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4. Kapitel

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Im Übrigen war Mako durchaus nicht so unbedarft, wie es schien. Selbst wenn sie nicht unbedingt an Carolas intellektuelle Fähigkeiten heranreichte, verfügte sie doch über eine gewisse Lebenserfahrung kombiniert mit einer gesunden Portion Bauernschläue. Allein ihr Hüftschwung wirkte auf die Herrenwelt geradezu elektrisierend. So quollen manchem im Amt schon mal die Augen heraus, wenn sie sich bückte oder lasziv die Beine übereinander schlug. In einem Fall küsste ein älterer Kollege vor Entzücken sogar die Finger. Den Vogel allerdings schoss der dicke Behrend aus der ersten Etage ab. Das war ein Disponent der mittleren Ebene, der sich ihretwegen das Haar tönte und in enge Jeans presste, nur weil sie Zimmernachbarn waren. Die Sache war deshalb so pikant, weil er sich dadurch einige unangenehme Quetschungen zuzog, welche später behandelt werden mussten. Die nachfolgende Diskussion, ob nun ein Dienst- oder Arbeitsunfall vorlag, befeuerte ihren Ruf als Vamp nur noch mehr. Eine solche Eroberung musste einen Mann wie Dr. Willberg natürlich aufwerten und nichts schien ihm zu aufwendig, dieses Prestige auch zu erhalten.

Dies wiederum kam Makos Ambitionen sehr entgegen. Sie hatte längst mehr im Sinn als nur ein billiges Amüsement auf Kosten eines in die Jahre gekommenen alternden Gockels. Als alleinstehende Mutter mit magerem Gehalt musste man sehen, wo man bleibt. War es da nicht verständlich, dass man sich statt eines finanziell ewig klammen Partners wie den Vater ihres Kindes einen reifen und vor allem solventen Liebhaber suchte, jemand mit Rang und Namen? Was kümmerten da Altersunterschied und Ehestand, wenn das Konto stimmte? Natürlich hielt sie das nicht davon ab, sich einen weiteren Lover zu leisten - einen in Reserve sozusagen. Dieser versüßte ihr hin und wieder den Feierabend, wenn der andere aus familiären Gründen unpässlich war.

Entsprechend ihrer Neigung zu Extremen konnte es sich dabei nur um ein ganz anderes Exemplar handeln. Und tatsächlich fiel ihre Wahl auf einen scheinbar noch in der Adoleszenz befindlichen Kollegen namens Lucas Hövelmann. Dabei handelte es sich um einen 25jährigen Bubi mit weichen Zügen, dunklen Knopfaugen, frecher Stupsnase, vor allem aber einem unglaublichen Knackarsch. Das fiel ihr sofort auf. Ansonsten war er groß, erstaunlich gut gebaut, kraftvoll und selbstsicher. Doch obwohl er etwas vorlaut, bisweilen auch recht einfältig wirkte und mit einer recht überschäumenden Emotionalität nervte, fand sie ihn irgendwie süß und sagte ihm das auch.

Er war natürlich sofort angesprungen und kehrte ganz den Macho raus. Sie aber starrte nur auf seinen prachtvollen Hintern, der sie irgendwie an John Travolta erinnerte. Als er das merkte, fragte er sie sofort, ob sie ihn mal sehen wolle und meinte das im ernst. Nur mit Mühe konnte sie ihn davon abhalten, wobei er sich noch dagegen sträubte, als müsste er es ihr nun erst recht beweisen.

Oh Gott, wie hatten beide gelacht – ein Lachen bis zu Tränen. Das war der Anfang. Fortan bedrängte er sie beinahe täglich, so dass sie schließlich nachgab und gelegentliche Besuche gestattete, natürlich mit allem Drum und Dran. Vor allem sein ‚Dran‘ imponierte ihr, womit er Hendrik im wahrsten Sinn des Wortes um Längen schlug. Es machte ihr jedes Mal unheimlich Spaß, ihn ordentlich zu packen und zu sehen, wie er unter ihrer Geschicklichkeit zerfloss. Dabei lagen Lust und Leid nah beieinander, zumal sie als Meisterin der Verführung um die rechte Dosierung wusste. Kein Wunder, dass er ihr schnell verfiel und ebenso wie Hendrik aus der Hand fraß.

