischen Erfahrung in ihre Biografie und letztlich die Wiedererlangung der Kontrolle über ihr Leben.

3. NET: Narrative Expositionstherapie (NET) wurde von Schauer, Neuner und Elbert (2005) entwickelt. Über Erzählung ermutigte Erinnerung von schrecklichen Ereignissen, verbunden mit dem Wiedererleben all des damaligen Fühlens und Denkens, vermag Symptome bei Traumaüberlebenden effektiv zu reduzieren, wenn die aufwühlendsten Ereignisse entlang der gesamten Biografie berücksichtigt werden. NET umfasst in der Regel 6 bis 12 Sitzungen. Die Therapie erfolgt im Einzelsetting, eventuell ergänzt durch einen Dolmetscher. Die Therapiemethode wird bei multiplen Traumata eingesetzt – zurzeit überwiegend bei Kriegsopfern und Vertriebenen und in jüngster Zeit auch nach häuslichem und sexuellem Gewalterleben.

4. Therapie komplexer Traumafolgestörungen: … bezeichnet Folgen nach schwerer und repetitiver Traumatisierung und Vernachlässigung während der Kindheit und Jugend, welche durch die Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung unzureichend abgebildet werden. Das Konzept wurde in den 1990er-Jahren von einer Arbeitsgruppe um Judith Herman und Bessel van der Kolk beschrieben und in Feldstudien erforscht und als DESNOS (Disorders of Extreme Stress Not Otherwise Specified) im DSM-IV als Zusatzbezeichnung zur PTBS (heute als «komplexe PTBS» bezeichnet) aufgenommen. Das Zusammenwirken von Bindungsstörungen, anhaltender Vernachlässigung und/oder wiederholter Traumatisierung führt oft zu schwerwiegenden Störungen der psychischen Entwicklung und der Persönlichkeitsstruktur. Verarbeitung und Integration des traumatischen Erlebens finden unzureichend statt. Daraus resultiert eine Vielzahl von Problemen wie Schwierigkeiten in der Affekt- und Selbstregulation, mangelnde Fähigkeit zur Selbstfürsorge, selbstdestruktives Verhalten, schwere Beziehungsstörungen, dissoziative psychische und somatoforme Symptome sowie veränderte Werte und Lebenseinstellungen. Die Behandlung basiert auf einem Phasenmodell (Putnam, Hart, Kolk, Nijenhuis, Wöller, Huber u. a.): 1. Stabilisierung und Strukturaufbau, 2. dosierte Traumaexposition und -bearbeitung, 3. Integration der Persönlichkeit und Rehabilitation. Das Modell wird ergänzt durch Konzepte der strukturellen Dissoziation (Nijenhuis u. a.), der Bindungsforschung (Bowlby u. a.) und der Mentalisierung (Fonagy u. a.). Eine aktuelle Darstellung findet sich bei Reddemann & Wöller (2011). Es fällt auf, dass in dieser Therapietradition wesentlich stärker auf das Auftreten und den Umgang mit Dissoziationen eingegangen wird als in verhaltenstherapeutischen Publikationen (s. a. Hantke 2006).

5. EMDR: Eye Movement Desensitisation and Reprocessing (EMDR) ist eine von Francine Shapiro in den USA entwickelte psychotraumatologische Behandlungsmethode. Zentrales Element ist die bilaterale Stimulation der Hirnhälften. Dabei soll sich der Patient eine besonders belastende Phase seines traumatischen Erlebnisses vorstellen, während der Therapeut ihn mit langsamen Fingerbewegungen zu rhythmischen Augenbewegungen anhält. Die neurologische Wirkungsweise der bilateralen Stimulation ist noch nicht geklärt, hat sich aber in umfangreichen Studien als nützlich erwiesen.

