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3. Störungsspezifische Therapieforschung
3.1 Kognitive versus emotionale Depressionstherapie
ОглавлениеGrawe (2000) hat bereits gezeigt, dass kognitive Therapiestrategien alleine nicht zu befriedigenden Ergebnissen führen. Trotzdem gehören deren Therapieerfolge ähnlich wie die Expositionstherapien bei Angststörungen zu den stabilsten Befunden der Psychotherapieforschung (Hollon & Ponniah 2010). Es werden aber auch hohe Rückfallquoten von bis zu 54 Prozent berichtet (Vittengl et al. 2007). Daher wird verstärkt darüber nachgedacht, ob sich die Wirksamkeit kognitiver Therapieverfahren nicht durch eine emotionale Depressionstherapie (hier vor allem durch EFT im Sinne Greenbergs, s. Kap. 6.1) oder durch Einbeziehung des Achtsamkeitsansatzes (ACT) oder des CBASP-Ansatzes (s. Kap. 5.3.1) verbessern lässt. Es spricht aktuell einiges dafür, dass z. B. die EFT nachhaltigere Auswirkungen hat.
2011 wurde hierzu eine auf den Gegensatz von EFT und KVT bezogene Kontroverse publiziert (Ehlert, Grosse Holtforth & Hautzinger 2011). Hautzinger bezweifelt die Erfordernis «neuer» Interventionsmethoden und formuliert die Thesen, dass 1. bei schweren und chronischen Verläufen von Depressionen verhaltensbezogene und keine emotionsbezogenen Interventionen an erster Stelle stünden (und verweist dabei vor allem auf stationäre Erfahrungen) und dass 2. Emotionsfokussierung als «entscheidender Wirkmechanismus» sich nicht in kontrollierten Studien gegenüber der kognitiven VT als überlegen erwiesen habe. Somit sei die Annahme einer höheren Wirkung emotionaler Verfahren spekulativ. Allerdings verweist Hautzinger korrekterweise darauf, dass der Wirkmechanismus erfolgreicher kognitiver Therapie «kaum bekannt» sei. Zudem habe sich der uralte Streit darüber, ob nun die Emotion oder die Kognition primär sei, mangels präziser Festlegung der Begriffe als «Scheindebatte» herausgestellt; so weit die Stellungnahme von Hautzinger. In einem Punkt ist seine Innovationsskepsis nachvollziehbar: Es geht nach über 100 Jahren Psychotherapieforschung nicht darum «immer wieder Neues» zu entwickeln, sondern das Bewährte aus allen Forschungsbereichen miteinander zu verknüpfen und zu einem glaubwürdigen Ganzen zu verbinden. Genau diese Verbindungsarbeit wird aber durch das Festhalten an einem überholten und schon von Beginn an zu Recht kritisierten Kognitionskonzept nicht geleistet. Immerhin bildet die bisherige kognitive Theorie einen Teilaspekt therapeutischer Wirksamkeit durchaus ab, da die kognitive Verarbeitung (Kap. 5.2) zwar nicht die Entstehung primärer Emotionen, aber durchaus die Entstehung sekundärer Emotionen erklären kann.
Überzeugender wäre es gewesen, die letzten 30 Jahre zur Präzisierung der Begriffe «Emotion» und «Kognition» zu nutzen, um nicht von theoretischen Scheindebatten zu empirischen Scheinvergleichen zu kommen, denn sowohl die Änderung von Kognitionen durch Kognitionen (KVT) als auch die Änderung von Emotionen durch Emotionen (EFT) erscheint auf dem Hintergrund aktueller Emotions- und Kognitionsforschung reduziert. Im Zentrum des therapeutischen Vergleichs von KVT und EFT steht die Frage, ob Emotionsverarbeitung durch Einsatz spezifisch emotionsaktivierender Verfahren (bottom-up) besser gelingt als durch die im Rahmen des beckschen Ansatzes favorisierten kognitiven Methoden (top-down). Und dafür gibt es durchaus Hinweise, nicht nur im Hinblick auf die Wirksamkeitsunterschiede zwischen kognitiver Therapie und Schematherapie (Tab.1).
