Читать книгу Lash (Gefallener Engel 1) - L.G. Castillo, L. G. Castillo - Страница 7

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Lash beobachtete die hochgewachsene Rothaarige, während sie den verräucherten Raum absuchte. Die einzige Beleuchtung kam von einer Reihe Lichter, die die Bühne säumten, wo zwei ihrer Kolleginnen an der Stange tanzten. Es war später Nachmittag und das Geschäft ging schleppend, abgesehen von der Gruppe Männer im Ruhestand, die Stammgäste der Bar waren. Als die Augen der Frau zur hinteren Ecke des Raums wanderten und seinem Blick begegneten, lächelte er spöttisch über das Begehren, das ihr ins Gesicht geschrieben stand, als sie das schwarze T-Shirt musterte, das wie angegossen um seinen gutgebauten Oberkörper lag, die ausgeblichenen, zerrissenen Jeans, die ihm auf den Hüften saßen und das wilde dunkle Haar.

Lash lächelte ihr entgegen, als sie auf ihn zu schlenderte. Seine Augen wanderten über ihren Körper und verschlangen die langen Kurven ihrer Beine, die mit Leoparden-Nippelpflastern überklebten Brüste und den dollargesäumten Tanga, der ihre Taille umrahmte und wenig der Phantasie überließ. Er stand auf, um sie zu begrüßen, als ihm eine Hand auf die Schulter schlug und ihn auf seinen Platz zurückstieß.

»Gabrielle«, knurrte er. »Wie hast du mich gefunden?«

»Hau ab, Schwester.«, sagte die Rothaarige und beäugte Gabrielle misstrauisch. »Der hier gehört mir.«

Gabrielle sah die Rothaarige an und runzelte die Stirn. Sie schüttelte den Kopf, zog ihre Lederjacke aus und warf sie dem Mädchen zu. »Verlass diesen Ort und komm nicht wieder.«

Die Rothaarige blinzelte verwirrt.

Gabrielle lehnte sich zu ihr vor und flüsterte: »Du wirst morgen einen besseren Job finden. Das verspreche ich.«

Verblüfft nickte die Rothaarige nur, zog Gabrielles Jacke an und ging zur Tür hinaus.

»Michael mag es nicht, wenn du deine Jedi-Tricks bei Menschen einsetzt.« Lash drohte mit dem Finger.

Gabrielle zerrte einen Stuhl hervor und wischte ihn mit einer Serviette ab, bevor sie sich setzte. »Fünfunddreißig Jahre auf der Erde und alles, was du dir angeeignet hast, ist umfasssendes Wissen über George-Lucas-Filme. Hervorragend.«

»Lass es uns als anthropologische Studien der menschlichen Natur bezeichnen.« Lash grinste und hob sein Glas.

Gabrielle runzelte die Stirn. »Du besudelst deinen Körper genauso wie deinen Verstand.«

»Ich hätte gedacht, du fändest das amüsant.«

»Ich habe wichtigere Dinge zu tun, als zuzusehen, wie du in deinem selbstgeschaffenen Elend schwelgst.«

»Was? Es ist dir egal, ob ich der dunklen Seite verfalle?« Lash täuschte großäugige Unschuld vor. »Das tut weh.«

»Ich weiß nicht, was Raphael in dir sieht. Ich verschwende hier meine Zeit.«

»Wenn du nicht vorhast, diese Klamotten da auszuziehen und um diese Stange da drüben herumzutanzen, dann würde ich sagen, ja, das tust du allerdings.«

Ihr Blick wurde kalt. »Primitivling.«

»Manchen Frauen gefällt das.« Er grinste unverschämt.