Der Umstand, nur Zweiter zu sein, störte ihn dabei nicht unbedingt, auch wenn er schon mal wegen eines verschobenen Dates murrte. Ob er es einsah, war ihr dabei zweitrangig, wie sie überhaupt seine Befindlichkeit nicht sonderlich scherte. Ihr genügte seine Akzeptanz ihrer zuweilen doch recht sprunghaften Neigungen mit der Lust auf ‚Frischfleisch‘. Sein Verständnis für diese Promiskuität verstand sie wiederum mit jedem Kuss von Neuem einzufordern und scheute sich auch nicht, so offen auszusprechen.

Freilich hätte Lucas das gern anders gehabt, so richtig traditionell mit stetem Zusammensein und notarieller Beglaubigung. Sie aber nannte ihn nur einen Schafskopf und solche Anwandlungen ‘dummes Zeug‘. Auch wenn sie nicht deutlicher wurde, wusste er genau, was davon zu halten war. Weder verfügte er über den nötigen Stand noch besaß er die dafür nötigen Mittel, um sie ganz für sich zu gewinnen, und das quälte ihn. Sie ahnte zwar davon, hatte jedoch kein Problem damit. Zu keiner Zeit wollte sie ihm etwas vormachen. Dafür fühlte sie sich zu anständig. Wenn ihm das nicht passte, konnte er ja gehen.

Als er sie am folgenden Abend nach vollzogenem Schäferstündchen zärtlich liebkoste und dabei noch mal alles aufbot, verwunderte ihn ihre Schweigsamkeit. Normalerweise flötete sie ihm danach noch viele liebe Worte ins Ohr, kraulte zärtlich seinen Nacken oder verwöhnte ihn auf andere neckische Weise. Dieses Mal aber schob sie ihn einfach fort, stand auf und trat vor den Spiegel. Während er ihr, das Kinn in die Hand gestützt, mit den Blicken folgte, bürstete sie sich das Haar, zerrte daran, legte hin und wieder den Kopf schief und glich mit ihren schmollenden Lippen einem bockigen Teenager.

„Warum glotzt du so?“, fragte sie, während sie sich ihr T-Shirt über die üppigen Brüste zog.

„Du hast Cellulite?“, begann er zu spötteln und glitt mit dem Finger über ihren Schenkel.

„Na und? Stört es dich?“

„Weißt du eigentlich, warum Männer keine haben?“

„Nein, warum?“

„Weil es Scheiße aussieht, ähä!“ Er kringelte sich vor Lachen, kam damit aber nicht an und das ärgerte ihn. „Wieso muss danach immer alles so schnell gehen? Warum diese Eile? Oder kommt noch jemand? Das will ich doch nicht hoffen!“

„Ach, du Dummchen! Und was erzähle ich morgen meinem Chef, wenn ich derart übernächtigt aussehe? Er ist sehr feinfühlig und wird es merken. Schon deshalb wirst du jetzt brav nach Hause gehen und süß von mir träumen.“

„Ich verstehe das nicht! Was findest du nur an diesem Stiesel?“, maulte er daraufhin. „Ich finde ihn unmöglich, ein richtiger Affe ist das! Außerdem ist er viel zu alt für dich, könnte glatt dein Vater sein. Kann der überhaupt noch?“

„Jetzt fang nicht schon wieder an! Ich habe dir von Anfang an gesagt, wie die Regeln sind! Also beklage dich nicht!“

„Ja schon, aber die Vorstellung, dass er dich fickt, ekelt mich. Ich kann es einfach nicht abstellen. Sag mir nur eines - empfindest du eigentlich etwas bei dem, ich meine, so wie bei mir?“

„Hast du keine anderen Sorgen?“, fragte sie und wurde dabei vor Zorn ganz blass.

