Читать книгу Schattenspringer auf Kreuzfahrt - Kurt Rose - Страница 6
ОглавлениеSchatten und Licht an Land und auf See
Nach mehr als zwanzig Kreuzfahrten auf Expeditions- und Kreuzfahrtschiffen unterschiedlichster Kategorien sowie ausreichend Zeit und Muße zum Erinnern ermutigte mich die Empfehlung, über meine Erlebnisse, Beobachtungen und Gedanken auf Kreuzfahrten mit nunmehr gewissem Abstand noch einmal nachzudenken.
Gern gelesene Kreuzfahrterlebnisse bekannter Autoren und deren Erzählweise animierten mich dazu, aus meinen anfangs stichpunktartigen Notizen kleine Geschichten zu formulieren.
Bedenkenlos konnte ich mich dabei der Erkenntnis Wladimir Kaminers anschließen: „Auf einer Kreuzfahrt sammelt man in zwei Wochen so viele Geschichten wie auf dem Festland in Monaten nicht.“
Als bekannter Satiriker betrachtet Kaminer in seinem Buch „Die Kreuzfahrer“ ein Kreuzfahrtschiff als „schwimmende Oase des Glücks mit Bar, Tanzabenden und dem reibungslosen Übergang von einer Mahlzeit in die nächste“ mit verständlichem Augenzwinkern. Neben den gefälligen Glücksoasen habe ich auch manch andere Seite der Kreuzfahrt kennengelernt.
Die Schauspielerin Heidi Keller, bekannt als langjährige Chefhostess Beatrice in den Traumschiff-Filmen, wirft in ihren Erinnerungen „Traumzeit und andere Tage“ warmherzig, humorvoll und mit ein wenig Selbstironie einen Blick hinter die Kulissen der „Dreharbeiten an Bord und an den schönsten Orten der Welt“. Mehrmals konnte ich Heide Keller persönlich bei den einprägsamen Dreharbeiten zum „Traumschiff“ aus unmittelbarer Nähe beobachten und viele ihrer Eindrücke nachempfinden.
Christoph M. Herbst präsentiert uns in „Ein Traum von einem Schiff“, in seiner unverwechselbaren Art zu schreiben, Schiffsaufzeichnungen von drei Wochen Dreharbeiten auf dem Traumschiff. Für mich lässt er jedoch offen, ob die Zeit an Bord für ihn mehr Traum oder Alptraum war. Ich hätte es gern genauer gewusst. Denn bekanntlich gibt es ja überall Schatten und Licht. Natürlich auch auf Kreuzfahrten. Vieles liegt wie so oft im Auge des Betrachters.
Die erwähnten Geschichten von Kaminer, Keller oder Herbst entstanden im Wesentlichen im Zusammenhang mit beruflichen Tätigkeiten der Autoren und den entsprechenden Interessen.
Ich betrachte meine Kreuzfahrterlebnisse aus einer völlig anderen Sicht. Aus der Sicht eines in gewisser Weise außergewöhnlichen Touristen. Eines Kreuzfahrers, der das Sonnenlicht scheut und den Schatten bevorzugt. Der gern mal von der sonnigen in die entgegengesetzte Seite springt und dabei sowohl heitere als auch bedenkliche Dinge ganz privat und individuell erlebt und reflektiert. Ein Schattenspringer von Natur aus, ohne kommerzielle Interessen.
Warum Schattenspringer?
Wer ist denn ein Schattenspringer?
Worin unterscheidet sich ein Schattenspringer von einem der üblichen Kreuzfahrer?
Wie erlebt und reflektiert ein Schattenspringer Kreuzfahrten?
Diese oder ähnliche Fragen haben Sie sich vielleicht schon beim Lesen des Titels dieses Buches gestellt.
„Schattenspringer auf Kreuzfahrt“ – da hat der eine oder andere Leser unter Umständen an das eher bekannte Wort Schattenkinder gedacht. So wurden und werden oftmals Kinder bezeichnet, die aus unterschiedlichen Gründen weniger Aufmerksamkeit bekommen, als ihnen üblicherweise zuteilwerden sollte oder müsste. Dazu zählt man ebenso bemitleidenswerte, vernachlässigte und/oder notleidende Kinder in Kriegs- und Krisengebieten, die auf der Schattenseite unserer Gesellschaft leben. Aber auch Kinder mit einer außergewöhnlich blassen Gesichts- und Hautfarbe, die zumeist auf eine genetische Ursache zurückzuführen sind, werden den Schattenkindern häufig zugeordnet.