»Puh, lass uns das hinter uns bringen. Ich habe eine Aufgabe für dich.«

»Ich bin raus aus dem Familiengeschäft, weißt du noch?« Lash lehnte sich auf seinem Sitz zurück. »Soweit ich mich erinnere, warst du dabei, als ich ohne viel Aufhebens zur Tür rausgeworfen wurde.«

»Das war das Highlight meines Jahrhunderts.«

»Da bin ich sicher.« Lash blickte in ihre katzenartigen Augen und wünschte, er könnte ihr die Selbstgefälligkeit aus dem Gesicht wischen. »Egal, was du für mich hast, ich bin nicht interessiert.«

Gabrielle zog eine Augenbraue hoch. »Bist du sicher?« Sie zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Hintertasche ihrer Jeans und wedelte damit vor seinem Gesicht herum. »Bist du nicht ein kleines bisschen neugierig, weshalb Michael dir nach all diesen Jahren eine Aufgabe geben würde?«

Er war neugierig, aber er wollte auf gar keinen Fall, dass Gabrielle das mitbekam. Er kippte auf dem Sitz nach hinten, balancierte auf dessen Hinterbeinen und legte die Füße auf den Tisch. »Es ist mir völlig egal.«

»Ich habe Raphael gesagt, er soll seine Zeit nicht verschwenden.«

Sein Stuhl schwankte und er drohte die Balance zu verlieren. Schnell korrigierte er seine Haltung. Ohne die Augen von ihr abzuwenden, sagte er: »Da sind wir tatsächlich mal einer Meinung.«

Gabrielle warf das Papier in die Mitte des Tischs. »Ob es dir egal ist oder nicht, geht mich nichts an. Was du damit machst, ist deine Entscheidung.«

Lash warf aus dem Augenwinkel einen Blick auf das Papier. Er wusste, dass sie ihn weiterhin beobachten würde, nachdem sie gegangen wäre, um zu sehen, ob er doch einen Blick darauf warf. »Du gehst schon?« Er ließ die Vorderbeine des Stuhls auf dem Boden aufsetzen, als sie aufstand.

»Ich habe Wichtigeres zu tun, als dir beim Verschwenden deiner Gaben zuzusehen. Michael hätte sie dir alle wegnehmen sollen, als er dich rausgeworfen hat.«

»Gaben? Ich bitte dich. Mach keine Witze. Was ich in meiner menschlichen Form tun kann, ist begrenzt, das weißt du.« Seine Fähigkeit zu sehen und zu hören war immer noch besser als die der Menschen und er war um einiges stärker als sie, aber die Entfernung, die er fliegen konnte, war stark eingeschränkt. Er hasste das.

»Ach, du Ärmster«, sagte sie, bevor sie sich abwandte und zur Tür ging. »Ich bin hier fertig.«

»Warte!«, rief Lash hinter ihr her. »Warum hat Michael dich geschickt, um den Auftrag zu überbringen?«

Gabrielle drehte sich um, ihre durchdringenden Augen begegneten seinen und ihre Lippen verzogen sich zu einem durchtriebenen Lächeln. »Ich habe mich freiwillig gemeldet.«

Ihre Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Sie wusste, dass er die Nachricht ablehnen würde, wenn sie sie selbst überbrachte. Es musste etwas wirklich Wichtiges sein, wenn sie verzweifelt genug war, sicherzustellen, dass er sie nicht entgegen nehmen würde.

Lash griff nach dem Zettel und Gabrielles Lächeln gefrohr. Er lachte leise. »Du willst wirklich nicht, dass ich das sehe, oder?«

Gabrielle Gesichtszüge glätteten sich und sie zuckte mit den Schultern. »Wie gesagt, mir ist es ziemlich egal.« Sie öffnete die Tür und ließ das Licht des Nachmittags in den dunklen Club strömen. Als sie zur Tür hinaustrat, murmelte sie leise: »Schwächling«, und knallte die Tür hinter sich zu.

»Schlampe!«, rief Lash hinter ihr her, wohlwissend, dass sie ihn auch dann hätte hören können, wenn er geflüstert hätte. Ohne nachzudenken griff er nach dem Zettel, zerriss ihn in Stücke und warf sie in die Luft. Während die weißen Stücke zu Boden segelten, stürzte er den Rest seines Whiskeys hinunter und knallte das Glas auf den Tisch, dass es zerbrach.

