Читать книгу Keine Panik, liebe Angst - Käthe Lachmann - Страница 5
THERAPIEN, THERAPEUTEN, THEOLOGEN
ОглавлениеDass ich irgendwann mal in einer Psychoklinik landen würde, hätte ich, ehrlich gesagt, nie gedacht. Eigentlich wollte ich das mit meiner Angst doch immer anders hinbekommen.
Einiges habe ich ja schon ausprobiert. An Therapien. An Maßnahmen, um mit meinen überbordenden Ängsten klarzukommen. Mit meinen Panikattacken, das heißt, mit der plötzlichen Todesangst, die scheinbar aus dem Nichts auftaucht, die mich lähmt, mir die Luft raubt, mich schwindlig sein lässt und in mir das Gefühl auslöst, jeden Moment zu sterben oder verrückt zu werden. Eine Panikattacke macht, dass meine Hände kribbeln, ich alles um mich herum nur noch durch einen dichten Nebel wahrnehme, mein Herz rast und ich nur noch aus dem Gefühl Angst zu bestehen scheine.
… sagt mal, kann ich dieses »ich« nicht mal ersetzen? Durch jemand anderen, Fremden? Das hätte was Tröstliches, Distanziertes. Wenn ich über mich wie jemand anderen schreiben würde, dann würde ich auch mal Kategorien wie »die Mittvierzigerin«, die »Komikerin« oder die »Angstgeplagte« verwenden. Viel besser als dieses berührbare »ichichich«. Aber es heißt, wenn man von sich selbst in der dritten Person spricht (oder auch schreibt, fürchte ich), sei das ein Zeichen für geistige Versehrtheit. Also für eine psychische Störung. Und davon kann bei mir ja nun keine Rede sein, Zwinker-Smiley. Also (seufz): Zurück zu den angstvertreibenden Maßnahmen. Als da wären: Massage, Akupunktur, »Heiler«, Verhaltenstherapie, Psychoanalyse, Qigong, Tiefenpsychologische Gesprächstherapie, Meditation, Tabletten, Autogenes Training, Homöopathie – das sind die Therapien und Entspannungsübungen, die ich im Laufe meines Lebens ausprobiert habe. Und natürlich Schokolade.
Als ich mit zwölf, dreizehn Jahren das erste Mal Panikattacken habe, schiebt man das auf die Hormone. Wir sind im Familienurlaub im idyllischen Südtirol, und plötzlich habe ich Angst. Angst vor den Bergen, Angst, wenn wir uns von unserer Pension entfernen, Angst vor ziemlich allem.
Als wir wieder zu Hause sind, nehmen die Ängste zwar ab, tauchen aber immer wieder auf. Der Kinderarzt konstatiert achselzuckend die beginnende Pubertät. Verquere Synapsen im Oberstübchen aufgrund von Frauwerdungssäften. Und eine Bekannte meiner überaus besorgten Mutter – ihres Zeichens Masseurin (medizinische, versteht sich, für alles andere bin ich noch zu jung) – setzt viel Zuversicht in manuelle Therapie, um meine verirrten Körpersäfte wieder in geregelte Bahnen zu lenken und so der Angst Einhalt zu gebieten. Dass es nicht die allerbeste Idee ist, ein pubertierendes Mädchen, das ja überhaupt nicht versteht, was da körperlich gerade mit ihm passiert und sich für ihre Wölbungen am Oberkörper und jedes einzelne Schamhaar schämt, am Unterleib zu massieren, findet damals anscheinend niemand.
Da ich aber auch nicht unsittlich berührt werde, habe ich bis heute keine wirklich unangenehmen Erinnerungen an diese Therapiemaßnahme. Im Gegenteil, in meinem Alter freue ich mich, dass ich mich überhaupt an etwas erinnere. Und dennoch würde diese Art der Ängstebehandlung wohl nicht ganz oben auf dem Therapieplan eines einigermaßen geistig gesunden Diplompsychologen stehen. Dass sie mir dennoch zuteilwird, lässt sich nur mit der Ratlosigkeit meiner Eltern erklären.
Genauso wie das Verschreiben von Beruhigungsmitteln im zarten Kindesalter, weil ich nervös zwinkere. Wohlgemerkt hat das meine Mutter festgestellt, nicht der attraktive Nachbarsjunge. Mich selbst stört es nicht, andere dafür umso mehr, und so gibt’s pflanzliche Tropfen vom Kinderarzt. Und auch hier frage ich mich – zu Recht, wie ich meine –, ob man das heute auch noch so machen würde. Ist es vermessen, da mal nach der Einschätzung einer Kinderpsychologin zu fragen? Die dann eventuell gleich mit Ritalin beigeht? Nervosität könnte ja eventuell auch etwas mit Konflikten oder Veränderung in Familie oder Schule zu tun haben, aber an solche Gründe denkt in den 1980er-Jahren niemand. Zu viel Haarspray.
