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Nur Fidel – den haben wir nicht gesehn

Nach den erwähnten Kreuzfahrten auf Wolga, Don und Schwarzem Meer bot sich mir noch zu DDR-Zeiten die einmalige Gelegenheit, über fünf Meere in die große weite Welt zu kreuzen. Die Kreuzfahrt sollte mit dem aus der gleichnamigen bundesdeutschen Fernsehserie bekannten „Traumschiff“ – für mich das Sinnbild bundesdeutschen Wohlstandes – erfolgen.

Im Jahr 1985 wechselte der Luxusliner nicht nur den Besitzer und die Flagge, sondern auch den Namen. Aus der MS ASTOR der Hamburger Reederei HADG wurde die MS ARKONA – das FDGB-Urlauberschiff der DDR.

Beim Namenswechsel soll auch der Anfangsbuchstabe A eine Rolle gespielt haben. Da man das Interieur, das Geschirr, die Gläser etc. übernehmen wollte, mussten die Initialen passen. Außerdem klingt Arkona, die nördlichste Spitze Rügens, als Schiffsname doch viel besser als Astor, die Bezeichnung für eine amerikanische Zigarettensorte.

Mit der MS ARKONA auf den Weltmeeren kreuzen zu dürfen, war für mich wie ein Fünfer im Lotto mit Zusatzzahlen.

Meinem langjährigen Kollegen und Freund, mit dem ich schon die anderen Kreuzfahrten in der Sowjetunion gemacht hatte, ereilte dieses Glück. Ihm wurde eine Reise mit der MS ARKONA angeboten. Ein Platz in einer Dreierkabine gemeinsam mit einem jungen Agronomen aus einer LPG in unserem Landkreis. Der Landwirt hatte die Reise als Auszeichnung erhalten.

Zufällig hatte mein befreundeter Kollege überdies mitbekommen, dass der dritte Kabinenplatz noch nicht vergeben war. Er riet mir, bei der Gewerkschaft ganz nebenbei mal in Erfahrung zu bringen, ob der Platz noch frei sei und zugleich um mein Interesse zu bekunden. Was ich selbstverständlich umgehend tat.

Es dauerte gar nicht lange, da teilte man mir mit, dass die vorgesehene dritte Person für die Kabine nicht mehr zur Verfügung stehe und ich als „Ersatz“ infrage käme. Ich konnte mein Glück kaum fassen.

Nach Abschluss aller Formalitäten erhielten mein Freund und ich kurz vor der Abreise die Nachricht, dass wir gemeinsam mit dem jungen Agronomen aus der Nachbargemeinde in der Kabine 328 untergebracht werden und zur Reisegruppe 12 gehören.

Am Abreisetag sollte sich unsere Reisegruppe um 2.30 Uhr auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld einfinden, um mit einer IL 62 nach Kuba zu fliegen. Bereits am Abend zuvor fuhren wir von unserem mecklenburgischen Wohnort mit der Bahn nach Berlin und nächtigten auf einer Bank im Flughafen, da es nachts weder Zug- noch S-Bahn-Verbindungen nach Berlin-Schönefeld gab. Aber das machte uns angesichts der verlockenden Ziele gar nichts aus. Es erhöhte lediglich den Adrenalinspiegel.

Nach einer komplikationslosen Flugabfertigung (heute Check-In) erfuhren wir im Flugzeug, dass unser Flug nach Havanna zwei Zwischenstopps zum Tanken enthält: Sao Miguel auf den Azoren sowie Gander in Neufundland/Kanada.

Dem kurzen Stopp auf den Azoren, bei dem wir das Flugzeug nicht verlassen durften, folgte – wie in den 80er Jahren bei Transatlantikflügen nach Amerika noch notwendig – ein obligatorischer Tankstopp auf dem International Airport Gander auf der kanadischen Insel Neufundland. Von Weltenbummlern wurde er als am Ende der Welt gelegen gesehen.