6. EST Ego-State-Therapie: Peichl (2011) beschreibt diesen Therapieansatz von Watkins & Watkins (2003), der sich sowohl von den psychoanalytischen Übertragungsmodellen löst als auch von verhaltensmodifizierender Arbeit. «Drei Stoppschilder» werden in der therapeutischen Zielsetzung beschrieben: 1. «Trauma first!»: Die Behandlung der neurophysiologischen Traumasymptomatik hat Vorrang. 2. «Safety first!»: Kein Täterkontakt und Sicherheit ist die Voraussetzung. 3. «Boss comes first!»: Vor der Arbeit am verletzten Anteil ist es notwendig, alle täterloyalen oder täteridentifizierten Anteile ins Arbeitsbündnis einzubinden. Letzteres kommt der Installation bzw. Bewusstwerdung eines eigenständigen erwachsenen Selbst im Unterschied zu den verinnerlichten Eltern gleich, wie sie auch im Rahmen der Schematherapie (Modusarbeit) und der hier dargestellten Persönlichkeitsarbeit mit inneren Instanzen angewendet wird. Die Therapiephasen in der EST sind: 1. Sicherheit und Stabilisierung, 2. Zugang zum Traumamaterial schaffen, 3. Auflösung traumatischer Erfahrungen, 4. Integration der Traumaerfahrung in die Persönlichkeit.

7. IRRT (Imagery Rescripting & Reprocessing Technique): Diese Technik wurde seit den Neunzigerjahren von Smucker (1994, 2008, 2014) entwickelt und bezieht sich vor allem auf die Bearbeitung traumatischer Episoden in Kindheit und Jugend und daraus resultierender Traumafolgestörungen (also entwicklungsrelevante bzw. langfristig wirksame Traumata). Sie besteht in einer Reaktivierung traumatischer Episoden bis zu einem Punkt, an dem alle Emotionen und Empfindungen wieder spürbar werden; an diesem Punkt wird dann der heutige Erwachsene in die Szene eingeführt mit der Intention, dass dieser dem Kind hilft, die Situation neu zu bewältigen. Das Entscheidende an dieser Technik ist, dass nicht etwa die klassische Exposition oder eine kognitive Neubewertung das Ziel ist, sondern eine vollständige Neubewältigung der Emotionen und Empfindungen angestrebt wird. Diese Technik wird anscheinend von Patienten auch besser akzeptiert als rein auf Habituation abzielende Expositionsverfahren (Arntz et al. 2007). Sie unterscheidet sich von der kognitiv- imaginativen PTSD-Therapie von Ehlers vor allem hinsichtlich der systematischen Nutzung personaler Instanzen (Kind, Erwachsener, innere Eltern) analog zur EST oder Schematherapie. Sie ist vergleichbar zum Ehlers-Konzept kognitiv begründet («dysfunktionale Kognitionen als zentrale Ursachen gestörter Verarbeitung», 2014 S. 34 ff). Die Autoren betonen die Einzigartigkeit ihres Konzeptes, ohne dies zu begründen oder abzugrenzen (2014 S. 31). Hilfreich sind in den Publikationen vor allem die ausführlichen Transskripte therapeutischer Sitzungen.

Die Indikation für dieses Verfahren wird allerdings eher in komplexen posttraumatischen Störungen gesehen (sog. Typ-II-Traumatisierungen) bzw. bei Traumafolgestörungen oder «Kindheitstrauma» oder «Entwicklungstrauma» mit Auswirkungen auf die Hirn- und Persönlichkeitsentwicklung (auch als Disorders of Extreme Stress Not Otherwise Specified – DESNOS bezeichnet). Kernmerkmal entwicklungsrelevanter traumatischer Beeinträchtigungen sind das grundlegend zerrüttete Sicherheitsgefühl und die Schwierigkeit, einen Zustand sicheren emotionalen Kontaktes überhaupt zu entwickeln oder aufrechtzuerhalten. Diese Indikationsstellung ist allerdings zu weit gefasst, da nicht jede entwicklungsrelevante Traumatisierung mit einer strukturellen Störung auf der Persönlichkeitsebene gleichzusetzen ist. Der Begriff «entwicklungsrelevant» ist primär auf die langfristige Wirksamkeit eines Traumas ausgerichtet und beinhaltet nicht schon zwingend eine Borderlinestörung oder schwere dissoziative Störung.