Heute denke ich, dass der damalige Herzinfarkt meines Vaters (ich sehe ihn jetzt noch manchmal vor meinem geistigen Auge auf der Intensivstation liegen, überall Kabel und Schläuche) mich sehr getroffen hat. Es sollten in den nächsten zehn Jahren noch zwei Infarkte folgen. Und dass meine Mutter sich daraufhin als Grafikerin selbstständig gemacht hat und nicht mehr jeden Nachmittag, wenn ich aus der Schule kam, zu Hause war, war auch eine große Umstellung für mich.
Gut – ich werde also gegen die Panik massiert und kriege Tropfen gegen meinen nervösen Tick. Und vielleicht geht Es (Stephen King) davon tatsächlich wieder weg. Vielleicht aber auch nicht. Hauptsache, mir geht’s wieder gut.
Das ist meine erste Begegnung mit der Angst, sie hält zum Glück nicht sehr lange an, zeigt sich während dieser Wochen und Monate auch nur ab und zu und verschwindet dann erst einmal ziemlich vollständig.
Um dann, mit siebzehn, mit aller Wucht wiederzukommen.
»Sorry Leute, ich hatte ein paar Jahre was anderes zu erledigen, aber – hey, da bin ich wieder! Bock auf ’ne Runde Panik? – Nee? Ist mir scheißegal!« Es ist November, und ich bin außer mir vor Angst. Es gibt keinen erkennbaren Grund dafür, kein Monster unter dem Bett, keine tagelange absolute Sonnenfinsternis, keine Geissens vor der Tür – Angst ohne offensichtlichen Grund, herrlich!
Ich drehe derart am Rad, dass ich mich nicht einmal mehr traue, den Müll rauszubringen; schon allein die Angst vor neuen Panikattacken stresst mich so sehr, dass ich am liebsten nur noch zu Hause sitze, wo ich mich sicher fühle. My home is my castle, sozusagen, aber schon über den Burggraben komme ich nur mit Müh und Not und nur in Begleitung. Aber andererseits – wer geht schon gern aus dem Haus im November, Dezember?
An einen Schulbesuch ist in dieser Zeit überhaupt nicht zu denken, und nachdem meine Eltern mit meinem Rektor gesprochen haben, bin ich bis auf Weiteres vom Unterricht beurlaubt. Die zwölfte Klasse wiederholen … Was denken meine Schulfreunde, was denken die Lehrer? Das ist mir alles herzlich egal, bin ich doch so sehr in meinen Ängsten gefangen und mit dem täglichen Überleben beschäftigt.
In diese Zeit der Unsicherheit und puren Angst platzt ein Anruf meines Französischlehrers, der mich dringend ersucht, doch wieder in die Schule zu kommen. Ich weiß nicht, was er sich denkt. Dass ich mir einen faulen Lenz mache? Dass ich einen Gallier mittleren Alters kennengelernt habe, mit dem ich um die Welt segeln will? Oder dass ich, aktuell koksend und kiffend, beschlossen habe, jetzt auch Heroin auszuprobieren und mit einer Death-Metal-Band durch die Lande zu ziehen? Oder dass ich ein Leben mit wechselnden Männerbekanntschaften, Geschlechtskrankheiten und Hurra-hurra-die-Schule-brennt-T-Shirts einem soliden Schulabschluss nebst Studium vorziehe? Keine Ahnung.
Jedenfalls will jenes hohlstimmige Asterix-Double mich also an einem sonnigen Montagvormittag am Telefon sprechen, und ich führe, mit Panik nicht nur im Blick, sondern im ganzen Körper, weil mir grundsätzlich alles Angst macht, den Hörer ans Ohr (Junge Leserinnen, googelt mal bitte Telefone der 1980er-Jahre, heul!). Ich vernehme also die Stimme meines Französischlehrers: »Kommen Sie doch wieder an die Schule! Das ist doch Ihr Weg!«
Ich will ihm entgegnen: »Das würde ich doch gerne! Ich habe mir das doch nicht ausgesucht!«, und komme mir wie eine Frau ohne Beine vor, die man dringend ersucht, doch endlich mal wieder joggen zu gehen.
Was erlaubt der sich? Hat keine Ahnung, aber rät mir, die Schule nicht zu schmeißen, was ich ja überhaupt nicht vorhatte!
Und doch kann ich in dem Moment nicht wütend werden. Auch wenn es meiner Seele gewiss gutgetan hätte, wenn ich meinen Lehrer angeschrien und dann den Hörer aufgeknallt hätte (Ja, das konnte man damals noch! Das vermisse ich!).
Nein, dieser Anruf macht mir, man ahnt es schon, nur noch mehr Angst, so wie fast alles in dieser Zeit.
Meine Mutter weiß sich schließlich nicht anders zu helfen, als die Gelben Seiten des Telefonbuchs nach Psychologen zu durchforsten und diese wahllos anzurufen. Sie schaut also unter »P« wie Panikdoktor und erreicht kurz vor dem Christfest einen, und der erweist sich als Glücksgriff. Er will mich weder massieren, noch schwört er auf Tropfen. Nein, Herr Brunner ist Diplompsychologe, und meine Mutter fährt einmal die Woche mit mir zu ihm nach Sondelfingen, obschon in meinem schwäbischen Heimatort Eningen die Redewendung kursiert: »Lieber gar koin Fenger wia an Sondelfenger« (e = i, wie = als, oi = ei).