Verdammter menschlicher Körper und dessen Schmerzempfinden. Er zuckte zusammen, als er seine Faust öffnete, um Glassplitter aus seiner Handfläche zu pflücken. Blut quoll hervor und tropfte auf den Tisch.

»Süßer, bist du – ach herrjeh, du blutest ja!«, sagte eine Frau mit gedehnter Stimme. Sie lief hinüber zur Bar und kam mit einem Geschirrtuch zurück. »Wickel dir das hier um die Hand.«

Lash entriss ihr das Tuch. Er war wütend, weil Gabrielle ihn überlistet hatte.

»Hey!«, rief die Frau. »Du musst nicht so gemein sein.«

Lash sah auf und blickte in ein Paar grüner Augen, die denen Gabrielles nicht unähnlich waren, nur viel freundlicher. Sie schnappte nach Luft.

»Du bist wunderschön«, murmelte sie fasziniert. »Kann ich dir irgendwas bringen?«

Lash grinste. In ihrer menschlichen Gestalt wurden alle Engel von den Menschen als umwerfend wahrgenommen, selbst die gefallenen. Zu seinem Glück bemühte sich jede Frau, der er seit seinem Rauswurf begegnet war, um seine Aufmerksamkeit und tat alles, worum er sie bat. Zuerst hatte er das nicht ausnutzen wollen, aber als ihm klar geworden war, dass er auf sich allein gestellt war, musste er von irgendetwas leben. Wunderschöner Körper hin oder her, er musste bekleidet, ernährt und untergebracht werden. Menschen waren so pflegebedürftig.

»Nein, mir geht’s gut«, antwortete Lash, wischte sich die Hand ab und steckte sie in seine Jackentasche. »Es ist nur ein Kratzer.« Er wusste, dass die Wunde in einigen Minuten verheilt sein würde. Das war eine der Fähigkeiten, die er hatte behalten dürfen und die sich über die Jahre als praktisch erwiesen hatten.

»Bist du sicher? Es sah ziemlich übel aus.«

»Ja, ich bin sicher.« Er musterte sie, während sie vorsichtig die Glassplitter aufsammelte und sie in einen Mülleimer in der Nähe warf. In der schummrigen Bar sah sie aus wie eine jüngere Version von Gabrielle. Als sie sich umdrehte, folgten seine Augen den Einstichspuren ihre Arme hinauf. Seine Hand stieß auf ein Plastiktütchen in seiner Tasche und er lächelte. Ihm kam ein Gedanke, wie er es Gebrielle heimzahlen und gleichzeitig ein wenig Spaß haben konnte.

Er schenkte der Frau seinen glühensten Blick. »Wie heißt du?«

Ihre Augen verdunkelten sich. »Megan«, sagte sie atemlos.

Er lehnte sich vor und schob ihr eine Strähne blonden Haars hinters Ohr. »Hast du Lust auf ein bisschen Spaß?«


Lash konzentrierte sich auf auf den Druck, der sich in seinem Magen anstaute. Sein Körper bewegte sich vor und zurück. Er genoss das Glühen auf der Haut – es war die einzige Art von Wärme, die ihm eine Ruhepause von der Taubheit der letzten fünfunddreißig Jahre verschaffen konnte.

Anfangs hatte er das Leben unter den Menschen für ein Abenteuer gehalten. Er war wirklich neugierig gewesen, wie es sich anfühlte, sich auf der anderen Seite zu befinden. Er hatte gedacht, man würde ihm vergeben und ihn wieder in die Gemeinschaft aufnehmen. Es war ja nicht so, als ob er eine Todsünde begangen hätte oder so was. Aber Monate waren zu Jahren geworden und Jahre zu Jahrzehnten. Als ihm klar geworden war, dass er nie nach Hause zurückkehren würde, war ihm alles egal geworden.

Er schloss fest die Augen und versuchte, den zufriedenen Ausdruck auf Gabrielles Gesicht in dem Moment, als er verstoßen worden war, auszulöschen, aber er schwelte weiter in seinen Gedanken.