Für mich war es ein bedeutsamer erster kleiner Schritt auf den Boden einer anderen, der westlichen Welt, einer Welt, die mir bis dahin zu betreten verwehrt war. Allerdings nur kurzzeitig in einer improvisierten Abflughalle. Entsprechend war das Gefühl.

Einst war Gander der größte Flughafen der Welt. Jetzt, zur Zeit des Kalten Krieges, wurden die Landebahnen überwiegend von Jets aus dem sogenannten Ostblock beherrscht.

Selbst Fidel Castro, den bekanntesten kubanischen Revolutionär, von den meisten Kubanern nur Fidel genannt, hatte man in Gander schon gesehen. Vor Jahren war er dort, um sich angeblich einen Schlitten auszuleihen und in Neufundland sein erstes Winterwunderland zu erleben.

Ich hingegen hatte mich aufgemacht, um die Reize von Fidels Sommerwunderland Kuba zu ergründen. Auf dem Weg zu diesem Ziel war Neufundland für mich nur eine notwendige Durchgangsstation auf dem Weg nach Kuba. Für manche Osteuropäer, auch DDR-Bewohner, soll der Zwischenstopp in Gander allerdings eine geplante Durchgangsstation für eine Flucht in die westliche Welt gewesen sein.

Nach rund einstündigem Aufenthalt in der Empfangshalle von Gander, in der wir zwar die Auslagen in den Verkaufseinrichtungen bewundern durften, aber nichts kaufen konnten, weil wir über keine konvertierbare Währung verfügten, brachen wir auf, um wieder zu unserem Flugzeug zurückzukehren.

Auf dem Weg durch die Halle musste ich plötzlich an die Zeilen aus dem Lied von Udo Jürgens „Ich war noch niemals in New York“ denken:

„Wie wenn das jetzt ein Aufbruch wär

Ich müsste einfach geh’n

Für alle Zeit …“

Diesen Gedanken in die Tat umzusetzen, war mir allerdings nie in den Sinn gekommen.

Wahrscheinlich schielte ich dennoch, natürlich vollkommen desinteressiert, jedoch, wie sich zeigte, nicht ganz unbemerkt auf die verschiedenen Ausgänge und ihre Aufschriften, als mir eine junge Frau aus unserer Reisegruppe unauffällig ins Ohr flüsterte:

„Durch diese Tür muss man gehen, wenn man abhauen will.“

Mein Freund und zukünftiger Kabinennachbar, der vor mir ging, drehte sich kurz um und raunzte mir zu:

„Wo bleibst du denn?“

Forschen Schrittes führte er mich weg von den geheimnisumwobenen Ausgängen, von meinen abwegigen Gedanken und von Udo Jürgens Aufbruchsstimmung wieder zu Fidels aktuellen Urlaubszielen.

Bei unserem Flug nach Kuba hatte, zum Glück für den Reiseverlauf, niemand die Chance zu einem Aufbruch gewagt, um nach New York, Hawaii oder San Francisco zu fliehen, so dass wir unser erstes Sehnsuchtsziel – die Hauptstadt Kubas – komplikationslos erreichten.

In Havanna gingen wir an Bord der MS ARKONA. Hingerissen von der prachtvollen Kulisse des Hafens mit seinen mächtigen Festungsanlagen zu beiden Seiten übersahen wir beim näheren Betrachten auch nicht die zerfallenden Bauten auf dem Malecon, der Uferstraße am Golf von Mexiko – dem einstigen Küstenboulevard.

Bröckelnde Fassaden der Häuser, dunkle Flure, notdürftig zusammengeflickte Stromleitungen an den Hauseingängen, Seilwinde, mit denen Wassereimer mühsam in die oberen Stockwerke gehievt wurden, und Wäscheleinen mit abgetragenen Kleidungsstücken stachen mir in die Augen und trübten meine Gedanken.

