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Kapitel 2 Eine Hochzeit und zwei Männer weniger

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Langsam aber sicher ging mein Urlaub zur Neige und eigentlich war ich auch den Umständen entsprechend zufrieden. Als jedoch an einem der letz­ten Abende, wie so oft, Boris mal wieder bei mir war, erlebte ich eine nicht ganz so tolle Überra­schung. Ich wusste, da stimmt was nicht, war da doch dieses komische Bauchgefühl in der letzten Zeit, auf das ich mich bisher immer sehr gut verlas­sen konnte.

Er saß auf der Couch, war unge­wöhnlich still. Ich stand am Balkon und rauchte eine Zigarette. Dann auf einmal rückte er mit der Sprache raus, beziehungsweise fiel wohl eher mit der Türe ins Haus. “Ich habe gedacht aus uns könnte vielleicht wieder etwas werden. Wir verstehen uns doch so gut und sehen uns fast täglich. Meine Ge­fühle für dich waren nie fort. Meinst du nicht wir könnten es noch einmal miteinander versuchen?”, waren seine Worte.

Ich kann kaum beschreiben, wie ich mich in dem Moment fühlte. Dieser Mensch war mein bester Freund, er war wie ein Bruder für mich und wusste alles von mir. Irgendwie hatte ich es ja ge­ahnt, aber das ist genauso, wie wenn du weißt, dass jemand stirbt und du trotzdem geschockt bist, wenn es so weit ist. Genauso so war es auch in die­sem Fall. Und gestorben ist im übertragenen Sinne auch etwas, nämlich letztendlich die Freundschaft zwischen uns.

“Oh je Boris. Du weißt doch, dass ich nichts erzwingen kann, was nicht da ist. Es tut mir leid, aber mehr kann ich dir nicht geben”, erwiderte ich mit verzweifelten Blicken. Mir standen die Tränen in den Augen, ihm allerdings auch. Mich überkam sofort ein ätzendes Scheißgefühl, denn ich spürte, dass es ab jetzt zwischen uns nie wieder so sein würde, wie vorher. Dann stand er auf und ging. Ich war traurig und dermaßen wütend.

Als er weg war, kam es über mich und eine Träne nach der anderen kullerte mir die Wangen hinunter. Ich versuchte es zu verstehen und dachte nach. So einiges wurde mir klar und bewusst. Immer mehr kam die Wut in mir hoch. “Alle wollen dich nur ins Bett kriegen, keiner will dir helfen”, erinnerte ich mich, gehört zu haben. “Ich erzähle immer ganz stolz von unserer Freundschaft. Das dies möglich ist zwischen Mann und Frau”, waren noch vor kurzem seine Worte. Wohl offensichtlich alles dummes Geschwätz, zumindest dachte ich dies vor lauter Wut. Große Enttäuschung und ein dickes Fragezeichen nahmen Platz in meinem Kopf. “Das gibt es nicht. Ich bin im falschen Film. Hammerhart.” Selbst meine innerliche Stimme wusste nichts Besseres darauf zu sagen. “Toll Lara. Eine zerbrochene Ehe, keine Kohle mehr, etliche Hochzeitszugehörigkeiten organisieren und jetzt geht dir dein bester Freund noch flöten, super! Und was kommt als nächstes?”, dachte ich kopfschüttelnd.

Hätte ich damals gewusst, dass dies erst der Anfang des dicken Überraschungspaketes war, dann wäre ich doch besser ausgewandert. Heute kann ich Boris Lage etwas besser nachvollziehen, als damals. Sicherlich hätte er mir auch soviel geholfen, wenn keine derartigen Gefühle im Spiel gewesen wären. Davon bin ich überzeugt. Und es ist auch nicht einfach, vielmehr eigentlich unmöglich sich gegen sein Herz zu wehren, so sehr man es auch möchte. Definitiv war Boris nicht wie jeder andere. Er kämpfte gegen seine Gefühle und verlor den­noch. Doch damals war meine Wut stärker und wie so oft versteht man viele Dinge erst dann, wenn man sie selbst am eigenen Leib erfahren hat.