Es störte ihn, dass er so einfach rausgeworfen worden war. Hatten sie nicht anerkannt, wie schwer es für ihn gewesen war, Menschen zu helfen, die so undankbar waren? Es war so weit gekommen, dass viele sich zu dem berechtigt fühlten, was er zu geben hatte. Die Leute glaubten, dass alles was sie tun musssten, war, darum zu bitten und sie würden es erhalten. Ja, es gab Zeiten, in denen er gegen Anordnungen verstoßen hatte, aber letztendlich hatte es sich immer ausgezahlt und seinen Schützlingen war es dadurch besser gegangen. Als es um das kleine Mädchen gegangen war, das es wirklich verdient hatte, zu leben, hatte er aus reinem Instinkt heraus gehandelt. Er war sich sicher gewesen, dass Michael in dieser Sache auf seiner Seite stehen würde. Na, scheiß drauf – und scheiß auf den Job.

Ein Stöhnen lenkte ihn von seinen Gedanken ab und er blickte hinab auf dessen Ursprung. Strähnen künstlich blonden Haars schwangen synchron mit seinen Hüften und streiften seine Oberschenkel. Das Gefühl von feuchter Hitze verschlang ihn, als er schneller in die glitschigen Tiefen ihres Mundes stieß. Er lechzte verzweifelt nach Wärme und nach dem Loslassen der Dunkelheit, die ihn überwältigt hatte.

»Fuck!«, rief er, als der Druck in seinem Innern explodierte. Für diesen kurzen Moment entkam er den unsichtbaren Ketten, die ihn an die Kälte fesselten, und Wärme breitete sich in seinem Körper aus. Er war wieder zuhause, wandelte unter dem leuchtend blauen Himmel und die Sonne schien ihm aufs Gesicht.

So schnell, wie es gekommen war, verschwand das Gefühl. Ein Frösteln kroch seinen Rücken hinauf und ließ ihn schaudern. Plötzlich überfiel ihn der Gestank von verfaulten Eiern und Urin und er riss die Augen auf. Er befand sich wieder in dem Drecksloch, das jetzt sein Leben war. Gestern war es das »Triple Leaf Motel« gewesen; heute war es das »The Lucky Seven Inn«. Sie waren alle gleich. So wie die Frauen, die ihm halfen, alldem zu entkommen, selbst wenn es nur für einen Augenblick war.

Grüne Augen sahen zu ihm auf. Er stellte sich vor, dass es ihr Gesicht war, dasjenige, dass ihn zu dem Schicksal verdammt hatte, weitab von Familie und Freunden auf Erden zu wandeln. »Schluck’s runter.«

Megan schluckte, stand dann langsam auf und rieb ihren dünnen, nackten Körper an seinem. »Komm schon, Baby, gib mir ’nen Schuss.«, schnurrte sie.

Er griff nach seiner Jeans, zog ein Tütchen voller klarer Kristalle heraus und warf es ihr zu.

Sie kreischte auf und lief zur anderen Seite des Zimmers, wo ihre Handtasche lag. Sie schüttete den Inhalt auf den Boden, was ein Gewimmel an Schaben dazu brachte, Deckung zu suchen.

Lash ging zur Küche, wenn man das in einer Einzimmerwohnung so nennen konnte. Er goss sich ein Glas Whiskey ein, während er Megan beobachtete. Mit der Präzision einer Chirurgin bewegten sich ihre Hände. Sie hielt mit der einen Hand ein Feuerzeug unter einen rostigen Löffel und in der anderen eine Kanüle.

Für einen kurzen Moment regten sich Schuldgefühle in seinem Gewissen.