Aller Trübsinn des wahrgenommenen Daseins war jedoch wie weggeblasen, als wir in natura die ansteckende Freundlichkeit der Kubaner spürten, die uns überall temperamentvoll begrüßten. Auf der Plaza de Armas oder der Plaza de la Catedral ebenso wie auf der ältesten Festung der Stadt, dem Castillo de la Fuerza. Und dann haben wir endlich in nicht zu übersehender Größe Fidel auf dem Plaza de la Revolución entdeckt. Allerdings nur auf einem überdimensionalen Plakat.

Bei den Stadtrundgängen fiel mir noch auf, dass zahlreiche Kubaner die „Granma“ (übersetzt die „Großmutter“) stolz unterm Arm trugen. Gemeint ist natürlich die Tageszeitung der Kommunistischen Partei Kubas, benannt nach Fidels Boot, mit dem er 1956 von Mexiko kommend Kuba ansteuerte und gewissermaßen den Startschuss für die kubanische Revolution einleitete.

25 Jahre nach dieser ersten Reise mit der MS ARKONA führte mich erneut eine Kreuzfahrt diesmal mit der MS DEUTSCHLAND durch die Karibik nach Kuba. Inzwischen hatte man die Anziehungskraft der Insel für den boomenden Fremdenverkehr entdeckt. Die Besucher aus zahlreichen Ländern strömten in die stolze Hauptstadt Havanna und in Orte wie Santiago der Cuba, Cienfuegos und Trinidad. Überall wurde, soweit es die staatlichen Mittel erlaubten, restauriert. Der Malecon entwickelte sich in eine Flaniermeile, in dessen Umfeld sich kleine privat betriebene Restaurants etablierten und zum Verweilen einluden. Dennoch vermisste ich irgendwie den morbiden Charme der ersten Begegnung. Selbst Losungen wie PATRIA O MUERTE (Heimat oder Tod) verblassten zunehmend.

Auch diesmal haben mich die freundlichen und temperamentvollen Kubaner beeindruckt, die trotz ihres einfachen, manchmal besorgniserregenden Lebensstandards selbst bei prekärer Versorgungslage immer optimistisch wirkten und immer noch glaubten, eine gerechtere Gesellschaft schaffen zu können. Selbst wenn der Ruf VENCEREMOS (Wir werden siegen!) leiser und seltener wurde.

Schon bei unserem ersten Aufenthalt in Havanna hatten wir kurz nach der Ankunft der weltberühmten Revue des „Tropicana“ einen organisierten Besuch abgestattet.

Die Show im Freien mit rund 200 Mitwirkenden vor über 1000 Zuschauern bot einen wahren Karneval mit afrokubanischen Rhythmen, Kostümen, Tanz und Spaß. Bei Cola, Saft und einer Flasche Cuba-Rum für jeweils sechs Personen am Tisch verbrachten wir einen stimmungsvollen karibischen Abend. Zu uns gesellten sich die Künstler von Bord der MS ARKONA: Kurt Nolze, Gabi Munk & Ingo Krähmer sowie Ingrid Raack. Im „Tropicana“ waren wir alle gemeinsam ausgezeichnete FDGB-Urlauber.

Natürlich suchten wir an einem der folgenden Tage privat die ganz unscheinbar in einer schmalen Seitengasse von Havanna gelegene legendäre „Bodeguita del Medio“ (auf Deutsch „Kneipe in der Mitte“) auf, um den traditionellen Mojito (Rum, Limone frische Pfefferminzstängel, Soda und Eiswürfel) zu trinken. Genauso wie es berühmte Leute wie Charlie Chaplin, Marlene Dietrich, Brigitte Bardot, Salvador Allende und Fidel Castro angeblich getan haben sollen.

Doch auch hier habe ich Fidel beide Male leider nicht gesehen.

In der Erinnerung aber bleibt der an die weiße Wand geschriebene Spruch des kubanischen Autors Garcia Leandro: „Bodeguita, du bleibst, ich gehe!“

Bei den obligatorischen Rundfahrten und Ausflügen auf der gesamten Insel wurde uns bei der ersten Reise sehr bewegt demonstriert, wie sich Kuba vom Treffpunkt der internationalen Mafia zu einer Bastion des Sozialismus in ganz Amerika wandelte.