Herr Brunner versucht am Anfang der Therapiestunde, mich mit einer Art Autogenem Training, also einer Entspannungsübung, zu beruhigen. Während er also in mein Gesicht mit den panisch aufgerissenen Augen spricht: »Sie sind ganz ruhig und ganz entspannt … «, sitze ich in dem Patientensessel wie auf einem Rodeostier und denke: »Ruhig und entspannt – Flötepiepen! Ich flippe gleich aus, wenn ich nicht vorher schon explodiere in einem menschlichen Urknall.«
Fortsetzung folgt.
Meine Psychobeschwerden haben sich in der Familie herumgesprochen, und mein Onkel aus Aachen ruft an und rät meiner ziemlich ratlosen Mutter in schönstem Öcher Platt: »Die Heide (Anm. d. Autorin: seine Frau), die war mit ihrer Migräne bei so ’nem Wahnsinnstypen in Holland. Der ist Heiler. Mit dem muss eure Kleine nur einmal reden, dann geht’s der wieder spitze. Fahrt da mal mit der hin.«
Mhm. Zu einem Heiler. Spitzenidee! Zum Glück ist zu der Zeit Teufelsaustreibung schon nicht mehr so en vogue. Wer weiß, ob meine Mutter sonst nicht vielleicht in den Gelben Seiten unter »E« wie »Exorzist« geguckt hätte.
Der Verzweiflung nahe, karren mich meine Eltern also nach Holland. Ausgerechnet meine sehr katholische Mutter und mein äußerst rationaler Vater, seines Zeichens Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik.
Beim Hoffnungsträger herrscht ein ziemliches Durcheinander, bestehend aus unter anderem reichlich Plastikperlenvorhängen und Marienbildern. Insgesamt macht die Wohnung, in der er seine Patienten(?), Klienten (?), Hilfesuchenden (?) empfängt, einen sehr bunten Eindruck. Meine Eltern sollen in einem zum Wartezimmer umgebauten Flur bleiben, während ich mich klopfenden Herzens mit dem eigentlich ganz normal wirkenden Mann in Jeans und kariertem Hemd ins Arbeits- beziehungsweise Behandlungszimmer begebe. Er erscheint mir zu diesem Zeitpunkt mittelalt – wobei ich fast jeden, außer Menschen in meinem Alter, für mittelalt halte – und weder un- noch überaus sympathisch.
Ich erzähle ihm von meiner Macke. Er sieht mich lächelnd an und fragt freundlich, in bestem Rudi-Carrell-Ton, ob ich mich auf seine Anweisung hin ausziehen würde. Bidde? Damit habe ich nicht gerechnet. Eher damit, dass er mit irgendetwas wedelt, schamanische Gesänge anstimmt oder mir Steine auflegt – oder alles gleichzeitig. Aber das? Was soll das?
Ich schaue mich nach Fluchtwegen um und bin sehr froh, dass meine Eltern nebenan sitzen. Zu einem Triebtäter haben sie mich also gebracht. Na, wunderbar. Als wäre ich nicht schon verstört genug! Ich gucke den komischen Typen an und fühle mich über die Maßen unwohl.
»Na, würdest du?«, hakt er in bestem holländischen Showmoderatoren-Deutsch noch mal nach.
»Nein«, sage ich – immerhin. Schließlich habe ich »nur« Angst und keinen Gehirnschwund.
Als Antwort strahlt er mich an: »Siehst du. Das ist toll! Der liebe Gott würde das nämlich auch nicht wollen. Er hat dir dein Leben geschenkt, damit du gut mit dir umgehst. Du achtest auf dich, du bist wertvoll, und du passt auf dich auf. Das ist toll, super! Du musst immer nur daran denken, was DU willst, und nicht, was irgendjemand anders will.«
Und das war’s dann auch für Rudi. Der Nächste, bitte!
Da hat sich doch der Weg gelohnt! Ob meine Eltern ihm noch einen weiteren Perlenvorhang finanziert haben als Gegenleistung für diesen wirklich hilfreichen Rat, weiß ich nicht. Zwar ist die Message nicht neu und auch nicht die schlechteste, nämlich auf meine eigenen Bedürfnisse zu hören, nicht ausschließlich an andere zu denken, sondern zu versuchen, es zunächst einmal mir recht zu machen und niemandem sonst. Aber die Herleitung dafür war doch ziemlich daneben!
Vielleicht konnte Rudi die Migräne meiner Tante, einer fröhlichen rheinländischen Kneipenwirtin, wegmachen, aber ein zartbesaitetes, katholisch-schwäbisches Teenagermädchen hätte er mit einem Maschinengewehr im Anschlag nicht mehr erschrecken können. Geholfen hat er jedenfalls niemandem, und ich hatte leider damals auch nicht die Eier, ihn dafür ordentlich auf den Pott zu setzen.