Am selben Abend noch telefonierten und diskutier­ten wir über sein Geständnis. “Wenn ich weiterhin Kontakt mit dir habe, werde ich immer mit dir zusammensein wollen”, sagte er schwerfällig. “Dann hast du mir also die ganze Zeit einen vorgemacht? Und ich dachte wir wären Freunde”, erwiderte ich wütend und mit enttäuschter Stimme. Den Rest des Gespräches schwiegen wir mehr oder weniger. Es vielen kaum noch Worte. Ich war einfach nur sprachlos. Weinte vor Wut, vor Enttäuschung, vor Angst ihn nicht mehr halten zu können und schließlich wurde mir klar, dass ich meinen besten Freund verloren hatte. Das Telefonat war somit beendet, es sagte ja sowieso keiner mehr etwas.

Ein paar Tage später dann erfuhr ich, dass er eine Frau über eine Art Singlebörse im Internet kennengelernt hatte. Noch am selben Abend verabredeten sie sich miteinander und einen Tag später waren sie zusammen. “Na Prost Mahlzeit”, dachte ich. “Na ja gut, wenn er meint, dann bitte.”

Seine Drohung bezüglich des Kontaktes machte er wahr. Von da an herrschte erst mal Funkstille. “Soviel dazu, dass auch Menschen die man neun Jahre kennt, sich von jetzt auf gleich um 180 Grad drehen können”, wurde mir enttäuscht bewusst und dass obwohl wir uns immer geschworen hatten: Wir halten Freundschaft, komme was wolle.

Mit neuem Gefühl im Bauch, nämlich Wut, machte ich da weiter, wo ich aufgehört hatte: Junggesellinnenabschied. Es ging an die Mosel. Wir veranstalteten dort eine Planwagenfahrt, machten ein paar total bebamste Spiele und grillten abends gemütlich am Lagerfeuer. Alles mit Unmengen von Alkohol und anschließender Übernachtung bei Marias Cousine.

Lustig war es in jedem Fall und gut schicker waren wir wohl alle, doch war es schon wieder da, dieses dumme Zwicken in meinem Magen. Diesmal aber wohl eher wegen Maria.

Irgendwie hatte ich das leichte Gefühl, als würde ihr irgendetwas nicht ganz passen. Ich dachte erst, es läge vielleicht an Sunny, eine andere gute Freundin von mir, welche auch mit auf dem Abschied war. Zur Zeit unternahm ich mit ihr mehr , als mit Maria, weil sie eben auch, genau wie ich, in keiner Beziehung steckte. Wahrscheinlich hatte Maria aber einfach nur Angst, unsere Freundschaft würde auseinanderdriften. Sicherlich gingen wir jetzt verschiedene Wege, doch ich wollte diese unbedingt parallel laufen lassen, nur war das nicht immer einfach.

Noch an diesem Abend bekam ich am Lagerfeuer einen äußerst freundlichen Spruch von ihr zu hören, wo ich doch nicht gerade erfreut drüber war. “Lara erzählt mir ja nichts mehr”, sagte sie ziemlich angeschickert, meckernd zu einer ihrer Freundinnen und warf einen drohenden Blick in meine Richtung. Ich hörte meinen Namen, wurde aufmerksam, wusste jedoch nicht so wirklich worum es überhaupt ging, da ich gerade mit meinen Gedanken woanders war und verträumt in das Feuer blickte. “Ich muss alles erst immer von anderen erfahren und wenn ich es Lara dann erzählen will, sagt sie immer nur: 'Och das weiß ich schon.'”, fügte sie dem noch hinzu. “Ja, danke für die Blumen”, dachte ich mir. Handelte es sich vielleicht um Dinge, die mir selbst im Vertrauen erzählt wurden, dann erzählt man sie nicht weiter oder? Und waren es auch häufig Sachen, die mich überhaupt nicht interessierten, zum Beispiel ob Hinz und Kunz ein Kind bekamen und Erni und Bert sich trennten. Ja mir doch schnuppe, so kannte ich die meisten Leute davon sowieso nicht richtig. Aus diesem Grund wurden solche Informationen in die Ablage: “Schon mal gehört, dennoch drauf geschissen” im hintersten Teil meines Hirns gespeichert und ich hielt es dann einfach nicht für wichtig solche hoch interessanten Dinge zu erwähnen. “Atme durch und schluck es runter”, sprach mein Kopf zu mir. Der Zeitpunkt mich dazu zu äußern, war wohl absolut unangemessen. An ihrem Junggesellinnenabschied musste das nicht sein. Also drehte ich mich weg und betrachtete weiter die tanzenden Flammen des Feuers. “Ähnliche Sprüche konnte ich mir doch vor einer Woche schon einmal reinpfeifen”, dachte ich währenddessen.