Wir besuchten die geschichtsträchtigen Orte der kubanischen Revolution Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

In Santiago de Cuba bei den Moncada-Kasernen erfuhren wir, dass dort bereits 1953 ein Ansturm von Rebellen um Fidel Castro auf das Bollwerk der verhassten Batista-Regierung erfolglos blieb.

Anschließend verweilten wir vor dem Rathaus von Santiago, vor dessen Fassade Fidel Castro dann sechs Jahre später den Sieg der Revolution verkündete.

Bei einer Bootsfahrt in der Schweinebucht hörten wir von der gescheiterten Invasion von Exilkubaner, die 1961 von den USA unterstützt worden war.

Unter dem Namen Invasion in der Schweinebucht ging dieser im Jahr 1961 nur drei Tage dauernde militärische Angriff auf Kuba in die Geschichte ein. Die Invasion hatte den Sturz der Revolutionsregierung unter Fidel Castro zum Ziel. Fidel Castro war jedoch von den Plänen informiert worden und erwartete die Invasoren in der Schweinebucht. Die Invasion scheiterte. Die Regierung des gerade erst gewählten Präsidenten John F. Kennedy war blamiert. Noch heute gibt die vom amerikanischen Geheimdienst CIA gesteuerte Aktion einige Rätsel auf.

Neben der revolutionären Geschichte Kubas erhielten wir aber auch nachhaltige Einblicke in die Landschaft und Natur sowie in die Kultur und Architektur auf dieser karibischen Insel und wir gewannen unvergessliche Eindrücke vom Leben ihrer liebenswerten Bewohner.

In Cienfuegos, wegen ihrer neoklassizistischen Architektur wurde die Stadt mit ihrem lebhaften Ortskern auch „Perle des Südens“ genannt, bewunderte ich den Nationalpark Zapata. Vor allem die Krokodilfarm hatte es mir angetan. So viele Krokodile in natura beobachten zu dürfen, überstieg alle meine Vorstellungen.

Kubas exotischste Stadt war für mich das karibische Santiago. Die Stadt schmiegt sich idyllisch an eine Bucht, an deren Einfahrt die mächtige Morro-Festung thront. Auf dem Ifigenia-Friedhof dieser Stadt ruht José Martí. Er war ein kubanischer Poet und Schriftsteller und gilt als kubanischer Nationalheld sowie als Symbol für den Unabhängigkeitskampf seines Landes.

Zu einem Einkaufsbummel hatten wir bei den Landgängen kaum Gelegenheit, vom Organisator sicher beabsichtigt. Die Vorzeige-Verkaufsstelle für Waren des täglichen Bedarfs, in die man uns führte, glich eher einem kleinen Lagerraum mit Kisten, Säcken und Regalen, aus denen Grundnahrungsmittel wie Eier, Reis, Mehl oder Waren des täglichen Bedarfs wie bestimmte rationierte Toilettenartikel entnommen und zum Teil auf Bezugschein vergeben wurden. Überall waren die Versorgungsengpässe spürbar. Zahlreiche leere Regale. Selbst überzeugte DDR-Bürger blickten verschämt auf das äußerst dürftige Angebot für ihre kubanischen Freunde.

Auf einem kleinen Bauernmarkt in Santiago, auf dem die Pioniere der kubanischen Marktwirtschaft agierten, fand ich dann endlich die Möglichkeit, ein Mitbringsel von der Reise zu erwerben. Die Wahl fiel mehr schwer. Das Angebot für einen Touristen war ziemlich begrenzt. Außer den berühmten kubanischen Zigarren, deren Herstellung wir in einer Manufaktur beiwohnten, und dem Zuckerrohrschnaps – dem kubanischen Rum – entdeckte ich kaum ein passendes Souvenir. Allerdings rauchten weder meine Freunde noch ich. Rum aus Kuba gab es auch bei uns im Konsum. Ohne Bezugsschein. Zudem war der Transport einer Flasche im Koffer nicht komplikationslos.