Neuner (2008) hat sich kritisch über die Stabilisierung als Standardverfahren geäußert und in diesem Zusammenhang die Legendenbildung über die schädlichen Auswirkungen von Expositionstherapie reflektiert. Die Unterscheidung von Typ I- und Typ-II-Traumatisierungen und auch die Validität des DESNOS-Konzeptes seien umstritten und nicht eindeutig belegt. Zudem seien in vielen Expositionsstudien auch Patienten mit komplexen Traumatisierungen behandelt worden, ohne dass schädliche Auswirkungen festgestellt/dokumentiert worden seien. Es sei sogar festgestellt worden, dass Stabilisierung keinen Effekt bringe und begleitendes Skills-Training oder vorangehendes Training in Affektregulation in Verbindung mit Exposition schlechtere Effekte bringe (Zlotnick et al. 1997 und Cloitre et al. 2002). Dagegen stellt Neuner (2008) die mögliche schädliche Auswirkung der Stabilisierung dar, wenn das begrüßenswerte Mitteilungsbedürfnis des Patienten über traumatische Inhalte ausgebremst würde mit dem Hinweis darauf, dass dies «später» bearbeitet werde. Der Therapeut könne schlimmstenfalls den Eindruck vermitteln «dass er selbst das schreckliche Erlebnis nicht hören möchte». Dadurch würde die krank machende Kultur des Schweigens auch noch in die Therapie hinein erweitert – so Neuner.

Dies kann man als berechtigte Befürchtung ansehen, da Therapeuten nicht selten emotional Belastendem aus dem Wege gehen, um stattdessen Tools zu vermitteln, mit denen sie sich selbst sicher fühlen; oder sie entwickeln Schuldgefühle, wenn sie Patienten leiden sehen, oder ein kontraphobisches oder voyeuristisches Interesse am Leiden unter Vernachlässigung des Bewältigungsaspekts.