Nein, zu all diesen Personen gehört der von mir titulierte Schattenspringer im Allgemeinen nicht. Allein die blasse Hautfarbe trifft oftmals auf ihn zu. Für Schattenspringer, die ich meine, sind zumeist andere Eigenheiten, Verhaltensweisen und Ursachen kennzeichnend und typisch.
Vielleicht hat der eine oder andere von Ihnen schon mal eine Person beobachtet, belächelt oder gar gehänselt, die bei herrlichem Sonnenschein immer auf die Schattenseite der Straße flüchtet, die in Bus und Bahn vehement nach einem Platz Ausschau hält, auf den möglichst kein einziger Sonnenstrahl fällt. Es sind Frauen, Männer und Kinder, die immer – auch bei größter Hitze und selbst am Strand – den ganzen Körper bedeckende Kleidung tragen, mitunter sogar Handschuhe und Kopfbedeckung mit Nackenschutz. Wenn Ihnen Personen mit diesen Verhaltensweisen aufgefallen sind, dann könnten Sie eventuell so einem von mir gemeinten Schattenspringer begegnet sein.
Schattenspringer ist eine inoffizielle Bezeichnung für eine Person mit einer äußerst seltenen Erkrankung, die sich unter anderem in dem beschriebenen typischen Verhalten äußert: In einem auf den Beobachter manchmal fast panisch wirkenden Rennen von einem Schattenfleck zum nächsten, damit die Haut so wenig Sonne und Licht wie möglich abbekommt. Denn jeder Sonnenstrahl fühlt sich für diese Personen wie eine brennende Nadel an, die tief in die Haut eindringt, dort noch lange Schmerzen verursacht und die Haut verunstalten kann.
Derartige Schattenspringer sind Personen, die deshalb eine extreme Scheu vor Sonnenlicht entwickeln, sodass sie auf viele Aktivitäten im Freien verzichten müssen. Sonnige Strandaufenthalte am Tag sind fast undenkbar. Ebenso wie Schwimmen oder Ballspiele im Freien. Diese Personen leiden an einer äußerst seltenen Krankheit – an der Erythropoetischen Protoporphyrie, kurz EPP genannt.
Zu diesen seltenen krankhaften Schattenspringern mit den auffallenden Verhaltensweisen gehöre ich seit meiner Kindheit. Und bis heute fühle ich mich auch ein bisschen wie so ein erwähntes Schattenkind, obwohl inzwischen schon im fortgeschrittenen Alter. Eine Bleichnase mit markanten Spuren sowohl auf Nase und Haut als auch auf der Seele.
Wenn man wie ich mit diesem krankhaften Drang nach Schattensuche aufgewachsen ist und lange Zeit damit verbracht hat, ständig in die Dunkelheit zu fliehen, ist man eines Tages die Dunkelheit leid. Man sehnt sich insgeheim umso mehr hinaus in den Sonnenschein und in ein fröhliches Strandgetümmel. Man träumt von unbeschwerten Aufenthalten an exotischen Stränden in tropischen Gefilden. So geht es jedenfalls mir.
Eventuell führte gerade die jahrelange Lichtabstinenz in meiner Kinder- und Jugendzeit zu meiner ungebändigten Sehnsucht, Licht- und Schattenseiten fremder Länder und Menschen persönlich kennenzulernen.
Frei nach dem Rat des Dalai Lamas muss ich, seit die Reisemöglichkeiten es mir erlauben, einmal im Jahr ein Land besuchen, in dem ich noch nie war. Inzwischen sind es mehr als hundert Staaten und alle Erdteile.
Anfangs führten mich Rundreisen mit Bus, Bahn oder Flugzeug durch die DDR und in die Nachbarländer, später durch viele Länder der Welt.
Nach erlebnisreichen sonnigen Tagen und vielen darauf folgenden Nächten mit Schmerzen auf der Haut und der Seele, aber dennoch immer mit dem Gefühl, dem Licht und der Sonne getrotzt zu haben, entdeckte ich nach den ersten Reisen mit einem Schiff zunehmend die Vorzüge von Kreuzfahrten für mich.
Auf einem Schiff gibt es selbst am Pool fast immer Plätze auf einer Schattenseite. Allerdings manchmal schwer umkämpft, wie noch zu lesen sein wird.
Und wenn sich Lichtempfindlichkeiten auf der Haut andeuten, kann man sich auf einem Schiff unverzüglich und problemlos in die Kabine oder einen der Aufenthaltsräume mit Panoramablick auf das Meer oder den Hafen zurückziehen. Trotzdem ist man in unmittelbarer Nähe der Familie, der Freunde oder Reisebekanntschaften.