Verdattert fahren wir alle wieder nach Hause, und ich sehne mich nach dem Sondelfinger Dipl.-Psych. M. Brunner. Der spricht wenigstens kein Holldeutsch und kann mir – wie ich mit der Zeit feststelle – wirklich helfen. Mit jeder Stunde Autogenem Training wird mein innerer Stier ruhiger, und wir spielen in sensu, also in der Vorstellung, die Situationen nach, in denen ich Panikattacken erleide. Etwa im Bus von Eningen nach Reutlingen. Und – nein – schuld an meiner Panik ist nicht der Dialekt meiner Mitreisenden.
Mit den Therapiestunden beginnen meine Ängste abzuklingen, sodass ich anfangen kann, in vivo, also in der Wirklichkeit, zu üben. Und zwar mit kleinsten Schritten: Irgendwann kann ich alleine vor die Tür gehen und nach der Post sehen. Den Müll wegbringen geht manchmal besser, manchmal schlechter, je nachdem, was ich sonst noch so zu tun habe. Dann vergrößere ich mithilfe meiner Mutter meinen Radius immer mehr und traue mich immer weiter weg von zu Hause.
Sie fährt mich auf den Schulparkplatz, und ich gucke, wie’s mir dabei geht. Auch hier gehen wir mit Minischritten vor: Erst bleibe ich im Auto sitzen, am nächsten Tag gehe ich mit ihr zusammen ins Schulgebäude.
Als ich das alles gut geschafft habe, begrüße ich sogar einmal einen Lehrer, und nach einigem Üben setze ich mich für so lange, wie ich es aushalte, in den Unterricht. Natürlich sitzt meine Mutter vorerst mit hinten drin, wie eine Referendarin – meine Lehrer und Mitschüler wissen Bescheid –, und die Sicherheit, sie in der Nähe zu wissen, überwiegt die Scham, das nötig zu haben. Und weil wir jeden Tag so miteinander üben, finde ich die Vorstellung, wieder wie meine Freunde in die Schule zu gehen und auch mein Abi zu machen, irgendwann gar nicht mehr so unheimlich.
Dank Sondelfinger Therapie und der tatkräftigen Hilfe meiner Mutter bin ich irgendwann wieder schulfähig. Allerdings habe ich das übliche Maß an Fehlstunden überschritten und muss die zwölfte Klasse wiederholen – was sich aber als Bereicherung herausstellt, denn die Leute, die ich kennenlerne, sind gut gelaunt und feierfreudig und ich feiere mit.
Schließlich bin ich wieder ein paar Jahre verschont von krankhaften Ängsten. Und ich komme mir wieder vollkommen normal vor und frage mich, was ich denn bitte eigentlich die ganze Zeit hatte?
So mache ich also fröhlich mein Abitur und bereite mich auf die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule vor. In Bochum und in Hamburg spreche ich vor. Während man mir im Ruhrgebiet eine Schreinerlehre nahelegt, weil ich überallhin außer auf die Bühne gehöre, ermuntert man mich an der Elbe, es auf jeden Fall weiter zu probieren, vielleicht klappt es ja im nächsten Jahr.
Ich verliebe mich bei der Gelegenheit in Hamburg. Das ist meine Stadt. Der Glücksgnubbel im Bauch kann nicht lügen. Ich muss hierher. Nicht, weil ich unbedingt von zu Hause wegwill, diese wunderbare Stadt hat sich mich ausgesucht, ich muss einfach hier leben. Und studiere erst mal Philosophie. Punkt.
Und hier, im wunderschönen Hamburg, wo sie echt so gar nix zu suchen haben, suchen mich »meine« Ängste massiv heim. Und das, obschon ich mit meiner Schulfreundin Kim hierhergekommen bin, wir zusammenwohnen, mittlerweile einen großen Freundeskreis haben und viel feiern.
Die Seminare und Vorlesungen im Philosophischen Seminar sind überfüllt. Meist sind die Türen weit geöffnet, und auf dem Flur drängen sich Studenten – schlechte Voraussetzungen für ein entspanntes Studium. Wieso wollen denn so viele Philosophie studieren? Was macht man denn damit beruflich? Ich habe keine Ahnung, nur großes Interesse. Wunderbar finde ich an dem Fach, dass man sich Gedanken über Dinge machen kann, über die man sonst im Leben nicht nachdenken würde. Man ändert den Blickwinkel, das gefällt mir.
Ich verstehe nicht, warum ich wieder vermehrt Panikattacken bekomme. Vielleicht weil ich weit weg bin von meinem Elternhaus, zum ersten Mal richtig lang alleine in der Fremde? Ich habe Heimweh, fühle mich verlassen. Aber ich wollte doch nach Hamburg, knapp 800 Kilometer von meinem Heimatort im tiefen Süden entfernt!
Die »Angst vor der Angst«, die Furcht, wieder eine Panikattacke zu bekommen, schränkt mich immer mehr ein. Kim ist für mich da, sie begleitet mich, wenn ich mich nicht traue, alleine U-Bahn oder Bus zu fahren, und trifft sich mit ihrem Freund häufiger bei uns als bei ihm, um mich nicht alleine zu lassen. Sie unterstützt mich ganz selbstverständlich, das ist wunderbar.