Die Kontroverse zwischen Stabilisierung und Konfrontation relativiert sich etwas im Umgang mit Dissoziationen. Hantke (2006) stellt an Beispielen dar, wie schnell aus ihrer – tiefenpsychologischen – Sicht der therapeutische Kontakt in der Dissoziation abreißen kann. Sie vergleicht metaphorisch den therapeutischen Prozess der Traumabewältigung mit einer Bergwanderung im schwierigen Gelände, auf der sich jederzeit tiefe Schluchten auftun oder Gewitter aufziehen können. Dem Therapeuten komme hier die Aufgabe zu, Abstürze zu vermeiden und Kenntnisse über individuelle Frühwarnsignale zu entwickeln. Sie beschreibt Stabilisierung als Etablieren eines «dissoziationsfreien und sicheren Ausgangszustandes» im Hier und Jetzt (metaphorisch: ein sicherer Unterstand), der auch den emotionalen Kontakt im Hier und Jetzt zum Therapeuten einschließt. Für eine Traumaverarbeitung brauche es zweierlei: «einen stabilen Standort und einen Blick von außen. Was wir auf jeden Fall nicht brauchen, ist Wiedererleben.» Hierbei trifft sie die wichtige Unterscheidung von Intrusion (Aktivierung eines belastenden Bildes) und Wechsel des personalen Gesamtzustandes (vorübergehend nicht mehr erreichbar, im Wiedererleben gefangen). Sie beschreibt auch körperliche «Notfallsignale» (z. B. Hyperventilation), die eine sofortige Reorientierung erforderlich machten, was im VT- Kontext anders gesehen werden kann. Vorrang habe die «jederzeitige Kontrollierbarkeit» durch die Patientin! Dies ist allerdings eine Formulierung, die die völlige Kontrolle starker Emotionen implizieren könnte, was sicher nicht gemeint ist. Nicht die Kontrolle ist hier entscheidend, sondern der aktive Kontakt mit einem unerschrockenen Therapeuten und die Lenkbarkeit der eigenen Aufmerksamkeit. Hantke modifiziert den Blick auf die Traumaverarbeitung weg vom Trigger und hin zur Analyse und Kontrolle der individuellen dissoziativen Prozesse bis an einen Punkt, an dem der Patient bewusst das Hin-und-Her-Switchen kontrollieren kann und am Ende seine Kontrolle genießt. Hantke (2006) legt ein «Schema zur Analyse individueller Dissoziationsmuster» vor, das die frühzeitige Identifikation der «Ausstiegssignale» aus dem Kontakt und die Verhinderung des Abdriftens zum Ziel hat. Sie bezeichnet das Arbeiten aus einem Ressourcenzustand heraus als eine «in den allermeisten Fällen vollkommen ungewohnte Herangehensweise» für die Patienten, da diese gar nicht auf die Idee kommen, sich diesen Freiraum zu nehmen. Es geht nach Hantke darum, «angenehmes Erleben gezielt zu ermöglichen, ohne die Augen vor den Problemen zu verschließen» und ohne sich vorschnell «in die Zukunft hin zu orientieren». In der Darstellung von Hantke wird deutlich, dass Ressourcenorientierung nichts mit Traumavermeidung zu tun haben muss. Trotzdem werden auch Unterschiede der Arbeitsweise zwischen psychodynamischen und verhaltenstherapeutischen Autoren deutlich. Die Integration der traumatischen Erfahrung nach Hantke wird analog zur entwicklungspsychologischen Genese der Verarbeitung emotionaler Erfahrungen vorgenommen: 1. Integration der unterschiedlichen Sinneskanäle, 2. Integration des raumzeitlichen Bezuges dieser Erfahrung, 3. Integration in den autobiografischen und übergeordneten Kontext von Überzeugungen, Werten, Fähigkeiten und Identität. Die kognitive Neubewertung der Trigger gelingt nach Hantke «in den seltensten Fällen», da «viele Trigger unterhalb der Bewusstseinsschwelle wahrgenommen werden». Wichtiger sei die Etablierung des «wahrnehmenden Selbst», was man verhaltenstherapeutisch auch als metakognitive oder flexible Aufmerksamkeit bezeichnen könnte. Es sei für die Patienten sehr entlastend, wenn ihre Symptome als Selbstheilungsversuch interpretiert werden würden und nicht etwa als Zeichen für Verrücktheit oder schwere Krankheit. Weitere wichtige Aspekte seien das Bewusstsein für eine Zeitachse (Unterscheidung von Jetzt und Damals), die volle Kontrolle über die Technik durch den Patienten auf der Beziehungsebene und das Verständnis für belastende Interaktionen als Schutzverhalten; weiterhin bedeutsam sei die Gelassenheit des Therapeuten, sich nicht als Retter oder überlegener Helfer inszenieren zu müssen, womit indirekt die Hilflosigkeit als notwendige Bedingung für das weitere Überleben zementiert werden würde. Auch als tiefenpsychologisch-systemische Therapeutin beschreibt sie die Entlastung durch Psychoedukation: Normalisierung des Erlebten durch Erklärung der eventuell auftretenden Symptomatik, Beschreibung der physiologischen Reaktion, Wertung der Symptomatik als autonomer Versuch der Integration durch den Körper, Vermittlung von Zuversicht in positive Veränderung nach Abschluss des Prozesses, auch bei länger andauernder Symptomatik Ruhe zu bewahren und auf die erfolgreiche Integration bei erfolgender Hilfestellung zu verweisen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt für psychoanalytische Autoren ist die Relativierung der Abstinenz oder Neutralität zugunsten einer «Zeugenschaft». Der Therapeut wird quasi zum Zeugen der Erfahrungen des Patienten und teilt diese mit ihm, ohne sie zu interpretieren oder zu deuten (Herman 1993). Im Vorgriff auf die Strukturtheorie zur Persönlichkeitsentwicklung (Kap. 6.2.5) kann man hier auch formulieren: Der Therapeut stellt sich neben den Patienten, um mit ihm seine Erfahrungen zu teilen. Er wird quasi zum Augenzeugen und rekonstruiert gemeinsam mit dem Patienten das Erlebte und ermöglicht die Transformation des Erlebten bis zu einem Punkt der Erträglichkeit oder gar Gelassenheit.