Auf ihrem Polterabend kamen auch wieder einige Beschwerden von ihr. “Du bist den ganzen Abend wo anders. Kommst mal gar nicht zu mir”, hieß es da, wieder in einem dementsprechend motzigen Ton. Ich hatte ihr ein Getränk vorbei gebracht, wechselte ein paar Worte mit ihr und ließ sie dann wieder in Ruhe und zwar nicht aus böser Absicht. Ich dachte mir nur: “Sie hat 200 Leute hier geladen, die sie nicht wie mich fast jeden Tag sieht. Wird wahrscheinlich tierisch im Stress sein, weil sie sich mit jedem mal Unterhalten möchte und froh sein, wenn ich nicht den ganzen Abend hinter ihr herlaufe und an ihrem Rockzipfel hänge.” Nein, war offensichtlich auch wieder falsch. So langsam wurde ich stinkig. Sonst konnten wir eigentlich über alles reden, aber so kurz vor der Hochzeit wollte ich bei ihr keinen zusätzlichen Stress herbeirufen.

Eine Woche nach dem Abschied folgte Marias großer Tag. Es war traumhaftes Wetter. Nicht zu warm, nicht zu kalt. Perfekt! Die Trauung fand auf dem heimischen Berg in der katholischen Kirche statt. Ich war so aufgeregt, als wäre ich die Braut persönlich. Als alle Gäste in der Kirche Platz nahmen, wartete ich draußen vor der Türe mit dem Brautstrauß in der Hand auf den schwarzen Oldtimer aus den 70er Jahren in dem Maria chauffiert werden sollte. Das Auto näherte sich. Sie strahlte, sah aus wie ein Engel. Das Kleid in weiß, ein absoluter Traum. In ihren Haaren steckten kleine Rosen. Die Frisur modern und doch romantisch. Sie sah unglaublich hübsch aus. Genau so sollte es sein. Genau so sollte eine Frau an diesem besonderen Tag aussehen. Was aus all den sachlichen Dingen hervorstieß, waren ihre funkelnden Augen und ihr Lächeln. Dies allein machte sie schon so hübsch. Ich freute mir Tränen in die Augen. Es war ein schönes Gefühl sie so glücklich zu sehen. Schnell gab es einen Bussi rechts und einen Bussi links zur Begrüßung. Noch fix wurden ein, zwei kurze Worte gewechselt, dann ging ich vor und nahm meinen Platz neben Mirko ein.

In meinem Kopf geschah alles wie in Zeitlupe. Der Organist fing an zu spielen. Die Türe ging auf und sie schritt voller Stolz den Gang in Richtung Altar entlang. Gänsehautgefühl pur. Die Zeremonie nahm ihren Lauf. Michael war sichtlich nervös, doch irgendwie sah er auch sehr erleichtert aus. Während der Pastor sprach, hörte ich kein Wort von dem was er predigte, ich sah nur die zwei und schweifte in Gedanken. Die ausgesuchten Lieder waren ebenso perfekt. Ich war glücklich sie zu sehen und genauso traurig, dass es bei mir anders gelaufen ist. An die zwanzigmal in den paar Minuten stellte ich mir die Frage nach dem “Warum?”. Warum hatte ich nicht so viel Glück wie sie? Warum musste mir genau das Gegenteil passieren? Ein innerlicher Kampf begann und ich rang mit den Tränen. Wäre ich allein gewesen, hätte ich locker einen zehn Liter Eimer damit befüllen können. “Hirn an Lara: Konzentriere dich! Mensch reiß dich zusammen. Das ist ihr Tag”, dachte ich und versuchte mich mit aller Kraft gedanklich, von dem gerade in mir angekommenen Tsunami der Trostlosigkeit abzulenken.

“Ja ich will”, kam über ihre Lippen und dieser kurze, jedoch ausschlaggebende Satz führte bei den meisten Anwesenden zu hochstehenden Nackenhaaren vor Freude und brachte mir zusätzlich den erlösenden Gedanken, dies alles bald überstanden zu haben. Für kurze Zeit fragte ich mich, ob es Mirko wohl ähnlich ging, doch ich wagte nicht, ihn in dem Moment anzusprechen, geschweige denn ihn anzusehen. Die Enttäuschung in mir, über seinen schleichenden Wandel der letzten Monate, war noch viel zu groß. “Tja, so ist das halt manchmal, wenn Menschen sich verändern”, dachte ich und stöhnte auf. Meine Laune ging zielstrebig die Treppen hinunter. “Reichlich dumm an solch einem Tag, also zack Maske aufsetzten und immer brav lächeln. Und möglichst viel rauchen, damit man es nervlich durchhält”, ging mir durch den Kopf während die Menge den heiligen Ort verließ.