„Es interessiert mich eben! Also sag schon!“

„So lange du auf deine Kosten kommst, sollte dir das doch egal sein, oder?“, antwortete Mako, ohne den Blick vom Spiegel zu nehmen. „Oder hast du etwa einen Grund, dich zu beklagen?“

„Ist das wirklich alles, was du willst?“, wich er ihr sogleich aus. „Ich meine - gibt es nicht mehr, als jemandem schöne Augen zu machen, den du nicht liebst?“

„Du bist unmöglich! Natürlich gibt es mehr, viel mehr sogar und das wissen wir beide genau. Nur kann man davon nicht leben.“

„Aber was ist das für ein Leben, wenn man nur so lebt?“, widersprach er zu ihrem Erstaunen beinahe philosophisch, was zu einem Trottel wie ihm gar nicht passte.

„Man kann nicht alles haben! So ist das nun mal! Irgendeinen Kompromiss muss man immer eingehen und ich habe mich so entschieden“, seufzte sie mit einem trotzigen Zug um den Mund.

Das verletzte Lucas. Doch er fand nicht die passenden Worte, all das auszusprechen, was ihn jetzt bewegte. Er war noch nie ein guter Redner gewesen und handelte meist emotional, weshalb ihn diese nüchterne Rationalität verschreckte. Alles in ihm sträubte sich dagegen, besonders nach den vorangegangen Liebesschwüren. Dabei hatte er sie wirklich lieb. Jedenfalls bildete er sich das ein und hoffte noch immer, sie eines Tages davon zu überzeugen. Sagte er sich doch logisch und folgerichtig, wenn er sie nur ordentlich mit seiner Liebe erstickte, würde das ihr die Lust auf Abwechslung schon nehmen. Das wiederum führte dazu, dass er sich ständig vor ihr klein machte, worüber er sich hinterher furchtbar ärgerte. Besonders auf dem Heimweg fühlte er sich oftmals gereizt und hätte am liebsten jemandem die Fresse poliert, wie er sich gelegentlich ausdrückte.

„Und wenn er dich nur benutzt? Ich meine, wenn deine Rechnung am Ende nicht aufgeht“, begann er erneut zu sticheln, selbst auf die Gefahr, sie damit vollends zu verärgern. „Ich kenne diese Typen. Sie halten sich für etwas Besseres und sind im Grunde nur Egoisten. Ich sage dir, der lässt dich schneller fallen, als du dir vorstellen kannst.“

„Jetzt hör aber auf!“, fuhr sie ihn an. „Selbst wenn, ist das nicht dein Problem! Es ist meine Entscheidung! Und nun verschwinde, bevor es noch später wird, und pass auf, dass dich niemand sieht ... Ach ja, und vergiss nicht, sie morgen Abend wieder aufzusuchen. Bring sie dazu, wieder in dieses Café zu gehen, hörst du? Vielleicht ruft man wieder die Polizei! Dann erklärt man sie hoffentlich bald für verrückt und wir haben endlich Ruhe!“

„Du meinst, du hättest Ruhe“, ergänzte Lucas bissig.

Mako sah ihn verwundert an. „Was soll das jetzt?“

„Ich finde es nicht richtig“, erwiderte er trotzig und kehrte ihr den Rücken.

„Darf ich dich daran erinnern, dass wir eine Abmachung haben?“

„Ja, schon. Aber ich fürchte, wir gehen langsam zu weit. Die Sache könnte außer Kontrolle geraten.“

„Unsinn! Wir stehen kurz davor! Sie wird doch immer nervöser! Irgendwann wird sie aufgeben und dann ist es geschafft!“

„Woher hast du das eigentlich gewusst, ich meine, dass mit ihr etwas nicht stimmt?“

„Du meinst ihre Nervenschwäche? Sie hatte auf dem Flur mal ihre Post verloren und da war diese Visitenkarte herausgerutscht, ausgestellt von irgendeinem Psychiater. Gut ein Dutzend Termine waren darauf eingetragen. Ich habe es genau gesehen, auch wenn sie alles schnell wieder aufsammelte. Aber ich hatte so etwas schon geahnt. Keine normale Frau geht ihren Chef derart an. Dabei will er gar nichts von ihr, nicht die Bohne, und hat ihr das auch gesagt. Sie aber will das nicht begreifen und redet sich irgendetwas ein. Manchmal habe ich das Gefühl, er fürchtet sich vor ihr.“

„Der und fürchten? Dass ich nicht lache!“, wehrte Lucas verbittert ab.