In einer aktuelleren Veröffentlichung analysiert Neuner (2011) die Risiken und Nebenwirkungen von Traumatherapie. Dazu gehört schädliches Therapeutenverhalten (Grenzüberschreitungen, unangemessene Selbstoffenbarungen), das aus störungsspezifischen Gründen von Patienten stillschweigend akzeptiert wird (unzureichende Abgrenzungsfähigkeit, Scham und Schuldgefühle). Dazu gehört auch das systematische Eingreifen in einen posttraumatischen Verarbeitungsprozess kurz nach dem Traumaereignis (Debriefing) oder das suggestive vermeintliche «Aufdecken» von traumatischen Erlebnisinhalten (false memory syndrome) oder die Durchführung von «Lege-artis-Therapien» von zertifizierten Therapeuten ohne allgemeine Grundausbildung, die mit der Verlagerung von Problembereichen im Therapieverlauf nicht umgehen können. Ansonsten seien Verschlechterungen ein vorübergehendes Phänomen (ca. 15 % in Expositionsstudien), das auch in anderen Therapieformen auftrete und nicht von Dauer sei. Von anderen Autoren wird daher darauf hingewiesen, dass man den Patienten über eine mögliche kurzfristige Leidenszunahme informieren kann, die jedoch langfristig mit erheblicher Leidensabnahme verbunden ist.

Inzwischen hat sich in dieser Kontroverse die Haltung durchgesetzt, dass bei erheblicher Instabilität der Patienten bzw. komplexer Traumatisierung eine vor der eigentlichen Traumabehandlung stattfindende Stabilisierungsphase sinnvoll ist, die nicht selbst aber schon mit einer Traumabehandlung verwechselt werden sollte. Einer Differenzierung in unterschiedliche Schweregrade je nach «einfacher PTBS» und «komplexer PTBS» wird im ICD-11 Rechnung getragen. Ob Sicherheit durch gezielte Ressourcenübungen aufgebaut werden kann oder durch eine komplexere Strukturbildung langsam erarbeitet werden muss, hängt vom Ausmaß einer zugrunde liegenden Persönlichkeitsstörung und der strukturellen Dissoziationsneigung ab (als Traumafolge).

Eine Integration von Traumaarbeit und Persönlichkeitsarbeit wird auch in der Ego-State-Therapie (EST) angezielt. Vergleicht man diese mit dem Therapieansatz von Reddemann & Wöller im Detail (Peichl S. 613–622), dann wird im Rahmen der EST mehr an traumatischen Erfahrungen gearbeitet als mit stützenden Methoden. Dies liegt vermutlich daran, dass häufiger zwischen einem distanzierteren Zustand (Erwachsener) und einem erlebenden Zustand (Kind) gewechselt wird. Vergleicht man ihn allerdings mit anderen traumafokussierten Verfahren (TFBCT, IRRT, EMDR), dann ist der Anteil imaginativer Arbeit in der EST geringer. Die Traumabewältigung langfristiger wirksamer traumatischer Belastungen wird in diesem Ansatz als Herausforderung an die Persönlichkeitsentwicklung gesehen und auch so konzeptualisiert. Dies ist sinnvoll, sollte jedoch nicht auf Kosten der eigentlichen Traumabehandlung geschehen und ist letztlich vermutlich eine Frage des individuellen Patientenkontextes und des individuellen Ausmaßes der Belastungen und Beeinträchtigungen.

Vergleicht man wiederum diese Ansätze mit schulenübergreifenden Therapieansätzen (z. B. BEPP, Nijdam et al. 2012) oder kognitiv-behavioralen Ansätzen, dann steht in Letzteren die Exposition im Vordergrund mit einer im Vergleich zur EMDR-Methode deutlich längeren Expositionszeit; dem folgt dann die narrativ-kognitive Verarbeitung traumatischer Ereignisse. Auch in der NET und im TFCBT-Ansatz steht am Ende die auf das konkrete Traumaereignis bezogene Integration des Erlebten in das Selbstbild. Es gibt deutliche Unterschiede im Ausmaß der Imaginationsarbeit, die sich im Vergleich zu kognitiver Therapie und klassischer Expositionstherapie als überlegen und als entscheidende Methode herausgestellt hat!