Das Schlimmste war überstanden und es ging via Kolonne Richtung Festsaal zum beginnen der Feierlichkeiten und Fressattacken. Merkwürdigerweise verstand ich mich für den Rest des Abends recht gut mit Mirko, fühlte mich auch glatt ein wenig zu ihm hingezogen. “Hat vielleicht auch er eine Maske aufgesetzt?” Ich traute dem Braten nicht wirklich, war aber nervlich viel zu erschöpft und versuchte deshalb meine Gedanken für kurze Zeit auf Eis zu legen.

Das große Fressen begann, es wurde gespielt, es wurde gelacht, getanzt und gesungen. Wenn ich ehrlich bin, verbrachte ich die halbe Zeit des Abends damit, draußen vor der Türe zu rauchen. Die Kippen habe ich förmlich gefressen. Zu meinem Glück war ich nicht alleine, auch Trauzeugin Numero 2 war Kippen futtern. Es war absoluter Mist, kein gutes Vorbild und für fremde Augen auch sicher eine echt miese Trauzeuginnenaktion, doch in dem Moment war mir das egal. Ich versuchte doch nur zu vermeiden, dass ich Maria hinterher noch den Abend vermiese, denn mein trübseliges Erscheinungsbild ließ sich nun mal nicht ganz verbergen.

Als die ersten Gäste gingen, war ich irgendwie erleichtert. Nie zuvor war ich mit mir selbst so im Zwiespalt, wie in dieser Zeit. So sehr ich mich auf diesen Tag gefreut hatte, so sehr hatte ich auch Angst vor ihm, einzig und allein durch meine akute, demotivierende Situation.

“Maus ich geh jetzt. Mir tun die Füße weh”, jammerte ich Maria vor. Wie viel Uhr hatten wir? Eins? Zwei? Ich weiß es nicht mehr. Viele Gäste waren auf jeden Fall nicht mehr da. Maria war sichtlich begeistert. Ironie lässt grüßen. In ihrem Gesicht stand Enttäuschung ziemlich groß geschrieben. Wir tanzten noch einmal zusammen, dann fuhr ich nach Hause. Ich konnte einfach nicht mehr.

Heute verstehe ich alles. Unsere Gemütszustände waren in der Zeit so unterschiedlich wie die von Jack the Ripper und Mutter Theresa. Doch damals ist mir der Hintern explodiert und zwar am darauffolgendem Tag.

Wir trafen uns wie gewöhnlich am Stall. Schon bei der Begrüßung merkte ich, dass wir beide voll gestopfte Pulverfässer waren. “Weißt du wie viele Leute mich gestern angesprochen haben, wo denn meine Trauzeugen seien. Andauernd wart ihr draußen rauchen. Ich war schon echt enttäuscht, muss ich sagen.” Da war er. Dieser Satz von ihr, welcher als Zündfunke noch fehlte. In dem Moment kam mir der Dampf quer aus den Ohren geschossen. “Ich habe so die Schnauze voll. Die ganze Zeit über bist du nur am meckern. Das passt dir nicht, dies ist falsch, jenes ist nicht richtig. Die ganzen Wochen über habe ich nichts gesagt, weil ich dir keinen zusätzlichen Stress machen wollte, aber jetzt reicht es mir. Für mich ist das auch alles nicht leicht, schon mal drüber nachgedacht?”, schoss es lautstark aus mir raus, dann schwiegen wir uns nur noch an und gingen getrennte Wege. Selten hatten wir Streit, eigentlich so gut wie nie. Wie ich so etwas hasste.

Zu Hause auf meiner Couch saß ich da, schmollte und dachte nach. Schmerzen machten sich breit in meiner Magengegend. Auf meinen Bauch war wirklich immer verlass, dieser doofe der. Mir war klar, ich hätte eine bessere Trauzeugin sein können, doch unter diesen Umständen gab ich alles was ich konnte. Wäre es eine andere Zeit gewesen, hätte ich sicherlich mehr drauf gehabt, vor allem bessere Laune.

Mein Handy ging: Eine Sms von ihr: “Ich hab dich ganz doll lieb Maus, ich hoffe das weißt du! Ich bin dir super dankbar für alles was du für uns an Stress auf dich genommen hast! Ich hoffe die Zeiten werden wieder besser und auf der nächsten Party haben wir soviel Spaß wie sonst immer.”

