Читать книгу Nur dämlich, lustlos und extrem? - Kurt Möller - Страница 46
ОглавлениеGibt es die Frage »Was ist eigentlich Deutschland?« auch in deinem Alltag? Meinst du, andere Jugendliche stellen sich diese Frage, was Deutschland für sie ist?
Darüber habe ich tatsächlich vor dem Theaterstück noch gar nicht nachgedacht. Für mich war das was Normales, deutsch zu sein. Wenn ich in Frankreich war, haben die Franzosen immer gesagt, sie sind Franzosen, und haben dabei gelächelt über das ganze Gesicht. Ich habe gesagt, ich bin Deutsche, und das war dann halt so, aber ich habe nicht über das gesamte Gesicht gelächelt. Ich war nicht besonders stolz drauf. Aber ich habe jetzt für mich gefunden, dass man trotzdem stolz drauf sein kann, weil Deutschland ein tolles Land ist, abgesehen von der Geschichte, die andere Länder in gewisser Weise ja auch haben, auf die eben nur der Fokus nicht so groß gerichtet ist. Ich glaube, ehrlich gesagt, dass sich meine Freunde oder die Menschen in meinem Umfeld das gar nicht so oft fragen.
Konntet ihr eure Ideen in das Theaterstück miteinbringen?
Ja, total. Das Thema wurde zwar von den Leitern vorgegeben, aber wir haben auch eigene Texte geschrieben und danach über das diskutiert, was wir produziert bzw. kreiert haben.
Das Theaterstück spielt ihr ja mit anderen Spielclubs zusammen, unter anderem dem Club Kultür mit Spieler*innen türkischer Herkunft. Wie findest du die Zusammenarbeit?
Superspannend, denn sie leben ja auch in Deutschland, haben aber eine andere Kultur dahinter. Ich finde das auch total spannend, wie sie mit der Sprache jongliert haben. Weil sie manche Szenen auf Deutsch–Türkisch spielen, also beide Sprachen benutzen, man aber nicht das Gefühl hat, dass man die Szene nicht versteht, weil sie gerade Türkisch sprechen und ich kein Türkisch kann. Sie haben so jongliert, dass man sie auf beiden Sprachen verstehen kann, auch wenn man nur eine Sprache davon spricht. Auch ihre Sichtweise war was Neues, Interessantes.
»Was bedeutet es eigentlich, deutsch zu sein? Wie lebt man das aus? Und ist das überhaupt was Großes?«
Wenn du mal über euer Thema nachdenkst, gibt es da was, das du als was Politisches bezeichnen würdest?
Ich glaube schon, dass Theater politisch ist, aber es kommt natürlich drauf an, was für Theater gespielt wird. Es gibt ja auch unterhaltsames Theater, das eher nicht so politisch ist. Aber das klassische, konventionelle Theater ist ganz oft dafür da, Denkstöße an die Zuschauer zu liefern, die man davor vielleicht nicht hatte, weil man ja mit Theater die Sachen ganz anders darstellen kann. Da legt man mal Gefühle offen, was man im Alltag vielleicht nicht so machen würde, weil man Angst hat, verletzt zu werden, wenn man sich so verletzlich zeigt. Im Theater kann man sich hinter der Rolle verstecken oder auch ganz andere Sichtweisen darstellen. Z. B. war ich in einem Theaterstück, da wurde Faust gespielt. Da gibt es ja die Szene, wo Mephisto und Faust den Vertrag machen. Da haben sie auf Putin angespielt, das fand ich ganz spannend. Es hat mich dazu angeregt, ein bisschen mehr darüber zu recherchieren und mich in der Sache schlau zu machen. Das hat ja dann auch wieder politische Auswirkungen.
Aber das klassische, konventionelle Theater ist ganz oft dafür da, Denkstöße an die Zuschauer zu liefern, die man davor vielleicht nicht hatte.
Würdest du anderen Jugendlichen empfehlen, Theater zu spielen, vielleicht auch, um sich so mit Politischem auseinanderzusetzen?
Ich würde jedem Menschen empfehlen, Theater zu spielen. Das ist einfach eine Chance, sich selbst besser kennenzulernen und sich klar zu werden, was man eigentlich denkt. Ich glaube, dass es ganz viel mit der Persönlichkeit macht, wenn man Theater spielt, und dass es bestimmt auch politisch hilfreich ist. Ich hätte mich nie gefragt, wie es denn ist, Deutsche zu sein, oder was Deutschland für mich ist, wenn ich nicht bei diesem Theaterstück mitgespielt hätte.
Ich glaube, dass es ganz viel mit der Persönlichkeit macht, wenn man Theater spielt, und dass es bestimmt auch politisch hilfreich ist.
Schreibst du auch selbst Texte für das Theater?
Ja. In den Texten geht es um Dinge, die mir auffallen. Ich habe manchmal einfach das Gefühl, dass man sein Glück davon abhängig macht, ob man ein teures Haus, ein teures Auto zu Hause hat. Ich möchte das eigentlich überhaupt nicht. Man kann glücklich sein, ohne solche Gegenstände zu haben. Das fängt bei einem selbst an. Ich fand das schon sehr deutsch, schnelle Autos zu haben und sich dann irgendwie toll zu fühlen. Darum geht es in dem Text, den ich für das Theaterstück Deutschland, meine Hood geschrieben habe.
