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Theoretische Modelle des Zweitspracherwerbs
ОглавлениеNativistische Modelle des Erst- und Zweitspracherwerbs gehen davon aus, dass Menschen über ein genetisch vorgegebenes, angeborenes, universalgrammatisches Wissen über Sprache verfügen. Spracherwerb ist demnach ein Prozess, bei dem Lernende eine eher passive Rolle einnehmen (Leimbrink 2017, 214; für eine Übersicht siehe auch Lightbown/Spada 2010, 104ff.). Innerhalb des nativistischen Ansatzes wird dem sprachlichen Input eine weniger wichtige Rolle für den Spracherwerb zugesprochen als in anderen spracherwerbstheoretischen Ansätzen.
Eine weitaus größere Bedeutung wird sprachlichem Input innerhalb kognitiv-interaktionistischer Ansätze beigemessen, die eine „kognitive Perspektive auf die Interaktion“ (Aguado 2010, 817) einnehmen und (Zweit-)Spracherwerb in erster Linie als mentalen Entwicklungsprozess verstehen (ebd.). Eine Hypothese innerhalb dieses Ansatzes ist die Interaktionshypothese (Long 1996), die als Weiterentwicklung der Inputhypothese (Krashen 1985) verstanden werden kann. Bei beiden Hypothesen wird davon ausgegangen, dass eine Zweitsprache erworben wird, indem Input von Lernenden aufgenommen, verarbeitet und angepasst wird. Liegt der sprachliche Input oberhalb des bereits vorhandenen sprachlichen Niveaus des Lernenden, kommt es zu Verständigungsschwierigkeiten, aber auch zu Lernprozessen, da die Interaktionspartner*innen den sprachlichen Input gemeinsam bearbeiten, ihn verändern und seine Bedeutungen aushandeln können. Nach einem gemeinsamen „negotiation of meaning“ kann die Aufmerksamkeit der Beteiligten auch auf die Formseite der Sprache gelenkt werden (Schoormann/Schlak 2011, 47).
Soziokulturelle Ansätze sprachlichen Lernens gehen auf die so genannte kulturhistorische Schule um Wygotski zurück, in der jede Art von Lernen als sozial gebundener Prozess modelliert wird, der sich in Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft vollzieht. Die eigene sprachliche Tätigkeit ist hierbei zentral (Leont'ev 1984; Lantolf 2008; Ehlers 1995). Als zwei zentrale Motive für sprachliche Tätigkeit gelten Erkenntnisgewinn und Kommunikation. Diese gelten zugleich auch als grundlegende Funktionen von Sprache. Für das Lernen einer zweiten Sprache wird darüber hinaus eine weitere originär sprachliche Tätigkeit angenommen, deren Motiv die Sprache selbst ist und mit deren Hilfe Lernen erfolgt (vgl. auch Peuschel 2012). Soziokulturellen Ansätzen wird vor allem dank der breiten Rezeption des Scaffolding-Ansatzes nach Gibbons (2015) im Diskurs um Sprachförderung und Sprachbildung eine hohe Bedeutung beigemessen. Unter Bezugnahme auf Wygotski schreibt Lengyel (2016):
Sprache ist aus dieser Perspektive also ein kognitives Werkzeug, was sich insbesondere in höheren geistigen Tätigkeiten wie Planung, Evaluation und Reflexion zeigt. Gleichzeitig ist sie ein kulturelles Werkzeug, das dazu dient, Erfahrungen über Generationen hinweg in Wissen und Verstehen zu transformieren. In diesem Sinne ist der Lehr-Lern-Prozess ein Interaktionsprozess, in dem eine Person einer anderen hilft, Wissen und Verstehen zu entwickeln. Lehren und Lernen werden hier als zusammengehörig, als ein gemeinsamer Prozess betrachtet. (Ebd., 510)
Diese knappe Darstellung dreier theoretischer Ansätze verdeutlicht unterschiedliche Perspektiven, mit denen sich der Komplexität des Lernens zweiter und weiterer Sprachen angenähert werden kann. Während manche theoretischen Ansätze stärker auf Input fokussieren, sind Interaktion, Bedeutungsaushandlung und gesellschaftliche Teilhabe in anderen Ansätzen eher im Fokus. Für die Bedarfe eines sprachlich und fachlich bildenden Unterrichts in sprachlich heterogenen Klassen der Sekundarstufen ist von besonderer Relevanz, dass der Erwerb und das Lernen einer Sprache ein langer kognitiver und sozialer Entwicklungsprozess sind, auf den vielfältige Faktoren zu vielfältigen Zeitpunkten einer individuellen Biographie Einfluss nehmen können. Monokausale Erklärungen von Spracherwerb unter Rückgriff auf eine einzige Theorie greifen daher für Langzeitprozesse im Kontext Schule zu kurz.