Ein dicker Fels kullerte mein Herzchen hinunter. War ich zwar manchmal nach außen hin eine sture Sau mit harter Schale, nach innen aber war ich weich wie Butter in der Sonne. Mir schossen die Tränen binnen Sekunden in die Augen, so erleichtert war ich und die Wut verschwand sofort. Das hätte mir jetzt auch noch gefehlt. Eine Entschuldigung meinerseits folgte direkt im Anschluss ebenfalls als Sms und das Thema war geklärt, vom Tisch und die Bauchschmerzen schlagartig verschwunden. Schön! Wenn das mal überall und mit jedem so ein­fach wäre, doch leider ist das äußerst selten der Fall. Meine Mission als Trauzeugin war zwar nicht perfekt gelaufen, aber nun, Gott sei Dank, erledigt. Immerhin hatte ich sie überlebt, ohne noch weitere Dachschäden zu bekommen.

Es vergingen einige Wochen der Ruhe, bis das nächste Theater begann. Wenigstens gab es zwi­schendurch diese Ruhephasen, sonst wäre ich noch völlig bekloppt im Kopf geworden.

In dieser Zeit traf ich mich wieder vermehrt mit Mirko. Er war nach Marias Hochzeit wie ausgewechselt. Wir un­ternahmen viel, gingen essen, konnten uns wieder unterhalten, ganz ohne Streitereien, ähnlich wie zu Beginn unserer Beziehung. Gut um einen Freund­schaftsversuch, wie ich ihn eigentlich wollte, zu starten, allerdings war ich mir absolut unsicher, ob es sich nur bei ihm um eine vorübergehende Pha­se handelte. Es war mir jedoch wert, dies herauszu­finden und des Rätsels Lösung ließ nicht lange auf sich warten.

Eines der prägendsten Ereignisse fand einige Tage später in dem Lokal statt, wo wir geheiratet hatten. Es war ein nettes, angenehmes Ambiente, ich fühl­te mich wohl, bis er mir nach dem Essen eine ziem­lich überraschende Frage zum Dessert servierte: “Sach mal, wie hast du dir das denn jetzt so vorge­stellt mit uns?” Schon als er diesen Satz begann, dachte ich nur: “Mirko, was tust du da?” Ich war ge­rade dabei eine Freundschaft mit ihm zu versuchen und er dachte wohl offensichtlich wieder an eine Beziehung. “Ich mein, ich muss an meine Zukunft denken. Ich werde schließlich nicht jünger und will ja auch noch Kinder und so. Du könntest auch wie­der bei mir einziehen”, fügte er der ganzen Misere noch hinzu.

Ich dachte ich höre nicht richtig, als er das sagte. Hätte ich mein Essen nicht schon aufge­habt, wäre ich vermutlich am Fleisch erstickt vor lauter Schreck. Irgendwie tat er mir zwar leid, irgendwie aber auch nicht. Wie konnte er nur so dumm sein und denken, ich würde nach dem ganzen Theater zwei Monate später wieder zu ihm zurückkommen wollen?

“Ähm, Mirko, also ich bin doch gerade erst ausgezogen und habe 3000 Euro locker ausge­geben. Das mache ich doch nicht aus Spaß und Dol­lerei. Wo denkst du hin? Ich dachte wir versuchen hier uns eine Freundschaft aufzubauen. Sicherlich weiß ich auch nicht was kommt und wie sich die Dinge alle entwickeln, aber im Moment und das weißt du auch, empfinde ich keine Liebe oder ähnliches für dich”, antwortete ich freundlich jedoch bestimmend. “Ja dann ist es eben so”, sagte er sichtlich beleidigt. Dieser Satz war einer seiner liebsten. Nach dem Motto: Irgen­detwas versuchen zu ändern? Nö, viel zu anstrengend, dann ist es halt so. Gut dass der Abend sowieso zu Ende ging, dachte ich mir, denn seit diesem tollen Gespräch merkte man nämlich deutlich, wie sich der werte Herr wie­der anfing zu drehen. Er hatte für satte zwei Monate eine Maske aufgehabt und sein offensichtlich wah­res Gesicht konnte ich jetzt wieder ziemlich gut er­kennen.