Eine Kritik daran, dass man nur durch materielle Dinge glücklich sein kann?
Ja, so einen Status damit aufbaut. Ich glaube, ich war mit meinem Text ein wenig provokativ. Das war mir nicht klar. Als wir über den Text gesprochen haben, den ich geschrieben habe, war da eine Mitspielerin, die das anders gesehen hat. Bei ihr hat das auch richtig was ausgelöst, mit dem ich gar nicht gerechnet habe. Das macht es ja so spannend, wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Weil wenn man immer gleicher Meinung ist, ist das zwar schön, aber man lernt halt nicht viel. Beim Diskutieren bekommt man einen Einblick in andere Meinungen.
Dann mal weg vom Theater. Du hast mir vorab schon geschrieben, dass du dich nicht unbedingt als politisch aktiv betiteln würdest. Woran machst du das fest?
Ich habe eine Klassenkameradin in meinem Kurs, die ich als politisch aktiv betiteln würde, weil sie sich in einer Partei engagiert und auch den Durchblick hat, wie das deutsche System und das EU-System funktionieren, wann die nächsten Wahlen sind und wie die Minister alle heißen. Ich weiß natürlich auch, wie die Bundeskanzlerin heißt, aber ich bin nicht so breit aufgestellt, dass ich weiß, wie das alles miteinander verknüpft ist. Deswegen hätte ich mich nicht als politisch betitelt. Aber andererseits: Theater ist schon auch etwas sehr Politisches.
Du hast mir auch geschrieben, dass du Vegetarierin bist. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?
Ich mache das eher aus umwelttechnischen Gründen. Ich kann auch anfangen, kurz zu duschen, aber man kann viel mehr Wasser sparen, wenn man kein Fleisch isst. Das ist der effektivste Weg, etwas zu ändern. Also klar, vegan ist noch effektiver, aber auch schwieriger zu Hause umzusetzen.
Auch wegen Tierwohl und Massentierhaltung?
Ja, obwohl ich auch gelernt habe, nur sehr vorsichtig mit meinen Argumenten um mich zu werfen. Mein Onkel ist Metzger. Am Anfang war es sehr komisch, in meiner Familie vegetarisch zu sein, weil man da ein bisschen der Außenseiter ist. Obwohl sie Rücksicht auf mich nehmen. Und anfangs hatte ich noch keine überzeugenden Argumente und konnte deshalb leicht widerlegt werden. Was ich auch sehr interessant finde: In meinem Kurs sind drei oder vier, die normal essen, der Rest isst vegetarisch. Das sind zwei Drittel meines Kurses. Das kenne ich sonst nicht so, sonst ist es ja eigentlich andersrum. Manchmal habe ich das Gefühl, es wird ein bisschen persönlich, wenn man erzählt, dass man Vegetarier ist. Weil man ja den Lebensstil von anderen angreift, wenn man sagt, ich mach das nicht so wie du, weil ich das nicht für gut empfinde. Wenn wir in unserem Kurs darüber diskutieren, dann ist es genau andersrum, weil wir ja so viele Vegetarier sind. Man probiert trotzdem, dass das nicht so hochkommt und so verletzlich wird, weil man das ja selbst von den Diskussionen kennt und weiß, wie blöd das sein kann, wenn man nur auf die Minderheit eingeht. Schlussendlich muss jeder das tun, was er für richtig und gut hält.
Die Fridays-for-Future-Demos sind auch immer wieder Thema, gerade unter Jüngeren. Was hältst du davon?
Zwei Freundinnen von mir in Schwäbisch Hall organisieren das dort. Das finde ich wirklich mutig. Bei der ersten Demo waren sie sehr unsicher, weil sie dachten, dass sie zu zehnt am Rathaus stehen und demonstrieren würden. Dann kamen aber 300 Leute. Da waren alle total beeindruckt, und dann ist es immer größer geworden. Ich finde es gut, dass es Fridays for Future gibt, weil es nicht so was Parteiisches ist, wo man sagt, dahinter steckt die und die Partei, obwohl es natürlich auch Parteien gibt, die das eher unterstützen als andere. Fridays for Future ist für mich ein Rahmen, der ein bestimmtes Thema für wichtig erklärt, aber dabei frei ist und sich nicht einer Partei zuordnet.
Ich kann auch anfangen, kurz zu duschen, aber man kann viel mehr Wasser sparen, wenn man kein Fleisch isst.
Bei der ersten Demo waren sie sehr unsicher, weil sie dachten, dass sie zu zehnt am Rathaus stehen würden. Dann kamen aber 300 Leute.
Wenn jeder denken würde, wenn ich was mache, dann bringt das was, dann würde die Welt ganz anders aussehen.
Könntest du dir denn für die Zukunft vorstellen, in eine Partei einzutreten?