»Oh, Baby, das hier ist verdammt gutes Zeug!« Sie löste die Bandage von ihrem Arm, kroch ins Bett und sah ihn verführerisch an. »Warum leistest du mir nicht Gesellschaft?«

Im gedämpften Licht sah er einen Abglanz der Schönheit, die sie einst gewesen war. Es war offensichtlich, dass ihre Drogenabhängigkeit ihren Tribut gefordert hatte – ihr Haar hing kraftlos und fettig herunter und ihre Haut war bleich. Nadelzerstochene Arme streckten sich ihm entgegen. »Komm her. Ich helf dir.«

»Ich würde viel mehr als das brauchen, um auch nur den kleinsten Kick zu fühlen.« Er sammelte ihre Kleider vom Boden auf und warf sie ihr zu. »Zieh die an.«

Sie zog sich ein ausgeleiertes, dunkelrotes T-Shirt über den Kopf. »Wieso das denn? Bist du so ’ne Art Supermensch oder so?«

Er schnaubte. »Wenn ich dir was zeige, versprichst du, es für dich zu behalten?«

Sie kroch an die Bettkannte. »Ich schwöre es bei meinem Leben.« Sie machte das Zeichen eines Kreutzes über der linken Seite ihres Oberkörpers.

Lash grinste und trat einen Schritt zurück. Er ließ die Arme an seine Seite fallen, die Handflächen nach oben gerichtet, und entspannte seine Schultern. Dann presste er.

Das Mädchen keuchte auf, als das Geräusch zerreißender Haut erklang.

»Was machst du da?«, rief sie, als Blutstropfen zu Boden fielen.

Er lächelte. »Warte. Da kommt noch mehr.«

Ihre Augen weiteten sich, als sich zwei weiße Objekte hervorschoben, die sich über die Länge seines Rückens erstreckten. Er presste ein letztes Mal und sie entfalteten sich.

»Was zum…« Sie rieb sich die Augen. »Scheiße! Du bist ein Engel.«

Sie fuhr hoch, als es jemand an der Tür klopfte.

»Lahash, ich bin es, Raphael. Öffne die Tür. Ich weiß, dass du da drinnen bist.«

»Geh weg!«, knurrte Lash.

Die Tür schwang auf und Raphael trat ein. Kalte blaue Augen starrten Lash zornig an. »Ich habe genug von deinem Unsinn, Lahash.«

»Oh Gott«, sagte Megan und ihre Augen weiteten sich. »Bist du Er? Bist du –« – sie schluckte – »Gott?«

Raphael blickte herab auf das halbnackte Mädchen. Seine Augen wurden sanft. »Wie ist dein Name, mein Kind?«

»Megan.« Glasige Augen sahen ihn ehrfürchtig an.

Lash machte einen Schritt nach vorn. »Raphael, du hast kein –«

»Ich weiß, was du sagen willst. Und du irrst dich. I habe sehr wohl das Recht, hier zu sein.« Raphaels Lippen pressten sich zu einer dünnen Linie zusammen, als er zwischen Lashs Flügeln und Megans schockiertem Gesicht hin- und hersah. »Du hättest dich vor ihr nicht so zeigen sollen. Es wird nur eine Belastung für das arme Mädchen sein.«

»Oh, ich habe Teile von mir gezeigt, von den du nicht einmal träumen könntest.« Lash zog den Reißverschluss seiner Jeans hoch und grinste.

»Was ist mit dir passiert?« Raphael trat einen Schritt nach vorn und sein Gesichtsausdruck wechselte von wütend zu besorgt. »Du hast noch nie mit solcher Verachtung zu mir gesprochen.«

»Fünfunddreißig Jahre sind passiert! Was hast du denn erwartet?« Lash faltete seine Schwingen in seinen Körper und griff nach seinem Hemd. »Sie wird wahrscheinlich denken, es ist ein Teil ihres Trips.« Um ihretwillen hoffte er, dass sie sich an nichts erinnern würde. Raphael hatte Recht – er hätte sie nie hierher bringen sollen. Er hatte allerdings nicht vor, das ihm gegenüber zuzugeben. Gabrielle mochte diejenige gewesen sein, die seinen Rauswurf veranlasst hatte, aber bis jetzt hatte er nichts von seinem sogenannten Freund gehört.

Raphael schüttelte den Kopf und wandte sich mit mitleidigem Blick Megan zu. »Komm her, mein Kind.«

Megan stolperte auf Raphael zu und war kurz davor, zu Boden zu stürzen, als er sie auffing. Er hob ihren Kopf und musterte sie aufmerksam. »Weißt du, wer ich bin?«

»Gott?«, flüsterte sie.