Einige Tage später waren wir noch einmal abends verabredet. Ein ganz normaler Besuch auf ein Tässchen Kaffee, mehr sollte es nicht werden. Die Stimmung war schon äußerst merkwürdig. Ich war wie immer gut drauf, er war zickig und hatte wie so oft schlechte Laune. Der nicht gerade passendste Zeit­punkt, um bei mir ein paar Annäherungsversuche zu starten. Sowieso törnte mich sein Gemütszustand eher ab als an. Er tat es trotzdem. “Mirko das geht bei mir nicht mehr. Wenn ich beim Sex anfange zu denken ist das schon schlecht. Freundschaft ja, aber mehr auch nicht”, teilte ich ihm in einem bis jetzt noch recht freundlichen Ton mit. “Ich weiß, du kannst nicht lang allein sein. Du wirst bestimmt je­manden finden, allerdings solltest du an dir ein we­nig arbeiten”, legte ich ihm nahe. Tick, tack, tick, tack, Booooooooooom, machte die Zeit­bombe in ihm. “Ich werd mich nicht mehr ändern, pfff”, schimpfte er laut mit diesem garstigen, angewi­derten Gesichtsausdruck. Und da war er dann wie­der, der alte Motzpuckel den ich vor Monaten verlassen hatte. Jetzt begriff er wohl erst richtig, dass ich keine Gefühle mehr für ihn hegte. “Du müsstest dich auch nur zu­rück entwickeln. Geändert hast du dich ja schon, zum Negativen allerdings. Oder du warst schon im­mer so und hast mir Jahre einen vorgespielt”, kack­te ich zurück. “Wenn dann will ich einen klaren Ab­schluss, dann lassen wir uns scheiden. Jetzt!!”, schrie er.

Dieser aufgeblasene, gemeine, ungerechte Oberaffe. Er wusste genau, dass ich pleite war und eine Scheidung würde locker 2000 Euro kosten.

“Das ist doch nur ein dummes Blatt Pa­pier, mehr nicht. Ich habe kein Geld”, erwiderte ich. Wenn ich es gehabt hätte, wäre es mir das größ­te Vergnügen gewesen und am nächsten Tag säße ich beim Anwalt. “Ja da kann ich ja nichts für, ich hab auch kein Geld”, antwortete der Oberaffe ziemlich arrogant. Ja, nee, ist klar. Ich wusste wie viel er hatte. Beim Aussortieren unserer Sachen habe ich noch einige Scheinchen von ihm im Schrank gefunden. Ich musste heulen, diesmal aber vor Wut und wegen meiner eigenen Blödheit, über die ich mich ärgerte. “Jetzt ist Schluss, ich hab kein Bock mehr. Scheiß auf Freundschaft”, waren meine letzten Worte, bevor ich schließlich mit einem Blutdruck von 240 und “Saw” Spielchen im Kopf seine Wohnung verließ. Ich fuhr zur Tanke, welche auf meinem Heimweg lag, um einen Kaffee dort zu trinken und mich abzuregen.

Mit Tränen in den Augen betrat ich den Raum. Um diese späte Uhrzeit war Kundschaft eher rar. Es dau­erte keine zwei Minuten, da kam allerdings noch je­mand so spät an die Tankstelle um offensichtlich auch einen Kaffee zu trinken. Es war Kai. Kaaaaaaaaaaaaiiiiiiii, hmmmmmmmm ach Kai. Dieser Mann war etwas ganz besonderes für mich. Mein Blutdruck sank, meine gute Laune stieg rapide an und meine Hormone tanzten Salsa.

Ich schwärmte schon länger von ihm und kannte ihn seit etwa zehn Jahren. Er gehörte zu der Gruppe “junger, gut aussehender Leute” vom Berg. Leider hatte er schon seit längerem eine feste Freundin und zwar eine ziemliche Madame Medusa.

Seit meiner Trennung von Mirko ließ er sich wieder häufiger an der Tanke blicken. Zumindest bildete ich mir das ein. Doch ich könnte schwören, vorher war er nur selten dort anzutreffen.

Kai schaffte es, wie so oft, mir in nur weni­gen Sekunden wieder ein Lächeln auf mein Gesicht zu zaubern. “Der Mirko ist doch bekloppt. Der war schon früher nicht ganz normal”, meinte Kai, als ich ihm erzählte, was gerade passiert war. Die beiden waren damals zu­sammen in einer Schule. “Schon allein was er im­mer für einen Scheiß in den bescheuerten Buschfunk schreibt, als wenn das jemanden interessieren wür­de”, sagte er kopfschüttelnd.

