Читать книгу Vor Dem Fall - L.G. Castillo, L. G. Castillo - Страница 7
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Оглавление»Rachel!«, rief Raphael ihr zu. »Hilf mir, Miriam zu finden!«
Rachel blickte von Raphael zu Obadiah, der auf die Soldaten zuschlurfte. Verwirrung malte sich auf ihren feinen Gesichtszügen ab. Sollte sie bei Obadiah bleiben, der entschlossen schien, den Soldaten geradewegs entgegenzugehen oder sollte sie seinen Befehlen gehorchen?
Traurige braune Augen erwiderten Raphaels Blick, als sie schließlich zu ihm kam. »Gib es nichts, was wir tun können?«
Er sah ihr tief in die Augen. Wie konnte er ihr erklären, dass, selbst, wenn sie es versuchten, es keine Garantie gab, dass die Soldaten der Vernunft Gehör schenken würden? Obwohl sie die Macht der Gedankenmanipulation hatten und sie gegen die Soldaten einsetzen konnten, gab ihnen das nicht das Recht, den freien Willen der Menschen zu beeinflussen. Dieser Überzeugung hingen alle Erzengel an. Zugegeben, es war schwer, sich daran zu halten, besonders in Zeiten wie diesen. Die Macht zu haben, die Leben anderer zu retten und nicht die Erlaubnis zu haben, es zu tun. Er musste ihnen nur den Vorschlag unterbreiten und die Menschen würden seiner Führung folgen. Rachel wusste um seine Gabe, aber ihre Seele war so rein, dass ihr nicht einmal der Gedanke kam, dass diese Möglichkeit bestehen könnte.
»Das Beste, was wir tun können, ist, den anderen zu helfen zu fliehen«, sagte er.
Rachels Lippen zitterten, als sie Obadiah weiter voranschreiten sah.
Mit jedem unsicheren Schritt, den Obadiah tat, wuchs Raphaels Bewunderung für den alten Mann. Obadiah, obwohl körperlich schwach, war geistig so stark, dass sein einziger Gedanke sich darum drehte, die anderen zu schützen – nicht darum, wie er der Gefahr aus dem Weg gehen konnte, in die er sich selbst begab, indem er sich den Soldaten näherte. Er musste wissen, dass sein Ende kurz bevor stand, und dennoch ging er weiter. Diese Art von Mut war es, die Raphael die Menschen nur umso mehr lieben ließ. Wenn nur Luzifer sehen könnte, was er sah.
Raphael legte Rachel eine Hand auf die Schulter. »Komm. Ich werde Ethan holen und du kannst losgehen und – «
Eine liebliche Stimme klang durch die Luft und erhob sich über das Stimmengewirr des wütenden Mobs und das Marschieren der Soldaten. Sie war so leise, dass Raphael sich fragte, ob er sie sich nur eingebildet hatte.
Er spähte zu der näher kommenden Menge. Die Soldaten hatten kurz vor Obadiah angehalten und lachten.
Ihr Anführer stand unbeweglich, sein Gesicht halb bedeckt von einem Bronzehelm und einem dichten schwarzen Bart. Über die Schultern hing ihm eine rote Toga, die von einer runden goldenen Brosche an seinem Hals zusammengehalten wurde. Die Toga wallte im Wind und strich sanft um seine muskulösen Oberschenkel.
Als der Anführer sein Schwert aus der Scheide zog, schoss eine kleine Gestalt durch die Horde der Soldaten. Einen Moment lang dachte Raphael, es handele sich um einen kleinen Jungen. Vielleicht war es der Sohn eines der Kranken, die in der Zeltgemeinschaft lebten. Dann nahm er die wallende hellblaue Robe wahr, die über den Boden schleifte und eine Staubwolke hinter der Gestalt aufwirbelte.
»Haltet ein, ich flehe euch an!«, rief die Frau. »Bitte haltet ein.«
Ihre zierliche Hand legte sich auf den massigen Bizeps des Soldaten. Gegen den gestählten Arm wirkte sie zerbrechlich.
»Aus dem Weg, Frau«, knurrte der Soldat und schob sie von sich.