Andere Freundinnen sind weniger verständnisvoll: Eines Abends radele ich mit einigen von ihnen zu einem Theaterstück auf Kampnagel. Leider bekomme ich dort eine heftige Panikattacke und will nach Hause, in Sicherheit. Ich verlasse die Vorstellung, lasse mein Rad stehen und nehme ein Taxi. Als ich meine Freundin Felicitas am nächsten Tag bitte, mit mir gemeinsam mein Rad abzuholen, macht sie sich über mich lustig, weil ich weder alleine mit der Bahn zu Kampnagel noch alleine mit dem Rad nach Hause fahren möchte. Ich bin traurig und schäme mich. Und ich verstehe sie auch ein bisschen, schließlich ist für Außenstehende schwer nachzuvollziehen, wie es mir geht. Schließlich begleitet mich Kim.
Jetzt will ich endlich den Ursachen für meine Angst an den Kragen. Irgendwoher muss dieser Mist ja kommen, und irgendwie muss ich ihn auch wieder wegkriegen. Für immer.
Ich weiß, dass es nicht unbedingt um das völlige Wiederwegkriegen geht, sondern vielmehr um das Mit-den-Ängsten-umgehen-Können. Dennoch denke ich nach wie vor, dass es gut ist, die Ursachen zu ermitteln. Bestimmt hängt meine Angst mit Stress zusammen. In Hamburg ist alles neu, ich komme vom Dorf, das hier ist eine Millionenstadt, an der Uni ist alles überfüllt, klar kann einem das zu viel sein. Und dann gab es in der Vergangenheit auch die eine oder andere Schockepisode, die mich in Angst und Schrecken versetzt hat. Und dieser Schreck sitzt mir anscheinend irgendwie immer noch in den Gliedern.
Denn warum bekomme ich bei Stress kein schönes Magengeschwür, eine amtliche Migräne oder wenigstens Haarausfall? Warum bekomme ich Angst und Panikattacken? Nun möchte man eigentlich auch keine Magenprobleme oder extreme Kopfschmerzen haben, klar, aber man kann ja vielleicht auch mal früh genug merken, wenn einem etwas zu viel wird. Und warum ist mir so schnell etwas zu viel? Oder, anders gefragt, warum ist meine Stressschwelle so niedrig wie das Niveau bei Frauentausch? Und warum merke ich nicht, wenn etwas verkehrt läuft, und halte ein? Warum brauche ich diese furchtbar zehrenden Panikattacken und Ängste, bevor ich irgendetwas an meinem Leben ändere?
Das also frage ich mich, und weil ich alleine nicht weiterkomme, mache ich mich auf die Suche nach einem Seelendetektiv. Heute in der Nachschau bin ich mir immer noch unsicher, ob das tatsächlich eine richtige Psychoanalyse war, die ich bei jenem Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie gemacht habe.
Das Setting ist klassisch: Ich liege, er sitzt an meinem Kopfende und ich kann ihn nicht sehen. Angenehm ist was anderes. Weiß ich denn, ob mein neuer Therapeut nicht Basic-Instict-gleich hinter mir schon seine Machete wetzt?
Trotzdem beginne ich in dieser Therapie, mich mehr mit meiner Angststörung auseinanderzusetzen. Herr Schrader-Wegeleit wird allerdings etwas ärgerlich, als ich beginne, Freud & Co. zu lesen, um mehr über meine Krankheit zu erfahren. Er erklärt mir, dass es der Therapie abträglich sei, wenn ich mich aus anderen Quellen informieren würde. Dabei tut mir das so gut! Zu lesen, dass meine Angst eine Krankheit ist, die andere auch haben! Ich bin damit nicht alleine, und nein, ich bin vor allem nicht vollkommen durchgeknallt.
Allerdings lese ich auch, dass das denkbar schlechteste Setting bei akuten Angststörungen die Patient-liegt-auf-der-Couch-und-dahinter-sitzt-der-Therapeut-Situation ist.
Im Lauf meiner Recherchen (ohne Internet! Ja, liebe Kinder, es hat auch eine Zeit ohne Internet gegeben! Und: ohne Handymobilfunktelefonapparate!) entdecke ich den »Angst-Papst« Jürgen Margraf und erfahre das erste Mal so richtig von einer oft angewandten Methode in der Verhaltenstherapie, nämlich der Konfrontationstherapie. Inhalt derselben ist, ähnlich wie ich das mit meiner Mutter und der Schule gemacht habe, mit dem Therapeuten in die angstbesetzte Situation zu gehen und sie auch mit großen Ängsten oder gar Panik auszuhalten und nicht zu flüchten. Hört sich erst einmal super an. Fallschirmsprung in einen Schlangenkrater, wer möchte das nicht? Dabei soll man merken, dass man eine Panikattacke (irgendwie) überlebt, dass sie von alleine vorbeigeht. Diese Erfahrung soll einen derart stärken, dass man die Ängste mehr und mehr verliert. Natürlich muss man dazu stetig üben. Schlussendlich kann man dann aber wieder alles alleine. Das kostet bestimmt jede Menge Überwindung, erscheint mir aber durchaus plausibel. Wenn ich mich von der Angst nicht mehr ins Bockshorn jagen lasse, hat sie wahrscheinlich irgendwann selbst keine Lust mehr und verzieht sich schmollend. So lautet zumindest der tröstliche Grundgedanke.
