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Entwicklung fachlicher und sprachlicher Anforderungen: das Beispiel „politisch mündig handeln lernen“

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Um die Entwicklung der sprachlichen Anforderungen der Fächer über die Jahrgangsstufen hinweg besser zu verstehen, soll anhand eines Beispiels der sprachlich-fachliche Anforderungsweg von der Grundschule in die Oberstufe nachgezeichnet werden:

 vom Sachunterricht der Grundschule (Klasse 1 bis 4)

 in das Fach Gesellschaftswissenschaften (Klasse 5 bis 6)

 zum Fach Politische Bildung (Klasse 7 bis 10)

 bis hin zum Fach Politikwissenschaft (Klassen 11 bis 13).

Im Rahmenlehrplan der Grundschule für das Fach Sachunterricht der Länder Berlin und Brandenburg werden fachliche Kompetenzen formuliert, die prozessorientierte Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen umfassen, „mittels derer sich Schülerinnen und Schüler Phänomenen annähern und sich handelnd mit ihnen auseinandersetzen“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2015a, 4). Diese Kompetenzen werden in die Bereiche Erkennen, Kommunizieren, Urteilen und Handeln gegliedert (ebd.). Jedem der Kompetenzbereiche sind u.a. in Form von Verben eine Vielzahl mehr oder weniger spezifischer Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen zugeordnet, mit Hilfe derer erkennbar ist, wie eng sprachliches und fachliches Lernen verknüpft sind.

 Erkennen: „ausprobieren, […] benennen, beschreiben, […] experimentieren und Versuche durchführen, […] fragen, […] produzieren, recherchieren, […] vergleichen, […] zeichnen“ (ebd.)

 Kommunizieren: „sich austauschen, argumentieren, begründen, beschreiben, diskutieren, […] Rückmeldung geben, sprechen, streiten, um Unterstützung bitten, sich verständigen, sich verständlich mitteilen, vortragen, zuhören, zusammenfassen, […]“ (ebd., 5)

 Urteilen: „abwägen, auswerten, bewerten, differenzieren, einschätzen, entscheiden, gewichten, hinterfragen, korrigieren, nachdenken, schlussfolgern, urteilen, vergleichen, zuhören“ (ebd.)

 Handeln: „beeinflussen, Erkenntnisse umsetzen, Fähigkeiten und Fertigkeiten einsetzen, sich kümmern, nachdenken, optimieren, reflektieren, schützen, […] Verabredungen und Regeln treffen und einhalten, verändern, vermeiden, Ziele verabreden“ (ebd.)

Die Kompetenzen, die im Sachunterricht der Grundschule angebahnt und aufgebaut werden, sind die Grundlagen für das Fach Gesellschaftswissenschaften der Klassenstufe 5/6 (Berlin und Brandenburg), in dem drei fachbezogene Kompetenzen unterschieden und als Standards formuliert werden: Erschließen, Methoden anwenden und Urteilen. Das Erschließen lässt drei fachliche Differenzierungen zu, die die weitere Ausdifferenzierung der Fächer in den nachfolgenden Klassenstufen vorwegnimmt – geographisch, historisch und politisch. Im Bereich Erschließen – politisch wird formuliert:

Die Schülerinnen und Schüler üben sich darin, an anschaulichen Beispielen Problemlagen, Entscheidungen und Kontroversen zu identifizieren und zu analysieren. Dabei setzen sie sich mit den beteiligten Akteuren, Perspektiven, Interessen und Werten auseinander. Durch beispielhafte Untersuchungen verschiedener Perspektiven vollziehen sie politische Positionen anderer nach und gewinnen Einblicke in gesellschaftliche Vielfalt. (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2015b, 5)

Die weitere fachliche und sprachliche Differenzierung im Rahmenlehrplan der Klassenstufen 7 bis 10 der Sekundarstufe I im Fach Politische Bildung (Berlin und Brandenburg) basiert auf vier Kompetenzbereichen: Mündig handeln, Analysieren, Urteilen und Methoden anwenden. Das mündige Handeln wird durch den Erwerb der anderen Kompetenzen entwickelt und in „partizipatives und kommunikatives Handeln“ unterteilt (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie 2015c):