Die Frau stolperte einige Schritte nach vorn und fiel vor Obadiahs Füßen zu Boden. Dunkles Haar bedeckte ihr Gesicht wie ein seidener Vorhang. Aus der Entfernung vernahm Raphael ihr Schluchzen. Ein Geräusch, das ein merkwürdiges Gefühl in ihm wachrief. Es war, als sei ein Seil an seine Brust gebunden, das ihn zu ihr hinzog. Erschrocken angesichts der Heftigkeit des ungewohnten Gefühls stemmte er die Füße gegen den Boden. Er wollte zu der beherzten Frau gehen und sie trösten, nachdem sie es gewagt hatte, sich allein einem Heer von Soldaten entgegenzustellen.
Er sah, wie Obadiah ihr die Hand entgegenstreckte. Die Sekunden verstrichen und Raphael fragte sich, was sie da tat, weil sie weiter zu Boden starrte. Einen Augenblick später richtete die Frau sich auf und ergriff Obadiahs Hand.
Und dann sah Raphael ihr Gesicht.
Tränenspuren zogen sich über ihre geröteten Wangen und ihre makellose Haut war von Schmutz bedeckt. Und dennoch war sie das schönste Wesen, Mensch oder Engel, das seine Augen je erblickt hatten.
Jede Bewegung, die sie machte, zog ihn in den Bann: die Art, wie sie sich das Haar aus dem Gesicht strich, so dass es ihr auf die zierlichen Schultern fiel; die Art, in der sich ihre roten Lippen bewegten, als sie Obadiah dankte; die Art, in der sich kleine Fältchen um ihre Augen bildeten, als sie ihn anlächelte, bevor sich Sorge in ihnen spiegelte, als sie in die Richtung der Zelte sah.
Als sie sich zur Gruppe der Soldaten umwandte, glättete die Frau ihre Gesichtszüge. In ihren haselnussbraunen Augen funkelte es entschlossen. Raphael taumelte nach hinten. Bei ihrem Anblick blieb ihm der Atem stehen. Es war nur ein kurzer Blick gewesen. Aber mehr brauchte es nicht, um sein Herz in Flammen zu setzen. Mit aller Macht kehrte das ungewohnte Gefühl zurück und schoss durch seine Adern. Er wusste nicht, wie ihm geschah. Es war etwas, von dem er gehört hatte, dass Menschen es erlebten. Selten hatte er Engel von solchen Gefühlen erzählen hören.
Er warf einen kurzen Seitenblick auf Rachel und fragte sich, ob das die Gefühle waren, die sie vergeblich zu verbergen suchte, wenn sie Uriel sah. Er empfand neuen Respekt, weil sie es schaffte, sie für sich zu behalten und dann Trauer, weil sie das bereits seit einiger Zeit tat.
Er blickte zurück zu der Frau und fragte sich, was über ihn gekommen war, weil er solche Gefühle für sie hegte. Und einen Moment lang schämte er sich. Erlag er gerade der Versuchung? Begehrte er sie wegen ihrer körperlichen Schönheit?
Er war Schönheit schon zuvor begegnet. Gabrielle war wunderschön, wie es viele der Engel waren. Und dennoch hatte diese Frau etwas an sich, das ihn auf eine Weise faszinierte, wie es kein Engel je vermocht hatte.
Er schluckte und schüttelte den Kopf. Nein, das war keine Wollust. Es war mehr… da war noch mehr.
»Du wirst das hier beenden, Baka«, wandte sich die Frau an den Anführer. »Du wirst deinen Männern befehlen, in die Stadt zurückzukehren.«
Baka nahm seinen Helm ab und starrte die Frau an. Sein braunes Gesicht blieb unbewegt. In diesem Moment wünschte Raphael, er könnte Bakas Gedanken lesen. Das war eine Fähigkeit, die kein Engel besaß, egal wie hoch er im Rang stand.
Bakas dunkle, durchdringende Augen sahen von der Frau zu Obadiah. Langsam verzogen sich seine schmalen Lippen zu einem Lächeln und er warf lachend den Kopf in den Nacken.
»Rebecca, nach all diesen Jahren schlägt dein Herz noch immer für die Schwachen«, sagte er. »Wann begreifst du endlich, dass es die Starken sind, die deine Aufmerksamkeit verdienen?«
Mit drei Schritten trat Baka vor sie und kniff sie in die Wange. Seine Hand war so groß, dass sie fast ihr ganzes Gesicht bedeckte. »Du wirst lernen, wo dein angemessener Platz ist, Frau. Und ich werde derjenige sein, der es dir zeigt.«
Zorn loderte in Raphaela auf, als er sah, wie Bakas Finger ihren Griff verstärkten, als sie versuchte, sich von ihm loszuwinden. Sie wirkte wie eine zarte Wüstenblume, die jederzeit zertreten werden konnte, wenn es den Soldaten gefiel.
