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Wie Nina von einem Geist geweckt wird und trotzdem keine Angst hat

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„Geh schlafen! Wir reden morgen“, sagte ihre Mutter. Und Papa hatte sie nur angesehen, ernst und traurig. Schlimmer als jedes Schimpfen war dieser enttäuschte Blick. Und obwohl Nina todmüde war, konnte sie lange nicht einschlafen. Unruhig wälzte sie sich in ihrem Bett hin und her. Als sie schließlich doch weg dämmerte, wurde sie kurz darauf von einem seltsamen Geräusch geweckt.

Ganz deutlich hörte sie, dass sich jemand in ihrem Zimmer bewegte. Vorsichtig öffnete sie die Augen und erkannte im fahlen Licht, das durch die Ritzen der Jalousie drang, ein völlig fremdes Mädchen, das gerade dabei war, eines ihrer Kleider anzuprobieren.

„Was machst du hier?“, flüsterte Nina. Vor Schreck brachte sie nur ein heiseres Krächzen heraus.

Das Mädchen drehte sich zu ihr herum. Auch sie war erschrocken. „Schlaf weiter“, sprach sie sanft. „Ich bin nur ein Traum.“

„Von wegen Traum!“ Nina war inzwischen richtig wach und sprang aus dem Bett. „Was machst du in meinem Zimmer?“

Gerade wollte sie, die Tür öffnen, um ihre Eltern zu rufen, als etwas ganz und gar Ungewöhnliches geschah.

Das Mädchen zog sich Ninas Kleid über den Kopf und schwebte gleich darauf völlig schwerelos an die Decke.

Nina blieb der Mund offen stehen.

„Wie machst du das?“

Das Mädchen winkte ab. „Ganz einfach, ich habe dein wunderschönes Kleid ausgezogen“

„Du kannst es haben“, entgegnete Nina großzügig. „Kleider kann ich sowieso nicht leiden und das hier hat auch noch Blümchen! Furchtbar! Aber ich meine, wie kannst du schweben?“

„Wir können alle schweben“, antwortete das Mädchen, das es sich inzwischen auf dem Schrank in einer Zimmerecke bequem gemacht hatte.

Nina staunte noch immer. „Aber, wer seid ihr, alle?“

„Na, Geister, alle Geister können schweben“, leierte das Mädchen, als ob es die normalste Sache der Welt wäre.

Mit einem Satz sprang Nina ins Bett zurück und zog die Decke bis zum Kinn hinauf.

„Du bist, du bist ein Geist?“, stotterte sie. „ Aber wie kommst du hier her?“

„Du bist selbst daran Schuld“, antwortete das Geistermädchen. „Warum hast du mich auch gestört? Fast am Auge hättest du mich getroffen, mit deinem blöden Mantelgeschwenke. Was sollte das denn werden, mitten in der Nacht?“

„Ich wollte meine Warzen weg zaubern“, gab Nina kleinlaut zu.

Von der Zimmerdecke hallte ein lautes Lachen.

„Was wolltest du? Jedes Baby weiß doch, dass man nicht zaubern kann.“

„Jedes Baby weiß auch, dass es keine Geister gibt“, entgegnete Nina beleidigt. „Also kann vielleicht auch mal was falsch sein, was man weiß.“

Das Geistermädchen schwebte langsam auf Ninas Bett zu und ließ sich nieder.

„Du bist ja richtig klug für einen Menschen. Es kann manchmal wirklich etwas falsch sein, was man weiß. Ich bin übrigens Henriette.“

Das Geistermädchen streckte Nina die Hand entgegen, die jedoch ängstlich ein Stück näher an die Wand rückte. Womöglich würde sie sich auch in einen Geist verwandeln, wenn sie sich von diesem Mädchen anfassen ließ.

„Hab keine Angst, ich tu dir nichts“, lachte Henriette. „Weil du mich nun schon einmal geweckt hattest auf meinem Friedhof, war mir langweilig und ich wollte mal sehen, wie du so lebst.“

Nina schluckte, ihr war gerade etwas eingefallen.

„Wenn du wirklich ein Geist bist, bist du dann, bist du dann etwa schon gestorben?“

„Vermutlich“, nickte Henriette ungerührt.

„Aber wie, warum? Du bist doch noch ein Kind.“

„Ich weiß es nicht“, sagte das Geistermädchen einfach.

Nina wurde es immer unheimlicher. „Du weißt es nicht? Wie kannst du es nicht wissen, wenn dir so etwas Schlimmes passiert ist?“

Henriette dachte kurz nach, dann schüttelte sie den Kopf.

„Es ist eigentlich sonnenklar, dass ich mich nicht erinnere. Du bist doch ein Mensch, oder?“

„Klar, bin ich ein Mensch.“ Nina nickte.

„Dann bist du also geboren?“ Nina nickte wieder.

„Und, kannst du dich daran erinnern?“, fragte Henriette triumphierend. „War es schlimm, geboren zu werden?“

„Ich weiß es nicht“, sagte jetzt Nina. „Tatsächlich, ich bin zweifellos geboren und weiß es nicht.“

„Genauso ist es“, stimmte Henriette zu. „Man weiß es einfach nicht.“

Die beiden Mädchen lächelten sich an. Nina fürchtete sich nicht mehr. Sie streckte dem Geistermädchen die Hand entgegen.

„Ich bin Nina. Schön, dass du mich besuchst.“

Die beiden schüttelten sich die Hände und Nina bemerkte erstaunt, dass sich Henriette fast wie ein Mensch anfühlte, ein bisschen kälter vielleicht.

„Warum kann ich dich anfassen?“, fragte sie neugierig.

„Ich kann bestimmen, wie ich sein will und wo ich sein will“, antwortete Henriette. „Aber jetzt muss ich zurück, die weiße Fee ruft nach mir.“

„Wer ist das denn?“, wollte Nina gerade fragen, da bemerkte sie, dass das Geistermädchen verschwunden war. Nina knipste ihre Lampe an, um genau nachzusehen, aber Henriette hatte sich einfach in Luft aufgelöst.

Nina und das Geisterkind

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