„Wenn es aber so ist? Schon lange ist er mit ihr überfordert. Und da er sich an niemand wenden kann, bleibe nur ich. Ich gebe ihm Halt und er vertraut mir. So einfach ist das! Schon deshalb müssen wir es noch verstärken!“

„Ach, ich weiß nicht!“, maulte Lucas.

Mako gefiel das nicht. Seine Nachdenklichkeit irritierte sie. „Aber mein Lieber, ist es wirklich so schlimm?“, lenkte sie plötzlich ein und trat auf ihn zu. Dabei legte sie ihm zärtlich die Hand unter das Kinn und sah ihm in die Augen.

„Was ist, wenn etwas passiert?“, erwiderte er. „Sie war letztens beinahe vor ein Auto gelaufen, als sie plötzlich unkontrolliert die Straßenseite wechselte! Außerdem fürchte ich, dass man in diesem Scheißlokal schon was mitbekommen hat.“

„Das sind ja völlig neue Töne! So kenne ich dich gar nicht!“

„Ich mich auch nicht“, seufzte er weiter. „Aber manchmal kommen mir solche Gedanken. Ich fürchte, wir kommen da nicht mehr raus.“

„Du siehst das zu schwarz“, versuchte ihn Mako zu beruhigen. „Diese Frau ist nur ängstlich und ich weiß auch, warum. Wie ich hörte, lebt sie allein und hatte auch noch nie was mit einem Mann. Kannst du dir das vorstellen? Da muss man ja irrsinnig werden. Du bewirkst also nichts in ihr, was nicht schon da ist.“

„Ich fühle mich trotzdem nicht wohl dabei.“

„Wenn es so ist, sollten wir natürlich aufhören“, erklärte sie verständnisvoll. „Ich möchte nicht, dass du meinetwegen leidest.“

„Wer sagt denn so etwas? Ich habe nur kein gutes Gefühl!“, stellte Lucas klar.

Sie umschlang jetzt seinen Kopf und drückte ihn an sich. „Ach, du Dummchen, wann wirst du endlich erwachsen?“

Daraufhin umfasste auch er ihren Leib und schmiegte seine Wange an sie. „Ich liebe dich!“

„Du sollst so etwas nicht sagen.“

„Wenn es aber so ist!“

Noch einmal küsste sie seine Stirn und ermahnte ihn wie immer, beim Verlassen des Hauses kein Licht zu machen - die Leute müssten ja nichts merken. Das bedeutete nichts anderes als ein uncharmantes: Nun scher dich endlich raus! Bevor sie nun noch deutlicher wurde, begann er, sich zögerlich anzukleiden, auch wenn er eine erneute Annäherung nicht unterlassen konnte. Doch Mako stieß ihn weg. Für heute war es genug und erfahrungsgemäß auch nicht ratsam, noch einmal nachzusetzen. Was blieb ihm, als widerwillig zu verschwinden?

Auf der Straße umfing ihn neben der Dunkelheit das gewohnte Gefühl von Kälte und Einsamkeit wie immer, wenn er sie verließ. Der Himmel war klar und das fahle Mondlicht tauchte alles in eine gleichmäßig verschwommene Blässe. Ohne sich noch einmal umzusehen, ging er schnurstracks zur anderen Straßenseite hinüber und wählte den kürzesten Weg gleich quer durch den Park. Die Wegbeleuchtung war nur spärlich, so dass er wiederholt in Pfützen trat. Das steigerte seine ohnehin gereizte Stimmung, so dass er jetzt dankbar war, niemandem zu begegnen. Konnte es etwas Bedrückenderes geben, als nachts allein mit einem schlechten Gewissen durch einen dunklen Park in schmutzige Pfützen zu tappen und niemand da war, dem er die Fresse polieren konnte?