Kurze Erläuterung: Der Buschfunk ist eine Art der Kommunikation bei meinVZ, wo jeder hineinschreiben kann, was er zum Beispiel gerade macht oder vor hat zu tun oder ein­fach nur, um ein Kommentar loszuwerden. Kurz und knapp meistens das mitteilt, was kein Schwein wissen will. Was mindestens genauso interessant ist, als wenn in China ein Sack Reis umfällt. Es gibt dort einige Experten, welche da ganz groß drin sind, den Freunden mitzuteilen, was sie gerade essen oder ob sie Kopfschmerzen haben. Mirko war einer dieser Experten, allerdings konnte es Medusa auch sehr gut. Kai und ich machten uns regelmäßig über diese Aktionen lustig. Irgendwie hatte ich so leicht das Gefühl, er wolle Mirko ein wenig eifersüchtig machen. Mir gefiel der Gedanke, ob ich nun richtig lag oder nicht. Ab sofort war mir mein Ex sowieso völlig egal geworden. Von nun an war für mich eines der wichtigsten Dinge am Tag, pünktlich um halb fünf nach der Arbeit an der Tanke meinen Kaffee zu trinken und Kai zu sehen.

Ganz früher hielt ich ihn für einen Riesenspinner. Damals war eine Freundin von mir hinter ihm her, was ich nie nachvollziehen konnte. Es hieß immer: Da kommt der Bekloppte, der Durchgeknallte, der Asi. Furzen, rülpsen und sich daneben benehmen, ja das konnte er gut, mehr aber auch nicht.

Als ich dann vor circa neun Jahren mit dieser besagten Freundin auf einem Osterfeuer eines Freundes war, wendete sich das Blatt komischerweise auf einmal. Um das Feuer herum waren keine Sitzgelegenheiten mehr vorhanden und neben uns saßen Kai und sein bester Freund Bernd. Sie baten uns an, auf ihrem Schoß Platz zu nehmen. Ich weiß gar nicht mehr wieso, aber anstatt zu Bernd, ging ich zu Kai und setzte mich. “Wollen wir nicht lieber tauschen?”, fragte Bernd Kai mit frechem Grinsen. “Nö, lass mal, mir gefällt das so besser!”, antwortete er und ich spürte seine Hände an meiner Hüfte. Seit diesem Moment dachte ich: “Irgendwie hat er was an sich, was mir unglaublich gefällt. Irgendwie ist er verdammt süß. Nein, du bist bescheuert, dass ist ein Vollasi hoch zehn.” Engelchen und Teufelchen kloppten sich in meinem Kopf. Engelchen gewann. Er wirkte auf einmal anders auf mich, irgendwie nett. Weiter gingen meine Gedanken allerdings damals nicht, schließlich war er vergeben.

Im Laufe der Jahre lernte man sich zwar langsam, aber immer intensiver kennen. Er war ein Sprücheklopper wie er im Buche steht, genau wie ich. Selten traf ich Menschen mit denen es so schön möglich war, sich zu duellieren und gegenseitig zu ärgern, wie mit ihm.

Vor zwei oder drei Jahren dann auf einer Party, tippte er mir am späten Abend auf die Schulter und ging drei Schritte zurück. Ich kam ihm nach und fragte: “Wie du willst schon gehen, warum?” “Ich muss zum Tierarzt mit meinem Hund morgen früh”, antwortete er. “Ich wollt dir noch sagen, dass das immer nur Spaß ist an der Tanke, nur damit du das weißt. Ich kann dich echt gut leiden”, sagte er mit einem solch ehrlichen Lächeln und seinen strahlenden Augen, so dass ich fast dahin schmolz. Dann gab er mir einen Kuss ziemlich nah an meinem Ohr, lächelte und ging. Ich war baff, grinste vermutlich wie ein Honigkuchenpferd und schwor mir diese Stelle in meinem Gesicht niemals mehr zu waschen. Scheiße noch mal war der süß. Und irgendwie hatte er etwas Verführerisches an sich, was mich damals schon reizte. “Verdammt, warum sind die besten Männer immer besetzt.”, ging mir durch den Kopf. Von da an schwärmte ich von ihm, aber dabei blieb es. Schließlich war es Tabu fremdzugehen und wenn seine Freundin alleine schon von meiner Begeisterung für ihn Wind bekommen hätte, dann würde sie mich sicherlich ungespitzt in den Boden rammen. Dessen war ich mir sicher. Aus diesem Grund behielt ich meine Gedanken soweit es ging für mich. Lediglich Bettina und Maria wussten davon.