Obschon die Vorstellung von einer solchen Therapie ähnlich attraktiv erscheint wie ein FKK-Urlaub mit ihm, teile ich Herrn Schrader-Wegeleit meine Erkenntnisse mit und frage ihn, ob es überhaupt sinnvoll sei, bei meinen starken Ängsten eine Analyse zu machen: Wir wühlen in der Vergangenheit, und ich komme währenddessen im Alltag nicht zurecht. Meine panische Angst vor weiteren Attacken grenzt meinen Bewegungsradius immer mehr ein. Es kann ja sein, dass in meiner Kindheit einiges schiefgelaufen ist, aber ich kann nicht mal mehr in den Supermarkt, um Nudeln und Tomatensoße zu kaufen! Das ist doch existenziell! Manchmal schaffe ich es fast nicht zur Therapiesitzung vor lauter Angst, die Wohnung zu verlassen. An die Uni kann ich schon lange nicht mehr, und Kim hinterlässt mir immer ihre Telefonnummern, wenn sie außer Haus geht, damit ich mich sicherer fühle (Wir erinnern uns: Keine Handymobilfunktelefonapparate! Steinzeit! Manchmal schickt sie mir auch berittene Boten, wenn es später wird. Echt jetzt.). Und ich bin keine vier Jahre alt, sondern Anfang zwanzig!
Gut aufgehoben fühle ich mich obendrein nicht bei meinem Therapeuten. Ich weiß heute gar nicht mehr, warum ich mir ihn damals eigentlich ausgesucht habe. Vielleicht wollte ich ihm nicht wehtun, indem ich mich gleich wieder verabschiede. Trotzdem finde ich ihn irgendwie schmierig und habe bei unseren Sitzungen ständig das Gefühl, er drängt mich in eine Richtung, mit der ich gar nichts anfangen kann.
Als eines Tages mein Fahrrad morgens platt ist wie ein Pfannkuchen und kein anderes zur Verfügung steht, bin ich rad- und ratlos. Schließlich bestelle ich mir ein Taxi und komme zu spät zu meiner Sitzung. Herr Schrader-Wegeleit deutet mein Zuspätkommen milde lächelnd als Aversion gegen die Analyse, und ich kann ihn nicht von den wahren Ursachen überzeugen. Er ist sich sicher, dass ich ihm etwas verschweige und deshalb die Therapie boykottiere. Vielleicht hat mich mein Unterbewusstsein in eine Scherbe fahren lassen, damit ich nicht erzählen muss, dass ich damals nackt dieses Knäckebrot mit Dieter Bohlen … – lassen wir das.
Ich bin sauer. Ich habe Angst, verdammt noch mal! Und ich brauche Hilfe! Ich kann wirklich nicht von jedem immer Verständnis erwarten, aber mein Therapeut sollte doch in der Lage sein, mir nach einem Jahr wenigstens einen Lösungsweg aufzuzeigen, aus welcher Richtung Linderung meiner Beschwerden kommen kann. Er sollte mir helfen können, unbeschadet von A nach B zu kommen. Und bei B auch gerne zu sein.
Inzwischen habe ich durch meine Lektüre gelernt, dass bei Ängsten durch Verhaltenstherapie sehr schnell sehr große Erfolge erzielt werden können. Sie ist das Mittel der Wahl, wenn man hin und wieder Spaghetti mit Tomatensoße essen und studieren möchte. Bei der Verhaltenstherapie geht es nicht um die Kindheit, sondern hauptsächlich um das Erlernen bestimmter Techniken (außer totstellen), mit denen man besser mit einer Panikattacke umgehen kann: Man durchlebt sie, um dann festzustellen, dass keine Lebensgefahr besteht, was ihr im Laufe der Zeit die Bedrohlichkeit nimmt. So wie man manche Hits nach dem dreißigsten Mal Hören gar nicht mehr so schlimm findet.
Ich erkläre also Herrn Schrader-Wegeleit, dass ich als Hobbypsychologin eine Verhaltenstherapie, kurz VT, für besser geeignet halte, und frage ihn, ob er das genauso sieht. Schließlich hat sich mein Bewegungsradius in den Monaten der Analyse bei ihm nicht erweitert, sondern noch weiter eingeschränkt. Er geht nicht darauf ein – aber ein HSV-Fan würde ja auch nicht plötzlich die St.-Pauli-Fahne schwenken, nur weil ich ihm gesagt habe, dass ich die Kiezkicker besser finde.