Ohne nachzudenken, machte Raphael einen Schritt nach vorn. Das Einzige, das ihn davon abhielt, den Soldaten körperlichen Schaden zuzufügen und damit die Menschen der Zeltgemeinschaft vermutlich noch mehr in Gefahr zu bringen, war der Klang von Rachels Stimme.
»Raphael, hier sind Ethan und Miriam. Raphael?«
Raphael blinzelte und Rachels besorgtes Gesicht tauchte in seinem Blickfeld auf. Er folgte ihrem Blick nach unten und ihm wurde bewusst, dass seine Hände zu Fäusten geballt waren.
Was mache ich hier?
Langsam entspannte er seine Finger. Er konnte nicht glauben, was er beinahe getan hätte. Bei seinen Engelskräften hätte eine kleine Handbewegung ausgereicht, um den Befehlshaber Baka in die Luft zu schleudern. Und bei Gott, das war genau das, was er tun wollte. Er wollte den bedrohlichen Soldaten weit weg von Rebecca – so schnell wie möglich. Aber dann würde das die anderen Soldaten dazu bringen, sie alle anzugreifen – angefangen bei Rebecca.
Er wollte zu ihr gehen. Aber er konnte es nicht. Zu viele Menschen würden darunter leiden, wenn er es täte. Und dann würde er sich vor Michael für den Missbrauch seiner Kräfte rechtfertigen müssen und für die Toten, die es mit Sicherheit geben würde.
Er sah zu Rebecca und war überrascht, dass noch immer das Feuer in ihrem Blick loderte.
»Lass mich los«, fauchte sie.
Baka sah sie einen Moment lang böse an und ließ dann seine Hand sinken. »Stures Weibsbild. Wieso willst du sie schützen?«
»Sie sind krank. Sie brauchen Hilfe.«
»Sie sind schwach und die Götter haben sich von ihnen abgewandt. Und dieser alte Mann« – Baka warf einen Seitenblick auf Obadiah – »weshalb ist er dir wichtig?«
Sie stellte sich schützend vor Obadiah. »Ein alter Mann eben.«
Baka schnaubte.
»Er verdient es, seine letzten Tage in Frieden zu verbringen. Es ist nicht an dir, zu entscheiden, wann der Tag ist, an dem ein Mensch leben oder sterben soll.«
»Du irrst dich. Es ist an mir. Ich bin es leid, mit dir zu streiten. Du wirst dich entfernen. Sofort!«
»Mein Vater wird davon erfahren«, drohte sie.
Baka packte Rebecca am Arm und riss sie an sich. Er beugte sich zu ihr, so dass seine Nasenspitze die ihre fast berührte. »Dein Vater ist derjenige, der ihre Auslöschung befohlen hat.«
Raphael konnte sehen, wie Rebeccas wilde Entschlossenheit bei Bakas Worten ins Wanken geriet. Er sehnte sich nach ihr.
»Ich werde ihn umstimmen«, erklärte sie. »Ich weiß, dass ich das kann.«
Bakas Lippen verzogen sich zu einem verschlagenen Grinsen. »Das Einzige, was ihn umstimmen wird, ist das Gefühl eines ledernen Geldbeutels an seiner Handfläche. Kannst du ihm das geben? Kannst du das?«
Verzweiflung malte sich auf ihrem Gesicht ab und das Leuchten in ihren Augen erlosch.
»Ah, wie ich sehe, bist nicht gänzlich von der Liebe zu deinem Vater geblendet und kennst seine Schwächen. Geh jetzt in die Stadt zurück und ich werde dir und deinem Weiberherzen das Ganze hier nachsehen. Schließlich wirst du meine Verlobte sein, wenn ich deinem Vater meine Geldbörse in die Hand drücke.«
Etwas in Raphaels Innern zerriss bei Bakas Worten und ehe er sich zurückhalten konnte, entfuhr ihm ein Schrei. »Lasst die Leute hier in Frieden!«
Er ignorierte Rachels Aufkeuchen und schob ihre Hand beiseite, als er auf die Soldaten zuschritt. Eine Stimme in seinem Hinterkopf rief ihm zu, dass er das hier nicht tun sollte. Er sollte nicht eingreifen. Das hatte er selbst Rachel erst vor wenigen Augenblicken erklärt. Aber der Gedanke daran, wie der unnachgiebige Soldat Baka Rebeccas sanftes Wesen brechen und sie zu seiner Frau machen wollte, war zu viel für ihn.