„Warum tue ich mir das an?“, fragte er sich betroffen. „Bin ich denn ein Trottel, mit dem machen kann, was man will? Ich sollte sie vor die Wahl stellen oder ihr den Hals umdrehen! So aber mache ich mich jedes Mal erneut lächerlich! Das muss aufhören!“

Er war so in Fahrt, dass er gar nicht die Person bemerkte, welche die ganze Zeit vor ihm herlief. Erschrocken blieb er stehen. Komisch war das. Wo hatte er nur seine Gedanken? Noch seltsamer aber erschien ihm, dass diese jetzt ebenfalls ihren Schritt verlangsamte, als wollte sie darauf reagieren.

Womöglich hätte er kaum einen weiteren Gedanken daran verschwendet, als er plötzlich bei genauerem Hinsehen einen weißem Trenchcoat und helles Haar zu erkennen glaubte. Zwar war er sich aufgrund von Distanz und Dunkelheit nicht sicher, dennoch ließen die Umrisse auf eine Frau schließen. Das erschien ihm doch sehr merkwürdig. Natürlich gab es Dutzende blonder Frauen im weißen Trenchcoat, so dass jede weitergehende Vermutung lächerlich erschien. Außerdem konnte das gar nicht sein. Wieso sollte sie ihn jetzt um diese Zeit ausgerechnet hier erwarten? Völlig ausgeschlossen! Und doch passten Statur, Größe und sogar der Gang. Das war schon sehr seltsam.

Zweifellos war er von ihr längst bemerkt worden und womöglich wurde sein Verhalten missdeutet. Doch dafür gab es keinen Grund. Weder verbarg er sich noch machte er irgendwelche Anstalten, sie zu verfolgen. Es hatte sich nur so ergeben, weil man den gleichen Weg benutzte. Lucas kam jedoch zu keinen weiteren Überlegungen, denn plötzlich wandte sich diese Person um und zeigte mit dem Finger auf ihn, als habe sie ihn erkannt.

Wie angewurzelt blieb er stehen und konnte nicht glauben, was er da sah. Aber das war eindeutig. Was erlaubte sie sich? Das war ja unerhört! Da geht man nichtsahnend seines Weges und wird derart belästigt. Da platzte ihm der Kragen und er wollte sie zur Rede stellen. Sie aber lief plötzlich davon. Sofort stürzte er ihr nach. Nun entstand eine wilde Jagd. Immerhin war er jung und drahtig und es wäre doch gelacht, wenn er sie nicht gleich zu fassen bekäme. Während ihn noch ein Abstand von gut zwanzig Schritt von ihr trennte, nahm er gleich den Weg durch die Böschung, um diesen zu verkürzen. Doch da das Gelände etwas abschüssig war, rutschte er aus und fiel unglücklicherweise in den Dreck.

Hinzu kam, dass diese Person nun auch noch den Park verließ und in ein Wohngebiet rannte. Das steigerte seine Wut, zumal er wirklich keine bösen Absichten hegte und das unbedingt klarstellen wollte. „Na warte, du kannst etwas erleben!“, brüllte er und jagte ihr erneut nach. Und tatsächlich war er fast wieder heran, als die Frau dann doch hinter einer Hausecke verschwand.

Keuchend stand er da und starrte in die Dunkelheit. Nach seinen Überlegungen konnte sie nur in einem der hier angrenzenden Hausflure verschwunden sein. Doch aus irgendeinem Grund wagte er ihr nicht zu folgen. Die Stille und Einsamkeit verunsicherten ihn. Vielleicht war es nur eine Falle und sollte ihn irgendwohin locken? Das war natürlich Unsinn. Aber was denkt man nicht alles in solchen Momenten!

Er sollte besser aufgeben und darüber lachen. Wenn sie es tatsächlich war, würde eine Begegnung nicht sehr freundlich ausfallen. Aber warum eigentlich? Es war doch nichts passiert! Und selbst wenn - was war schon dabei, wenn sich um diese Zeit ihre Wege kreuzten? Er wollte gerade zurückgehen, als er in unmittelbarer Nähe einen Schatten quer über dem Fußweg bemerkte. Offenbar lauerte dort jemand hinter der Ecke, ohne zu bedenken, dass ihn der eigene Schatten verriet.