Für die EFT kann eine bessere Wirksamkeit für Depressionen, Essstörungen, Traumastörungen und Paartherapie als gut belegt angesehen werden (Greenberg 2011 S. 110ff). Im randomisierten Vergleich (EFT mit KVT) erweist sie sich symptombezogen als ebenso wirksam und bezogen auf interpersonelle Probleme als noch wirksamer als die KVT und der interpersonelle Ansatz (IPT) (Greenberg 2011 S. 123ff). Auch Vorteile des EFT-Ansatzes in der Auswirkung auf den Selbstwert und die emotionale Selbstreflexion sind in einer Kurzzeittherapie (16 Sitzungen) belegt. In einer Übersichtsarbeit kommen Greenberg & Pascual-Leone (2006) zu dem Schluss, dass emotionale Aktivierung eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für therapeutische Veränderung ist. Es konnte gezeigt werden, dass intensive emotionale Verarbeitung positiv mit dem Therapieerfolg verbunden ist (Castonguay et al. 1996). Es konnte ein zusätzlicher Effekt emotionaler Verarbeitung nachgewiesen werden (Hunt et al. 2007). Die Rückfallhäufigkeit nach kognitiven Therapien war nach Hinzunahme emotionsfokussierter Therapietechniken deutlich geringer (Ellison, Greenberg, Goldman & Angus 2009). Rijsbergen und Kollegen (2013) konnten belegen, dass die geringe emotionale Reaktivität ein wesentlich besserer Indikator für Rückfälle war als veränderte Denkprozesse (kognitive Reaktivität)!
Greenberg selbst sieht in seinem Ansatz daher eine «Ergänzung zu bisher etablierten Therapiemethoden» (s. vertiefend Kap. 5.2 zur KVT und Kap 6.1 zur EFT). Allerdings sollte man auch sehen, dass die Grundhaltungen der EFT und CBT/KVT im Umgang mit Emotionen sich deutlich unterscheiden. Zudem zeigt sich, dass gerade emotionsvermeidende Patienten sehr offen dafür sind, kognitive Tools zur Problembewältigung vermittelt zu bekommen, und weniger offen, an belastenden emotionalen Erfahrungen anzusetzen, auch wenn gerade dies die sinnvollere Strategie sein kann.
Dass bei schweren Depressionen primär auf der Verhaltensebene und in der Alltagsbewältigung anzusetzen ist – wie Hautzinger auch kritisch gegenüber den interpersonellen Depressionstherapeuten (CBASP, IPT) anmerkt –, sollte nicht ernsthaft bezweifelt werden, da die Patienten im Zustand schwerer Depressivität weder kognitiv noch emotional gut zu erreichen sind. Aktivierung und Alltagsbewältigung haben hier die Funktion, die Person aus ihrer eigendynamischen Depressionsspirale herauszulösen (auch durch Kombination mit Psychopharmaka), um nach einer Symptomverbesserung den Blick auf die Hintergründe und die emotionalen Ursachen lenken zu können und den therapeutischen Schwerpunkt zu verlagern. Das primäre Ansetzen an der Verhaltensebene spricht also nicht gegen eine spätere Fokussierung emotionaler Belastungen. Hier braucht es eine individualisierte Behandlungsstrategie, die zu komplex ist für evidenzbasierte Wirkungsforschung und die über die Anwendung einer Einzelmethode hinausgeht. Auch die Rückfallraten der KVT sprechen für die Notwendigkeit komplexerer Therapiepläne.
Es ist nicht sinnvoll, von stationären Behandlungsverläufen schwerer Depressionen auf leichte bis mittelschwer beeinträchtigte Patienten zu schließen, die in der Regel ambulant behandelt werden und deren Zielstruktur für die Psychotherapie auch meist komplexer ist als reine Depressionsbewältigung. Erst die Kombination von verhaltensbezogenen, emotionsaktivierenden und kognitiven Interventionen führt zu einer überzeugenden Strategie, deren Relation sich mit abnehmender Schwere der Depression verschieben kann. Hierauf geht Hautzinger nicht ein und ebenso wenig auf die mangelnde Fundierung des beckschen Kognitionsbegriffs.