An einem Stand mit Werkzeugen entdeckte ich Macheten, deren Gebrauch uns auf einer Zuckerrohrplantage vorgeführt wurde. Eine Machete – ein Buschmesser – das wär’s. Ein Erinnerungsstück an ein führendes Land im Zuckerrohranbau und zugleich eine bei uns zuhause schwer zu erwerbende Waffe für einen möglichen Verteidigungsfall. Heute kaum vorstellbar hat mich die Machete problemlos durch Zoll und Flugsicherheit begleitet.

Ein wenig enttäuscht war ich nur, als ich zu Hause beim genauen Betrachten der Machete den Hinweis „made in china“ entdeckte. War es doch das einzige Souvenir aus Kuba, das ich käuflich erworben hatte.

Von den 25 Peso, die wir offiziell umtauschen durften, habe ich 15 Peso (42,30 Mark der DDR) wieder zurückgetauscht. Das lag nicht nur an dem mangelnden Konsumangebot auf Kuba, sondern auch an der ausgezeichneten Verpflegung an Bord, die bei mir kein Bedürfnis nach weiteren Leckerbissen an Land weckte.

Von dem zurückgetauschten Geld kaufte ich zu Hause eine Flasche echten Havanna Club, der in meiner Hausbar lange Zeit ein unbeachtetes Dasein frönte.

Nach sechs erlebnisreichen Tagen nahmen wir in Santiago de Cuba bewegt Abschied von der Insel und ihren stolzen Bewohnern.

Nur Fidel – den stolzesten Bewohner Kubas – den haben wir nirgends geseh’n.

An Bord der MS ARKONA stand uns eine zweiwöchige Kreuzfahrt über fünf Meere und mehr als 5000 Seemeilen nach Rostock bevor. Allerdings ohne Anlandungen, weder in der Karibik noch auf den Azoren und schon gar nicht am Ärmelkanal und an der Nordseeküste. Das waren die gefühlten Schattenseiten einer solchen Kreuzfahrt für DDR-Bewohner. Angeblich waren die Hafengebühren devisenpflichtig und zu kostenintensiv.

Selbst auf eine seemeilen- und zeitsparende Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal wurde verzichtet. Hier sah man von staatlicher Seite wohl eher die Gefahr, dass sich regimekritische Bürger durch einen Sprung ins Wasser schwimmend leicht an das andere erstrebte Ufer begeben könnten.

Auch ohne gelegentlich vermisste Anlandungen gestalteten sich die zwei Wochen auf See für mich als unvergessliches Erlebnis. Sie legten den Grundstein für meine erwachenden Sehnsüchte nach luxuriösen Kreuzfahrten. Über fünf Meere musste ich kreuzen, um die Vorzüge für einer Kreuzfahrt für mich als Schattenspringer zu entdecken.

Vom sonnigen Karibischen Meer ging es in das große besonders tiefe und klare Meeresgebiet der Saragossasee, in der sich die bei uns so beliebten Aale vermehren, bevor sie die Reise in unsere heimatlichen Gewässer antreten. Munter wie die Aale im Wasser feierten wir an Bord ein großes Kolumbusfest, bei dem sich Neptun, der Gott des Meeres, mit seinem Gefolge die Ehre gab.