»Bleib stehen!« Baka streckte Raphael sein Schwert entgegen.
Raphael hielt inne. Er hatte keine Angst vor den Verletzungen, die das Schwert ihm zufügen konnte, wenn Baka sich entschied, es einzusetzen. Es würde wehtun und er würde bluten, aber es würde ihn nicht töten. Er sorgte sich, dass Obadiah oder Rebecca unabsichtlich verletzt würden, wenn sich Baka zum Angriff entschloss. Sie standen zu dicht in seiner Nähe.
Als ob er seine Gedanken gelesen hätte, wandte sich Obadiah zu Raphael um und schenkte ihm ein zahnloses Lächeln. Er ergriff Rebeccas Arm und führte sie mehrere Schritte von den Soldaten weg, so dass ein deutlich sichtbarer Pfad zwischen Raphael und Baka entstand.
Raphael hob die Hände, so dass die Handflächen nach oben zeigten.
»Ich trage keine Waffen bei mir«, sagte er und machte einen langsamen Schritt nach vorn. »Ich will dir nichts Böses.«
Bakas Augen verengten sich. »Stehen bleiben, habe ich gesagt! Wie kannst du es wagen, meinen Befehl zu missachten!«
Raphael schritt weiter auf ihn zu und hielt seinem Blick stand. Mit leiser, melodischer Stimme sagte er: »Ich hege nicht den Wunsch, dir Schaden zuzufügen. Ich komme in Frieden.«
Bakas Augen weiteten sich einen Moment lang. Er wirkte benommen. Schuldgefühle regten sich am Rand von Raphaels Bewusstsein. Er nutzte seine Engelsfähigkeit der Gedankenmanipulation, etwas, von der er nie geglaubt hätte, dass er es einmal einsetzen würde.
»Senke dein Schwert, Baka«, sagte er. »Du brauchst es nicht. Und deine Männer werden es auch nicht.«
Baka blinzelte und sah verwirrt auf sein Schwert. Dann, nach einem Moment des Zögerns, schob er es zurück in die Scheide.
»Senkt eure Waffen«, bellte Baka den Soldaten zu.
Ein Gemurmel kam in der Menge auf, die hinter den Soldaten stand. Die Soldaten wirkten verwirrt, während ihre Augen zwischen Raphael und ihrem Anführer hin- und herschossen.
»Ruhe!«, verlangte Baka. »Tut, was ich sage. Runter mit den Waffen.«
Raphael ging weiter vorwärts und sprach weiter mit der melodischen Stimme. Er war erstaunt, dass die Soldaten begannen, denselben benommen Gesichtsausdruck anzunehmen, als er weitersprach. Es war das erste Mal, dass er Gedankenmanipulation einsetzte und er hatte nicht gewusst, wie mächtig er war. Er sah zu Obadiah und Rebecca hinüber, als er an ihnen vorbeikam.
Obadiah lächelte ihn wissend an. Sein Blick war klar. Es schien, als ob die Gabe nur diejenigen beeinflusste, gegen die sie gerichtet war. Aber wie lange noch?
Dann richtete Raphael seinen Blick nach rechts neben Obadiah und seine Augen begegneten Rebeccas. Er hörte, wie sie nach Luft schnappte. Hitze wallte in seinem Körper auf. Schnell wandte er den Blick von ihr ab und richtete ihn wieder auf Baka und seine Soldaten. Er musste sich auf die Aufgabe konzentrieren, die vor ihm lag.
Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Baka und sagte: »Es ist nicht nötig, irgendjemandem hier Schaden zuzufügen.«
»Ich habe den Befehl erhalten. Alles und jeder sollen ausgelöscht werden.« Bakas Gesicht verzerrte sich.
Wieder fühlte Raphael, wie Schuldgefühle in ihm aufstiegen, als er sah, wie sich das Gesicht des Mannes verzog, als er gegen Raphaels Einfluss auf seine Gedanken ankämpfte.