Ich habe mir schon mal die Grüne Jugend angeschaut, und ich finde, dass die am ehesten meinen Wertvorstellungen entsprechen. Ich fands auch ganz schön, da mit anderen Jugendlichen zu sein, aber dann müsste ich ja bei den Grünen Mitglied sein, und was heißt das denn, wenn ich da Mitglied bin? Heißt das dann, dass ich immer die Grünen wählen soll? Die Grüne Jugend unterscheidet sich ja auch von den Grünen, also den Abgeordneten, und ist ja ziemlich frei. Aber für mich persönlich ist es trotzdem so: Dann gehöre ich zu einer Partei, und das will ich in meinem Alter noch nicht. Meine Meinungen ändern sich einfach noch zu oft. Es gibt Dinge, die sind ganz tief verankert, wie die vegetarische Ernährung. Aber bei manchen Dingen ist meine Meinung noch nicht fest. Ich wollte mir da selbst nicht die Freiheit nehmen.
Gibt es Gegenwind von deinen Freund*innen oder finden die gut, was du machst?
Ich glaube, da ich Theater spiele, habe ich sehr offene Freunde, die einfach auch Mitgefühl haben. Das ist jetzt auch wieder provokativ, weil die anderen Menschen das natürlich auch haben, aber meine Freunde haben Mitgefühl, sie sehen was und sie handeln. Und nicht: Ich sehe es, finde, dass es blöd ist, glaube aber, wenn ich allein was mache, dann bringt das nichts. Obwohl es ja genau da anfängt. Wenn jeder denken würde, wenn ich was mache, dann bringt das was, dann würde die Welt ganz anders aussehen.
Du hast vorhin angedeutet, das Theaterspielen macht auch was mit deiner Persönlichkeit …
Ja, ich habe vor fünf oder sechs Jahren angefangen, Theater zu spielen. Davor war ich eher introvertiert und schüchtern. Wenn jemand was gesagt hat, dann habe ich das halt gemacht, habe alles geglaubt. Durch das Theater bin ich viel offener geworden, und ich habe meinen Körper besser kennengelernt und bin da auch noch dabei. Auch durch die ganzen Wörter, die man im Theater benutzt. Wörter zu finden, die meine Wünsche beschreiben oder wie ich mich fühle zu manchen Themen, und diese Wörter dann wieder zu benutzen. Wie ich mit Mitmenschen umgehe oder einfach im Miteinander mit Menschen helfend umzugehen. Obwohl ich es noch nie aus der Perspektive gesehen habe, kann mir das Theaterspielen sicher auch helfen, mir politisch ein Wort zu schaffen. Ich glaube, dass es den Menschen einfach guttut, mehr über sich kennenzulernen. Ich habe auch das Gefühl, dass ich, obwohl ich auch sehr stur sein kann, durch das Theaterspielen viel kritikfähiger geworden bin. Obwohl ich noch viel Raum nach oben habe, glaube ich, dass ich vor dem Theaterspielen nicht so selbstkritisch war und manches eher persönlich genommen habe.
Du hast auch politisches Interesse entwickelt durch das Theaterspielen?
Ja. Ich glaube, Interesse entwickeln an Politischem muss klein anfangen: bei jedem einzelnen Menschen. Bei sich, dass man merkt, dass man als Mensch was verändern kann. Weil, wenn ich das Gefühl habe, ich kann sowieso nichts verändern, dann ist es ganz egal, ob es einen Jugendrat gibt oder dass man wählen kann. Man muss einfach die Jugend dazu ermutigen, dass sie etwas verändern kann und dass ihre Ideen gehört werden. Manchmal habe ich das Gefühl, die Ideen der Jugend werden als naiv abgestempelt oder: »Der hat noch nicht den Breitblick dafür« oder: »Weil ich so viel mehr Lebenserfahrung habe, weiß ich das besser«. Ich glaube, man sollte das Gegenteil machen und nicht sagen: »Jetzt werde erst mal älter und weiser, dann kannst du auch mal mitreden, dann nehmen wir deine Vorschläge ernst.«
Sich klarmachen, dass man was verändern kann, sagst du …
Ja. Ich glaube, dass Veränderung nicht schadet. Was ich schön fände, ist, wenn man bewusster mit seinen Mitmenschen umgeht und auch an seine Mitmenschen denkt. Dass man an andere denkt, bewusster mit allem umgeht und dass man zuhört, sich gegenseitig wahrnimmt und wertschätzt. Auch genau mit den Unterschieden, die wir alle haben. Das sagt auch Augusto Boal, dass die Dialoge, von denen man denkt, es wären Dialoge, eigentlich nur zwei parallellaufende Monologe sind, weil man sich gegenseitig nicht genug wertschätzt und sich nicht zuhört. Das habe ich ihm nicht geglaubt, als ich das gelesen habe, aber in meinem Alltag habe ich dann doch festgestellt, wie oft eigentlich Monologe stattfinden und keine Dialoge. Wir betiteln es als Dialog, obwohl das nicht richtig ist. Alles in allem: Es ist wichtig, dass man sich für sich und seine Weltvorstellung einsetzt, obwohl es vielleicht gegen den Strich von anderen läuft.
Interesse entwickeln an Politischem muss klein anfangen: bei jedem einzelnen Menschen.