Für mich war es ein besonderes unbeschwerliches Erlebnis. Zum ersten Mal nahm ich an einer solchen vorzüglich improvisierten Strandparty teil. Bisher hatte ich immer auf die Teilnahme an derartigen Veranstaltungen verzichten müssen, weil es direkt am Strand für mich meist viel zu sonnig war und die möglichen Rückzugsorte in den Schatten zu weit vom unmittelbaren Geschehen entfernt waren. Hier an Bord der ARKONA fühlte ich mich in das fröhliche Treiben am Pool unmittelbarer einbezogen. Das werktätige Volk feierte unbeschwert und ausgelassen, aber diszipliniert. Und ich gehörte dazu. Im Schatten des darüber liegenden Decks sangen wir alle voller Inbrunst gemeinsam mit dem Schlagerduo Gabi Munk/Ingo Krämer das Arkona-Lied:

„Auf der Arkona, ja da kommt so was vor.“

Ich nahm auch auf späteren Kreuzfahrten gern an den Neptun-Festen, Äquator-Taufen oder Piraten-Partys teil. Aber keines dieser Bordfeste blieb mir so nachhaltig in Erinnerung wie das Kolumbusfest auf der MS ARKONA.

Auf ewig im Gedächtnis bleibt mir ebenfalls die sich anschließende Fahrt über den stürmischen Atlantischen Ozean.

Brückenbesichtigung, Skatturnier, Popgymnastik sowie Foren und Filmgespräche mit bekannten mitreisenden DEFA-Schauspielern lenkten tagsüber von den zunehmend unangenehmer werdenden Witterungsbedingungen auf den Außendecks ab.

Die Abendessen krönten allerlei kulinarische Genüsse. Hervorzuheben der rustikale „Mecklenburgische Bauernmarkt“ mit Spezialitäten der norddeutschen Küche und typischen Seemannsgerichten. Da gab es den Müritz-Aal vom Grill, Labskaus mit Spiegelei, Plumm un Trüffel, Mecklenburger Schlachtesuppe, Anklamer Heidelbeeren mit Rahm und vieles, vieles andere aus der unmittelbaren heimatlichen Umgebung. Unvergessen aber auch die kulinarische Weltreise mit ausgesuchten Spezialitäten fremder Länder. Riesengarnelen aus Vietnam, Weinbergschnecken aus Frankreich, Truthahnsteak aus den USA, Melonensuppe aus Mexiko bzw. Kaffee Luzern aus der Schweiz. Unvergessen vor allem deshalb, weil ich Garnelen und anderen Meeresfrüchten seither, gelinde gesagt, skeptisch gegenüberstehe. Woran das liegt? Wahrscheinlich an der Einstellung: „Wat de Buer nich kennt, dat frett he nich.“ Oder führten die folgenden Auswirkungen dazu?

Als wir uns am späten Abend nach der „kleinen“ kulinarischen Weltreise in unsere Kabinen begaben, wunderten wir uns über die Tüten, die überall hinters Geländer auf dem Gang und auf der Treppe geklemmt waren. Wir maßen dem aber weiter keine ernsthafte Beachtung bei. Eher machten wir uns lustig über unser Schwanken von einer Gangseite zur anderen. Auch im Bauch wurde es mir ein bisschen mulmig. Waren es die Folgen des Pub-Besuchs? Oder der kulinarischen Weltreise mit Meeresfrüchten? Oder schaukelte unser Schiff?

In der Nacht wurde ich plötzlich wach. Alles drehte sich. Meine Kameraden schienen zu schlafen. Mein Magen begann zu rebellieren. Nur gut, dass ich ein unteres Bett hatte. Mühsam schlich ich mich – an allem, was greifbar war, krampfhaft festhaltend – zur Toilette, wo ich mich von allem Ungemach geräuschvoll mehrfach entledigte. Und dabei hatte ich ständig diesen für mich immer wiederkehrenden äußerst unangenehmen Geschmack von Meeresfrüchten im Mund. So elend hatte ich mich lange nicht mehr gefühlt. In dieser Nacht raubte ich noch ein paarmal meinen Kameraden den Schlaf. Sie ertrugen es weitgehend kommentarlos. Am Morgen erfuhren wir, dass es in der Nacht angeblich Windstärke 7 Bf, Seegang 6 und Dünung 7 m waren.

Nur Windstärke 7? Für mich war es ein Orkan.