Politisch mündiges Handeln lässt sich in partizipatives und kommunikatives Handeln unterteilen. Reales partizipatives Handeln zeigt sich z.B. am Engagement in Initiativen, Verbänden, Parteien, bei Demonstrationen sowie der Teilnahme an Wahlen oder auch öffentlichen Debatten. […] Durch die Förderung kommunikativen Handelns, wie Interessen artikulieren, Argumente vertreten, Konflikte und Kompromisse verhandeln und Entscheidungen treffen, leistet das Fach einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung politischer Mündigkeit. Politisches Handeln ist insbesondere politische Kommunikation, wie sie z.B. durch Debatten, Entscheidungs-, Rollen-, Planspiele oder Talkshows trainiert werden kann (siehe auch Methoden anwenden). (Ebd., 4)

Erneut wird deutlich, wie fachliche Lernziele und kompetentes sprachliches Handeln im Fach miteinander zusammenhängen, vor allem, weil ein Ziel des Faches die selbstständige politische Partizipation „nach dem Ende der Schulzeit“ (ebd., 3) ist. Zum Abschluss werden nun noch Auszüge aus dem Rahmenlehrplan des Faches Politikwissenschaft der gymnasialen Oberstufe (Klassen 11–13) an Gymnasien, Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe, beruflichen Gymnasien, Kollegs und Abendgymnasien (Berlin und Brandenburg) angeführt (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport 2006). Hier werden Orientierungs-, Analyse-, Beurteilungs- und Handlungskompetenz sowie Methodenkompetenz formuliert, deren Erlangung grundlegend von sprachlichem Handeln abhängt (siehe auch Kapitel 9 in diesem Studienbuch). Deuten, Informationen beschaffen und aufgabengerecht verwenden, politische Probleme erkennen, erklären und beurteilen, Entscheidungen treffen und Stellungnahmen verfassen, begründet beurteilen, Textquellen auswählen, reflektiert analysieren und kriteriengeleitet beurteilen sind Beispiele für die komplexen Handlungsanforderungen an Schüler*innen im Fach Politikwissenschaft auf dem Weg zum Abitur (ebd., 10).

Die Vielzahl der in den Fächern notwendigen sprachlichen Handlungen, seien sie Arbeits-, Denk- und Handlungsweisen genannt oder als kommunikative Kompetenzen ausformuliert, eröffnet eine Fülle an Möglichkeiten der Sprachförderung und Sprachbildung im Unterricht von der Grundschule bis in die Sekundarstufe II. Curriculare Vorgaben für einzelne Fächer können Lehrer*innen dabei als Orientierungshilfe dienen. Sie können Anlässe für die Reflexion der eigenen Unterrichtspraxis liefern und die Erarbeitung sprachförderlicher bzw. sprachlich bildender Aufgaben sowie Unterrichtsabläufe unterstützen.

Zusammenfassung

Zentrales Anliegen des Kapitels war es, Sprachförderung und sprachliche Bildung als grundlegende und durchgängige Aufgaben schulischer Bildung quer zu allen Fächern zu thematisieren. Dabei wurde sprachliche Heterogenität als Normalfall vorgestellt, in einem überwiegend monolingualen Schulsystem sichtbar gemacht und vor dem Hintergrund der schulischen und fächerübergreifenden Anforderungen thematisiert. Die Tatsache, dass schulpflichtige Kinder und Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund in mehrsprachigen Realitäten leben, macht Kenntnisse über Sprachförderung, Sprachbildung sowie die gesellschaftlichen und schulischen Bedingungen zu einer wichtigen Anforderung an Lehrkräfte. Mit den Ausführungen zur Geschichte des akademischen Faches Deutsch als Zweitsprache wurden Einblicke in grundlegende und aktuelle Konzepte des Umgangs mit sprachlicher Heterogenität geliefert. Die Erläuterungen zu ausgewählten Aspekten des Zweitspracherwerbs des Deutschen sowie zu Beschreibungsansätzen für Sprache(n) in der Schule haben diese Hintergrundinformationen ergänzt. Damit wurde insgesamt eine wertschätzende Haltung gegenüber den sprachlichen Ressourcen mehrsprachiger Schüler*innen im DaZ-Erwerb eingenommen.

Das Kapitel bereitet auf die nachfolgenden Ausführungen vor, in denen aus einer integrierten sprach- und fachdidaktischen Perspektive der Aufbau allgemeiner, fachlicher und bildungsrelevanter Sprachkenntnisse des Deutschen thematisiert wird.

Sprachliche Bildung und Deutsch als Zweitsprache

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