Da kann für Schattenspringer selbst eine dunkle klimatisierte Innenkabine im Bedarfsfall ein äußerst angenehmer und vorteilhafter Rückzugsort sein.
Außerdem kann auf einer Kreuzfahrt, wenn man seine lichtempfindlichen Einschränkungen wieder einmal vergessen oder überschätzt hat, bei gesundheitlichen Problemen der Schiffsarzt jederzeit konsultiert werden.
Nicht zu vergessen sind an Bord ebenso die Cafés oder Bars mit Panoramablick, in denen man das Meer und die Landschaft, vor intensiver Sonnenstrahlung geschützt, an sich vorbeiziehen lassen kann.
Abends haben es mir persönlich die teilweise überdachten Bars am Heck des Schiffes mit dem romantischen Blick aufs Meer und den nächtlichen Sternenhimmel sehr angetan, weil dort meist ein leichter Fahrtwind weht, der die manchmal arg strapazierte Haut angenehm kühlt.
Vielleicht können meine Erfahrungen auch andere Schattenspringer anregen, sich – soweit es natürlich ihre finanziellen Möglichkeiten erlauben – einmal auf Kreuzfahrt zu begeben und die erwähnten Vorzüge zu testen.
Als Kreuzfahrer aus dem Osten habe ich in der Wendezeit und leider noch Jahre später aber auch so manch andere unerwartete Schattenseite mit Schmerzen nicht auf der Haut, dafür auf der strapazierten Seele erlebt. In diesem Fall bin ich lange Zeit unter einem ganz anderen Blickwinkel als Schattenspringer gereist.
Für einige langjährige Kreuzfahrer aus den alten Bundesländern lebte ich viele Jahre im Schatten ihrer Welt. In einer fernöstlichen Provinz der DDR. Das wurde mir nicht nur einmal unmissverständlich zu verstehen gegeben. Daher konnte, durfte oder musste ich nach ihrem Verständnis erst nach der Wende aus dem Schattendasein des Ostens ins Sonnenlicht des Westens springen und konnte, durfte oder sollte mich ergeben und dankbar zu ihnen in den sonnigen Westen gesellen. Anfangs war ich diesem Sprung in eine Gesellschaft mit nicht wenigen sich besser dünkenden Bewohnern gar nicht gewachsen.
Wollte ich diesen gepriesenen sonnigen Westen eigentlich ganz so vorbehaltlos?
Zweifel für meine Bedenken und mein daraus resultierendes zurückhaltendes Auftreten ergaben sich zum Teil aus einer gewissen Schüchternheit meinerseits, meiner Empathie, manchmal auch aus Naivität, am häufigsten jedoch aus mangelnder Konfrontationsfähigkeit. Bisher hatte ich Erfolge mehr durch Fleiß und Disziplin erzielt als durch privilegierte Herkunft, überhöhte Selbstdarstellung und Ellenbogen.
Sicher ist die Erzählweise der einen oder anderen Episode zum Beispiel in der Geschichte
Vom Schatten ins Licht springen
aus dieser Sicht geschrieben und zu verstehen. Es ist die Sicht eines manchmal vielleicht zu nachdenklichen und empfindlichen, aber niemals wehleidigen oder zu Dank verpflichteten Ostlers.
Im Verlauf der Jahre hat sich meine Sichtweise teilweise verändert und außerdem sieht man nach jeder Reise und mit gewissem Abstand vieles sowieso ganz anders. Da halte ich es mit dem französischen Schriftsteller Stendhal: „Was ich am Reisen am meisten liebe, ist das Erstaunen bei der Rückkehr. Es verklärt die albernsten Menschen und die nichtigsten Dinge.“
In einem solchen Rückblick werden fast unbemerkt die unangenehmste Auseinandersetzung zur lehrreichsten Erfahrung, die peinlichste Situation zur albernen Lachnummer und das zärtlichste Rendezvous zur banalen Tragödie. Vielleicht sind Reiseerlebnisse gerade deshalb so erzählenswert und werden interessiert aufgenommen.