Der Frühstücksraum am nächsten Morgen soll ziemlich leer gewesen sein, wie mir berichtet wurde. Anscheinend ging es anderen Passagieren wie mir. Noch ein paar weitere Tage hatte ich mit meiner ersten Seekrankheit und flauem Magen zu kämpfen. Die Tüten auf den Gängen hatten plötzlich eine beruhigende Wirkung auf mich.

Wie durch ein Wunder blieb ich bei allen weiteren Kreuzfahrten allerdings von diesem Unwohlsein auf See verschont. Selbst in der Antarktis bei Windstärke 12 blieb ich später aufrecht und standhaft. Ich hoffe, dieser Zustand hält für ewig an. Die Aversion gegenüber Meeresfrüchten habe ich, nebenbei bemerkt, bis heute nicht überwinden können.

Ohne erwähnenswerte Beeinträchtigungen durchfuhren wir auch die beiden weiteren Meere unserer Kreuzfahrt über fünf Meere, die frühlingshafte Nord- und Ostsee.

Zum besseren Erinnern und um alles noch rosiger erscheinen zu lassen, hatte ich die Flasche Havanna Club, die seit vielen Jahren in der hintersten Reihe meiner Hausbar ein fast vergessenes Dasein fristete, hervorgeholt und sie neben die Machete gestellt.

Beim Anschauen der Flasche sollte es nicht bleiben. Der Augenblick war gekommen, den Inhalt nach Jahren erneut zu probieren. Ich mixte mir einen Cuba Libre, schlürfte ihn genussvoll und schwelgte in Erinnerungen. Schon beim zweiten Gläschen sprudelten die Wörter und Sätze in nie erahnter Poesie ungebändigt nur so aus mir hervor.

Das Klingeln des Telefons unterbrach meine poetischen Ergüsse. Meine langjährigen Freunde wollten sich, wie fast täglich in den Corona-Zeiten, telefonisch nach meinem Wohlbefinden erkundigen:

„Hallo, wir wollten nur mal hören, wie es dir geht. Quälst du dich noch mit den Erinnerungen an die Kuba-Reise?“ (Ich hatte sie über die Fortsetzung meines Schreibprojekts informiert.)

„Ich quäle mich doch nicht. Ich bin auf Wolke 7.“

„Wie das? Bist du so gut vorangekommen? Oder hast du was genommen?“

„Natürlich, ich habe endlich die Rumflasche von damals geköpft. Jetzt schwelge ich in ‚rosegen‘ Erinnerungen. Ganz zu meinem Namen passend.“

„Na, das Kapitel kann ja heiter werden.“

„Gebe es euch aber nur zum Lesen, wenn ihr dabei auch den Rum genießt. (Ich wusste ja, dass mein Freund dann lieber auf das Lesen verzichten würde.) Für heute höre ich jetzt aber auf. Der Flascheninhalt muss noch morgen für weitere Seiten reichen.“

In bester Laune verabschiedeten wir uns.

Dank der Schreibfortschritte und des Interesses meiner Freunde an meinem Wohlergehen (oder lag es am Rum?) ging ich mit einem glückseligen Gefühl zu Bett und schlief bald ein.

Doch was war das?

Plötzlich stand Fidel vor mir. Fidel Castro aus Kuba. Mit Zigarre im Mund, einer Flasche Rum in der einen Hand und mit der anderen Hand die Machete schwingend, winkte er mir am Strand von Varadero einladend zu. Ehrfurchtsvoll bedankte ich mich für die Einladung und den Aufenthalt auf Kuba mit den Worten nach dem damals bekannten Ost-Hit:

„Es war in Varadero.

Ich sagte: Kuba – Yote-quiero.

An seinem Lächeln da konnte ich seh’n:

Auf Kuba ist es schön.“

Der kommende Morgen gestaltete sich etwas leiser. Das Schreiben verschob ich vorerst um ein paar Tage. Woran das wohl lag?

Schattenspringer auf Kreuzfahrt

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