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Transfer und Interferenz
ОглавлениеDie Strukturen einer ausgebauten L1 können in Bezug auf Phonetik, Wortschatz, Morphosyntax und Sprachhandlungen als individuelles Referenzsystem dienen. Zusätzlich sind spezifische soziokulturelle Dimensionen der Kommunikation angelegt, die sich auch auf den Sprachgebrauch in der L2 übertragen können. Im regelhaften, positiven Fall kommt es beim Erwerb einer L2 zu zahlreichen Transferphänomenen, die sich durch Erkenntnisse aus der Forschung auf der Basis der sog. Kontrastivhypothese sowie des linguistischen Sprachvergleichs vorhersagen lassen. So kann, je nach L1, auf das Konzept von verschiedenen Wortarten (Adjektiv, Verb, Substantiv, Pronomen u.a.) zurückgegriffen werden. Im Bereich des Wortschatzes lassen sich in der Regel Internationalismen und gemeinsame Wortschatzbestände ausmachen, die beim Lernen transferiert werden können. Prinzipiell kann bei einer strukturellen Ähnlichkeit von L1 und L2 davon ausgegangen werden, dass das Verständnis und die Produktion von L2-Äußerungen erleichtert werden, wenn auf die L1 zurückgegriffen werden kann. Der negative Fall tritt ein, wenn aus strukturellen Unterschieden zwischen L1 und L2 Interferenzphänomene in der L2 entstehen. Diese werden häufig allein als Fehler wahrgenommen. Es handelt sich dabei jedoch zunächst um regulär auftretende Phänomene (siehe auch den Abschnitt „Lernersprache, Fehler und Korrektur“ in 2.3 in diesem Studienbuch).
So kann das Fehlen der Differenzierung der Phoneme /r/ und /l/ im Phoneminventar des Chinesischen und anderer asiatischer Sprachen zu Interferenzen im Deutschen, Englischen, Spanischen etc. führen. Wenn aufbauend auf der L1 Türkisch die L2 Deutsch erworben wird, werden die im Deutschen durch Präpositionen ausgedrückten Angaben wie Ort oder Zeit häufig anders realisiert, da das Türkische als agglutinierende Sprache nicht über Präpositionen verfügt. Die Bedeutung der deutschen Präpositionen wird in Suffixen (Kasusendungen) ausgedrückt: eve (nach Hause, Dativ); Berlinde (in Berlin, Lokativ); Berlinden (aus Berlin, Ablativ). Auch L1 wie das Englische, Spanische, Portugiesische, Französische u.a. ermöglichen beim L2-Erwerb des Deutschen Transfer und Interferenz. So ist das Deutsche die einzige der genannten Sprachen, in der alle Substantive durch Großschreibung markiert sind, ein Umstand, der in schriftlichen Produktionen häufige Fehlermarkierungen mit sich bringen kann. Das Russische beispielsweise verfügt, wie auch zahlreiche andere Sprachen, über ein vom Deutschen differierendes Alphabet und Schriftsystem (Kyrillisch), was sich bei in der L1 Russisch alphabetisierten Kindern im deutschen Schulsystem durchaus als problematisch darstellen kann, wenn der Zweitschrifterwerb in der L2 Deutsch nicht parallel zum Erwerb mündlicher Kompetenzen angemessen unterstützt wird (weiterführend hierzu z.B. Krifka et al. 2014).
Die hier gegebenen Beispiele für potentiellen Transfer und potentielle Interferenzen ausgehend von Sprachkompetenzen in einer L1 sollen zweierlei verdeutlichen. Erstens: Der Blick auf Spracherwerbsphänomene in einer mehrsprachigen Konstellation erfordert linguistisches Wissen, damit spezifische Phänomene angemessen und wertfrei beschreibbar sind. Sie verdeutlichen zweitens, dass in jeder Sprachenkonstellation Erwerbsprozesse Entwicklungsprozesse sind, die unterstützt und ausgebaut werden können, insofern bei den unterstützenden Personen – Lehrkräften in unserem Fall – das dafür nötige Wissen vorhanden ist.