Schwer einzuschätzen sind auch die unterschiedlichen Einflüsse der Gesprächsführung auf die Dissoziationsneigung eines Patienten, da üblicherweise nur auf die Technik fokussiert wird. Eine passive Gesprächsführung, die das klassische Zuhören betont, kann beim Patienten in der Aktivierung eines traumatischen Ereignisses dazu führen, dass der erlebte Kontakt (vor allem in der Imagination!) «brüchig» wird und die Aufmerksamkeit des Patienten von seinen inneren Prozessen absorbiert wird. Eine aktivere Gesprächsführung, die das permanente Erkunden und das engmaschige Wiedergeben von Wahrnehmungen in den Vordergrund stellt (aktives Zuhören), ist grundsätzlich als antidissoziativ einzuschätzen. Hier wäre einmal eine vergleichende Auswertung der Gesprächsführung psychoanalytischer und verhaltenstherapeutischer Traumatherapeuten hilfreich.

Die Gemeinsamkeiten in der therapeutischen Grundhaltung scheinen jedoch zu überwiegen und die verschiedenen Therapiekonzepte sich eher anzunähern! Die Unterschiede kann man auch auf die verschiedenen Patientengruppen zurückführen; zum Beispiel wurden TFCBT und NET bisher überwiegend bei klar identifizierten Gewalterfahrungen erforscht, während EST, IRRT und der Ansatz von Reddemann & Wöller eher bei komplexen Traumatisierungen (Typ II) oder Persönlichkeitsstörungen angewendet wird. Man müsste es trotzdem als Kunstfehler betrachten, wenn im Hinblick auf eine komorbide Persönlichkeitsstörung die Traumabehandlung im engeren Sinne zu kurz käme oder die Behandlung auf reine Stabilisierungsmaßnahmen reduziert würde.

Fazit: Es wird insgesamt deutlich, dass das Feld der Traumabehandlung nicht nur wegweisend ist für die Behandlung der Folgen emotionaler Belastungen, sondern sich auf diesem störungsspezifischen Feld auch viele schulenspezifische Grundkonzepte relativieren. Das gilt sowohl für das psychoanalytische Verdrängungs- und Übertragungskonzept als auch für das tiefenpsychologische Denken in Konflikten und das verhaltenstherapeutische Fokussieren auf Kognitionen oder Vermeidungsverhalten. Zudem bestehen unterschiedliche Akzente hinsichtlich der Betonung imaginativer Ressourcen und eines auf Exposition basierenden Aushaltens starker Emotionen in Verbindung mit aktiver Gesprächsführung des Therapeuten. Die Unterschiede relativieren sich nur bei starker Dissoziationsneigung. Die Konsequenz hieraus könnte eine gestufte Betrachtung des Umgangs mit Dissoziationen sein (s. Infobox 12 in Kap. 12.5.7)

Insgesamt gilt: An einer konsequenten Bearbeitung der traumatischen Erlebnisinhalte ohne Schonung oder Vermeidung geht in der Regel kein Weg vorbei, zumal der Patient ohnehin sein Leiden in sich trägt und dieses durch die Therapie und durch echte Verarbeitung und nachträgliche Integration gelindert werden sollte! Dabei sollte man einen sorgfältigen Umgang mit einer hohen Dissoziationsneigung im Kontext multipler und schwerer Traumatisierungen im Auge behalten! Man kann davon ausgehen, dass Patienten in der Regel eine Auseinandersetzung mit belastenden Erfahrungen und eine aktiv informierende Herangehensweise vonseiten des Therapeuten wünschen. Patienten brauchen nicht primär eine geeignete Technik, sondern das Ernstnehmen der langfristigen und kurzfristigen Zusammenhänge zwischen Belastungen und Beeinträchtigung! Die Behandlung traumatischer Erfahrungen schließt – gerade bei entwicklungsrelevanten Traumata – das Eingehen auf persönlichkeitsbezogene Bewältigungsmuster ein. Jede Form des Drängens vonseiten des Therapeuten ist unprofessionell. Stattdessen braucht es die Klarheit und Sicherheit, dass eine nachträgliche gezielte Bearbeitung der belastenden Ereignisse und ihrer neurophysiologischen und psychischen Folgen jederzeit unabhängig von der verstrichenen Zeit möglich und sinnvoll ist und sich ohne systematische Behandlung auch nicht von selbst «erledigt.