Sowohl rosege als auch stachlige Verklärungen und Fiktionen, sogar kleine Eulenspiegeleien sind in meinen folgenden Geschichten dabei mit Sicherheit nicht auszuschließen:
Wenn sich zum Beispiel Träume vom Aufenthalt an den Südseestränden in der Geschichte:
Aloha– Oahu – Kauai
Hawaii – ich komme
für einen Schattenspringer endlich zu verwirklichen scheinen, jedoch urplötzlich wie eine Blase zerplatzen,
wenn ein erfahrener Kreuzfahrer in der Geschichte
Alter Falter sucht wohlhabende Blüte
einem schüchternen Neuling an Bord schmunzelnd seine Tricks zur Eroberung wohlhabender Blüten verrät,
wenn bei Wendediskussionen unterschiedliche Meinungen und Verhaltensweisen von Ostlern und Westlern an Bord in der Geschichte
Vom schattigen Osten in den sonnigen Westen springen
kontrovers aufeinandertreffen
oder
wenn ein „Superweib“ in
Schriftstellerin mutiert zum Passagierschreck
unbeabsichtigt einen schüchternen Passagier verschreckt,
wenn zwei verzweifelte Passagiere in
Abenteuer Brasilien & Geheimnisvolles Amazonien
bedeutsame Erinnerungsstücke am Amazonas heimlich über Bord gehen lassen,
wenn eine Kreuzfahrt überraschend mit
Pleiten, Pech und Pannen
auf dem Mittelmeer
endet
bzw.
wenn ein Virus den Reiseverlauf einer langersehnten Kreuzfahrt total durcheinanderbringt und alles nur in die eine Frage mündet:
Wohin soll denn die Reise geh’n?
Diese und weitere Kreuzfahrtgeschichten erzähle ich vorrangig aus der Perspektive des definierten Schattenspringers. Dazu gehört auch, dass es durchaus schon mal vorkommen kann, dass ich bereits in Vorbereitung auf die Reise über meinen eigenen Schatten springen muss, wenn es z. B. darum geht, den überzogen wirkenden Preis für eine Luxuskreuzfahrt plus Aufschlag für Alleinreisende zu berappen. Das empfinde ich ebenso, wenn ich bei Nachfrage von meinen ostdeutschen Freunden und Bekannten zum Preis der Reise lieber nicht darüber reden möchte. Es könnte ja als Angabe oder Protzgehabe wirken. Diese und auch die folgenden Sprünge beim Überwinden von Grenzen kennen sicher viele Kreuzfahrer.
Ich muss bei Kreuzfahrten häufig über meinen eigenen Schatten springen, um das Gehabe und die Allüren aufdringlicher und unbequemer Passagiere, das Auftreten überheblichen Personals – ja, das gibt es auch auf Kreuzfahrten, insbesondere bei den Kontrollbehörden in den Häfen – tolerieren zu können und ein solches Verhalten dennoch mit einem typisch „rosegen“ Schmunzeln oder Lächeln zu bedenken.
Vielmehr in Erinnerung bleiben oft Erlebnisse, bei denen man sich persönlich überwinden muss, zuvor nicht zugetraute Hürden zu überspringen.
Wer kennt nicht das glückstrahlende Gefühl, wenn man sich trotz gesundheitlicher Bedenken dazu hinreißen lässt, an einem spektakulären Ausflug oder Programm teilzunehmen, und anschließend die eigene Courage bewundert.
Die Aufmerksamkeit einer interessanten oder prominenten Person an Bord zu erringen oder etwas zu tun, was man zu Hause in der Öffentlichkeit nie tun würde, können ebenso dazu führen.
Dieses sich anschließende beglückende Gefühl, über den eigenen Schatten gesprungen zu sein und dabei den inneren Schweinehund überwunden zu haben, kennt wohl jeder und viele werden sich vielleicht an ähnliche Situationen gern erinnern.
Begleiten Sie den Schattenspringer also in seinen Kreuzfahrtgeschichten bei solchen Gefühlsmomenten.
Vielleicht erkennen Sie sich selbst in einer der folgenden Geschichten wieder. Es kann ja sein, dass wir uns tatsächlich auf einer Kreuzfahrt begegnet sind und Sie die Vorlage für eine der beobachteten Personen bilden.
Bei den als äußerst angenehm empfundenen rosigen Begegnungen sind Sie es garantiert.
In den unliebsamen stachligen Auftritten und Darstellungen, die man besser vergessen hätte, irren Sie sich bestimmt. Da sind nicht Sie gemeint. Achtung, jetzt antwortet der Deutschlehrer aus voller Überzeugung mit Veronas schelmischen Worten:
„Das kann ich Sie versichern.“
Da stimmt doch nicht einmal der Name. Vorsicht Sprachspiel!
Oder aber Sie haben ähnliche Begebenheiten an Bord selbst erlebt und Sie kommen ins Grübeln:
Wie war das bloß?