Hautzinger stellt die Erforschung der evidenzbasierten Wirkmechanismen vor eine Fundierung in der Grundlagenforschung. Hier wird wieder die Bewährung vor die Begründung gestellt (Kap. 1.7), obwohl aus der Grundlagenforschung deutlich wird, dass differenziertere Theorien und validere Modelle für Emotionsverarbeitung eine immense Hilfe beim Verständnis der therapeutischen Prozesse sein können, die bis heute von kognitiven Therapeuten offenkundig kaum verstanden werden (s. Kap. 5.2/5.4). Warum sich in der Therapie etwas verändert, ist vermutlich keine Frage, die sich innerhalb des kognitiven Reduktionismus hinreichend beantworten lässt.
Um dies empirisch und theoretisch überzeugend zu leisten, müsste die kognitive Theorie weiterentwickelt werden ohne kognitive oder emotionale oder interpersonelle Reduktionismen (Mentalisierungsmodell Kap. 6.2). Grosse Holtforth et al. (2013) formulieren ein «duales Prozessmodell» der Depression, das mit der emotionalen Grundlagenforschung kompatibler ist als die kognitive Theorie von Beck. In diesem Ansatz werden eine verhaltensorientierte Aufbauphase (Schlafen, Essen, Aktivität), eine Expositionsphase (Aktivierung emotionaler Erfahrungen und Förderung der emotionalen und kognitiven Verarbeitung analog der EFT) mit einer Abschlussphase (Rückfallprophylaxe und Zukunftsplanung) verbunden. Verhaltensorientierung, Aktivierung impliziter Emotionen und Erfahrungen und Förderung der expliziten Verarbeitung werden kombiniert.
Fazit: Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass eine Veränderung der emotionalen Reaktivität das Kernkriterium für eine erfolgreiche Depressionstherapie ist und sich langfristig im Vergleich zur KVT auch geringere Rückfallraten, ein positiverer Einfluss auf den Selbstwert und auf interpersonelle Beziehungen zeigen. Man sollte sich sowohl von einem reduktionistischen Kognitionsbegriff als auch Emotionsbegriff lösen und das Verständnis für das Wirksame in der Psychotherapie ausweiten. Für eine Einbeziehung primärer emotionaler Belastungen und eine Ausweitung der bottom-up-Strategien spricht auch die höhere Wirksamkeit der Schematherapie und bei schweren Depressionen der CBASP-Ansatz, da beide Ansätze explizit die Nachverarbeitung früherer unverarbeiteter Belastungen einschließen und sich nicht nur auf aktuelle Belastungen konzentrieren. Die isolierte Bewährung bestimmter Treatment-Pakete (KVT oder EFT oder CBASP) und auch die Nachbesserung der kognitiven Therapie durch Imaginationsverfahren (s. im Kontext der PTSD-Behandlung das imaginativ-kognitive Vorgehen von Ehlers) macht ein Verständnis «wirksamer Komponenten» immer schwieriger («Was ist eigentlich nicht mehr KVT?») und ersetzt vor allem nicht die grundlagenwissenschaftliche Fundierung integrierender Modelle. Der Mainstream scheint entschieden zu sein, alle bewährten Vorgehensweisen in ein reduktionistisches KVT-Modell zu integrieren, anstatt das Modell weiterzuentwickeln (s. hierzu auch IRRT im Kap. 3.2.7).
Konsequenzen für die Praxis
Die im Vergleich zur klassischen Kognitiven Therapie völlig andere Haltung im Umgang mit Emotionen in der EFT hat auch nachhaltigere und positivere Auswirkungen für die Patienten, obwohl die Datenlage hier noch ausbaufähig ist. Verhaltensorientierte Maßnahmen und Psychopharmakotherapie haben bei schweren Depressionen Priorität, solange kein emotionaler Kontakt zustande kommt. Danach kann die Behandlung auf die emotionalen Störungen und die langfristig wirksamen Belastungsfaktoren ausgeweitet werden in Form einer kombinierten bottom up-Aktivierung und top-down-Verarbeitung. Die Einbeziehung unverarbeiteter Belastungen scheint ebenfalls von Bedeutung zu sein (CBASP). Eine deutlichere Befundlage hinsichtlich der Wirksamkeit emotionsaktivierender Verfahren besteht aktuell weniger hinsichtlich der EFT als der Schematherapie. Eine theoretische und praktische Integration unterschiedlicher Ansätze, die die Emotionsverarbeitung in den Mittelpunkt stellen, scheint daher sinnvoll.