‚Na warte nur‘, dachte er bei sich und schlich lautlos heran. Schon juckte es ihn, sogleich herumzufahren und den Lauernden am Kragen zu packen. Er setzte auch schon dazu an, als ihn Gott weiß woher plötzlich ein dumpfer Schlag auf den Kopf traf. Halb benommen fuhr er um und konnte noch einen hellen Mantel erkennen, bevor ihn ein weiterer Schlag völlig betäubte.

Mit letzter Kraft versuchte er, sich zur Seite zu schleppen, als ihn ein dritter Schlag zu Boden streckte. Nun folgte eine Art Dämmerzustand ohne tiefere Gedanken. Er fühlte sich umnebelt und war sich nicht sicher, ob er eine Stimme vernahm, die zwar eindringlich auf ihn einsprach, aber dennoch nicht zu verstehen war. Er wollte antworten, brachte aber nichts heraus, obgleich er das Gefühl hatte, aufgefordert und gerüttelt zu werden. Aber seine Zunge war wie Blei und seine Wahrnehmung derart getrübt, dass er außer ein paar undeutlichen Umrissen nichts erkannte.

In jedem Fall aber musste er längere Zeit auf dem Fußweg gelegen haben, denn als ihn ein Passant, der mit einem Hündchen unterwegs war, mit dem Fuß in die Seite stieß, wurde es bereits hell und er war ganz durchnässt. Er fror unsäglich und konnte nicht verstehen, warum er hier auf dem Boden lag.

„Ist Ihnen nicht gut? Soll ich einen Krankenwagen rufen?“, fragte der Mann und neigte sich besorgt zu ihm herab.

„Wie? Was?“, stammelte Lucas, der alle Mühe hatte, seine Gedanken zu ordnen. „Nein danke, nicht nötig.“ Er versuchte, sich aufzurichten, rutschte jedoch wieder zusammen.

„Wohl etwas zu viel gebechert, wie?“, mutmaßte der Mann mit einem hässlichen Grinsen.

Ohne zu antworten, stemmte sich Lucas erneut hoch und kam allmählich wieder auf die Beine. Schließlich stand er diesem Mann schwankend gegenüber, der noch immer auf eine Erklärung hoffte. Doch er konnte und wollte ihm keine geben. Wozu auch, das ging ihn nichts an.

„Wie spät ist es?“, fragte Lucas stattdessen und schaute auf die Uhr. „Oh, ich sehe schon, ich muss mich wohl etwas vertan haben“, kam er einer Antwort zuvor und ließ den verdutzten Mann stehen.

Auf dem kürzesten Weg taumelte er nach Hause. Bald musste er zum Dienst und wollte keinesfalls fehlen. Aber auch wenn er sich an einen Niederschlag zu erinnern meinte, ergab eine Nachschau im Spiegel keinerlei Verletzungen, weder Schwellung noch Blessur. Das einzige, was ihm noch schemenhaft vor Augen schwebte, war diese blonde Frau im hellen Mantel. Das war schon sehr merkwürdig.

Wenn es aber so war, was sich ihm jetzt aufdrängte, dann wusste sie Bescheid und die bisherige Taktik würde nicht mehr greifen. Bei diesem Gedanken wurde ihm ganz schlecht. Nicht auszudenken, wenn sie damit an die Öffentlichkeit ging und ihn als krankhaften Stalker oder dümmlichen Spanner anprangerte - und das nur, weil Mako diese Person als ihre Rivalin ausschalten wollte.

Doch im selben Moment lachte er schon wieder, denn selbst wenn, wie wollte sie das beweisen? Sie konnte froh sein, wenn er sie nicht anzeigte, aber vielleicht sollte er das sogar. Immerhin hatte sie ihn hinterrücks niedergeschlagen! Sie hätte ihm den Schädel zertrümmern können! Doch wieder kollabierten seine Überlegungen. Es gab keine Zeugen und Verletzungen waren auch nicht vorhanden. Somit wäre auch das kaum zu beweisen. Das brachte ihn so durcheinander, dass er schlussendlich gar nicht mehr sicher war, ob er nicht nur geträumt hatte. So etwas soll ja vorkommen, wenn man sich zu intensiv in etwas vertieft.



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Liebeswahn

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