»Ich bin Raphael, Erzengel des Heilens, des Mitleids und der Liebe. Du hast deinen Körper entweiht, um den Schmerz zu lindern, der tief in deiner Seele wütet. Er weiß, wonach dein Herz sich sehnt. Du musst nur darum bitten, dann wird es dir gewährt.«

Sie zwinkerte verwirrt. »Wer ist Er?«

»Er ist unter vielen verschiedenen Namen bekannt: Gott, Herr, Allah, Jahwe… sie sind alle ein und derselbe. Wisse dies: Er liebt dich.«

»Worum soll ich bitten?«

»Um was immer du wünschst.« Raphael streichelte sanft ihr Gesicht.

Sie blickte in Raphaels Augen und ihr Gesicht verzerrte sich. Sie ließ sich auf die Knie fallen und schlang ihre Arme um seine Beine. »Mach, dass es weggeht, bitte. Ich will den Schmerz nicht mehr fühlen.«

Raphael hockte sich auf den Boden und nahm Megans Hände in seine eigenen. »Der Mann, der sich dein Vater nennt, wird dir nicht länger weh tun. Du bist kein Sexobjekt oder die persönliche Sexsklavin, zu der er dich gemacht hat. Du bist ein Kind Gottes, und mit Vertrauen in Ihn wirst du Frieden finden.«

Es tat Lash im Herzen weh, als er sah, wie ihr Tränen über die Wangen liefen, und wieder nagten Schuldgefühle an ihm. Sie war nicht die erste Frau, die er benutzt hatte. Es war leicht, von einem Mädchen zum nächsten zu ziehen; es war nur Sex. Sie waren zufrieden – er war zufrieden. Was war schlimm daran? So lange er sich auf One-Night-Stands beschränkte und sie nicht näher kennenlernte, war er in der Lage, die Mauer, die er um sich selbst errichtet hatte, aufrecht zu erhalten. Aber tief im Innern hatte er gewusst, dass das, was er tat, egoistisch und falsch war.

Raphael fasste nach ihrem Arm und fuhr mit seiner Hand über die frischen Nadelstiche. Megan stöhnte, als ein Kräuseln die Länge ihres Arms hinauffuhr wie ein Wurm, der unter ihrer Haut gefangen war. Die Bewegung kam an der kleinen Einstichstelle zum Stillstand, wo sie sich die Injektion gesetzt hatte, und eine weiße, gel-artige Substanz quoll hervor.

Megans Augen weiteten sich und sie schauderte, als das weiße Gel auf den Fußboden tropfte. Als es vorüber war, sah sie zu Raphael. Ihre Augen waren klar und wach. »Danke.«

»Gehe nun und sündige nicht mehr.«

Megan küsste seine Hände. Eilig zog sie sich ihre Jeans an, griff nach ihrer Handtasche und warf deren Inhalt und ihr Drogenbesteck hinein. Als sie zur Tür ging, begegneten ihre Augen denen Raphaels und ihre Wangen röteten sich vor Scham.

Raphael berührte leicht ihre Wange. »Denke daran, was einmal war, ist nicht mehr.«

Sie begann zu lächeln. Mit einem Blick hinunter auf ihre Handtasche, drehte sie sich um und warf sie in den Mülleimer, bevor sie mit erhobenem Kopf hinausging.

Lash ging zum Mülleimer und durchsuchte die Tasche, um ein Feuerzeug und einen Joint herauszuholen. Er funkelte Raphael an und forderte ihn stumm heraus, einzugreifen, als er ihn anzündete und einen Zug nahm.

»Lahash, du kannst mir nicht weißmachen, dass dieses… dieses Zeug bei dir tatsächlich wirkt«, tadelte Raphael. »Unsere Körper reagieren nicht so auf Fremdsubstanzen, wie menschliche Körper es tun.«

»Nein«, antwortete er und hielt einen Moment lang den Atem an, um dann langsam den Rauch auszustoßen. »Ich fühle gar nichts.«

Raphael verzog das Gesicht. Lash war kurz davor, einen weiteren Zug zu nehmen, als – mit einem Wedeln von Raphaels Hand – der Rauch verschwand und sich der Joint in Asche verwandelte. »Erkläre mir doch bitte, warum du dir dann die Mühe machst, deinen Körper damit zu beschmutzen?«

»Weil es dich zur Weißglut treibt.« Er lächelte spöttisch.

