Читать книгу Gänseblümchen und ihre außergewöhnlichen Freunde - Kris Felti - Страница 6
ОглавлениеGänseblümchen
Sie war eigentlich ein Mädchen wie jedes andere. Zur Familie gehörten neben ihren Eltern auch ihre beiden Brüder Pinko und Mathies. Sie lebten in einem kleinen Dorf nahe Dresden. Wie jedes andere Kind war sie, und auch doch nicht. So, wie man oft den Wert eines ungeschliffenen Diamanten nicht erkennt, sah man dem Mädchen nicht an, dass es ein ganz besonderer Mensch war, dass sich das Licht der Sonnenstrahlen in seinem Herzen brach, es mit einem Mantel aus einem Regenbogen umhüllte und ihm eine Empfindsamkeit gab, die für sehr viele Menschen nicht zu verstehen war. Sie war anderes und doch ein Mädchen wie jedes andere.
Nach ihrer Geburt hatte sie eine weiße Haube als Schutz vor den kräftigen Sonnenstrahlen und einem hinterhältigen Wind getragen, und wenn ihre Mutter sie nachts neben sich im Bett betrachtet hatte, war ihr stupsnasiges Gesicht umrahmt gewesen von den Rüschen des Häubchens. Dies hatte das Mutterherz mit viel Freude und Wärme erfüllt und an einen blühenden Garten erinnert, sodass es ihm den Namen »Gänseblümchen« gegeben hatte.
Gänseblümchen war ein ruhiges Kind mit großen braunen Augen und pechschwarzem Haar, das mit zunehmendem Alter heller über die Schultern fiel. Bereits mit einem Jahr musste die Pracht mit Zöpfen gebändigt werden, damit kein Haar in die Nähe des Gesichtchens kam. Denn Gänseblümchen mochte kein Haar im Gesicht oder an den Händen und schon gar nicht im Mund. » Gänseblümchen, schau, was ich dir mitgebracht habe«, rief die Mutter lächelnd, während sie dem Mädchen ein kleines Plüschtier hinhielt. »Einen süßen kleinen Teddy.« Gänseblümchen nahm das Kuscheltier in den Arm, betrachtete sein Gesicht mit den braunen Knopfaugen und drückte ihre kleine Stupsnase in den Stoff. Sie spürte ein leises Zittern und wunderte sich, dass der Kleine so kitzelig war. Ohne dass ein Laut an die Ohren der Mutter drang, kicherte es: »Ich bin kein Teddy. Das sieht man doch.« Jetzt lächelte auch Gänseblümchen. Ihre Lippen ließen keine Bewegung erkennen, als sie antwortete: »Ich weiß.« Sie presste ihn fest an sich und das Strahlen in ihren Augen verzauberte die Mutter. »Hundi«, formten ihre Lippen den Namen ihres neuen Freundes, und ihre Mutter war beglückt. Gänseblümchen war zwei Jahre alt und endlich begann sie zu sprechen.
Der Garten lag im wärmenden Sonnenschein, die Wiese war übersät von kleinen Blumen mit winzigen weißen und rosafarbenen Federn, und die Bäume wiegten sich im Tanz. Gänseblümchen liebte es, allein auf der Wiese zu sitzen und dem Geplauder und Gelächter der den Garten umgebenden Bäume zu lauschen. Die Mutter in absehbarer Entfernung wissend, brauchte sie kein weiteres menschliches Wesen in ihrer Nähe. Schon gar nicht brauchte sie eine Kindergärtnerin, die sich fortwährend darüber lustig machte, dass Gänseblümchen kaum sprach. »Kinder, wenn Gänseblümchen nicht laut mit uns spricht, dann dürft ihr nicht reagieren. Sie muss lernen, ihre Bedürfnisse laut zu äußern.« Die Kinder lachten oft über sie. Und wenn sie sich dazu durchrang, mit der menschlichen Welt zu sprechen, kam es leise, sehr zögernd aus ihr hervor. Ungeübt im Umgang mit ihrer Stimme, die in ihrer Welt nicht notwendig war, wusste sie die Lautstärke nicht zu dosieren. Das Gelächter der Kinder und der Kindergärtnerin erstickte jeden Versuch der Kommunikation. In ihrem kleinen Universum war es schöner. Gerade stolperte eine dicke Hummel über die dunkelblauen Glockenblumen. »Mist, Mist, Mist!«, hörte Gänseblümchen den dicken Brummer schimpfen. Sie wusste sofort, dass es nur Heiliam sein konnte. »Du hast aber nicht die beste Laune«, sagte sie, ohne ihren Mund zu öffnen. Über ihre braunen Augen legte sich ein warmer Schleier. Diese Augen konnten mit einer klaren, mitfühlenden und energischen Stimme sprechen. Heiliam war hocherfreut. »Wenn du wüsstest, was ich schon wieder miterlebt habe«, tüttelte er in einem Summsang, der das Mädchen zum Lachen brachte. Die Hummel lachte ebenfalls. »Der schwarze Kater des Nachbarn ist mit seiner Pfote in den Fluss getreten. Er hat einen Tanz vollführt und dabei die Pfote so derb geschüttelt, dass zwei riesige Tropfen haarscharf an meinen Flügeln vorbeigerast sind. Dabei hat er sein Gleichgewicht verloren und ist mit der Nase im Wasser aufgekommen. Du hättest ihn sehen sollen! Eine Rakete könnte nicht steiler in die Luft gehen.« »Redest du über mich?«, mauzte es hinter den Rhododendren. Kaschir kam mit federnden Schritten hervor, um sich zu Gänseblümchen zu setzen und mit seiner Fellpflege fortzufahren. Der Kater war älter als das Mädchen. Er wusste, wie freudlos es hier gewesen war, als diese kleine stumme Freundin das Grundstück noch nicht mit Leben gefüllt hatte. Den Hundi in der einen Hand liebkoste Gänseblümchen das weiche Fell des tierischen Freundes mit ihrer anderen. Gerade blickte die Mutter von der Terrasse zu ihr herunter. »Gänseblümchen, bitte geh nicht zu nah an den Fluss!«, rief sie freundlich und winkte ihr zu. Beinahe alle fünf Minuten schaute die Mutter nach ihrem Kind, immer in Sorge, dass ihm etwas zustoßen könnte. Sie liebte das Bild, wie ihr Mädchen mit ihren kleinen Händen die Gänseblümchen pflückte und der schwarze Kater des Nachbarn nicht von ihrer Seite wich, als würde er auf sie Acht geben.