Читать книгу Nina und das Geisterkind - Kristine Truhel - Страница 5

Warum Nina schrecklich weinen muss und Henriette furchtbar traurig ist

Оглавление

Am Montagmorgen kam Nina erst mit dem Klingelzeichen in die Klasse. Atemlos warf sie ihre Tasche unter die Bank und ließ sich auf den Stuhl sinken.

Der Platz neben ihr war leer. Vielleicht hatte Susi in der Nacht auch Besuch vom Geistermädchen gehabt und war nun zu müde, um in die Schule zu kommen.

Aus der hinteren Bankreihe vernahm Nina ein bekanntes Kichern und als sie sich umdrehte, sah sie, dass Susi doch gekommen war. Sie saß aber nicht auf dem Stuhl neben ihr, wo sie hingehörte, sondern in der letzten Reihe neben der eingebildeten Michelle.

Die beiden Mädchen steckten gerade vertraulich die Köpfe zusammen und lachten leise.

Nina gab es einen Stich. Noch ehe sie sich entschlossen hatte mit Susi zu sprechen, öffnete sich die Tür und Frau Reichelt betrat die Klasse. Der Unterricht begann.

Nina hoffte, die Lehrerin würde Susi zurück auf ihren Platz rufen. Wo gab es denn so etwas, dass sich Kinder mitten im Schuljahr einfach umsetzten? Nichts geschah. Die Stunde verging, ohne dass überhaupt jemand zu merken schien, dass Susi plötzlich neben Michelle saß.

Nur Alexander fragte als es zur Pause klingelte: „ Eh, Susi, warum musst du denn hinten sitzen? Habt ihr zu viel gequatscht?“

„Ich muss überhaupt nicht“, sagte Susi und setzte laut und deutlich hinzu, „es gefällt mir hier einfach besser.“

Nina starrte sie entsetzt an. Sie konnte kaum glauben, was sie da eben gehört hatte. Ihre allerallerbeste Freundin seit dem Kindergarten, setzte sich ausgerechnet neben die blöde Michelle, weil es ihr dort besser gefiel!

Langsam schob sie ihren Stuhl zurück und stand auf. Keiner beachtete sie, als sie aus der Klasse ging. Gerade noch rechtzeitig, bevor ihr dicke Tränen übers Gesicht liefen, schloss sie die Tür.

So schnell sie konnte, rannte sie zur Mädchentoilette, vergrub ihren Kopf in den Armen und weinte.

Es war einfach alles zu viel für sie: die Angst in der Nacht, die Enttäuschung der Eltern, der Geist und jetzt auch noch Susi. Laut schluchzend ließ sie sich auf die Toilette sinken.

„Warum weinst du denn so?“, hörte sie eine Stimme hinter der Tür, die ihr irgendwie bekannt vorkam. Ein weißer Nebel quoll langsam durch den schmalen Spalt zwischen Wand und Decke, um gleich darauf die Gestalt des Geistermädchens anzunehmen. Mitfühlend beugte sie sich über Nina und strich ihr übers Haar.

„Musst du auch von zu Hause weg?“, fragte sie besorgt.

Nina wischte ihre Tränen ab.

„Wieso von zu Hause weg? Wie kommst du denn auf so etwas?“

„Und warum heulst du dann?“, fragte das Geistermädchen und schwebte langsam zu Boden. „Ich müsste heulen!“

Nina stand auf.

„Wieso das denn? Sind deine Freunde auch so gemein zu dir?“

„Freunde“, Henriette dehnte das Wort ungewöhnlich lang. „Wenn’s nur das wäre. Ich habe bald überhaupt nichts mehr: keine Freunde, kein Zuhause und was das Allerschlimmste ist“, jetzt fing auch das Geistermädchen an zu schluchzen, „keine, keine weiße Fee.“

Nina hob die Hand, um Henriette tröstend in den Arm zu nehmen. Aber diesmal fasste sie durch sie hindurch.

„Aber warum? Was ist denn passiert?“, fragte sie ratlos.

„Na ja, ich bin gewissermaßen“, druckste das Geistermädchen herum, „durch eine Prüfung gefallen. Verstehst du, ich muss das ganze Schuljahr wiederholen.“

„Und deshalb schickt dich deine weiße Fee einfach weg?“, fragte Nina fassungslos. Soweit sie verstanden hatte, war die weiße Fee so etwas wie die Mutter des Geistermädchens. Konnte sie wirklich so herzlos sein und ihr Kind weggeben, nur weil es sitzen geblieben war?

„Sie schickt mich doch nicht freiwillig weg“, entgegnete Henriette ungeduldig.

„Es gibt Gesetze, verstehst du? Alle Schüler, die das Klassenziel nicht erreichen, schickt der Große Rat für ein Jahr in ein Internat. Wenn sie es dann geschafft haben, dürfen sie wieder zurück zu ihren Familien. Sag bloß, so etwas gibt es bei euch nicht. Was passiert mit euch, wenn ihr die Prüfungen nicht schafft?“

„Man muss die Klasse wiederholen und fertig. Das wäre ja noch schöner, wenn man auch noch von zu Hause weg müsste. Das würden unsere Eltern niemals zulassen! Kann sich deine weiße Fee nicht beschweren?“

Obwohl Henriette so traurig war, musste sie fast schon wieder lachen, so absurd erschien ihr die Idee, sich beim Rat der Geister zu beschweren.

„Unsinn“, sagte sie. „Keine weiße Fee würde sich jemals über irgendetwas beschweren.“

„Dann müssen wir das eben machen“, entgegnete Nina energisch.

„Es ist einfach unmenschlich, oder sagt man bei euch ungeistlich, den Eltern ihre Kinder wegzunehmen. Die Fee ist doch deine Mutter, oder?“

„Nach Menschenmaßstäben würde ich sagen, ja“, nickte Henriette.

"Na also, wo müssen wir hin? Wo sitzt euer Geisterrat?“

Darüber, dass Nina dem Geistermädchen helfen wollte, hatte sie ganz ihren eigenen Kummer vergessen.

„Musst du nicht zurück in deine Klasse?“, bremste sie Henriette.

Erschrocken sah Nina auf die Uhr. Die große Pause war längst zu Ende. Außerdem hatte sie heute Morgen ihren Eltern fest versprochen, dass sie es immer erst mit ihnen besprach, bevor sie irgendwelche Unternehmungen startete.

„Können wir uns bei mir zu Hause treffen, heute um Zwei?“, fragte sie deshalb. „Oder ist es dann schon zu spät?“

„Ich muss übermorgen punkt 12 Uhr im Internat sein. Bis dahin darf ich mich noch aufhalten, wo ich will. Meine weiße Fee weiß sowieso immer, wo ich bin.“

Nina fragte nicht mehr, woher sie das wusste. So war es eben bei den Geistern.

Mit einem „Bis nachher!“, öffnete sie die Tür und verschwand eilig in ihrer Klasse.

Nina und das Geisterkind

Подняться наверх