»Weshalb wurde der Befehl erteilt? Die Menschen hier leben seit einiger Zeit friedlich außerhalb der Stadttore.«
»Weil…« Bakas Gesicht verzerrte sich noch mehr. »Weil…«
Raphael legte Baka eine Hand auf die Schulter. Er ignorierte sein protestierendes Gewissen, beugte sich vor und flüsterte: »Verrate es mir.«
Mit glasigen Augen sah Baka ihn an. »Der Gouverneur fürchtet, dass ihre Anwesenheit Reisende davon abhalten wird, nach Ai zu kommen aus Angst, dass sie mit Krankheit geschlagen werden könnten. Sowohl die Truhen der Stadt, als auch seine eigenen, haben sich fast völlig geleert, seitdem sie sich vor den Stadttoren niedergelassen haben.«
Raphael stieß ein tiefes Knurren aus, als Hass durch seine Adern peitschte. Wie eigennützig kann ein Mensch sein? Sie töten ihre Nächsten um des Reichtums willen!
Er schloss einen Moment lang die Augen und versuchte, sich zu beruhigen. Dann erinnerte er sich daran, dass Baka erwähnt hatte, dass er dem Befehl von Rebeccas Vater unterstand. Ihr Vater war der Gouverneur. Er öffnete die Augen und warf ihr einen Blick zu. Eine Träne rann ihr über die Wange und sie biss sich auf die Unterlippe, um mutiger zu erscheinen. Wie konnten zwei Menschen so verschieden sein?
»Ich verstehe«, sagte Raphael. »Vielleicht können die Leute an einen anderen Ort gebracht werden. Irgendwo fernab der Augen von Reisenden und von den Bürgern der Stadt Ai.«
»Ich kenne einen Ort.«
Beim Klang von Rebeccas sanfter Stimme setzte Raphaels Herz einen Schlag aus. Er wollte etwas sagen, aber die Worte blieben ihm im Halse stecken, als sich ihr schönes Gesicht vor ihn schob.
»Vergib mir, mein Herr. Mein Name ist Rebecca. Ich bin die Tochter von Dathan und Sarah von Ai.«
»Rebecca«, flüsterte Raphael, unfähig irgendetwas anderes zu sagen. Sie war ihm so nahe. Er bemerkte die leichte Röte, die ihre makellose Haut überzog, als sie sprach.
»Hinter dem Hügel dort drüben.« Rebecca deutete in die Richtung, die den Stadttoren entgegengesetzt lag. »Dort gibt es einen Bach, der durch das Tal fließt. Ein paar Meilen stromabwärts gibt es eine offene Fläche, die hinter Felsen verborgen liegt. Das ist nicht einmal in der Nähe der Straße, die nach Ai führt.«
Raphael war bezaubert von der Art, wie sich ihre Lippen bewegten, als sie sprach. Ihm fiel gar nicht auf, dass sie nichts weiter sagte, bis Obadiah sich räusperte.
Er riss seine Augen von ihr los und sah zurück zu Baka. »Wir haben also eine Lösung. Ihr werdet den Menschen helfen, zu diesem Ort zu ziehen.«
Baka sah auf Rebecca hinunter und einen Moment lang glaubte Raphael, seine Engelsfähigkeit habe aufgehört zu wirken. Bei Rebeccas Anblick verengten sich Bakas Augen kaum merklich. »Auf wessen Befehl hin?«
Raphael schob sich zwischen Baka und Rebecca. Er wusste, dass Baka und die anderen es sich anders überlegen konnten, sobald er fort wäre und dass er nicht in der Lage sein würde, sie aufzuhalten. Er wusste nicht einmal, ob es den Ausgestoßenen erlaubt sein würde, an dem neuen Ort zu bleiben, wenn er und Rebecca erst einmal nachhause zurückgekehrt wären.
Er konnte nur daran denken, wie Rebeccas Blick von einer Hoffnung erfüllt war, die ihr Gesicht leuchten ließ und ihm den Atem raubte. Und daran, dass er es gewesen war, der diesen Gesichtsausdruck bei ihr hervorgerufen hatte.
Er verbannte den Gedanken daran, dass Rebeccas Vater sie eines Tages mit Baka verheiraten würde, aus seinem Kopf. Heute konnte er die Dinge zum Guten wenden – selbst, wenn es nur für eine kurze Zeit währte.
»Auf meinen Befehl hin. Denn ich bin der Erzengel Raphael.«