So gut, wie seit meiner Trennung von Mirko, hatten wir uns allerdings vorher nie verstanden. Wir unterhielten uns auf einmal auch ganz normal, neckten uns nicht nur gegenseitig, sondern verstanden uns auch so ziemlich gut. Sicherlich war er nicht jedermanns Sache. Er nahm kein Blatt vor den Mund, war frech und ein Ferkel. Aber genau das waren einige der Dinge, die ich auch an ihm mochte. Mit der Zeit merkte ich, dass er auch noch eine andere, ganz tolle Seite hatte. Er war sehr hilfsbereit und das ganz ohne Gegenleistung. Mein Autoradio machte andauernd Faxen und er kümmerte, tat und machte, als wäre es selbstverständlich. Innerhalb von ein paar Monaten wurde er zu einem der wichtigsten Menschen die es für mich je gegeben hatte. Betrat er die Tankstelle, war für mich der Tag gerettet. Ganz egal, was ich für einen Ärger hatte, ganz egal wie traurig ich war, mit seinem Lächeln, seinen Blicken und seinem bekloppten Zeug, was er von sich gab, ließ er mich für diese Zeit alles Schlechte vergessen.

Hätte mich jemand gefragt, wie ich mir meinen Traummann vorstelle, wäre Kai die richtige Antwort gewesen. Doch dazu konnte ich nicht stehen, denn alle um mich herum kannten ihn und auch seine Medusa. Er verkörperte genau das, was ich wollte und mir vorstellte. Eine Rarität von Mann.

Seitdem mir dies bewusst wurde, begann ein Kampf gegen mich selbst. Ich versuchte mich täglich gegen meine Gefühle zu wehren. Jedes Mal wenn ich ihn sah und mir einbildete, auch bei ihm diese funkelnden Sternchen in den Augen zu sehen, sprach die Stimme in meinem Kopf zu mir: “Reiß dich zusammen, dass ist zwecklos, er ist vergeben, Mensch raffst du es nicht?” Ha, ha, verdammt, dieser Kampf war verloren, noch bevor er wirklich begann. Doch ich wollte es nicht wahr haben und gab echt alles um mich selbst zu besiegen.

Sollte es nicht reichen, dass mein Herz schon Amok lief – nö, wieso auch - meine Hormone spielten ebenfalls verrückt, wenn ich ihn sah. Pah, was heißt, nur wenn ich ihn sah, auch wenn er mal nicht da war, dachte ich von da an jeden verfluchten Tag an ihn und seinen Matumbo (es hieß, er hätte ein wahres Prachtexemplar). In meiner Phantasie hatten wir schon an die hundertmal Sex, in sämtlichen Varianten, an sämtlichen Orten, zu jeder nur erdenklichen Tages- und Nachtzeit.

In der Mittagspause in der Arbeit fing ich aus heiterem Himmel an zu grinsen, ohne es zu merken. Mein Kollege, der mit an meinem Tisch saß, hielt mich schon für völlig irre. Scheiß verdammtes Kopfkino. “Okay, okay, ruhig bleiben, sortiere deine Gedanken. Dagegen wehren macht es nur noch schlimmer”, dachte ich. “Akzeptiere es einfach und es geht von allein wieder weg, so war es doch immer, mit jedem anderen, weißt du nicht mehr? Ein paar Wochen und es ist alles vorbei”, versuchte ich mir einzureden. Selbst für sich Psychiater spielen hilft ab und an ein wenig. Na ja gut, ich versuchte auf dem Teppich zu bleiben, doch dies war leichter gesagt, als getan. Irgendwie brauchte ich ihn schon fast wie eine Droge, weil ich wusste er macht mir wieder gute Laune, denn es gab reichlich Menschen, die mir diese anscheinend zu der Zeit verderben wollten.

Egal wie lange ich man­che Männer kannte, egal wie intensiv ich sie kannte, anscheinend ging der Trend einiger gerade dazu über, sich von mir abzuwenden und sich um 180 Grad zu drehen. Hätten sie Kontakt untereinander, würde ich fast sagen sie haben sich abgesprochen.

Erst war es Mirko, mit dem ich sechs Jahre zusam­men war. Dicht gefolgt von Boris dem ich neun Jah­re lang alles nur Erdenkliche anvertrauen konnte. Und nun sollte den beiden wohl bald noch ein ande­rer folgen, welcher bis dato auch ein sehr wichtiger Mann in meinem Leben war. Ihn kannte ich seit Beginn meiner Ausbildung: Mein Vorar­beiter Frank.

Große Füße

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