Raphaels Augen wurden kalt. Er packte Lash am Hals und warf ihn gegen die Wand. Er kam ganz nah heran, sein Gesicht weniger als zwei Zentimeter von Lashs entfernt. »Es ist genau diese Einstellung, die dich aus dem Himmel verbannt hat.«

»Einen Scheiß war es das.« Lash kämpfte gegen ihn an. »Diese Schlampe Gabrielle ist Schuld. Sie hätte mich nicht anschwärzen müssen.«

»Nein, Lahash. Du warst es. Du warst es ganz allein.« Raphaels Gesicht rötete sich, während er Lash so stark gegen die Wand presste, dass dabei Risse in ihr entstanden. »Du hast in ihre Aufgabe eingegriffen und ihre Autorität als Erzengel in Frage gestellt. Alle Missionen werden aus einem Grund erteilt und sollten entsprechend ausgeführt werden. Das Mädchen hätte den Unfall nicht überleben sollen.«

»Gabrielle« – er spuckte ihren Namen aus, als hätte er einen bitteren Geschmack – »hat auf eine Gelegenheit gewartet, mich rauswerfen zu lassen. Sie hasst mich.«

»Das ist nicht wahr.«

Sein Blick verfinsterte sich. »Das tut sie. Du bist nur zu blind, es zu sehen.«

Raphael schloss seine Augen und atmete tief ein. Seine Wut half Lash nicht, zur Vernunft zu kommen; sie tat genau das Gegenteil.

»Ich weiß, dass ihr beide nicht im besten Einvernehmen steht.«

»Das ist eine Untertreibung«, murmelte Lash.

Raphael beachtete ihn nicht und fuhr fort. »Ihr liegt das Wohl aller am Herzen, auch deines. Davon bin ich überzeugt.« Er lockerte seinen Griff und trat beiseite. »Du warst leichtsinnig, diejenigen um dich herum nicht zu beachten. Ich verstehe diese Art deines Verhaltens nicht.«

Lash seufzte und setzte sich auf die Kannte des Bettes. »Ich sehe den Sinn darin nicht. Wieso geben wir uns überhaupt mit dem, was wir tun, ab? Die Menschen werden sowieso machen, was sie wollen. Wie Megan. Sie wird wahrscheinlich innerhalb einer Stunde wieder high sein.«

»Genau das ist dein Problem, Lahash. Du hast den Glauben verloren.«

»Den Glauben?« Lash schnappte sich die Fernbedienung vom Nachttisch und schaltete den Fernseher ein. Er zappte durch die verschiedenen Kanäle und hielt zwischen jedem Knopfdruck einen Moment lang inne. Er spannte de Unterkiefer an, als er düster auf jedes Bild sah, das über den Bildschirm flackerte: blutüberströmte Männer, Leichen auf einer Schotterstraße und in Schwarz gewandete Frauen, die vor Schmerz und Trauer weinten; ein zerstörtes Gebäude mit Rauch und Asche in der Luft, Frauen und Kinder, die aus ihm hinausliefen, aschebedeckt; ein dunkelhäutiger kleiner Junge, nicht älter als vier Jahre, gekleidet in schlammverschmierte Shorts, mit vor Hunger geschwollenem Bauch und leerem Gesichtsausdruck, der allein am Rande einer Straße stand.

Er stoppte bei einem Kanal, der eine Gruppe Frauen zeigte, die Kleinkinder schminkten und anzogen, so dass sie wie teure Eskort-Girls aussahen, damit sie bei einem Schönheitswettbewerb gewannen.