Mein Tiefenpsychologe lächelt gnädig und erklärt mir, dass man das Übel ja an der Wurzel packen müsste, und übrigens hätte ich »Wurzel« gesagt, und wessen »Wurzel« ich denn damit meine. Ich kann ihm beim besten Willen nichts Wurzeliges erzählen, seit Wochen und Monaten kommt da nichts ans Tageslicht. Und meine Angst bleibt nicht nur, sie wird sogar schlimmer. Ich gehe praktisch nicht mehr aus dem Haus, unbegleitet schon gar nicht (es soll ja auch jemand meine Probleme mitkriegen, ist ja sonst langweilig), und Fortbewegung funktioniert nur mit dem Fahrrad und selbst damit nicht immer. U-Bahn und Bus sind des Teufels, nur erfunden, um mich umzubringen, Seminare und Vorlesungen an der Uni sind lebensgefährlich. Auch wenn es bedeutet, dass ich für den Moment ohne Therapeuten dastehe, storniere ich bei meinem jetzigen.
»Herr Schrader-Wegeleit, ich breche hiermit die Therapie mit Ihnen ab. Ich suche mir einen Verhaltenstherapeuten.«
Wissendes Lächeln beim Gegenüber: »Jaja. Das ist jetzt die Trotzphase. Wie aus dem Lehrbuch. Da muss jeder Patient durch. Und jeder Therapeut! Dann bis nächste Woche.«
»Nein, ich komme nicht wieder.«
»Mhm. Nächste Woche dann um vier, wie vereinbart.«
»Nein. Ich breche hiermit die Therapie ab.«
»Okay. Bis dann!« Er lächelt immer noch nachsichtig. Und macht mich wütend und bekräftigt meine Entscheidung. Was denkt der eigentlich? Dass ich keine eigene Meinung mehr habe? Oder ist diese Provokation auch gewollt? Vielleicht ist dieser Weg auch einfach der erste Schritt zu meiner Genesung.
Zum Glück finde ich schnell einen Therapeuten, der Verhaltenstherapie und Gesprächstherapie anbietet. Schluss mit der Wurzelsuche, ich versuche jetzt meine Symptome in den Griff zu kriegen. Schließlich möchte ich ja wieder zu einem vollwertigen Mitglied der Gesellschaft werden. Das klingt gut, finde ich. Mit Herrn Wiersch lerne ich wieder, U-Bahn zu fahren. Den eigentlichen Vorgang beherrsche ich ja theoretisch; vom Fahrkartenkauf über das Einsteigen bis hin zum Am-Ziel-wieder-Aussteigen, nur hatte ich inzwischen zu große Angst davor, dies auch in die Praxis umzusetzen. Nun ist es wie beim Fahrradfahren: Erst mit Stützrädern – zusammen in einem Waggon, dann er in einem, ich im anderen –, dann ganz ohne Hilfe: Ich fahre alleine. Es geht erstaunlich gut.
Dann kommt Fähre fahren dran. Diese ist in meinem Denken »schlimmer« als U-Bahn, weil man in Letzterer ja immerhin festen Boden unter sich hat und weiß, dass man in der allergrößten Not auch die Notbremse ziehen kann. Das kann ich auf dem Wasser nicht. Soll ich also immer ein Rettungsboot mit auf die Fähre nehmen? Oder ein Stand-up-Paddle-Teil? Wie sieht denn das aus?
Natürlich muss man nicht Fähre fahren können, aber einerseits ist es herrlich, wenn es einem keine Probleme bereitet, andererseits ist es wichtig, große Ängsten zu überwinden, denn dann sind kleinere nicht mehr ganz so schlimm. Und Fähre zu fahren, macht mir große Angst. Während der Fahrt fragt mich Herr Wiersch immer wieder, wie stark meine Angst ist auf einer Skala zwischen eins und zehn, während wir zwischen Landungsbrücken und Finkenwerder hin- und herfahren. Bald fahre ich alleine mit einer eins und winke ihm, während er am Steg auf mich wartet.
Nach ein paar Monaten bin ich komplett angstfrei. Ich mache sogar ein Flugangstseminar bei der Lufthansa, obwohl ich bis dato noch nie geflogen bin. Auch wegen der Angst, nicht jederzeit aussteigen zu können. Schließlich ist das in der Luft noch, wie soll ich sagen, schwieriger.
Als wir abheben, bin ich airborn und ausgelassen und fröhlich wie ein Flugsaurier. Ich kann fliegen! Überhaupt kann ich ALLES! Sogar glatte Wände hochgehen, einarmigen Handstand und Hemden bügeln.
Wieder erwarten mich »angstfreie« Jahre.
Die nutze ich, um mein Philosophiestudium an den Nagel zu hängen und Kabarett zu machen. Seit meiner Kindheit bin ich Otto-Fan, bewundere seine Fähigkeit, alleine ein riesiges Publikum zu unterhalten. Bald steht für mich fest: Ich möchte auch Komikerin werden! Ich schreibe also ein Kabarett-Comedyprogramm und finde einen Pianisten, der mich begleitet. Wir planen unsere Uraufführung in einer Kneipe in Hamburg Eppendorf, wo man uns sogar Plakate druckt, die wir zusammen mit Freunden wild in der Stadt aufhängen. Ja, mein Comedy-Debüt besteht gleich aus einem Zwei-Stunden Programm – damals war das noch nicht so, dass man erst einmal mit nur fünfzehn Minuten Programm durch die Mixed-Shows tingelte, es gab so was nämlich noch kaum. Die Premiere ist rappelvoll, es entstehen daraus weitere Auftritte, die wiederum weitere Möglichkeiten nach sich ziehen, eine Comedy-Agentur nimmt mich unter Vertrag, und so toure ich mit viel Vergnügen zehn Jahre lang durch Deutschland.