Ausnahmen von dieser Regel bestehen bei schweren zur Dissoziation neigenden Persönlichkeitsstörungen und bei weiter bestehender realer Gefahr (z .B. Zusammenleben mit einem gewalttätigen Partner) oder schweren organischen Erkrankungen. Zurückstellen sollte man die Traumabehandlung auch, wenn ein Sicherheit bietendes Arbeitsbündnis nicht gewährleistet werden kann. In allen diesen Fällen sollte die Bewältigung traumatischer Erlebnisinhalte eingebettet und nachgeordnet sein in eine Behandlungsstrategie zur strukturellen Persönlichkeitsentwicklung oder primär supportiven Alltagsbewältigung (Indikationsstellung s. Kap. 13.1). Bei schweren Persönlichkeitsstörungen sollte man auch daher vom vorrangigen Erwerb struktureller Fähigkeiten zur Emotions- und Beziehungsregulation sprechen statt von einfacher Stabilisierung. Ohne ein minimales Maß von Vertrauen und Sicherheit kann es (noch) keine nachhaltige Traumabehandlung geben.

Konsequenzen für die Praxis

Traumabewältigung ist in erster Linie eine direkte Behandlung der primären emotionalen Belastungen/Ereignisse und der neurophysiologischen Folgen mit dem Ziel der Einbettung dieser Ereignisse in das autobiografische Selbst. Vertrauen und Sicherheit sind dabei grundlegende Voraussetzungen, die u. U. erst einmal aufgebaut werden sollten. Der stimmige emotionale Kontakt zum Therapeuten und die aktuelle Wahrnehmung des nicht gefährdeten Körpers (als Kontakt mit sich selbst) sind die entscheidenden Sicherheiten, die in der Regel für eine direkte Traumabehandlung ausreichen. Aspekte im Umgang mit einer möglichen Dissoziationsneigung (Dissoziationsarbeit) und einer selbstkontrollierten Distanz zum Trauma (Distanztechniken) sind erst in zweiter und dritter Linie in Erwägung zu ziehen, wenn das primäre Ziel der Traumabewältigung nicht mit den üblichen Mitteln erreicht werden kann. Sowohl Dissoziationsarbeit wie auch Distanztechniken sind in die primär traumafokussierte Arbeit eingebettet. Bei mittelschweren bis schweren Persönlichkeitsstörungen hat der Aufbau eines Arbeitsbündnisses in Verbindung mit einer Einbeziehung der täter- oder elternloyalen Anteile Vorrang. Bei schweren Persönlichkeitsstörungen hat die Bildung eines minimalen Vertrauens (in sich und andere) im Kontext einer vorangehenden Strukturbildung der Persönlichkeit mit dem Erwerb basaler Fähigkeiten zur Emotions- und Beziehungsregulation Vorrang vor der Traumabehandlung, die dann aber nachgeordnet erfolgen kann oder sollte. Die Entscheidung über den Zeitpunkt der eigentlichen Traumabehandlung trifft der Patient. Der Therapeut sollte über der Behandlung der Persönlichkeitsstörung nicht die Aufgabe der primären Traumabewältigung versäumen.


8

Zum Umgang mit Hyperventilation ist auch der Therapieprozess der Patientin in Kapitel 14.1 interessant. Während der Imaginationsarbeit hyperventilierte die Patientin mehrfach kurzfristig (was selten ist), kam dabei aber nie in eine Tetanie. Hier empfiehlt sich für Therapeuten in Ausbildung die Selbst- und Fremdanwendung eines Hyperventilationstests im Rahmen eines Panikseminars, um die Ungefährlichkeit trotz zwischenzeitlicher körperlicher «Dramatik» besser einschätzen zu können!

Verhaltenstherapie emotionaler Schlüsselerfahrungen

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