Lash schleuderte die Fernbedienung von sich, so dass der Bildschirm zerbrach. »Ist es das, von dem du willst, dass ich daran glauben soll? Wie soll ich an sie glauben?«

Raphael sah zum zerbrochenen Fernseher, seine Augen glänzten. »Lash, denkst du nicht, dass ich nicht genau wie du gefühlt habe? Ich hatte auch Schwierigkeiten, an Menschen zu glauben, besonders, wenn es so aussieht, als ob sich niemand um irgendjemanden schert als sich selbst.« Raphael legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Michael hat zugestimmt, dir noch eine Chance zu geben. Er wird dir erlauben, zurückzukehren, wenn du deine Hingabe und dein Vertrauen unter Beweis stellst.«

»Weshalb sollte ich das tun wollen?«, fragte Lash und täuschte Desinteresse vor. Die Mauer, die er um sich selbst errichtet hatte, um sich vor Verletzungen zu schützen, war vollkommen.

»Mich kannst du nicht täuschen. Ich weiß, dass du zurück willst.«

Scheiße. Er hätte sich denken können, dass Raphael ihn sofort durchschauen würde.

»Also gut. Was muss ich tun?«

Erleichterung leuchtete in Raphaels Augen auf und er ließ den Atem ausströmen. Er nahm einen Umschlag aus der Innentasche seiner Jacke. »Das sind der Ort und das Foto deines nächsten Schützlings.«

Lash seufzte, riss den Umschlag auf und holte eine Karte heraus. »Naomi Duran«, las er. »Duran. Warte mal, ist sie mit Javier Duran verwandt?«

Raphael öffnete den Mund und schloss ihn dann. Lash ahnte, dass es etwas Wichtiges gab was er ihm sagen wollte, aber es sah aus, als hielte ihn etwas zurück.

»Alles, was ich dir sagen kann, ist, dass es von größter Wichtigkeit ist, dass du sie beschützt«, erklärte Raphael.

Lash fluchte zwischen zusammengebissenen Zähnen. Sie würden es ihm nicht leicht machen. Er drehte die Karte um. Von der Rückseite blickte ihn eine hübsche junge Frau mit großen hellblauen Augen an. Stille senkte sich über das Zimmer, als er das Foto eingehend betrachtete. Er sah auf und stellte fest, dass Raphael sich erwartungsvoll zu ihm hingebeugt hatte.

»Was denn?«

»Nichts.« Raphael wandte die Augen ab. Er ging zum einzigen Fenster im Zimmer und zog den Vorhang zurück. »Schau es dir nochmal an. Wenn du ein Foto von besserer Qualität brauchst, kann ich dir eines besorgen.«

Lash sah Raphael misstrauisch an. Er verhielt sich seltsam. Lash sah noch einmal auf das Foto hinunter. Da war etwas Vertrautes an ihr, das er nicht genau benennen konnte. Er zeichnete mit einem Finger ihren vollen, roten Lippen nach. Er hatte ihr nicht in der Vergangenheit zugeteilt sein können; an jemanden, der so aussah wie sie, hätte er sich erinnert. »Das Foto ist in Ordnung. Also, alles, was ich tun muss, ist sie zu beschützen. Wovor?«

Raphael blickte zum schmutzigen Fenster hinaus und neigte dann den Kopf, als lauschte er auf etwas. »Wir sollten uns bei dem hier beeilen«, sagte er und kam auf Lash zu. Er legte seine Hände an Lashs Schläfen und eine Vision von Naomi erschien.

»Was zum… versucht sie, sich umzubringen?«, rief Lash.

Raphael zog seine Hand zurück.

»Du kannst mir das nicht einfach zeigen und verschwinden«, sagte Lash.

»Ich hätte dir das überhaupt nicht zeigen sollen.« Raphaels Gesicht spiegelte Sorge wider, während er hinausging.

Lash lief in den Flur. »Warte! Wird Michael mir wenigstens alle meine Kräfte wiedergeben?«

Raphael ging weiter, sein Bild verblasste mit jedem Schritt, den er machte, mehr. »Nein. Das hier musst du allein machen.«

Lash (Gefallener Engel 1)

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