Ich habe Erfolg. Mit einigen Fernsehauftritten werden auch meine Bühnenshows immer zahlreicher, bis ich schließlich um die zwanzig Auftritte im Monat habe und kaum mehr zu Hause bin. Ich genieße es, immer neue, interessante Spielstätten kennenzulernen, freue mich auf bekannte Häuser und merke in dem ganzen Trubel gar nicht, dass das alles ein bisschen viel geworden ist. Vor allem, als die Trennung von meinem langjährigen Freund dazukommt, stecke ich mitten in der Krise.
Als ich eines Tages nach einem Auftritt im Zug nach Hause sitze, erwischt mich eine Panikattacke eiskalt. Ich bin völlig außer mir und spreche in meiner Not ein älteres Ehepaar, das mir gegenübersitzt, an: »Entschuldigung, ich habe Angst. Kann ich mich mit Ihnen ein bisschen unterhalten?« Die beiden sind sehr freundlich, und während ich ihnen von meinen Problemen erzähle, die ihnen vollkommen fremd sind, kann ich mich wieder beruhigen. (Später einmal werde ich einer Frau, die mich im Zug anspricht, auf ähnliche Weise helfen können. Sie fragt mich, ob ich ihr mein Handy leihe, weil sie ihren Mann bitten möchte, dass er sie an der nächsten Station abholt. Ich erkenne in ihr eine Angstpatientin, wir reden lange, und schließlich ruft sie ihren Mann nicht an und fährt alleine an ihr Ziel. Das freut mich sehr!)
Leider häufen sich die Panikattacken wieder, andere Ängste und depressive Gefühle übermannen mich, ich kann nicht mehr auftreten und mache, auch auf Anraten von Herrn Wiersch, den ich in dieser Zeit wieder aufsuche, eine Bühnenpause.
Damit aber niemand denkt, ich hätte sie nicht mehr alle, beschließen meine Agentin und ich, die Pause einen Burn-out zu nennen. Alle sind damit zufrieden und denken: »Ach, die Arme, jetzt mal ein paar Wochen unters Sauerstoffzelt, dann geht’s weiter.« Damals wäre es mir noch viel zu unangenehm gewesen, mit meinen Ängsten an die Öffentlichkeit zu gehen. Meine Agentin und ich haben große Sorge, dass mich in Zukunft kein Veranstalter mehr bucht, wenn er hört, dass ich einen an der Marmel habe / nicht ganz dicht bin / einen Dachschaden habe / nicht mehr richtig ticke. Und auch sie kann mit der Zeit nicht mehr zu mir stehen und trennt sich von mir in einer Phase, in der es mir richtig schlecht geht und ich vor einem einzigen riesigen Scherbenhaufen stehe.
Ohne nun zu jammervoll klingen zu wollen: Der Abschied eines Agenten von seinem Künstler kommt einer Freigabe zur Adoption gleich – eine jahrelange, vertrauensvolle Zusammenarbeit geht nur, wenn man sich auch mag, und der Bruch dieser Geschäftsverbindung bedeutet für mich auch den Verlust einer vertrauten Person. Beziehung vorbei, Job weg, Agentin weg – schlimmer kann es wohl kaum kommen.
Ich kann nicht mehr schlafen, kann nicht alleine sein, habe nur noch Angst und keinen Appetit mehr, und Herr Wiersch empfiehlt mir einen Psychiater, der mir Tabletten verschreiben soll. Ich nehme Beruhigungstabletten für tagsüber, Schlaftabletten für nachts und ein angstlösendes Antidepressivum, dass ich mich nur zu nehmen traue, weil ich gleichzeitig die Beruhigungstabletten einnehme. Weil sie mich nicht alleine lassen wollen, ist erst meine Mutter vier Wochen bei mir, danach löst sie mein Vater für weitere sechs Wochen ab. Nachdem ich meine Angst vor ihnen überwunden habe, freue ich mich jeden Abend auf meine Schlaftabletten, weil sie mich ausknocken und ich nichts mehr mitbekomme.
Die Ruhe, die Gesprächstherapie bei Herrn Wiersch und auch die Tabletten sorgen dafür, dass ich nach ein paar Monaten wiederhergestellt bin.
Meine Ex-Agentin hat noch ein Weihnachtsgeschenk für mich: eine neue, richtig tolle Agentin! Die Übergabe verläuft freundschaftlich problemlos, und ich komme mit meinem Best-of-Programm Ten Years Laughter zurück auf die Bühne, in dem ich meine Lieblingsnummern der vergangenen Dekade präsentiere.
Die nächsten Jahre bin ich wieder – weitestgehend angstfrei und vergnügt – auf deutschen Bühnen unterwegs.